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Donnerstag, 29. September 2016

Rätikon - Prix Garantie (7c, Erstbegehung)

Wer zum ersten Mal zum Klettern ins Rätikon kommt, dessen Blicke richten sich bald einmal zum sogenannten Elefantenbauch an der vierten Kirchlispitze (2494m). Prominent und herausfordernd sticht dieser aus der Bergkette hervor und wohl jeder Kletterer weiss, dass dort die ganz harten Geräte daheim sind. Antihydral (8b), Silbergeier (8b+) und Hannibals Alptraum (8a), um genau zu sein. Ein bisschen verwegen war daher mein Plan schon, an genau dieser Wand eine Linie zu verwirklichen. Andererseits hatte ich den Elefantenbauch bereits aus vielerlei Perspektive studiert, mit Fernglas und Zoom-Fotos nach nutzbaren Strukturen gesucht. Es könnte möglich sein, sagte ich mir immer...

Nicht nur die Kletterei lohnt sich im Rätikon, auch die Aussicht ist sagenhaft! Blick aus der Wand nach SE.
Ein wichtiger Puzzlestein zur Realisierung war dabei das Angebot von Michael, mich beim Bohren zu sichern und beim Materialtransport tatkräftig mitzuhelfen. So griffen wir am 1. Oktober 2015 das erste Mal an. Schwer beladen ging's hinauf über die Fixseile, um endlich einmal einen Blick von ganz nahe auf das Projekt zu werfen. In Realität sah es zum Glück genau so gut aus wie auf den stark vergrösserten Pixeln am Bildschirm. Nur in Bezug auf Schwierigkeit und Machbarkeit blieben wir natürlich vorerst noch im Ungewissen. Tatsächlich erforderte dann schon die erste Länge grossen Einsatz - aber es ging. Mit etwas schwindenden Kräften gelang es an diesem Tag sogar noch, die etwas einfachere zweite Seillänge komplett einzurichten.

Die Kirchlispitzen 4-7 schön aufgereiht - ein wirklich tolles Klettergebiet!
Einen guten Monat später, am 6. November 2015, waren wir das nächste Mal am Start. Wohl herrschten noch beste Spätherbstbedingungen, die Tage waren aber trotzdem bereits kurz. Bis wir die Vortriebsstelle erreicht hatten, war Mittag schon vorbei. Und auch das Einbohren der dritten Seillänge entpuppte sich als kein leichtes Unterfangen. Mit der vierten Seillänge konnte ich damals noch beginnen, drei Bolts liessen sich setzen, was gerade noch einen Blick um die Kante auf den oberen Wandteil zuliess. Noch nie hatte ich den aus dieser Perspektive gesehen - sehr erleichtert nahm ich damals zur Kenntnis, dass es vielversprechend und machbar zugleich aussah. So konnten wir trotz relativ bescheidener Ausbeute von knapp 1.5 Seillängen mit gutem Gefühl in die Tiefe gleiten.

Rock Quality - Quality Rock! Blick zurück beim in die Tiefe gleiten.
Danach kehrte der Winter ein, und der regnerische Vorsommer 2016 mit seinen wenigen und oft gewittrigen guten Tagen liess lange nicht an einen Versuch im Rätikon denken. Bedrohlich rückte der Termin in die Nähe, an welchem Michael Europa zu Gunsten von neuer beruflicher Herausforderung verlassen würde. Am 4.7.2016 war es dann aber endlich soweit - stabiles Wetter war angekündigt, Psyche, Kraft und Haut waren in Topzustand und den langen Tagen sei Dank war genügend Zeit vorhanden. So gelang es dann tatsächlich, die noch fehlenden 3.5 Seillängen bis zum Ausstieg in einem Zug einzurichten - dies trotz ziemlich hohen und anhaltenden Schwierigkeiten. In Summe sicherlich einer meiner besten Bohr-, ja sogar Klettertage aller Zeiten. Das Gefühl, spätabends direkt auf dem Gipfel der 4. Kirchlispitze auszusteigen und die Erstbegehung damit vollbracht zu haben, war einfach unbeschreiblich :-)

Die Zustiegskraxelei entlang der Fixseil, etwa mittig auf der Strecke. Es hat Stellen bis zum 3. Grad, Steigklemme nötig!
Nach der Arbeit das Vergnügen: offen blieb noch, die Route ohne Bohrmaschine zu klettern. Michael, inzwischen weit weg daheim, konnte da leider schon nicht mehr dabei sein. Nach den im Ausland verbrachten Sommerferien wurde es schliesslich der 11. September 2016, bis ich mit Kathrin ins Rätikon aufbrechen konnte. Während mir die oberen Längen auf Anhieb gelangen, entpuppte sich die erste Seillänge nicht unerwartet als harte Knacknuss. Nach zähem Ringen konnte ich sie schliesslich freiklettern. Das vorerst letzte Kapitel vor der Veröffentlichung schrieben dann am 22. September 2016 Daniel Benz und Lukas Hinterberger mit der ersten Wiederholung. Von mir zu einer Begehung der Route ermuntert, sicherte sich mein Freund Dani in souveräner Art und Weise eine komplette Onsight-Begehung der gesamten Route - herzliche Gratulation zu dieser starken Leistung! Nachdem dabei meine Einschätzungen bestätigt wurden, lässt sich in den folgenden Zeilen das Wesentliche lesen.

Kurz vor dem Einstieg, wir haben das Fixseil bis ganz rüber gezogen.
L1, 40m, 7c: Nach einem Auftakt der "weder ganz einfach, noch ganz schwierig" ist, geht's bereits nach dem dritten Haken zur Sache. Entweder erst rechts der Haken hinauf, dafür aber bouldrig-schwer am vierten Bolt nach links queren - oder gleich links der Hakenlinie pressig und kühn nach oben steigen, gefolgt von einer zwingenden Stelle mit Aufrichter zum fünften Bolt. Die nun folgende Passage bis zum siebten Haken bildet die Crux der ganzen Route. Rätikontypische, senkrechte Wandkletterei mit gutem Anstehen und Bedienung kleiner Kratzer und feiner Sloper ist gefragt. Danach etwas einfacher, aber noch mit dem einen oder anderen Boulder zum Stand. Mit 2x p.a. am vierten und sechsten Bolt dürfte man hier übrigens mit 7a/7a+ durchkommen.

Kathrin versucht sich an der kniffligen Rätikon-Kletterei im oberen Teil von L1 (7c).
L2, 30m, 6c: Los geht's mit plattiger Kletterei in sehr schönem Fels, gefolgt von einem Intermezzo in traumhaften, sehr griffigen Wasserrillen. Das senkrechte Wandl darob beinhaltet dann die Crux. Zwei-, dreimal gut durchmoven an Seitgriffen, irgendwann kommt der Henkel. Es folgt noch eine Querung nach rechts hinaus zum Stand.

Die steile Wandkletterei zum Stand hin stellt die Crux von L2 (6c) dar.
L3, 25m, 7a: Der Auftakt über eine sehr schöne, löchrige Platte entpuppt sich als gängig. Bald jedoch werden die Strukturen klein und scharf und man muss sich sorgfältig positionieren, um den Boulder nach rechts hinaus über den überhängenden Wulst angehen zu können. Man gewinnt so eine angetönte, seichte Verschneidung. In fordernder Kletterei geht's darin zum Stand in der Nische.

Die letzten Meter in der angedeuteten Verschneidung von L3 (7a).
L4, 35m, 7a+: Die Steilplatte ob dem Stand sieht nicht so schwer aus, hat's aber in sich. So richtig knifflig sind dann die zwingenden Moves um die Kante nach dem dritten Bolt - an Slopern gilt es sich, um die Ecke zu manteln. Danach sehr anhaltend in feinstem Rätikon-Steilplattenfels hinauf. Immer gerade bevor es verzweifelt schwer würde, taucht zum Glück wieder eine nutzbare Struktur auf.

Sehr schöne, ja fantastische Steilplattenkletterei in L4 (7a+).
L5, 20m, 6c: Kurz, eher plattig, aber nicht zu unterschätzen! Schon gleich nach dem ersten Bolt wartet ein kniffliger Aufsteher. Danach etwas leichter der nicht ganz so griffigen Schuppe entlang zu einem finalen, sehr schönen Boulder an Wasserrillen aufs bequeme Querband hinauf.

Der Wasserrillen-Boulder am Ende von L5 (6c) ist schwieriger, wie man zuerst meint.
L6, 30m, 6c: Auf dem Band erst einige Meter nach links und dann recht fordernd die steile Verschneidung hinauf, welche von griffigen Überhängen abgeschlossen wird. Der vierte Bolt befindet sich dann links draussen auf der Platte, über welche man später sehr schön zum Stand hinaufklettert. Auf dem letzten Meter trifft man die historische Linksdrall (V+ A0), welche hier diagonal über die ganze Wand quert.

Richtig coole Kletterei am Ende von L6 (6c), am Ende kann man noch einen NH der Linksdrall klippen.
L7, 40m, 6b: Sehr schöne Kletterei in nochmals bestem, griffigem Rätikon-Kalk an einem turmartigen Pfeiler, den man bis ganz zuoberst erklimmt. Zuerst etwas plattig-feine Moves, dann formidable Henkel und zuletzt der luftige Ausstieg, ein grosser Genuss. Vom Turmgipfel dann noch wenige Meter zum Ausstiegsstand - das Wand-/Gipfelbuch befindet sich 1.5m horizontal rechts von diesem in der kleinen Nische unter den Steinen versteckt. Wer will, erreicht in einfacher Kletterei (10m, I) flugs den schmucklosen Gipfel der 4. Kirchlispitze.

Tolle Kletterei bis kurz vor Schluss, nur die allerletzten Meter vom Türmchen zum Ausstiegsstand sind etwas schottrig.
Ein Abstieg vom Gipfel über die Nordseite ist möglich, und bietet dem Alpinfreak ein interessantes Erlebnis. Er führt durch etwas unübersichtliches, wegloses Kraxelgelände (ca. T5, II). Man hält sich zuerst an den Grat bis in die Senke östlich der vierten Spitze und steigt dann der Nase nach durch die Nordflanke ab. Wiewohl, die meisten bevorzugen sicherlich sinnvollerweise das Abseilen: mit 2x50m geht's tiptop, mit 2x60m ist's noch ein bisschen effizienter. Sofern die Fixseile am Vorbau in brauchbarem Zustand sind, seilt man am bequemsten an diesen ab. Sollte dies nicht der Fall sein, so befinden sich unterhalb vom Einstieg der Prix Garantie in gerader Linie zwei gut geschützte Abseilstände, an welchen man mit dem eigenen Seil in die Tiefe gleiten kann. Der Geröllsurf hinunter zum Pardutzbödeli gehört dann zum Fun dazu, danach blickt man hoffentlich auf einen gelungenen Klettertag zurück!

