S'Vreneli, z'schönstä Meitschi im Tal
Diese epochale Route (22 SL, 7c) der Gebrüder Remy aus dem Jahr 1989, welche zentral durch die gewaltige Südwand am selten besuchten Mähren führt und laut ihren eigenen Aussagen zu den schönsten von ihnen erschlossenen Routen gehört, hatte ich natürlich schon lange auf dem Radar. Ich habe ein wenig in meinen Mails und Chats gestöbert und tatsächlich hatte ich sie seit 15 Jahren schon immer wieder aufs Tapet gebracht, wenn es darum ging ein Kletterziel auszuwählen. Natürlich waren es manchmal Wetter, Bedingungen und Zeitbudget, die es nicht zuliessen, meist aber zeigten die Seilpartner kein Interesse, sich an dieser Route zu versuchen. Dieses Mal war es anders, Viktor war bis in die Haarspitzen motiviert und so konnte ich nicht der Bremsklotz sein. Gewisse Zweifel meinerseits rührten daher, dass die auch nicht schwieriger bewertete Hakuna Matata am Weekend davor mit nur gerade 8 anstatt 22 Seillängen unser ganzes Vermögen gefordert und sämtliche Energiereserven erschöpft hatte...
Gewaltig die Wand des Mähren (Bildmitte), der Pfaffenhuet (rechts) wirkt schon fast klein dagegen! |
Ein weiterer Faktor waren die als rekordhoch angesagten Temperaturen. Im Flachland wurden schlussendlich bis zu 37 Grad gemessen. Ob man da an den Wenden-Südwänden nicht gegrillt würde? Meine Vermutung war nein und die entpuppte sich durchaus als richtig. Einerseits spielt sich der Grossteil der Kletterei im Vreneli in Höhen von 2500-3000m ab, zusammen mit dem thermischen Aufwind wird es einem da nicht so schnell zu heiss. Zudem hatten wir in der Hakuna Matata bei auch schon >30 Grad Wärme im Flachland gerne noch die Daunenjacke montiert. Anyway, der Tag begann früh um 4.00 Uhr und ich hatte erhebliche Mühe, in die Gänge zu kommen. Das intensive Kletterweekend davor, Arbeit und sonstiges Programm während der Woche schienen ihren Tribut zu fordern. So montierte ich aufgrund der tropischen Affenhitze im Flachland reflexmässig die kurze Hose und es ging los, ohne langes Beinkleid im Gepäck. Nun ja, an den Wenden kommt man mit solcher Nachlässigkeit höchst selten davon - dieses Mal aber schon. Diese Hose, ohne geeignete Tasche fürs Handy ist aber der Grund für die meinerseits eher bescheidene Ausbeute an Fotos - zum Glück hat Viktor ein paar gute Bilder gemacht!
Close-Up der rechten Hälfte der Mähren Südwand mit dem Verlauf von Vreneli (22 SL, 7c). |
Wenige Minuten nach 7.00 Uhr starteten wir auf der Wendenalp (1600m), erneut war niemand zugegen (später waren dann drei, vier Autos parkiert). Wir nahmen den Wanderweg Richtung Tällihütte bis kurz vor die östlichen Alphütten von Mettlenberg (1740m), bald einmal die Morgensiesta einer stattlichen Kreuzotter störend. Der Zustieg zum Mähren unterscheidet sich gegenüber den anderen Wenden-Sektoren dadurch, dass es wirklich überhaupt keine Spuren gibt. Ich will mir nicht anmassen zu behaupten, ich wisse wo der beste Weg durchführt - beschreibe aber trotzdem, wo entlang wir stiegen, nur schon damit ich es für ein nächstes Mal selber noch weiss. Zuerst einmal aufwärts in sehr krautigem Gras, wo man nicht sieht wohin man seine Füsse setzt - mühsam, aber da sind die Hänge noch moderat steil. Ab ca. 1900m konnten wir dann diesem Bachgraben mit teilweise etwas Kraxelei folgen, was viel angenehmer war. Auf 2080m trifft man dann auf eine Felsbarriere, die wir im Aufstieg westlich "durch die Gasse" und nachfolgender 2er-Kletterei über die Stufe, im Abstieg einfacher östlich bewältigten. Oberhalb davon dann "der Nase nach" Richtung Einstieg, wobei wir diese Entwässerungsrinne so gut wie möglich nutzten. Es gibt hier ein wenig von allem, Felsen, hartes Geröll, dünnes Gras, man suche die beste Passage.
