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Donnerstag, 27. Oktober 2022

Zervreilahorn - Flairytale (7b+, 3 SL, Erstbegehung)

Hier gibt's die Story vom märchenhaften Zervreila Super Crack! Dieser war uns bei unseren Streifzügen im Gebiet bald einmal aufgefallen. Am Wandsockel auf der NE-Seite durchzieht er eine kompakte, senkrechte Wand wie mit dem Messer geschnitten. Da gab es keine zwei Deutungen, diese Linie mussten wir früher oder später unbedingt probieren. Mit etwas mehr Perspektive auf dem Zustieg schien es uns sogar sehr gut möglich, den Super Crack in eine lange Neutour zu integrieren, welche sich rechts vom klassischen NE-Grat in die Höhe zieht. Was aus diesen Plänen schliesslich geworden ist, könnt ihr in diesem Beitrag nachlesen.

Der märchenhafte Zervreila Super Crack durchzieht den Berg an seiner NE-Basis.

Erschliessung

High Noon war schliesslich am 15.8.2021, nach dem langen Tag, wo wir den Nightcrawler bis zum Gipfel erschlossen und gleich gepunktet hatten. Bis wir da im Dunkeln abgestiegen, uns verpflegt und etwas gefeiert und schliesslich in den Federn waren, wurde es ziemlich spät. Der folgende Tag versprach nochmals bestes Bergwetter, ganz so früh kamen wir nicht in die Gänge und die Verpflichtung zu einer frühen Heimkehr beschränkte unsere Optionen. So trugen wir das Bohrmaterial an den Nordsockel, behängten unseren Gurt mehrere Kilogramm schwer und ich legte los. Auf den ersten Blick ist es nur etwa ein Katzensprung bis zum Beginn des Objekts der Begierde. Einmal mitten im Geschehen, warten doch anspruchsvolle, plattige Moves - noch dazu versuchte ich mich so gut wie möglich nur mobil sichernd da hinaufzukämpfen. Obwohl rein metertechnisch nicht zwingend nötig, beschlossen wir zu Beginn des Super Crack die bequeme Standmöglichkeit zu nutzen, um für diesen alles Gear einsammeln und mitnehmen zu können.

Mal etwas anderes, Approach zum Zervreilahorn von seiner Backside. Der Wandsockel mit dem Flairytale ist am linken Ende des Berges bereits sichtbar. Sonst gibt es auf dieser Seite nur 2 Technorouten vom Duo Richiger/Riediker, die bis dato vermutlich noch kaum je wiederholt wurden.

Schon beim ersten, scheuen Blick nach oben während dem Nachsichern beschlichen mich gewisse Zweifel zur Morphologie dieser Gesteinsverwerfung. Leider wurden diese nur allzu schnell bestätigt. Ja, was aus der Ferne märchenhaft ausgehen hatte, entpuppte sich aus der Nähe tatsächlich als eine Fata Morgana. Als seicht und unangenehm flared präsentierte sich der Riss - an mobile Absicherung war nicht zu denken und natürlich waren so auch die Schwierigkeiten viel höher, als wir uns dies vom Boden ausgemalt hatten. Das dicke Ende kam zum Schluss, beim logischen Standplatz trafen wir auf eine improvisierte Einrichtung aus Schlaghaken. Wie die Haken wohl dahin gekommen waren? Das mit grösster Wahrscheinlichkeit zutreffende Szenario ist es, dass sich jemand von oben reingeseilt hatte, um den Riss im Toprope zu versuchen.

Blick auf unsere gesamte Route Flairytale (7b+) inkl. Lage der Standplätze

Nach dieser Seillänge war unser Zeitbudget erschöpft. Obwohl es bis zu einer flachen Zone mit Bändern mutmasslich nur noch ein Katzensprung war, hiess es nach Hause zu gehen. Nachdem sich die Geschichte mit dem Super Crack als Ente entpuppt hatte, war auch die Motivation für eine Fortsetzung nicht brutal gross. Kam noch hinzu, dass es nicht realistisch schien, die noch ausstehenden Arbeiten und das Punkten des Risses einfach so im Anschluss an eine andere, längere Route im Gebiet zu erledigen. Dafür musste man sich einen ganzen Tag reservieren. Doch für eine solche kurze Route am Sockel des majestätischen Zervreilahorns die weite Anreise zu machen, bot dann scheinbar ein schiefes Verhältnis von Aufwand und Ertrag. Doch schliesslich kam der 24.7.2022 - ein Tag, an welchem ich mich mit Viktor zum Klettern verabredet hatte, nicht notwendigerweise für Zervreilahorn jedoch. Leider war er kurzfristig krankheitshalber verhindert und für mich stellte sich die Frage nach einem Plan B. Mitten in der Sommerferienzeit gelang es mir nicht, über Nacht einen Kletterpartner zu organisieren. Doch Bingo, das Projekt in Zervreila wäre doch was! Ich konnte meinen Vater fürs Mitkommen und die Sicherungsarbeit motivieren. Mit einem genügend langen Seil und der richtigen Strategie lässt sich nämlich die gesamte 3-SL-Tour als Baseclimb ausführen - sött mögli sii!