Facts

4. Kirchlispitze - Prix Garantie 7c (6c+ obl.) - 7 SL, 220m - Dettling/Bechtel 2016 - ****;xxx
Material: 2x50m (oder etwas bequemer 2x60m)-Seil, 10 Express, Keile/Friends nicht nötig

Die Discount-Linie am eindrücklichen Elefantenbauch der vierten Kirchlispitze, in unmittelbarer Nähe zu den Ultraklassikern Silbergeier (8b+) und Hannibals Alptraum (8a). Auch wenn das Eintrittsbillett hier nicht ganz so teuer wie in den Nachbarrouten ist, so bekommt man doch Qualität und Ambiente garantiert. Die Kletterei ist zwar nur auf wenigen Metern in L1 so verzweifelt schwer wie in den Nachbartouren, doch auch die restlichen Meter sind nicht zu unterschätzen, wollen ehrlich gemeistert sein und erfordern ein gewisses Kletterkönnen. Die Felsqualität ist über weite Strecken hervorragend, man klettert im typischen, silbergrauen Rätikon-Gestein mit seiner hervorragenden Reibung. Ein paar kurze, etwas splittrig anmutende Stellen gibt's wie in fast jeder Rätikon-Route aber durchaus und wer unbedingt irgendwo einen Griff ausreissen will, der dürfte seinen Wunsch auch erfüllen können. Die Route ist mit qualitativ hochwertigen A4-Inox-BH komplett, solide und durchdacht ausgerüstet, mobiles Sicherungsmaterial ist nicht mitzuführen und kaum einzusetzen. Es sei erwähnt, dass manche nicht ganz triviale Kletterstelle bei guter Absicherung durchaus obligatorisch zu meistern ist - es dürfte sich in jeder Hinsicht um die anspruchsvollste Route handeln, welche der Autor bisher eingerichtet hat.

Topo

Hier gibt's das Topo in voller Auflösung zum PDF-Download, der Screenshot ist nur zur Illustration!


Montag, 26. September 2016

Göscheneralp / Sandbalm - Jack Daniels (7c+)

Die Jack Daniels befindet sich auf der überhängenden Rückseite der Sandbalm-Platten, welche prominent über der Voralpkurve im Göschener Tal trohnen. Sie ist nicht überaus lang, nicht überaus bekannt und nicht in einer überaus eindrucksvollen Wand. Trotzdem darf man sie mit gutem Recht als eine der besten und eindrücklichsten Granitrouten der Schweiz bezeichnen. In sehr homogener, stets bouldrig interessanter Kletterei bewältigt man die steile Wand an bestem, sauberem Fels, der gerade mit den nötigen Strukturen gespickt ist. Blickt man nach links und rechts, so ist das Gestein entweder zu glatt oder flechtig zum Klettern. Wer das Niveau drauf hat, sollte sich dieses Highlight nicht entgehen lassen!

Blick auf die durchgehend überhängende Wand mit der Route.
Schon lange hatte ich mit einem Versuch geliebäugelt, am mutmasslich letzten Sommertag im 2016 kam es nun dazu. Wir beschlossen, die Route im Sportklettermodus anzugehen. Sprich mit Einfachseil, Haulbag, allem nötigen Komfort und der Absicht, die Seillängen zu punkten. Das ist bei dieser Routenlänge (oder bzw. eben Routenkürze) ein realistisches Unterfangen. So machten wir uns bei der Voralpkurve auf den Weg, gingen ins Tal hinein und überquerten kurz nach dem Gatter den Bach (verblassende Aufschrift "Sandbalmhöhle" auf dem Fels, Fundamente der demontierten Brücke sichtbar). An den Klettereien auf der Sandplatte vorbei, wo man bis zum Grad von 7a den Gummi testen könnte, ging's ins grosse Couloir.

Omnipräsent im Bereich der Sandplatte: der Salbit-Westgrat, da waren wir auch schon unterwegs.
Und das ist so eine Sache: das Couloir konnte nie wirklich als ungefährlich bezeichnet werden, doch es führte früher sogar ein weiss-blau-weiss markierter Wanderweg hinauf - bis zu diesem ominösen 28. August 2011. An diesem Tag ereignete sich ein grosser Felssturz, zimmergrosse Blöcke polterten hinunter. Wäre man da in der Nähe gewesen, es wäre der sichere Tod gewesen, ja sogar auf den Wanderweg ennet dem Bach polterten viele Geschosse. Der Zufall wollte es, dass Kathrin und ich zu genau diesem Zeitpunkt die Makita (6c+) an den Sandbalm-Platten kletterten und das Schauspiel aus sicherer Warte verfolgen konnten (Bericht). Auch das Urner Kletter-Urgestein und Haupterschliesser dieser Zone, Bruno Müller war zugegen und entging einem Unglück nur knapp.

Das Couloir hinauf zur Sandbalmhöhle ist gefüllt mit labilem Schutt - eine gefährliche Zone!
Seit diesem Vorfall ist der Weg zur Sandbalmhöhle offiziell gesperrt, und meinen Ambitionen auf die Jack Daniels versetzte das natürlich auch einen Dämpfer. Ich denke, es ist einfach wichtig zu wissen, dass diese Zone und insbesondere das Couloir nicht völlig sicher sind. Andererseits herrschte nun über die letzten 5 Jahre Ruhe, es gab keine grösseren Felsstürze mehr. Aus dieser Optik "darf" man die Jack Daniels also sicher angehen - was wir per Zufall beobachtet hatten, war wohl ein Jahrzehnt- oder gar Jahrhundertereignis. Wollte man in den Alpen alle Zonen meiden, wo in den letzten 100 Jahren einmal grössere Brocken hinunterpolterten, tja dann sähe es mit dem Kletterpotenzial wohl ziemlich düster aus.

In der Sandbalmhöhle drin ist man hingegen sicher - dafür sieht's aus wie in einem Emmentaler!
Mit etwas Herzklopfen, einerseits eben wegen der Vorgeschichte, andererseits weil wir möglichst zügig unterwegs sein wollten, begingen wir das Couloir und bogen in die Sandbalmhöhle ein. Diese ist als die grösste Kristallhöhle der Alpen bekannt, vor über 300 Jahren begann deren Ausbeutung. Die Gesamtlänge aller ausgehöhlten Stollen beträgt über 250m - an dieser Stelle kann man mehr darüber nachlesen. Es wird empfohlen, eine Stirnlampe mitzuführen - wie blöd, dass ich meine vergessen hatte. Tatsächlich ist der längste Abschnitt im Berg zappenduster, doch mit der Taschenlampe-App auf dem Handy konnte man sich behelfen. Nachdem wir den spannenden Ort ausgiebig ausgekundschaftet hatten und noch einen Znüni genommen hatten, starteten wir mit der Kletterei.

L1, 25m, 7b+: Früher kletterte man aus der Höhle eine Mini-Seillänge (5m, 6a) aufs erste Band, doch im Zuge der Sanierung wurde gleich beim Höhlenausgang ein bequemer Stand zum Sichern eingebohrt, so dass die Mini-Seillänge nun entfällt. Nach diesem Abschnitt wartet ein Teilstück an meist gutgriffigen Schuppen - trotzdem nicht ganz geschenkt, ca. 7a. Nach einem Ruhepunkt wartet dann die Crux in satter Wandkletterei: ein paar Crimps und Seitgriffe wollen bei akuter Trittarmut zu einer Sequenz zusammengefügt werden. Dani stieg hier beinahe mühelos darüber hinweg. Ich versuchte mich dann mit seiner Beta (bzw. der markierten, in der ganzen Route waren bei unserer Begehung ausnahmslos ALLE Griffe und Tritte mit Chalk getickt), was jedoch nicht gelang. Es zeigte sich, dass diese Lösung für mich sehr schwer bis undurchführbar war - nach etwas Tüfteln war dann eine tragfähige, alternative Lösung gefunden.

Hopp...
...und zack! Dynamische Kletterei in der satten Wandstelle, welche die Crux von L1 (hart 7b+) markiert.
L2, 20m, 7b+: Vom Stand einfach nach rechts hinüber und dann mit Bolt- und Fixkeilsicherung bouldrig über das Dächli hinauf. Oben hat's Griffe, aber halt keine Henkel, ziemlich knifflig bis die Füsse einmal oben sind. Damit ist's aber noch nicht ganz gegessen, die ersten 2m dem diagonalen Riss entlang sind auch nochmals schwierig - wobei es hier wohl ganz entscheidend ist, dass man die Sache richtig anpackt, um nicht blöd in die offene Tür zu kommen. An dieser Stelle wartet ein etwas längerer Abstand zum nächsten Bolt, wobei die Schwierigkeiten am Riss nach den ersten Moves sofort nachlassen. Mit den beiden Camalots 0.5 & 0.75 kann man hier aber sehr gut mobil absichern. Nach einem letzten BH erreicht man den eher unbequemen, dritten Stand. Hier wurde zwar ein Sitzbrett aus Mahagoni-Holz (!!!) platziert, weil die Standhaken etwas tief stecken und es nichts für die Füsse hat, ist's aber leider doch nicht so komfortabel.

Ausstieg aus dem Crux-Dächli von L2 (7b+): krall...
L3, 20m, 7c: Hier wartet als erstes der cleane, horizontal nach links führende Riss. Mit dem Blick auf die glatte Platte unterhalb mag man den Zeilen im Netz die von "einfacher Kletterei" schreiben, nicht so recht glauben - doch tatsächlich geht's problemlos. Man kann hier ebenfalls wieder die Camalots 0.5 & 0.75 legen, wer kühn ist und über den Schwierigkeiten steht, muss aber nicht mal unbedingt. Der Aufrichter zum ersten Bolt geht nämlich auch unerwartet gut und dann heisst's einfach an Leisten, Seit- und Untergriffen durch diese überhängende Wand riegeln. Wirklich total geniale Moves, man benützt wohl alles, was der Fels hier an Strukturen überhaupt hergibt - inklusive einer an den Fels zurückgebolteten Schuppe mit guter Leiste, aber ohne diese ginge es nicht. Die letzten Meter nach dem Ausstieg über die Lippe dann etwas einfacher und griffiger, mit einer Extraschleife rechtsrum zum Stand. Während Dani hier Mühe hat und erst im zweiten Go mit einem gewaltigen Dyno an der Crux passieren kann, gelingt es mir, diese Seillänge sogar zu flashen. Daraus muss man wohl schliessen, dass diese Länge etwas grossenabhängig ist, und es zeigt wieder einmal schön, wie relativ Kletterbewertungen zu interpretieren sind.

Super Kletterei an Leisten, Seit- und Untergriffen durch die stark überhängende Wand von L3 (7c).
L4, 25m, 7b+: Vorerst geht's noch nicht so schwer über die steile Platte oberhalb vom Stand - wobei Platte tönt nach Schleichen, das stimmt nicht. Es ist Wandkletterei an ein paar perfekten Leisten, welche die Natur hier im genau richtigen Abstand platziert hat. Danach eine luftige Traverse nach links an die Kante des ausgeprägten Bugs, ein bisschen Campus-like. Man klettert rein, setzt den Hook und denkt sich: huiuiui, jetzt habe ich mir ein Ei gelegt... Die Crux besteht im Abfangen des Körperschwungs beim Lösen des Hooks. Es fühlt sich irgendwie so an, als ob man beim Lösen der Ferse durchpendeln würde, um dann in hohem Bogen gleich in die Voralpreuss hinunter zu spicken. Vorstellung und Realität sind aber zwei verschiedene Dinge: tatsächlich können wir hier beide entsprechend Spannung aufbauen und den Schwung ausreichen abbremsen. Gleich danach wird's markant einfacher, der Rissverschneidung entlang kann man wieder die Camalots 0.5 & 0.75 versorgen und gelangt zum bequemen Stand mit dem Wandbuch.