Abschüssiges, kaum gestuftes, heikles Terrain mit dünnem Gras - am besten geht's im offenen Fels. Hier steige ich gerade in der oben im Text verlinkten Entwässerungsrinne auf. |
Der Einstieg ins Vreneli befindet sich bei einem 1989er-Mammut-Ringbohrhaken grob in Fallinie der rechten Kante des Pfeilers, ca. 30m östlich des höchsten im Gras erreichbaren Punktes zentral am Pfeiler (wo bei einer Sanduhr unterhalb einer kleinen Grotte Kooianisquazi und Letzter Mohikaner beginnen). Aufgrund des langen Tages, der uns bevorstand, hatten wir entschieden in einem Haulbag genügend Verpflegung und aufgrund der warmen Temperaturen v.a. Getränke mitzuführen. Kurz vor 9.00 Uhr war dieser gepackt und auch sonst alles startbereit, wir stiegen ein.
Hinweis: ich verwende in diesem Bericht die Bewertungen aus dem (schlecht lesbaren) Originaltopo (wer hat eine bessere Version davon, ich wäre sehr dankbar?!?). Diese Bewertungen sind so auch im Arrampicare in Svizzera von Matteo Della Bordella (welcher die Route selber geklettert hat) abgebildet. In den Filidor-Führern (Extrem West 2010, Schweiz Extrem 1994) stehen tiefere Einstufungen. Woher diese kommen, weiss ich nicht - möglicherweise ein Oberländer Beef gegen die auswärtigen Erschliesser?!?
Der Ausblick zentral unter dem Mähren-Pfeiler - da gibt es keine Fragezeichen, eine Menge an steilem Fels wartet auf jeden Anwärter. Da kann das Motto nur lauten: Are you ready for a good time? Etwas Hard Rock in Ohr und Geist kann für diese Routen nicht schaden... So ('Hard Rock aux Mähren') lautet übrigens auch der Titel des Artikels, den Claude Remy über die Erschliessung der Route im SAC-Heft Die Alpen geschrieben hat. Er ist im Archiv zugänglich - denjenigen, die dem Französischen einigermassen mächtig sind, empfehle ich die französische Originalversion, die deutsche Übersetzung bringt für mich nicht in jedem Satz den richtigen Spirit rüber. |
L1, 6b: Auf los geht's los, schon die ersten Meter sind etwas knifflig und erfordern zwingend das Platzieren eines Cams. Nachher folgt typische Wendenkletterei von eher plattiger Natur mit den charakteristischen, oft etwas staubigen Querstrukturen bei eher weiträumig gehaltener Absicherung. Die Crux dann am Ende über den etwas brüchigen Wulst hinweg, die letzte Sicherung 2m unter den Füssen und mit etwas Seilzug - ein etwas herber Auftakt.
L2, 6c: Mit L1 hat man sich dem steilen, ja massiv überhängenden Teil des Pfeilers angehnähert, sprich es wird nun unweigerlich zur Sache gehen. Die Fortsetzung findet man aber auf der linken Seite, wo sich die Route so gut wie möglich im senkrechten, schönen Tropflochgelände hinaufschleicht. Den eigentlichen Überhang bezwingt man dann in einer +/- horizontalen Traverse nach rechts. Der Fels ist da grossgriffig, aber nicht von bester Qualität. Die letzten Meter zum Stand sind dann wieder schön. Wir befanden, dass es bis auf einen kniffligen Move in der Traverse eine gutmütige 6c war.