Blick beim Abseilen auf L4 (7b+). Erst über die orangen Flechten, dann Querung nach links an den Bug.
L5, 15m, 7c+: Zum Routenende sind's nur noch ein paar wenige Meter. Die Bewertung suggeriert zwar das härteste Gerät, auf den ersten Blick sieht's aber nicht unbedingt danach aus (es täuscht aber). Speziell auch, dass man am Routenende nicht Stand bezieht (was viel zu unbequem wäre), sondern gleich wieder zum Stand nach L4 ablässt. Ja eben, und die Kletterei: an einer diagonal verlaufenden Säule geht's in die Höhe. Was erst nach passablen Seitgriffen aussieht, entpuppt sich dann als slopriger wie erhofft und vor allem hat's einfach auch keine guten Tritte, wo man das Körpergewicht platzieren könnte. Nachdem man sich erst so hochgeschrubbt, hochgehookt und hochgepatscht hat, wartet dann am Ende noch ein kräftiger Untergriffmove an eine kleine Leiste und ganz zum Schluss kniffliges Balance-Gelände, um den Stand zu klippen. Dani fehlt nur wenig zum Onsight, im zweiten Go packt er's souverän. Ich für meinen Teil muss das erst einmal etwas befühlen - es gibt in der Tat unzählige Lösungsoptionen mit Hooks und selbst für die Hände. Im zweiten Go geht's mir dann besser wie erwartet, allerdings ist die Sequenz noch nicht perfektioniert und um einfach mit Kraft drüberzubügeln fehlen mir am Ende die Körner.

Die letzte Länge (7c+) ist definitiv oberhalb meines Onsight-Könnens... also erst mal schauen, befühlen und putzen...
Hmm ja, hier den Punkt zu holen wäre verlockend - allerdings wäre nun nach diesem "all-out" Go erst einmal eine längere Pause fällig, und der Erfolg scheint trotzdem unsicher, nachdem die Reserven bereits angezapft sind. Um die Punktebuchhaltung komplett ins Reine zu bringen, wären zudem die ersten beiden Seillängen auch noch zu wiederholen, was doch eher unrealistisch erscheint. So beschliessen wir, die Abseilfahrt anzutreten. So "muss", oder eben darf und kann ich an einem anderen Tag die Herausforderung von einem stilreinen Gesamtdurchstieg annehmen. Das ist eigentlich gar nicht zu bedauern, denn diese absolut geniale Route verdient sehr wohl mehr als nur einen einzigen Besuch.

Tiefblick zum Stand nach L4 von ganz oben. Die Seitgriffe hängen leider nicht so gut an, wie man gerne möchte...
Der beste Vergleich zur Jack Daniels sind für mich die beiden Sportkletterklassiker "Kein Wasser kein Mond" an der Schafbergwand, sowie die New Age am Schweizereck. Beide ähnlich lang, ähnlich schwer und (wenn auch kühner), ähnlich im Charakter. Nachdem ich dort jeweils 5 Sterne vergeben hatte, dann ist das hier auch klar der Fall - alles in allem hat mir die Kletterei in der Jack Daniels sogar deutlich am besten gefallen. Bouldrig, interessant, so richtig coole Moves an angenehmen Griffen, irgendwie einfach noch schöner wie der Kampf mit der runden Wasserrille in der KWKM oder die beiden heftig-schweren Einzelstellen der New Age. Einzig einen über die Landesgrenzen hinaus bekannten Alpinsportkletterklassiker hat man mit der Jack Daniels nicht gemacht, aber das ist ja auch sowas von egal.

...einigermassen überhängend ist die letzte Seillänge dann auch noch - vom Stand aus schätzt's man's flacher ein.
Wenn man nach dem Ablassen wieder zurück an den Stand will, so gilt's das Thank-God-Ledge zu nehmen.
Mit der Hilfe des fix installierten Geländerseils gelangen wir an den Stand nach L1 unter dem grossen Dach. Von hier ist's ein kurzes Abseiler an den Einstiegsstand, von wo wir es bevorzugen, einen 50m-Abseiler ins Kraut hinunter zu ziehen, statt durch die Höhle zurück zu kriechen. Hurtig rollen wir die Seile auf, im Couloir wollen wir uns nicht länger als zwingend nötig aufhalten. Wobei an dieser Stelle erwähnt sei, dass sich dort den ganzen Tag über kein einziger Stein geregt hatte. Wir spazieren zurück und können dann der Verlockung "Horrible" nicht widerstehen. Hierbei handelt es sich um einen überhängenden, ca. 10m hohen Block im Bett der Voralpreuss mit einem idealen Splitter-Crack, welcher im Grad 5.11c (entspricht 6c+, das ist aber nicht wirklich repräsentativ, wenn man in diesem Stil nicht geübt ist). Wobei, es ist vor allem mein Kletterpartner, welcher der Verlockung nicht widerstehen kann - ich für meinen Teil bin da schon ein paar Mal tatenlos daran vorbeispaziert.

So einigen wir uns darauf, dass er vorsteigt und die Cams platziert und ich nachher ausräume. Bis auf einen (unnötigen) Zwischen-BH ist der Riss clean. Wir haben immerhin 2x den Camalot 1 dabei, allerdings könnte man den auch etwa fünffach brauchen. Mit etwas Nachschieben und dem Ausnützen der weniger breiten Stellen geht's dann aber auch so. Horrible oder fantastic? Tja, das hängt wohl vom persönliche Können, der Leidensbereitschaft und allenfalls Riss-Handschuhen oder Tape Gloves ab. Dani steigt begeistert durch, ich finde v.a. den zweiten, steilen Teil mit den schmerzhaften Klemmern (mit bare hands) irgendwie naja, halt eben doch nicht so fantastic. Irgendwie bin ich einfach froh, dürfen wir uns hierzulande vor allem der Wandkletterei widmen, und müssen uns nicht wie anderswo auf der Welt an den eher mühsam-schmerzhaften Rissen herumplagen. Ich glaube, wäre es immer so, mir würde die Kletterei nicht ganz so viel Spass machen.

The Horrible Fingercrack (5.11c)
Wenn man nicht tapt, so ist eine gewisse Schmerztoleranz unabdingbar.

Facts

Sandbalm - Jack Daniels 7c+ (7a obl.) - 5 SL, 100m - Mike Schwitter et al. 1993 - *****;xxxx
Material: 2x50m-Seil, 10 Express, Camalots 0.5 & 0.75

Kurze, aber herausragende MSL-Sportkletterei. Schon der Zustieg durch die Sandbalmhöhle ist aussergewöhnlich, die Moves in der beständig überhängenden Wand dann erst recht. Es handelt sich um bouldrige Kletterei der allerhöchsten Güteklasse, auch in einem Klettergarten würde sicher jede Sequenz als echte Perle gehandelt. Auf der Linie ist der Fels prima und gerade eben mit der nötigen Struktur (Leisten, Seit- und Untergriffe, dann und wann ein Riss) gespickt - unmittelbar daneben schaut es hingegen entweder flechtig oder unkletterbar aus. Herzlichen Dank den Erstbegehern, welche diese Linie zu dem optimiert haben, was sie heute ist (man klettert nur gerade in L2 durchgehend auf der originalen, ersten Linie durch die Wand). Ich vergebe gerne die Höchstnote, wer's drauf hat, sollte sich diese Route nicht entgehen lassen. Im 2015 hat Spiri die Route verdankenswerterweise einer Komplettsanierung unterzogen. Es steckt nun perfektes Inoxmaterial, die Absicherung ist sehr gut und hat Klettergartencharakter, man kann bedenkenlos voll angreifen. An ein paar einfacheren Kletterstellen sind die Cams 0.5 & 0.75 mehrmals zu platzieren, mehr Trad-Material ist weder einsetzbar noch nötig.

Topo

Die Route wird im Extrem Ost beschrieben, im Wandbuch hat's ein perfektes Topo, welches hier an dieser Stelle abgebildet wird.



Montag, 19. September 2016

Rätikon / Schweizereck - Schweizerzoo (7a)

Nach unserer Begehung der New Age lockte mich das Schweizereck schon bald wieder ins Rätikon. Dafür sprachen verschiedene Gründe: in erster Linie lag es mir daran, den Schweizerzoo endlich einmal zu komplettieren. Bereits 1999 war ich ein erstes Mal eingestiegen, wobei uns ein gewittriger Schauer in L5 stoppte. Dann war da natürlich kürzlich das Klettern von L1-L3 als Zustieg zur New Age womit ich die Route ein weiteres Mal angefangen, aber nicht komplettiert hatte. Somit lag es mir daran, hier endlich einmal bis zum Ausstieg zu klettern. Dass der angeknackste Fuss meines Kletterpartners sowieso keine weiten Zustiege und extralangen Routen zuliess, passte auch ins Konzept und als Zückerchen würde es obendrein noch einige interessante Sachen am Schweizereck zu beobachten geben...

Wandansicht mit Routenverlauf von Schweizerzoo (7a) am Schweizereck im Rätikon.
Während wir vor Wochenfrist alleine im Sektor waren, herrschte diese Mal schon beinahe Grossandrang. So wollten nicht nur Dani & Kojak die New Age sanieren und klettern, sondern es fand sich mit Babsi & Erik ein weiteres Team zur Jagd auf den roten Punkt ein. Mehr oder weniger gleichzeitig mit den letzteren beiden gingen wir am Parkplatz los. Nach einer halben Stunde hatten wir unseren Einstieg erreicht. Dieser ist nicht markiert und auch sonst ziemlich unauffällig, etwa 20m rechts der markanten Eisenleiter geht's los - man sehe sich vor, dass man nicht irrtümlicherweise in die haarsträubend abgesicherte Tschechenvariante links davon gerät. Wir hielten einen letzten Schwatz mit Babsi & Erik, die beiden wollten die Einquervariante zur New Age wählen. Oben am Berg ratterte hingegen bereits Danis Bohrmaschine und so stieg ich um 10.20 Uhr ein.

Sanierung der Route New Age (8a+) durch Dani & Kojak - herzlichen Dank für diese Arbeit!
L1, 40m, 7a: Ein fulminanter Auftakt mit anhaltender, technisch anspruchsvoller, senkrechter Kletterei. Es wartet viel Abwechslung, feine Stehprobleme, Unter- und Seitgriffe, kleine Tropflochcrimps, grosse Sloper, einfach von allem ein bisschen. Um hier stilrein durchzusteigen braucht es Geduld, Übersicht, die nötigen Bewegungsmuster und auch ein wenig Kraft. Im Internet und in einigen Kletterführern liest man, diese Länge sei nach Griffausbruch härter wie 7a. Ich konnte jedoch nicht erkennen, dass ein entscheidender Griff fehlt, es gibt auch keine Einzelstelle, welche deutlich schwieriger wie der Rest ist. Die Bewertung mit 7a ist global gesehen sicherlich hart, für Rätikon-Verhältnisse aber auch nicht völlig aus dem Rahmen. Andererseits fand ich persönlich eigentlich alle MSL-Routen im 7ab-Bereich, welche ich diesen Sommer geklettert hatte, eher einfacher. Wie auch immer, die RP-Begehung konnte ich mir sichern. Zur Absicherung ist noch zu sagen, dass diese hier grundsätzlich sehr eng gehalten ist (11 BH). Der erste Bolt steckt aber nicht gerade bodennah (Klemmkeil oder Microcam dienlich) und auf den letzten, etwas einfacheren Piaz-Ausstiegsmetern ist ein Runout fällig. Zudem ist am Ende der Rechtsquerung nach dem ersten Drittel eine wirklich zwingende Stelle nahe der Hauptschwierigkeiten zu finden. Der Abstand ist zwar nicht sehr weit dort, es droht aber ein unangenehmer Pendler und vor allem lässt sich der nächste Bolt auch nur notorisch schwer klippen - hier gab's wohl schon manchen Abflug, wie die böse verbogene Öse am Bolt darunter zeigt.

Yours truly ist gestartet zur Mission Rotpunktbegehung in L1 (7a). Bis zur  sichtbaren Stelle ist's zwar auch nicht völlig banal, aber ab hier geht's dann so richtig los mit der schweren Kletterei. Die Rechtsquerung, zu der ich ansetze, hat es in sich. Danach geht's mehr oder weniger dem schwach sichtbaren gelben Streifen oberhalb meiner rechten Hand entlang.
Ich bin schon gut aufgewärmt, nun hat Frieder das grosse Vergnügen in L1 (7a) - eine wirklich tolle, anhaltende Länge!
L2, 35m, 6a: Vom Stand weg sieht's formidabel aus und genauso klettern sich die ersten Meter auch. Bald folgt ein weiter Hakenabstand mit etwas unklarer Routenlinie (mehrere Optionen möglich, mittlere Cams dienlich). Danach wird das Gelände einfacher und etwas weniger schön, es geht diagonal nach rechts hoch (es steckt 1 weiterer Bolt, 1 grosser Cam ist hilfreich).

L2 (6a+) von Schweizerzoo ist nicht so fotogen, darum hier ein Seiteblick zu L1 (7a) von New Age.
L3, 40m, 6b: Auch hier wieder klettert man die ersten 20m sehr schön in einem kompakten Wandabschnitt mit grauem, strukturiertem Fels. Am Ende dieser Wand wartet dann eine ziemlich arschige Stelle, wo der Bolt erst nach dem schwersten Zug dieser Länge geklippt werden kann. Der Hakenabstand ist hier erneut nicht sonderlich weit, es ist aber halt einfach zwingend und das Potenzial für einen unangenehmen Sturz deutlich vorhanden. Danach geht's in der zweiten Hälfte dieser Seillänge mehr oder weniger geradeaus in schrofigem, einfachem Gelände. Der nächste Standplatz befindet sich am Fuss des markanten Turms. Babsi & Erik hatten inzwischen gerade mit der ersten Länge der New Age begonnen - das lässt vermuten, dass man mit der Einquervariante gegenüber dem Klettern der ersten 3 Schweizerzoo-Längen wohl nicht allzu viel Zeit spart.

Die Felsqualität überzeugt auch im ersten Abschnitt von L3 (6b) vollends. 
L4, 30m, 6b+: Zu Beginn versucht die Route (bzw. die Erstbegeher) einen mittels eng gesetzten Haken vom unschön-brüchigen, kaminartigen Riss links fernzuhalten, um stattdessen in der kompakten Wand rechts davon zu klettern. Das lohnt sich auch wirklich, wobei die linke Hand gerne die Kante des Kamins benützt. Somit passiert man hier ohne grössere Sorgen und bei sehr guter Absicherung. Der obere Teil dieser Seillänge ist dann etwas grasig und einfacher. In Summe eher einfacher wie L3, ja vielleicht sogar die gängigste Länge überhaupt.

Zu Beginn von L4 (6b+) stecken die Bolts rechts im kompakten Fels, doch der brüchige Riss links lockt mit besseren Griffen.
Wir haben einen Logenplatz, um dem Treiben in der New Age (L2, 7c) zuzusehen. Babsi gibt einen guten Onsight-Fight.
L5, 35m, 6c+: Ein ziemlich überraschendes Teilstück mit verblüffenden Windungen! Der erste Teil bietet vorwiegend Reibungskletterei in sehr kompaktem, reichlich glattem Fels. Die Absicherung ist gut, aber dennoch zwingend. Wer dem Gummi nicht vertraut, wird sich hier vermutlich schwertun. Danach folgt dann eine Querung nach links, wer die Halbseile nicht vorausschauend getrennt einhängt, bremst sich wohl bald durch üblen Seilzug aus. Doch damit ist noch nicht fertig: nun will nämlich der beinahe schluchtartig anmutende Kamin (in welchem der historische RS-Ausflug (6b) verläuft) gequert werden. Gefragt ist ein athletischer Boulder an der überhängenden Seitenwand, ein stehtechnisch heikler, weiter Zug an einen guten Henkel und der abschliessende Aufrichter, wobei die Hände die Grasbüschel benützen müssen - alles an sich gut gesichert, aber auf A0 kann man hier nicht zurückgreifen.

Zäher Auftakt in schwerer Reibungskletterei in glattem, strukturarmem Fels in L5 (6c+).
Blick nach oben aus der Mitte von L5 (6c+): Schluchtquerung (nicht sichtbar) und ein Boulder-Finish warten noch.
Der weite Move am Ende von L5 (6c+), je mehr man den Füssen auf der arschglatten Platte traut, desto besser geht's.
L6, 20m, 6c: Man wähnt sich schon beinahe am Ausstieg, blickt man nach links hinauf, so scheint die obere Begrenzungskante der Wand zum Greifen nah. Nichtsdestotrotz waren noch zwei so richtig anspruchsvolle Seillängen! Hier geht's noch einfach los, dann will ein erstes Dächli knifflig erbouldert werden, und der anschliessende Mantle erfordert auch etwas Einfallsreichtum. Hat mir sehr gut gefallen!

Die letzten zwei Längen von Schweizerzoo verlaufen durch die glatte Plattenzone, hier der Blick vom New Age Ausstieg.
Ein bisschen andere Perspektive, aber immer noch der Autor am kämpfen in L6 (6c).
Bouldrige Kletterei auf den glatten Steilplatten in L6 (6c), Bewegungstalent und Einfallsreichtum helfen.
L7, 20m, 7a: Das finale Testpiece, das wohl schon manchen Besucher perplex zurückgelassen hat. Bereits nach dem ersten Zwischenbolt folgt ein heftiger Boulder - gut gesichert, aber zwingend. Die beste Lösung für diese Traverse nach rechts ist nicht ganz offensichtlich, so wie ich es schliesslich geklettert habe, passt's meines Erachtens aber durchaus in den Rahmen von 7a. Nach 2-3m wird das Gelände einfacher (und der Fels etwas lottrig), es geht dann aber nochmals ca. 4-5m (gerade hinauf) zum nächsten Bolt. Die nun sehr nahe steckenden BH lassen vermuten, dass es nochmals zur Sache geht, und so ist es dann auch! Der glatte, griff- und trittarme Fels ist nicht einfach zu beklettern und direkt über die Haken ist's auch sicher deutlich schwerer wie 7a. Mit etwas freierer Interpretation der Linie (aber so, dass sich alle Haken gut klippen lassen) geht's aber durchaus. Natürlich, auch dies ist global gesehen eine harte und zudem sehr wenig offensichtliche 7a, im Vergleich zum Rest der Route und dem üblichen Massstab am Schweizereck aber schon +/- im Rahmen. Die letzten Meter haben es dann auch noch in sich: sie verlaufen gemeinsam in der überhängenden Verschneidung mit dem RS-Ausflug (V+ A2, frei 6b). Das mit dem A2 relativiert sich hier, da auf den letzten Metern keine NH mehr stecken - die 6b will demnach obligatorisch und etwas unangenehm 3-4m über dem letzten Bolt geklettert sein. Womöglich könnte man mobil sichern, doch die Cams hängen am Gurt des Nachsteigers - Augen zu und durch heisst die Devise.

Der erste Test in L7 (7a): zwingende Boulderstelle diagonal nach rechts hinauf über das Dächli - sehr abschüssig zum Treten und ausser ein paar mässigen Untergriffen gibt's für die Finger auch nicht allzu viel nutzbares. Nicht wirklich mein favorisierter Kletterstil, aber aussuchen kann man sich's nicht - man muss sich den Herausforderungen stellen, das ist doch auch das Schöne am Klettersport.
Das Finish von L7 (7a) wartet dann erst mit irre glatter Platte, wo man sich einen guten Plan entlang der wenigen verfügbaren Strukturen zurechtzimmern muss. Kurz vor dem Ausstieg wartet dann noch der cleane 6b-Riss vom RS-Ausflug im Vordergrund - nur nicht mehr abschütteln lassen!
Um 15.30 Uhr haben wir den Ausstieg erreicht. Gut 5 Stunden Kletterzeit für 7 eigentlich relativ kurze Seillängen zeigen: auch wenn noch diverse Pausen für das Spektakel in der New Age dabei waren, für einen sauberen Durchstieg muss man tüfteln und etwas Zeit einberechnen, jedenfalls auf meinem Niveau. Für den Weg zurück gibt's die Möglichkeit, über die Route abzuseilen. Der oberste Stand (1 BH, 3 NH) ist nicht so wirklich toll eingerichtet, diejenigen unterhalb dann aber prima). Mit 2x50m-Seilen kann aber nur ein einziger Stand übersprungen werden, 6 Manöver sind fällig. Ebenso gibt's die Möglichkeit von einem Fussabstieg hintenrum. Hierfür besser Turnschuhe mitnehmen, notfalls geht's auch mit Kletterfinken. Man steigt dabei die grimmig aussehende, geröllige Rinne hinab (ca. T5 II). Alternativ kann man vom Ausstieg auch der Abbruchkante der Wand folgen, und an einem (soliden) Einzelbolt einen 50m-Abseiler in weniger steiles Gelände ziehen.

Dort hinunter müssen wir wieder... Tiefblick zum Schweizertor vom Ende der Route Schweizerzoo.
In der New Age ist das Tageswerk hingegen noch nicht vollendet. Babsi in L4 (7a).
Für mich sind die Aufgaben noch nicht ganz erledigt. Ich muss noch zum Ausstieg der Kamala an der 7. Kirchlispitze hinauf, um endlich die Wandbuchdose wieder mit einem Deckel zu versehen und ein neues Buch zu legen. Bis die wassergefüllte Dose gereinigt und wieder einsatzbereit ist, und zudem alles gesichert, festgezurrt und beschrieben, vergeht doch seine Zeit. Während ich mich in den Rätikon-Spitzen herumtreibe, geniesst mein Kletterpartner bequem ein Nickerchen und lagert seinen angeschwollenen Fuss hoch. Das Wetter lädt ja förmlich dazu ein, und in der New Age gibt's erst noch gratis und franko faszinierenden Klettersport zu beobachten. Irgendwann haben wir's geschafft und rollen talwärts. Ich zähle darauf, dass das Aufwärmen am Schweizereck mir am Tag drauf wie nach der New Age wieder Schub in einem Sportkletterprojekt gibt. Mit 8b bewertet ist's dieses Mal (man kann's ja mal versuchen...), doch die Magie des Zauberstabs "Schweizereck" hilft leider nicht. Ausser von heftig wirkender Schwerkraft und blutigen Fingern gibt's dieses Mal nichts zu berichten.