Viktor on lead in L2 (6c), die mit einem Linksbogen eine überhängende Zone bezwingt. |
Schöner Tropflochfels auf den letzten Metern von L2 (6c). |
L3, 7b: Eine tolle Seillänge mit durchgehend bestem, wasserzerfressenem, strukturiertem, leicht überhängendem Fels. Erst geht's rechts ausholend noch gut dahin, dafür sind die Abstände zwischen den Sicherungen noch respektabel. Auf der zweiten Hälfte werden diese deutlich enger, mindestens klettergarten-, ja teils sogar hallenmässig. Die Hauptschwierigkeiten findet man im letzten Drittel, zuerst mit einer Boulderpassage und der Stelle über den letzten Bolt hinweg, wo dann auch noch ein zwingender 4m-Abschnitt bis zum Stand wartet, für welchen man sich besser einige Körner und mentale Energie aufspart.
Spätestens ab hier müssen die Unterarme auf Betriebstemperatur sein (L3, 7b)! |
L4, 7b: Der Start in diese Länge scheint verwirrlich, stecken doch in ca. 5m Höhe zwei BH fast 5m horizontal versetzt. Laut Topo ist erst der linke anzuklettern. Vor Ort fragt man sich aber, ob der direkte Weg zum rechten nicht auch eine Option wäre... ich wollte mich schliesslich nicht auf das Experiment einlassen und bin es auf dem angedachten Originalweg geklettert. Die Steilplattenkletterei ist vorerst super in prima strukturiertem, scharfem Fels und auch von der Schwierigkeit her im zugänglichen Rahmen. Die Cruxzone ist relativ kurz und wird durch einen gleichzeitig griff- und trittarmen Abschnitt markiert. Alpiner präsentiert sich hingegen das Finish der Länge. Plötzlich präsentiert sich noch viel Gelände, aber keine Sicherungspunkte mehr. Das Topo verspricht zwei weitere Bolts, die jedoch nirgends sichtbar sind. Das ist v.a. deshalb etwas störend, weil man in diverse Himmelsrichtungen weiterklettern könnte. Ich ging dann mal geradeaus... liegen tut nichts und das Gelände wird etwas brüchig. Tatsächlich, oberhalb von einem Wulst fand ich tatsächlich erst einen NH und dann einen BH. Mich leicht machend schlich ich bei weiter abnehmender Felsqualität zum Stand.
Yours truly on lead in L4 (7b), die zu Beginn mit bestem Fels auftrumpft, aber eine etwas verwirrliche Linie hat. |
L5, 7a: Querend dem logischen Weg auf den Pfeiler hinaus folgen zu NH, dann griffig aufwärts, was gut mit BH abgesichert ist, zuerst jedoch etwas Lotterfels aufweist. Das bessert sich bald wieder und die Seillänge bietet einen interessanten, ziemlich zwingenden Schlussabschnitt in schönem Fels, bald einmal ist auch schon der Stand erreicht.
Tolles Ambiente und Felsfarbe am Ende von L5 (7a). |
L6, 7c, 7b 4 p.a. oder 6c A0: Während wir den ganzen Rest der Route (wie eigentlich immer) freizuklettern versuchten, haben wir hier für einmal nicht lange "Federlesis" gemacht. Eine 7c geht im Optimalfall beim Sportklettern und in der Halle onsight, aber auf einer Alpintour mit dem ganzen Geraffel am Gurt, schon ein paar Seillängen in den Armen und vor allem noch vielen weiteren auf dem Programm dann doch eher nicht. Kommt hinzu, dass dieser Abschnitt mässig attraktiv wirkt. Der Fels ist zwar an sich solide, aber bietet nur extrem viele kleine, extrem scharfe Struktur, wo bei Belastung gerne die Spitzen brechen, die Sache extrem unübersichtlich ist, usw.. Somit also unmittelbar der Griff ans Textil, was dank eng steckender BH vorerst problemlos möglich ist. Ich frohlocke schon über meinen mühelosen "Durchstieg" - aber nein, es kommt tatsächlich eine Stelle, wo man entweder richtig klettern oder eine Trittschlinge zücken muss. Die wahre Herausforderung kommt aber sowieso erst nach Ende der Cruxpassage. Die Bolts hören auf, um die Ecke findet man einen selbst abzusichernden, ca. 7m langen Riss und an dessen Ende noch eine 6c-Wandpassage in nicht ganz einwandfreiem Fels, die man über den letzten mobilen Sicherungen zu klettern hat. Der Stand dann in der bequemen Grotte mit SU und BH.