Das Wandbuch der Kamala ist nun wieder einsatzbereit! Der Deckel bleibt von nun an hoffentlich vor Ort.
Facts

Schweizereck - Schweizerzoo 7a (6c obl.) - 7 SL, 220m - Adank/Bodenwinkler 1991 - ***;xxxx
Material: 2x50m-Seile, 12 Express, Camalots 0.3-1 plus 1 kleinerer

Schöne, abwechslungsreiche und interessante Kletterei in meist gutem Fels. Typisch für diesen Sektor ist er oft relativ struktur- und im oberen Teil auch reibungsarm, somit wirkt er nicht überaus kletterfreundlich. Für die erste Cruxlänge sollte man einerseits in senkrechter Wandkletterei bewandt sein, während in den oberen schwierigen Sequenzen eher gutes Antreten auf glatter Reibung und Bewegungsgefühl gefragt sind. Die Bewertungen dieser Längen sind auf der harten Seite und haben schon manchen Aspiranten auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt - mit roher Kraft allein ist es hier definitiv nicht getan. Die Route ist mit vielen BH gut abgesichert. In den schweren Längen stecken diese teilweise sehr eng (Niveau xxxx bis xxxxx). Trotzdem gibt's auch dort die eine oder andere zwingende Passage nahe der Höchstschwierigkeiten, weil's halt einfach keine guten Griffe hat und die Erstbegeher keine Hand zum Bohren frei hatten. Die einfacheren Abschnitte sind etwas weiter gesichert, so dass ein Set Cams von 0.3-1 plus ein kleinerer sich durchaus mitzunehmen lohnen. Alles in allem ist's vermutlich doch die zugänglichste Route am Schweizereck.

Topo

Ein solches findet man in diversen Rätikon-Führern (Extrem Ost, Panico Rätikon Süd, SAC-Führer Graubünden, Versante Sud Arrampicare in Svizzera). Die einen sind etwas besser, die anderen etwas weniger genau, eine grosse Rolle spielen tut's nicht. Hat man den Einstieg einmal gefunden, kann man einfach den BH entlangklettern, Routenfindungsprobleme gibt's hier keine. Daher reicht auch die Skizze aus dem 94er-Schweiz-Extrem, die es auf alpinrouten.de gibt:

Topo vom Schweizereck. Quelle: alpinrouten.de

Dienstag, 13. September 2016

Petites Jorasses (3650m) - Anouk (6c)

Endlich einmal stand in diesem Sommer eine gute Phase von 3 Tagen auf dem Programm, davon einer mit garantiert gewitterfreiem, hochsommerlich warmem Wetter. Noch dazu konnte ich mit Kathrin zu zweit unterwegs sein. Sie sprach sich gegen eine Hochtour an einem 4000er aus, somit sollte es eine lange, alpine Sportkletterei im Hochgebirge sein. Chamonix war natürlich das erste Ziel für dieses Vorhaben. Schon lange Jahre war die Anouk ein Wunschziel gewesen. Nachdem der oft komplizierte Gletscher hinauf zum Einstieg sowie die manchmal unüberwindbare Randkluft diese Saison nachweislich in sehr guten Bedingungen waren, galt es, die Chance am Schopf zu packen.

Das ist unser Ziel, die NW-Wand der Petites Jorasses mit der 875m langen Piola-Route Anouk (6c).
Nachdem die Kinder versorgt und verabschiedet waren, cruisten wir nach Chamonix und waren guter Dinge, rechtzeitig zum Znacht um 19.00 Uhr in der Hütte zu sein. Doch rund ums Alpinisten- und Touristendorf herrschte ein wahres Tohuwabohu, so dass wir schliesslich erst um 16.30 Uhr die 31 Euro für die Retourfahrt in der roten Zahnradbahn gelöhnt hatten und auf Montenvers startbereit waren. Noch 2.5 Stunden blieben für den Hüttenzustieg, damals beim Anmarsch zu unserer Tour in der Nordwand der Grandes Jorasses hatte das gerade so gereicht. Also stiegen wir über die Leitern zum Mer de Glace herunter, welches mehr und mehr zu einem Mer d'Eboulis wird. Vielleicht bilde ich mir das nur ein, aber ich habe den Eindruck, dass man den Massenverlust am Gletscher im Vergleich zu meinen vergangenen Besuchen schon rein von Auge her sehr deutlich sieht.

Blick aufs das Mer de Glace von Montenvers, geradeaus (weit!) nach hinten in den Leschaux-Kessel wird es gehen.
Mit dem Gefühl, in einer altbekannten Gegend unterwegs zu sein (dabei war ich erst 2x in den Envers des Aiguilles, 1x in der Leschaux-Hütte und 1x mit den Ski abgefahren) ging's taleinwärts. Eine genaue Routenbeschreibung zum Hüttenaufstieg macht nur mässig Sinn, weil sich die Gegebenheiten auf dem Gletscher von Jahr zu Jahr verändern. Trotzdem: die beste Passage bestand darin, nach den Leitern von Montenvers +/- in der Gletschermitte auf dem Eis aufzusteigen. Noch deutlich vor den Envers-Leitern (ca. 800m vorher) wechselten wir im Aufstiegssinn ganz auf die linke Seite. Hier gilt es, einen tief eingeschnittenen Gletscherfluss zu überqueren, was aktuell nur an einer Stelle leicht möglich war. Hätte man diese Gelegenheit verpasst, wäre es nicht mehr ohne technische Einlagen (Abseilen, gesichert Hochklettern) gegangen. Dann vorerst weiter leicht auf dem Eis aufwärts, bevor es den Abzweiger in die Geröllzone beim Zusammenfluss von Glacier de Leschaux und Mer de Glace nicht zu verpassen gilt. Dieser war durch eine rostige Tonne markiert. Nun folgt eine lange, ziemlich unerquickliche Geröllwüste. Bis unter die Couvercle-Leitern hat's rot markierte Steinmänner und hin und wieder sogar so etwas wie Pfadspuren. Hält man sich an die Markierung, so geht die Begehung sicher einfacher wie daneben.

Typisches Bild beim Bergsteigen von Montenvers-Kessel. Überall gibt's Leitern, welche zum Gletscher führen.
Nach den Couvercle-Leitern ist man dann bzgl. Navigation auf sich selber gestellt. Der Nase nach geht's weiter, und so bald wie sinnvoll möglich, wechselt man auf das Eis des Leschaux-Gletschers, den man in seiner Mitte (rechts an den Geröllbuckeln vorbei) aufsteigt. Erst unter der Hütte quert man nach links hinüber, der kleinere Gletscherfluss liess sich an diversen Stellen sorgenlos passieren. Dann kamen wir in den Genuss, praktisch als erste den neuen, eben fertiggestellten Leiternweg hinauf zu Hütte zu nehmen. Dieser war wegen dem Rückgang des Eises nötig geworden, die alten Leitern liessen sich über die äusserst labile Moräne nicht mehr sicher erreichen. Wobei gesagt sei, dass es auch zu den neuen Leitern hin ein bisschen Scheissgelände ist, d.h. lockeres Geröll, wo alles in Bewegung ist, teils blankes Eis und ein paar Spalten hat's sogar auch noch. Etwas nach 19.00 Uhr waren wir in der Hütte, die offizielle Aufstiegszeit von 3:30 Stunden hatten wir unterbieten können, doch es zieht sich einfach und trotz nicht allzu vielen Brutto-Höhenmetern ist der Weg recht anstrengend.

Hoo-hoppla! Die Überquerung des Gletscherflusses mittig auf dem Mer de Glace ist nicht trivial. Hier ging's am besten.
Die Hütte war bis auf den letzten plus zwei Plätze ausgebucht, da wollten sich natürlich auch einige andere Bergsteiger und Hüttenwanderer den angesagten Traumtag nicht entgehen lassen. Wir konnten bzw. mussten gleich auf der Terrasse Platz nehmen, denn im Innern ist bei Vollbelegung viel zu wenig Platz zum Essen. Serviert wurde Suppe, Couscous mit einer Tajine und Apfelkuchen, tiptop. Allerdings, unser Genuss beim Essen wurde leider etwas getrübt... ein bisschen fraglich, ob man sowas aufschreiben soll, aber irgendwie ist's doch ein integraler Bestandteil dieser Tour und deshalb: es dauerte nicht lange, bis einer der Walkerpfeiler-Anwärter aus der Hütte getreten kam und in hohem Bogen seinen Mageninhalt wie in einem Comic in hohem Bogen zwischen all den Gästen über das Hüttengeländer spie. Ohne ein Wort und wie wenn nichts gewesen wäre, setzte er sich danach wieder an seinen Tisch und ass weiter, absolut unglaublich!?! Ob's deswegen oder wegen dem zu weichen Schnee und Steinschlag war, auf jeden Fall brach in der Nacht ein 4er-Trupp zum Walkerpfeiler auf, drehte wie wir anhand der Stirnlampenlichter erkennen konnten, jedoch vor dem Einstieg um. Tja, der Appetit war uns etwas vergangen, und mit nun selber etwas flauem Gefühl im Magen machten wir uns bettfertig.

Hier geht's (natürlich über Leitern!) hinauf zur Leschaux-Hütte. Der neue Steig war eben erst fertiggestellt worden, wir gehörten zu den allerersten Benutzern - was für eine ehrenvolle frühe Wiederholung ;-)
Die Hüttenwartin hatte uns berichtet, dass nur eine weitere Seilschaft zur NW-Wand der Petit Jorasses gehen wolle, diese jedoch die klassische Contamine-Führe anpeilen würde. Sie stellte uns ein Frühstück bereit und schlug eine Aufstehzeit von 2.30 Uhr vor. Das kam mir doch arg früh vor, der Zustieg wird nämlich mit rund 2h veranschlagt und vor 5.30 Uhr würde es nicht hell werden. Auch weil ein wettertechnischer Toptag ohne Quellbewölkung und Gewitter angesagt war, entschieden wir uns, den Wecker erst auf 4.00 Uhr zu stellen. Sofern wir uns schlaflos in den Betten wälzten, könnten wir ja immer noch früher aufbrechen und sonst würde uns etwas mehr Schlaf vor der langen Tour sicher gut tun. Auch so kalkulierte ich, dass wir um 7.00 Uhr mit der Kletterei würden beginnen können, was mit einem Budget von 10 Stunden Kletterzeit von für eine human frühe Rückkehr zur Hütte reichen würde.