L7, 6a: Man verschiebt sich fotogen nach rechts an die Kante und erklettert dann direkt hinauf in relativ leichtem aber etwas lottrigem Gelände einen Pfeiler. Weiter oberhalb wird's dann kompakter und auch etwas schwieriger. Dort, wo man den breiten Riss erreicht und gerne den 2er-Cam platziert, muss man sich nach links darüber hinweg halten und durch die Wand zum von unten nicht so gut erkennbaren Stand klettern.
Die zweite Hälfte von L7 (6a) bietet wieder schöne Kletterei in kompaktem Gestein. |
L8, 7a: Eine relativ kurze Länge, welche die eigentliche Kletterei am ersten Pfeiler beschliesst. Es handelt sich um technische, teils etwas pressige Moves and Seit- und Untergriffen in senkrechter Wand, gut und sportklettermässig abgesichert. Zuletzt kurz über Schrofen zum Stand.
L9, T5: Über die Schrofen nach links hinauf zum Grat, oben befindet sich nochmals ein Stand zum Nachnehmen, der vor allem später zum Abseilen nützlich ist.
Ausstieg aus L8 (7a) am Ende des ersten Pfeilers - eigentlich wäre es nur schon bis hier eine absolut sehr respektable MSL. |
L10, Gehgelände: Übergang über den problemlos begehbaren, kaum exponierten Kamm an den Fuss des nächsten Aufschwungs, wo zur Identifikation des Weiterwegs ein BH steckt. Idealerweise späht man vor Erreichen dieses BH nach dem Weiterweg - denn einmal am Start des Aufschwungs angekommen, sieht man die Haken nicht.
L11, 5b: Die Route folgt hier nicht dem einfachsten Weg in eine kraxlige Verschneidung hinauf, sondern steigt zuerst gerade bzw. leicht linkshaltend hinauf über kompakte, teils wasserrillige Platten. Die BH stecken in grossen Abständen, die Kletterei ist aber gutmütig und es gibt Möglichkeiten zur mobilen Sicherung.
L12, 6a: Erst einer Verschneidung entlang, wo der Fels nicht ganz so schön ist. Hier stecken keine Bolts, mobil aber recht gut absicherbar. Zum Ende der SL wird der Fels wieder kompakter und es folgt ziemlich hübsche, plattige Wandkletterei mit 3 BH.
L13, 6a: Relativ kurze Länge von moderater Schönheit, die kniffligste Stelle folgt gleich am Anfang, nachher lässt die Schwierigkeit bald nach. Der Stand befindet sich noch vor dem Ausstieg auf das zweite Geröllband. Diese Länge lässt sich ziemlich problemlos mit L12 linken.
Auftakt in L13 (6a) mit ihrer Crux, das Gelände auch hier nur moderat schön. |
L14, Gehgelände: Die Idee wäre hier vermutlich, gerade hinauf an die obere Wand zu steigen und dort beim Einstieg in den oberen Teil des letzten Mohikaners an einem BH zu sichern. Das war mir nicht klar, somit habe ich diesen Bolt nicht gefunden bzw. genutzt und bin gleich weiter.