Die Sonnenuntergänge auf der Leschaux-Hütte über den Spitzen der Aiguilles de Chamonix sind traumhaft schön.
Ein weiterer Tipp der Hüttenwartin bestand darin, für den Zustieg nicht auf den Gletscher abzusteigen, sondern oberhalb der Hütte die Moränenhänge zu queren. Sie beschrieb mir diesen Weg als schneller und viel angenehmer, jedoch auch als weglos und im Dunkeln den nötigen Spürsinn benötigend. Weil ich das üble Gestolper über den Leschaux-Gletscher von der Tour an der Grandes Jorasses noch in schlechter Erinnerung hatte, wollten wir diesem Tipp folgen und unsere Kräfte für den wesentlichen Teil der Tour schonen. In den "couches molleuses" (flauschigen Decken) hatten wir ganz leidlich geschlafen und standen darum erst um 4.00 Uhr auf. Mit Confibrot, Müesli, Kuchen und heisser Schoggi gab's ein reichhaltiges Frühstück, und wir machten uns zeitgleich mit der Seilschaft für die Contamine auf den Weg. Während diese über die Leitern zum Leschaux-Gletscher abstieg, wählten wir den Weg (ebenfalls über einige Leitern) hinauf Richtung Refuge du Couvercle.

Blick vom Fuss der Petites Jorasses NW-Wand zum Leschaux-Gletscher. Die Hütte liegt am rechten Ufer (im Schatten, nicht sichtbar). Wir querten die dunklen Moränenhänge rechts, anstatt zum Gletscher abzusteigen.
Nach einer Weile verflacht sich das Gelände etwas (d.h. keine Leitern mehr) und der Weg führt in engen Kehren bergwärts. Auf einer Höhe von 2575m galt es, diesen Weg nach rechts zu verlassen. Ein Steinmann markierte die Stelle, aber der Punkt ist anhand der Höhe auch sonst gut zu identifizieren, vor allem führt der Couvercle-Weg von dort horizontal nach links und damit in die falsche Richtung weiter, d.h. der Abzweiger ist auch vollkommen logisch. Es war noch zappenduster, doch nun galt es, den Spürhund in sich auszupacken. Die Empfehlung war, vorerst noch diagonal bis auf 2650m aufzusteigen, und dann mehr oder weniger horizontal, in einem Band von +/-50hm zu traversieren. Wir gingen relativ gemütlich, ich nahm mir auch die Zeit die Sache gut auszuleuchten und sorgfältig zu navigieren, da ich es auf jeden Fall vermeiden wollte, dass wir uns hier verrennen und mit einem mühsamen hin und her bzw. auf und ab schon unnötig Kräfte und Nerven lassen.

Dies gelang gut, was auch ein bisschen daran liegt, dass das Gelände zwar relativ steil, aber eben auch ziemlich überall gangbar ist. Der erste Anstieg auf 2650m ist nötig, um einen ersten Gletscherbach in einer flacheren Zone (bzw. einem Schneefeld) überwinden zu können. Danach muss man wieder etwas Höhe vernichten, um schliesslich einen felsigen Sporn zu unterqueren. Nun folgt nochmals ein Anstieg, um eine eindrücklich tief in die labile Moräne eingefressene Bachschlucht zu passieren, bevor man schliesslich zum dort flachen und spaltenarmen Gletscher auf etwa 2600m absteigt. Wie erwähnt, es gibt keine Wegspuren oder Markierungen, es war dunkel und daher ist etwas Selbstvertrauen und Spürsinn nötig, auch wenn der Weg an sich nicht besonders schwierig zu finden ist. Von der anderen Seilschaft, die den Weg über den Gletscher gewählt hatte, war noch nichts zu sehen. Wir rüsteten indessen auf Steigeisen und Leichtpickel um, und seilten uns an. Inzwischen war auch der fantastische Tag angebrochen, der Gipfel der Grandes Jorasses wurde von den ersten Sonnenstrahlen gekitzelt.

Blick zur Nordwand der Grandes Jorasses mit Walker- und Crozpfeiler, die um diese Jahreszeit morgens in der Sonne sind.
Der Schnee war zwar nicht hart gefroren, aber doch kompakt und gut zu gehen. Zum Einstieg wartet nun noch eine ziemlich anspruchsvolle Firntour mit fast 500hm. Erst geht's noch gut dahin, doch später steilt sich das Gelände auf gute 40 Grad auf. Auch wenn die Verhältnisse für Anfang August wirklich noch tiptop waren, es hatte dennoch offene Spalten, um die man herumnavigieren musste. Mit einigen Eistürmen links und vor allem dem riesigen Schneepropf, der an der Mündung des NW-Gully zur Point Frebouze hing war das objektiv auch nicht zu 100% sicher. Durch gute Routenwahl konnte man die Exposition mindern und so waren es nur ganz wenige Minuten, während welchen wir beim Steigen bange Blicke nach oben richteten und beständig einen Fluchtweg präsent hatten. Der Einstieg ist problemlos zu identifizieren, die Riesenverschneidung der Contamine-Route am höchsten Punkt des Schnees ist wirklich glasklar. Zum Schluss wartet ein rund 45 Grad steiles Schneedreieck, der Bergschrund darunter war völlig problemlos. Oben gab's einen bequemen Geröllplatz, um sich anzuschirren und eine nennenswerte Randkluft war auch nicht vorhanden, easy Access also. Um 7.00 Uhr und damit weniger als 2.5h nach Aufbruch in der Hütte und genau nach Plan waren wir schliesslich kletterbereit, obwohl wir es beim Zustieg wirklich gemütlich genommen hatten, um sauber zu navigieren und uns nicht unnötig zu verausgaben. Die andere Seilschaft mit ihrem Weg über den Gletscher brauchte schlussendlich rund 1 Stunde länger bis zum Einsteigen, obwohl sie (wie ich später herausgefunden habe) von einem sehr kompetenten, berühmten  Alpinisten und Bergführer angeführt wurde.

Blick hinunter auf den Geröllplatz am Einstieg der Route, hinten rückt eben die Seilschaft für die Contamine an.
L1 & L2, 50m, 6a: Etwa 10m rechts vom Verschneidungsgrund und der Contamine geht's los. Der erste Stand hing nur 10m über dem Schnee/Einstieg und konnte daher ausgelassen werden. Von diesem deutlich nach rechts, dann eine Verschneidung hoch und dort wo's schwer wird plattig (BH) nach links zum Stand queren. Es war natürlich sehr angenehm, im Spiel gleich zu Beginn zwei Felder auf einmal vorrücken zu können und so den ersten Vorsprung auf die Marschtabelle zu holen.

Kathrin folgt in der Verschneidung von L2 (6a), es folgt noch die Crux mit der plattigen Querung.
L3, 40m, 6b+/A0: Nun folgt gleich die Länge mit der deutlich schwersten Kletterstelle der gesamten Route. Hinauf in schöner Kletterei an 2 BH vorbei zum markanten Dach. Von weitem sieht dies sehr schwer aus, von näherem zugänglicher, aber auch nicht trivial. Die meisten machen's wohl an den 2 nahe steckenden BH im A0-Stil, was frühmorgens, noch dick eingepackt und mit einer Menge Material am Gurt gut verständlich ist. Es hat zwar eine dünne, etwas glitschige Rissspur oberhalb des Dachs, aber es ist einfach ein murksiger Hauruck ohne vernünftige Tritte. Frei meines Erachtens klar schwerer als die 6b+ der Literatur, allerdings passt 6b+ und A0 dann auch wieder nicht, weil der Rest der Länge eher nur bei 6a+ (oder so...) eincheckt.

Über diesen Dachriegel musst du gehen. Die deutlich schwerste Kletterstelle der Route in L3 (ca. 6c oder A0).
Bis auf die kurze Passage am Dach bietet aber auch diese Länge schöne Genusskletterei an vorzüglichen Rissen.
L4, 40m, 6a: Nun folgt eine ganz typische und charakteristische Seillänge für den unteren Teil. Der hellgraue, plattige Fels weist immer wieder positive, scharfe Leisten auf, welche gute Tritte und Griffe hergeben. So steigt es sich oft leichter, wie es den Eindruck machen mag. Speziell hier: einer der 5 BH auf dieser Länge ist vom Steinschlag beschädigt. Zum Glück war's zum nächsten weder allzu weit oder allzu schwer... sowas könnte einen auch definitiv ausbremsen.

Schöne, plattige Kletterei in L4 (6a), die Stelle mit dem defekten Bohrhaken zum Glück gut gemeistert.
L5, 40m, 6a+: Mal rechts (eher selten) mal links (eher häufiger) der Kante geht's aufwärts, zum Ende hin dann mal sogar ein bisschen kühner und man muss einem Empfinden nach das erste Mal so richtig fein deutlich oberhalb vom Haken antreten. Die andere Seilschaft in der Contamine war inzwischen auch auf Kurs und hatte die erste Länge gemeistert.

Ausblick auf die schöne Kantenkletterei in L5 (6a+), oben links der Kante lässt sich der Ausbruch bereits erahnen.
L6, 40m, 6a: Der Blick nach links und oben zeigt, dass es hier offenbar vor relativ kurzer Zeit einen grösseren Felssturz gegeben hat. Eine Partie von ca. 10x15m zeigt noch dreckiges, erst neu freigelegtes Gestein und vor allem fehlt auch die in den Topos verzeichnete Schuppe, der man entlang klettern sollte. Ich frage mich noch, gerade hinauf oder gleich eine Umgehung probieren?!? Schliesslich nehme ich den originalen Track der schwach ausgeprägten Kante entlang aufwärts. Die Kletterei im 5c/6a-Bereich ist machbar für mich, nur die Sicherungsmöglichkeiten sind leider abgestürzt und komplett inexistent. Nach 10-12m nähere ich mich dem ersten (und einzigen) BH dieser Länge. Wo man früher wohl bequem auf die Schuppe steigen und klinken konnte, wartet jetzt eine echt schwere Plattenstelle. Wackliger Aufsteher, wohl etwa 6b, Sturzpotenzial in den Stand 20-25m, ganz ganz hässlich. Ich trau's mir nicht zu und klettere wieder ab. Rechtsrum geht's dann gut, deutlich schönere und angenehmere Kletterei im 6a-Bereich über Platten und einige Risse hat's auch, an denen man tiptop selber absichern kann. Zu allem übel lässt sich dann für Kathrin ein Cam nicht entfernen, und ich fürchte, dass wir diese Kleingrösse noch zwingend brauchen werden. Also gehe ich nochmals runter und habe ihn nach ein paar Minuten frei. Hier lassen wir also definitiv etwas Zeit liegen.

Hoppala, da fehlt was! Grösserer Felssturz, eine Schuppe von ca. 10x15x1m fehlt hier am Beginn von L6.
Ich fand zum Glück eine gut absicherbare und kletterbare Variante rechts herum, Kathrin hier am Ende dieser Seillänge.
L7, 40m, 6a+: Beschwingt geht's vom ersten Kreuzungspunkt mit der klassischen Contamine-Führe weiter, schöne plattige Kletterei, die einen an die nächste Steilzone heranführt. Obwohl nur 4 BH stecken, ist's tiptop abgesichert.