L15, 2a: Querung von ca. 30-40m nach links zur Fortsetzung am dritten Aufschwung. Vom Pfeilerkopf am Ende des zweiten Aufschwungs sieht es so aus, als ob eine tiefe Querung die beste Option wäre. Das ist aber ehrlich gesagt ein kompletter Mist, keine Möglichkeiten für Zwischensicherungen, unsicheres Gestein und lose, herumliegende Steine machen das heikel. Die richtige Variante ist es hier, ganz oben an der Wand zu queren - das Gelände ist dort steiler aber ein Band erlaubt eine ziemlich problemlose Traverse (zwischensichern kann man allerdings auch dort nicht).
L16, 6c: Mmmhhh, jetzt waren wir an diesem gelobten, obersten Wandteil angekommen der dem Vernehmen nach mit perfektem Fels glänzen sollte. Nun, von hier sah das vorerst nicht so wirklich danach aus. Klar, die Länge in griffigem Fels ist nicht so übel, aber erste Güteklasse dann doch bei Weitem nicht. Kommt hinzu, dass die Bolts etwas kreuz und quer sowie am Ende dann spärlich stecken. Im oberen Teil der Länge wartet eine etwas knifflige Stelle in einer V-Verschneidung, gefolgt von einem ca. 10m langen, nicht wirklich zu entschärfenden Runout in 6a+/6b-Wandkletterei zum sehr ungünstig platzierten und äusserst unbequemen Stand :-/
Viktor gut getarnt 'on lead' in der ersten Länge am dritten Aufschwung - wildes Gelände (L16, 6c). |
L17, 6c: Keine wirklich Besserung in Sicht, was die Qualität von Fels und Kletterei betrifft. Die Crux befindet sich gleich am überhängenden Wulst zu Beginn. Die zwei Haken ebenda wurden bestimmt aus der Trittschlinge eingebohrt, sind also nicht weit auseinander und erlauben A0 - sie aus der Kletterstellung zu klippen ist andererseits reichlich schwierig und heikel zugleich, da ein Sturz unweigerlich auf der Rübe des Sicherungspartners endet. Kommt hinzu, dass die Kletterstelle sauschwer ist und die Bedienung von einem sehr ausbruchsgefährdeten Klötzli erfordert. Definitiv (viel) schwieriger wie 6c, evtl. sind da schon entscheidende Griffe ausgebrochen. Nachher erst einfacher in durchschnittlich schönem 6a-Terrain, oben nochmals knackige Wandstelle an teils fragwürdigen Strukturen. Der Stand schliesslich auf einem bequemen Geröllplatz.
L18, 7a+: Vom Stand erst ca. 8m nach links abwärts gehen, dann henklig-athletisch über den Überhang hinweg. Trotz vorerst enger Absicherung besteht aufgrund vom Seilverlauf die Gefahr von einem Bodensturz. Wer sich im sich zurücklegenden, hier schön zu kletternden Gelände in Sicherheit wähnt liegt damit in Bezug auf das Gefahrenpotenzial richtig, jedoch nicht was den Onsight der Länge betrifft. Griffe und Tritte schwinden nämlich, die Hakenabstände werden zwingend - wohl dem, der hier noch genügend Strom in den Armen hat. Das Finish dann wieder einfacher im Lotterfels und etwas heikel. Der Stand befindet sich auf 13 Uhr vom letzten BH, unscheinbar rechts einer kleinen Grotte. Die gut sichtbaren, offensichtlichen Standhaken auf 11 Uhr gehören hingegen zur Infinite Jest - leider habe ich das erst gemerkt, als ich schon eine ganze Weile weitab der letzten Sicherung im Bruch nach einer Lösung für die letzten Meter dahin gesucht habe - Joggel, besser früher mal genau aufs Topo geschaut!
L19, 6c: Vom Stand horizontaler Quergang nach rechts, die Felsqualität auch hier nicht überzeugend. Über eine Wandstufe erreicht man einen teils etwas brüchigen Riss (an dessen Beginn den wenig offensichtlichen BH rechts nicht übersehen!). Dieser ist an sich nicht sonderlich schwierig zu klettern (6a+/6b), aber über 10-15m selber abzusichern (Placements für Cams von ca. 0.5-2). An dessen Ende ein BH, wo man leider nur die Gammelschlinge klippen kann und dann heisst es richtig parat sein. Ab dieser Stelle folgt nun bester, fetzenscharfer Tropflochfels, die Rechtstraverse ist aber tough und der Weg zum nächsten Haken weit. Noch viel mehr gilt das für die 10m vom letzten Silberling zum Stand. Klar, nach einer gewagten 6bc-Stelle 3m über dem Haken wird es dann schon etwas einfacher und geht mit der richtigen Beta recht gut auf - die Möglichkeit sich in schwierigeres Gelände zu versteigen gibt's aber definitiv - krasse Sache jenseits der Wohlfühlgrenze!
Nach L19 stellte sich die Frage, ob wir Abbrechen oder Weiterklettern sollten. Wer auf diesem Blog mit Interesse mitliest, der weiss genau, wie ungern ich MSL-Touren vor dem letzten Meter beende. Das sprach für weiter, keine Frage. Andererseits war aber klar, dass wir bei einem Weiterklettern bis zum Top sicher in die Dunkelheit kämen, entweder schon beim Abseilen oder spätestens beim Abstieg. Eine Lampe hatten wir zwar dabei, doch die steile Abseilerei über die uns unbekannte Letzte Mohikaner sowie der weglose, unübersichtliche und nicht einfach zu findende Weg über die exponierten Gras-Zustiegshänge war nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Hinzu kam, dass solche Wahnsinns-Runouts wie zuletzt schon bei noch vorhandenen Reserven alles andere als ohne sind - solange man aber über genügend Reserven zum Schauen, Planen und notfalls auch einige Moves Zurückklettern verfügt, noch halbwegs zu verantworten sind. Wenn aber aufgrund von schwindender Kraft in solchem Gelände nach dem Motto "hopp oder flop" gestiegen werden muss, so wird es richtig unangenehm und das Gefährdungspotenzial in diesen Runouts steigt massiv an. Ganz ehrlich, auch wenn der Entscheid zur Umkehr 100% vernünftig und rational gesehen die einzig richtige Entscheidung war - mich fuchst es immer noch, dass wir nicht weitergestiegen sind. Andererseits könnte ich es mir noch viel weniger verzeihen, den "point of return" bewusst überschritten zu haben und so ein Unglück provoziert zu haben. Die Kunst es ist eben, nie verfrüht aufzugeben und dennoch immer zum richtigen Zeitpunkt das Handtuch zu werfen. Ob das hier nun so war - irgendwie gibt es noch immer zwei Seelen in meiner Brust, die nicht identisch darauf antworten.
Somit also abseilend runter an den Fuss des dritten Aufschwungs (19 -> 17 -> 16 -> 15). Ab da mussten wir mit Seilsicherung zum Top des zweiten Routenteils zurück klettern. Zwei weitere Manöver (13 -> 11 -> 10) führten ins Gehgelände oberhalb des ersten Aufschwungs, wo wir die Seile aufnahmen und zum Ende der Routen am ersten Pfeiler (Squaw, Kooianisquazi, Letzter Mohikaner) abstiegen. Deren letzter Stand lässt sich relativ einfach auffinden und seilfrei erreichen, allerdings besteht er aus altem Material (SU plus 1 BH). Nachdem wir die Gammelschlingen rausgeschnitten und durch ein neues Seilstück ersetzt hatten, warfen wir die Seile aus. Als ich mich eingeklinkt hatte und über die Kante blickte, so hingen diese frei im luftleeren Raum neben der westlichen Pfeilerbegrenzung. Möglicherweise hätte es mit Pendeln oder Bolts klippen schon gereicht, um einen nächsten Stand zu erreichen, aber es war unsicher. Wir zogen es daher vor, oberhalb der Abbruchkante 20m quer über Schrofen ostwärts zum Stand 8 vom Vreneli zu seilen. Von dort geht's freihängend, aber tatsächlich in mehr oder weniger gerader Linie runter zu Ständen von Letzter Mohikaner und Kooianisquazi. In einigen weiteren Manövern an meist (teil)sanierten Verankerungen gelangten wir zurück zum Einstieg. Mehr oder weniger unserem Aufstiegsweg folgend, stiegen wir vorsichtig über die haltlosen Geröll- und Grashänge ab. Unterhalb der Felsstufe kraxelten wir vorerst wieder noch halbwegs angenehm durch einen Graben ab, bevor dann der im Abstieg noch mühsamere Teil im hohen Kraut wartete. Aber auch das wurde erledigt, mit schwindendem Licht wanderten wir von Mettlenberg retour auf die Wendenalp, wo wir um 22.00 Uhr nach einem 15-Stunden-Tag reichlich müde aber komplett wohlbehalten eintrafen.