Plattige Kletterei in L7 (6a+), diese Länge ging uns leicht und schnell von der Hand.
L8, 50m, 6a+: Rechts aus dem Stand raus und am steilen, griffigen und selbst abzusichernden Riss aufwärts. In der Folge hält man sich leicht links in die Wand und dann gerade noch weit aufwärts bis kurz vor "Seil aus". Hier stimmt die sonst gute Topoguide-Skizze leider sowohl vom Routenverlauf wie auch von den BH her nicht, auch die schöne Kristallgrotte kommt bereits am Stand nach L8 und nicht erst an jenem nach L9.

Lange und recht anspruchsvolle Seillänge, zu Beginn selber abzusichern: L8 (6a+).
L9, 40m, 6b: In manchen Berichten wird diese steilplattige Länge als Crux zum Hochkommen bezeichnet und die 6b als sehr obligatorisch und knapp abgesichert angegeben. Ich habe dies nicht unbedingt so wahrgenommen. Klar, die Platte ist relativ glatt, die schönen scharfen Leisten von weiter unten sind eher Mangelware. Aber die dünne Rissspur zu Beginn lässt sich gut klettern und absichern, beim 6b-Zug (1 Move an einen guten Griff) ist der Haken etwa auf Kniehöhe. Noch am bedenklichsten fand ich das etwas kühne Finish, das rechts in doofer Position nur kleines und nicht ganz so gutes Gear nimmt (am besten mit 2x120er verlängern, damit man es nicht selber rauszupft oder es verklemmt). Dieser sehr schattig unter dem Überhang gelegene Abschnitt war vor allem in den Rissen und stellenweise auf der Platte auch noch feucht. Prompt verklemmt es hier den kleinen Totem Cam, den ich erst nach einigen Minuten grübeln und kurz vor dem Aufgeben freikriege.

Diese Platte in L9 (6b) mit der feinen Rissspur wird oft als Vorstiegs-Crux der Route bezeichnet - fand's nicht so schlimm.
Zwischendurch ist's schon etwas feinere Plattenkletterei, aber nichts wirklich bösartiges (L9, 6b).
L10, 30m, 6b: Steiler, herbalpiner Abschnitt in einer überhängenden Verschneidung, welche in den Rissen drin noch komplett nass war. Aber es gibt hier doch zahlreiche Henkel, Bohrhaken hat's auch und Friends bringt man auch unter (in etwa der einzige Ort, wo die Grössen vom 1er Camalot aufwärts passen). Mit so etwas muss man beim hochalpinen Klettern einfach klarkommen, es ging auch gut. Der Stand übrigens, wenn man nach den steilen Zügen in der Rinne steht, ist deutlich links in der Wand zu suchen.

Ausstieg aus der überhängenden Rissverschneidung von L10 (6b), die auch gerne lange nass oder zumindest feucht bleibt.
L11, 40m, 6a: Mit dem Ausstieg aus dem steilen Riss begibt man sich in die obere, plattige Wandhälfte. Damit kamen wir einerseits in die Sonne und konnten die Bekleidung sogar auf's T-Shirt reduzieren. Auch vorher war uns bis auf die erste Länge nie kalt gewesen, und ein Faserpelz war genug der Bekleidung gewesen. Ebenso verloren wir die andere Seilschaft aus dem Blickfeld. Wir hatten konstant einen Vorsprung von etwa 3 Seillängen halten konnen, was uns natürlich ein gutes Gefühl gegeben hatte. Auch war es erst 11.30 Uhr, wir waren also tiptop im Zeitbudget, die Kräfte noch beisammen und somit guten Mutes, zum Top zu kommen. Erwähnt sei, dass der Fels hier seinen Charakter ändert. Die Platten sind eher goldgelb bis orange und nicht mehr hellgrau, die Strukturen viel runder als zuvor. Die Kletterei ist oft plattig, homogen schwer, an Dullen und runden Auflegern, sehr typisch in dieser Länge.

Der erste Eindruck aus dem oberen Wandteil, Kathrin folgt in der eher gemütlichen L11 (6a).
L12, 40m, 6a: Hier wird das Plattenmeer von einer Dachzone unterbrochen. Sieht von weitem etwas einschüchternd und fraglich aus, aber man kommt dann doch erstaunlich easy durch, nachdem es genau an der richtigen Stelle Henkel hat. Vielleicht aber doch eher eine 6a+ Stelle, im Vergleich zum Rest.

Obwohl L12 auch nur mit 6a bewertet ist, fand ich sie übers Dach etwas anspruchsvoller wie andere Längen in der Zone.
L13, 45m, 6a: In dieser Seillänge ist die Topoguide-Skizze nochmals etwas verwirrlich. Der massive Quergang existiert in der Realität nicht, man folgt ganz logisch dem leicht nach rechts ziehenden Riss ob dem Stand und wechselt ebenfalls ganz logisch 1-2m nach links zum nächsten Riss, wo sich dies anbietet. Gute, griffige Kletterei, lässig. Ein Punkt allerdings: die Bolts sind wirklich sehr, sehr schwer zu erkennen. Sie heben sich farblich kaum vom Gestein ab und beim Hochschauen sieht man zudem noch ins Gegenlicht der Sonne. Es sei schon an dieser Stelle erwähnt, dass leider nur verzinktes Material steckt. Die Korrosion beginnt zu nagen...

Tenüwechsel war nötig. Schon zuvor war's nie kalt, jetzt sogar richtig warm. Kathrin cruist in L13 (6a).
L14, 45m, 6a: Steilplattige Länge ohne markante Strukturen mit schwieriger Orientierung. In der ersten Hälfte eher wenige Bolts mit grösseren Abständen. Dann kreuzt man die Contamine und muss einfach der Nase nach rechtshaltend ziemlich kühn in die Wand hochsteigen - am Ende der Länge kommen dann nochmals zwei, drei BH.

Das riesige Plattenmeer im oberen Wandteil. Hier klettert Kathrin in L14 (6a), die teils etwas kühn ist. Die Bohrhaken sind aus der Ferne im Gegenlicht kaum zu erkennen, weiterklettern und darauf vertrauen, dass dann irgendwann wieder einer kommt ist hier die Devise. 
L15, 50m, 6a+: Feine Passage gleich nach dem Stand, danach etwas leichtere Steilplatte mit weiten Hakenabständen, obwohl noch ein paar mehr stecken wie in der Topoguide-Skizze. Auch wieder eher schwierige Orientierung, leicht rechtshaltend hinauf geht's.

Zur Abwechslung wieder mal ein Blick zur gewaltigen Nordwand der Grandes Jorasses - immer wieder scheppern Steine.
L16, 45m, 6a+: Zu Beginn ganz cooler, goldgelber Fels mit steiler, noch einen Tick anspruchsvollerer Plattenkletterei wie sonst in dieser Zone. Der Weiterweg ist dann beinahe senkrecht, aber solch kletterfreundliches Gestein ist auch selten. Es hat griffige Schwarten und Tritte ohne Ende, da kann man bei 5c oder 6a wirklich beinahe (wie Ueli Steck...) von "Gehen im Fels" sprechen.

Super Plattenkletterei auch in L16 (6a+), der Einstieg schon irre weit entfernt.
L17, 40m, 6a: Demselben System von Rissen, Schuppen und Schwarten entlang geht's in unglaublich griffigem Fels aufwärts. Für einmal eher leichter wie der angegebene Grad, bzw. eher leichter wie die anderen so bewerteten Seillängen. Unglaublicher Genuss!

Im gleichen Stil geht's weiter (L17, 6a). Rund 20 Minuten brauchen wir pro Seillänge in diesem Teil der Wand.
L18, 45m, 6a+: Hier wartet am Riegel nach dem Stand die letzte Steilzone und anspruchsvolle Kletterstelle der Route. Hinauf und athletisch an schrägen Slopern nach links über den Wulst, danach einfacher in nicht mehr ganz so steilem Gelände. Weiter oben trifft man auf älteres Material (die Contamine?!?) und einen improvisierten Stand aus Schlingen, NH und Fixkeilen. Der BH-Stand der Anouk ist jedoch noch etwa 5-7m weiter oben, nicht gut sichtbar auf dem Pfeilerkopf, den man rechtsrum umgeht.

Ausstieg auf den Pfeilerkopf am Ende von L18 (6a+), aber hier wird's etwas einfacher für die letzten 3 Seillängen.
L19-L21, 135m, 5a-5c: Nun kommen noch drei etwas einfachere und nicht mehr ganz so steile Seillängen hinauf zum Gipfel. Die Kletterei ist aber immer noch sehr gut und genussreich, dafür räumlich kaum mehr von der klassischen Contamine getrennt. Das erste Teilstück einer Art Rinne/Verschneidung entlang ist easy. Im zweiten auf einem schwach ausgeprägten Pfeiler aufwärts, während das dritte nochmals tolle, cleane 5c-Kletterei im orangen Gestein bietet. Die letzten Meter hangelt man dann der Gratkante entlang aufwärts zum Gipfel, der Blick schon frei in die Weiten der italienischen Alpen, wirklich total genial!

Ausblick auf das Restprogramm von L19-L21 (5a-5c). Immer noch nicht von schlechten Eltern, definitiv kein Gehgelände.
Kathrin klettert in L20 (5b), das Top rückt näher.
Um 15.50 Uhr und damit nach rund 8:45 Stunden Kletterei gibt's am Top auf 3650m den High Five. Bis auf die beiden verklemmten (aber wieder befreiten) Cams war's wie am Schnürchen gelaufen. Das Wetter war nach wie vor bestens und erlaubte tolle Aussichten auf die fantastische Hochgebirgswelt. Tja, wir hatten wirklich eine Traumroute an einem Traumtag klettern können! Die zweite Seilschaft in der Contamine hatten wir nach unserer L10 weder gehört noch gesehen, ja vermuteten, dass diese wohl die Begehung abgebrochen habe und wähnten uns komplett allein am Berg, bzw. eigentlich sogar in diesem ganzen, hinteren Leschaux-Kessel. Nachdem wir den letzten, mitgenommenen Proviant verputzt hatten, machten wir uns nach einer Viertelstunde auf den Weg in die Tiefe. Mit 21 Abseilern und dem alpin anspruchsvollen Gletscherabstieg wartete ja noch ein ziemliches Restprogramm auf uns.

Die letzten Meter hangelt man dem orangefarbenen Grat entlang sehr luftig zum Gipfel: L21 (5c).
Zum Glück bin ich mit Kathrin, was das Abseilen betrifft, ein perfekt eingespieltes Team. Jeder weiss genau, was er wann zu tun hat, wo und wie man an den Stand geht und einhängt, so dass nachher das Seilabziehen nicht umständlich wird, usw.. Ganz generell ist das Standhandling auf dieser Route natürlich ganz entscheidend: im Aufstieg und Abstieg an jedem Stand mal rasch 3 Minuten wegen Ineffizienz verplempert?!? Tja, 2x21x3 ergibt schliesslich 126 und damit über 2 Stunden Zeitverlust. Wobei ich hier nicht mit irgendwelchen Begehungszeiten prahlen will, es hat sicher schon manche Seilschaft die Anouk in kürzerer Zeit geklettert und es war unser Hauptziel, die Kletterei zu geniessen und nicht einen (Nicht-)Rekord aufzustellen. Dennoch, ein entscheidender Aspekt zum Erfolg ist hier durchaus ein effizientes Handling am Stand, wie die obige Rechnung schön aufzeigt.