Facts
Wendenstöcke / Mähren - Vreneli 7c (6c obl.) - 22 SL, 500m (+200m Gehgelände) - Y. & C. Remy 1989 - ***;xxx
Material: 2x50m-Seile, 12 Express, Camalots 0.2-2, evtl. kleines Keilset
Gewaltige, eindrückliche und abenteuerliche Route durch die nur selten besuchte Südwand des Mähren. Ob sie wirklich eine der schönsten Routen der Gebrüder Remy bzw. an den Wendenstöcken ist?!? Nach meiner Meinung definitiv nicht. Rückblickend war ich vom ersten Aufschwung positiv überrascht. Dieser bietet viele tolle Meter, auch wenn es einige (meist leichtere) Abschnitte mit weniger schönem Gestein gibt. Der erste Aufschwung wäre auch für sich alleine ein lohnenswertes, gut abgesichertes Ziel. Abwegig ist das sicher nicht, z.B. beim Sonnenkönig beschränken sich ja auch fast alle auf den ersten Drittel der Route. Der zweite Aufschwung vom Vreneli ist nichts Besonderes, weder in Bezug auf den Fels noch die leichte Kletterei. Am meisten enttäuscht war ich vom hochgelobten dritten Aufschwung. Dessen erste 4 Seillängen sind alle teils etwas brüchig und bieten höchstens einzelne Stellen in gewohnter Wenden-Qualität. Erst ganz am Ende wird der Fels dann super, hoffentlich kann man es dann noch entsprechend geniessen. Die Absicherung hinterlässt einen etwas inhomogenen Eindruck. Einerseits wird sie generell je höher desto spärlicher, andererseits sind die schweren Passagen (>6c) oft eng behakt auf Niveau xxxx-xxxxx, während es im einfacheren Gelände heikle Runouts geben kann (x-xx). Das Material ist auch in die Jahre gekommen. Zu Beginn wurden teils noch (mit der Maschine gesetzte !?) Kronenbohrhaken verwendet, weiter oben sind es dann verzinkte Anker mit rostfreien Plättli. Das alles steckt seit z.Z. 32 Jahren und hat deutlich gealtert, auch die Standplätze sind eher nur spartanisch eingerichtet, es wirkt alles ziemlich sanierungsbedürftig. Einige clean gebliebene Abschnitte an Rissen und Verschneidungen müssen zwingend mobil gesichert werden, dafür braucht es m.E. mindestens ein Set Cams von 0.2-2 plus allenfalls ein Keilset. Weitere Infos findet man im Extrem West von Sandro von Känel oder im Arrampicare in Svizzera von Matteo della Bordella. Unten dank herzlicher Mithilfe von René das Originaltopo aus dem SAC-Monatsheft Die Alpen. Hier sind der Routenverlauf und die ideale Abseilstrategie am besten wiedergegeben. Eigentlich schade, dass man diese Trouvaille beim SAC weder im Archiv noch im Tourenportal auffinden kann.
Originaltopo von Vreneli aus dem SAC-Monatsheft Die Alpen. |