Von hoch oben, alles ganz weit weg. Tiefblick zum Leschaux-Gletscher und nach vorne zum geringelten Mer de Glace.
Bei der Abseilerei ging alles tiptop. Vor allem in den obersten 3 Abschnitten ist einiges an Seilpflege nötig und die Gefahr von Verhängern beim Abziehen reichlich akut - da hatten wir Glück. Weiter unten läuft's dann rassiger, das Seil bringt sich des öfteren selber in Position und in den grossen Plattenschüssen ist die Verhängergefahr deutlich kleiner. Allerdings, Stände überspringen kann man mit 2x50m-Seil wirklich keinen einzigen. Mit 2x60m-Seil ginge es geschätzt etwa 3x - natürlich zum Preis höherer Verhängergefahr und über den ganzen Tag hat man mit dem höheren Gewicht (und viele Male 10m unnötiges Seil durchziehen) wohl kaum einen Zeitgewinn. Überrascht waren wir hingegen, als wir in L15 der Anouk die andere Seilschaft aus der Contamine im Aufstieg antrafen. Meine freundliche formulierte Frage, ob sie Schwierigkeiten gehabt hätten, wir hätten sie längst auf dem Abstieg vermutet, kam nicht so gut an - das ganze fühlte sich für einen Profi wohl ein bisschen als Majestätsbeleidigung an. Sorry, konnte ich nicht wissen, war nicht so gemeint. Die beiden kämpften sich noch bis ans Ende von L18 der Anouk durch und trafen schliesslich nach Mitternacht in der Hütte ein.

Die Standplätze (und auch die Zwischenhaken) sind leider nicht Premium Quality, für den Moment aber noch akzeptabel.
Wir hingegen hatten nach 1:40 Stunden die 20 Manöver retour zum Einstieg erledigt, noch schneller wäre es uns echt nicht möglich gewesen. Wir wechselten auf die immer noch mit den Steigeisen versehenen Bergschuhe und zogen einen letzten Abseiler vom untersten Anouk-Stand über das steilste, oberste Schneestück. Danach hiess es sehr vorsichtig Absteigen. Der Schnee war nun natürlich aufgeweicht, total seifig und rutschig. Ständig bildeten sich Stollen unter den Eisen und es war wirklich ein Eiertanz. Gleichzeitig wäre ein Rutscher katastrophal, da unten in Falllinie grosse Spalten gähnen, durch welche man sich in traversierender Linie durchschlängeln muss. Aber an einem Tag mit guten Kletterbedingungen in der Anouk muss man da einfach durch, da wird man keinen kompakt-griffigen Firn mehr antreffen. Endlich erreichten wir etwas flachere Gefilde, und die Konzentration konnte etwas nachlassen.

Rechtzeitig zurück zum Znacht in der Hütte, fantastisches Panorama und Sonnenuntergang, aber das ist nicht alles...
Wir entschieden uns schliesslich, wieder die obere Traverse zu wählen. Der bald apere Gletscher und der Wiederaufstieg zur Hütte über die Leitern wäre bestimmt auch kein Zuckerschlecken. So konnten wir bei Tageslicht unseren Aufstiegsweg der Nacht nochmals etwas anders erleben. Tatsächlich hatten wir perfekt navigiert und den idealen Verlauf bereits beim Hinweg getroffen. Vom Routeneinstieg brauchten wir doch auch wieder fast 2h zurück in die Hütte. Das geht sicher schneller, doch erst waren wir (völlig zurecht) langsam, vorsichtig und kontrolliert abgestiegen und auf der Moränen-Querung war dann Kathrin bereits etwas platt. Kein Grund zum Verzagen jedoch. Um 20.00 Uhr und damit genau nach Plan trafen wir auf der Hüttenterrasse ein. In der Abendsonne bei einem fantastischen Ausblick und angenehmer Temperatur konnten wir im Freien die erstklassige, selbergemachte Lasagne der Hüttenwartin Chloé geniessen, ein perfekter Abschluss dieses langen Tages. Nach dem Dessert und reichlich Getränken legten wir uns dann bald aufs Ohr. Weil für den Nachmittag des Folgetags Gewitter angesagt waren, schliefen nur noch ein Handvoll Hüttenwanderer im Nebenzimmer, so dass eine gütliche Nachtruhe kein Problem war.

...das superfeine Abendessen (Lasagne à la Maison) setzte dem Tag die Krone auf. Foto Credits: Refuge de Leschaux.
So blieben wir dann auch gemütlich bis um 8.00 Uhr in den Decken stecken. Ich für meinen Teil wäre durchaus noch bereit gewesen, an der Aiguille du Pierre Joseph wenig oberhalb der Hütte eine weitere Granittour zu klettern. Einmal draussen in den Bergen kennt Marcel keine Müdigkeit und ist allzeit bereit, Ausruhen und Plattheit kommen dann erst in den Ruhetagen zuhause. Ist wirklich so! Kathrin signalisierte mir jedoch klar, dass mit ihr heute nicht mehr zum Klettern zu rechnen sei. Ein bisschen schade natürlich, wer weiss, wann ich das nächste Mal in der Leschaux-Hütte bin, schliesslich sind jetzt die Wände von Grandes und Petites Jorasses geklettert. Andererseits, sicher wären die Piola-Routen oberhalb der Hütte lohnend und lässig, Major Outings sind sie aber vermutlich keine. So genossen wir gechillt ein ausgiebiges Frühstück und machten uns dann auf den Abstieg nach Montenvers, d.h. runter über die Leitern und auf dem Aufstiegsweg über die Gletscher zurück.

Der grosse Bruder, die Nordwand der Grandes Jorasses, welche ich im Herbst 2011 über den Crozpfeiler in Mitte der Wand erklettert hatte (Bericht). Was noch bleibt, wäre die Cassin-Route über den Walkerpfeiler (links), welche direkt zum Hauptgipfel führt. Zum Zeitpunkt der Anouk-Begehung hatte ich noch gesagt, dass dies wohl für immer ein Projekt bleiben wird - zu viel ungutes hatte ich gehört, wir hatten auch viel Steinschlag beobachtet. Nun, nachdem es Ende August und Anfang September 2016 ein Window of Opportunity mit vielen schnellen Begehungen bei idealen Bedingungen, ohne allzu viel Andrang und kaum Steinschlag gab, wäre ich aber doch aufgebrochen - wenn ich denn die nötige Zeit und den entsprechenden Partner dafür gehabt hätte... also maybe next time.
Auf dem Rückmarsch werfen wir bei schönstem Wetter noch Blick auf viele andere, nicht ganz so ambitionierte Projekte.
Nun gab es keine Eile mehr, es war reinster Genuss mit tollen Ausblicken auf die umliegenden Berge und natürlich dem Sinnieren darüber, welche Projekte man in den Chamonix-Bergen als nächstes angehen könnte. Tja, solche Fenster mit sicherem Wetter, perfekten Bedingungen, einer eingespielten, fitten Partnerin und frei von allen weltlichen Verpflichtungen sollte man öfters haben! Auf allzu baldige Wiederholung können wir wohl leider nicht zählen, aber die Gelegenheit kommt sicher wieder. So liessen wir es uns dann nicht nehmen, im Grand Hotel zu Montenvers noch ein feines und nicht ganz günstiges Zmittag einzunehmen - dereinst hatten wir in dieser Stätte sogar stilvoll übernachtet. Auf dem Zug ins Tal trafen wir dann per Zufall nochmals auf unsere Mitstreiter von den Petites Jorasses. So hatten sie ihren Rückstand auf uns doch noch wettgemacht und waren (vielleicht deshalb?) wieder etwas versöhnlicher gestimmt.

Blick zurück, wieder bei der Querung des mäandrierenden Gletscherflusses - trickier als man meinen könnte!
Der Schlusspunkt im Hotel Montenvers - irgendwie passen Food-Fotos nicht so zum Kletterblog, für 1x gibt's eine Ausnahme.
Facts

Petites Jorasses (3650m) - Anouk 6c (6a+ obl.) - 21 SL, 875m - Piola/Sprüngli 1990 - *****;xx(x)
Material: 2x50m-Seile, 10-12 Express, Camalots 0.3-1 plus evtl. Grösse 2, Pickel, Steigeisen

Super Route durch die 650m hohe NW-Wand der Petites Jorasses, wegen der Lage, Exposition und Länge nur etwas für ganz stabile, heisse Sommertage nach Schönwetterperioden. Mit 875m Kletterlänge und 21 Seillängen ist's beinahe ein Bigwall, die Schwierigkeiten im 6ab-Bereich sind sehr anhaltend, es gibt kaum geschenkte, einfache Meter. Daher muss man durchaus ein gewisses Klettertempo an den Tag legen, und auch für die 21 Abseilmanöver zurück über die Route ist Effizienz und routiniertes Handling unerlässlich. Wo nötig ist die Route gut mit verzinkten, teils bereits etwas von der Korrosion angegriffenen Bohrhaken eingerichtet. Dennoch sind vielfach mobile Sicherungen zu platzieren, was sehr gut möglich ist. Gefragt sind v.a. kleine Cams, die grossen braucht man hier kaum hochzutragen, nur gerade in der steilen Verschneidung von L11 kann der Camalot 2 für ein einziges Mal dienlich sein. Insgesamt darf man die Route durchaus als plaisirige, alpine Sportkletterei bezeichnen - es ist definitiv kein wilder Ritt an abenteuerlichen, hart bewerteten und cleanen Chamonix-Rissen. Wichtig zu wissen: Zu- und Abstieg verlaufen über hochalpines Gletschergelände mit Abrutsch- und Spaltensturzgefahr. Entsprechendes Können, die nötige Ausrüstung und günstige Verhältnisse (man erkundige sich im Voraus!) sind absolut unabdingbar.

Topo

Viel gibt's hier nicht. Frei verfügbar auf dem Netz ist die Skizze von Denis Corpet. Die gibt den Routenverlauf im Groben eigentlich sehr gut wieder. Aber wie immer, bei 875m Routenlänge passt dann natürlich nicht mehr jeder Griff oder Sicherungspunkt aufs Papier. Mit etwas alpinem Spürsinn und Selbstvertrauen findet man damit die Route aber schon. Besser und detailgetreuer ist das Topo aus dem Kletterführer Alpen Band I von Topoguide. Man kann es auch als Einzelstück erwerben, was ich auf jeden Fall empfehlen würde. Ganz alle Details sind natürlich auch hier nicht verzeichnet, ein paar kleinere Fehler hat's auch - jedoch nichts allzu grobes oder störendes. Es ist eben alles andere als einfach, einen solch langen Klettertag danach korrekt aufs Papier zu bringen.

Frei verfügbares Topo von Denis Corpet.