Blick auf die Lampertsch Alp mit dem mäandrierenden Valser Rhein

Da wir erst spät anreisten, vermuteten wir die Parkplätze in Zervreila als überfüllt (eine absolut richtige Annahme, wie sich zeigen sollte). Da wir die E-Bikes dabei hatten, konnten wir jedoch ohne übertriebenen konditionellen Zusatzaufwand von weiter unten starten. Mir schwebte es gar vor, statt dem üblichen Zustieg noch bis kurz vor die Lampertsch Alp zu biken, von wo man über den Karrweg der Älpler möglicherweise bis auf 2200m hätte radeln können, womit sich der Fussaufstieg auf bequeme 250hm beschränkt hätte. Doch der Konjuktiv sagt es: schon die mit vielen spitzen Steinen durchsetzte Piste vom Ochsenstafel bis P.1977 ist rau und ruppig, für versierte Bike jedoch fahrbar. (mit nicht zu vernachlässigendem Risiko für einen Platten, wir hatten aber Glück). Dort ist aber Schluss, man müsste das Bike entweder durch den Fluss oder über eine wacklig-schmale Hängebrücke transportieren, was sehr mühsam wäre. Auch die nachfolgende Piste ist extrem steil und verblockt, man müsste wohl immer wieder vom Bike absteigen und ein Zeitgewinn wäre nicht da.

Die wacklige Hängebrücke bei P.1977 vor der Lampertsch Alp, inkl. Schild "Betreten Verboten!".

So stiegen wir also zu Fuss auf, einmal aus einer anderen Richtung zum Horn zu kommen, war trotzdem sehr interessant. Auf der Uhr hingegen bietet sich kein Vorteil - nein, eher kostet es mehr Zeit wie der normale Weg. Bis wir am Wandfuss eingetroffen waren, war 11.30 Uhr vorbei und damit der Schatten eingekehrt, was an diesem heissen Sommertag einen grossen Vorteil darstellte. Eine bequeme Sitz- und Sicherungsgelegenheit für den 75-jährigen Neni war ebenfalls vorhanden, somit konnte ich mich ans Werk machen. Die unteren beiden Seillängen für einen Rotpunkt-Go auschecken, die kurze Schlusslänge einbohren. Und schliesslich ging alles auf wie erhofft. In meinem vierten Go konnte ich die Cruxlänge auf dem letzten Blatt durchsteigen, Reserven für einen weiteren Versuch wären nicht mehr vorhanden gewesen.

Na denn, wohl bekomm's!

Damit konnte die Route am Wandfuss beschriftet werden und das Projekt war abgeschlossen. Eine Weiterführung der Linie schien mir nicht sinnvoll. Erst müsste man über ca. 2 SL im gestuften Seilfrei-Gelände kraxeln, bis wieder etwas schwierigeres Terrain kommt. Doch auch da träfe man nicht auf ähnliche Schwierigkeiten wie im unteren Teil und nach 2 weiteren Seillängen wäre definitiv Schluss. Somit belassen wir die Route besser bei dem, was sie ist - ein kurzer Baseclimb, den man ideal als Abendbeschäftigung oder Dessert zu einer anderen Route machen kann. Tja, aus dem sagenhaften Bilderbuchriss ist also nur ein Flairytale geworden. Rückblickend betrachtet macht die Route vielleicht "auch gar nicht so viel Sinn". Nun, als wir damit angefangen haben, konnten wir dies natürlich noch nicht wissen. Eine imposante Linie mit spannender, fordernder Sportkletterei ist sie aber allemal. Und nach allem was wir wissen, ist es derzeit die schwierigste, freigekletterte Seillänge am Zervreilahorn - vielleicht doch ein paar gute Argumente, um sich hier einmal zu probieren?!?

Zustieg

Per Auto oder öV auf kurvenreicher Strasse von Chur via Ilanz nach Vals und weiter nach Zervreila zum Parkplatz bei der Kapelle (P.1984). Nun der mit Fahrverbot für Motorfahrzeuge belegten Schotterstrasse entlang ca. 2.7km zum Beginn des Wanderwegs nach Furggelti, dabei vernichtet man rund 130 Höhenmeter. Es ist sehr empfehlenswert, für diesen Abschnitt ein Bike zu verwenden. Die Zeitersparnis auf dem Hinweg beträgt ca. 30 Minuten, auf dem Rückweg ca. 15-20 Minuten. Dann zu Fuss dem Wanderweg entlang bis zu dieser Stelle auf ca. 2240m (Steinhaufen, Eisenstange mit weiss-rot-weisser Markierung), wo man diesen nach rechts verlässt.

Die klassische Sicht aufs Zervreilahorn vom Biwakplatz auf ca. 2420m. Unsere Route Flairytale (7b+) ist gerade noch sichtbar. Sie erklimmt die unterste Bastion an der rechten Begrenzung des Berges, unmittelbar vor dem Horizont.

Die Pfadspur zum Zervreilahorn ist ganz am Anfang nicht sehr ausgeprägt, wird aber bald deutlicher. Sie verläuft später am Fuss des markanten, diagonal verlaufenden Felsbands - im Zweifel einfach in diese Richtung gehen. Man erreicht schliesslich den flachen Boden (Biwakplatz) auf ca. 2420m und wenig später übers Geröllfeld den Fuss der Wand mit dem Klettergarten und dem Routenbuch. Von dort ca. 50m nach rechts zu einem kleinen Sattel aufsteigen, von wo die Route sehr gut sichtbar ist. Der Einstieg befindet sich weitere ca. 25m rechts, direkt unter dem Riss (Aufschrift, BH gut sichtbar). Unser totaler Zeitbedarf von der Kapelle bis zum Start der Route belief sich jeweils (mit Bike, zügiges Gehen, inkl. der Bohrausrüstung im Gepäck) auf ca. 1:15 Stunden. In der Literatur steht 2:30h, man kalkuliere also selbst.

Routenbeschreibung

Zervreilahorn - Flairytale 7b+ (6c obl.) - 3 SL, 55m - M. Dettling, V. Wegmayr, S. Dettling 2022
Material: 1x50m-Seil, 8 Express, Cams/Keile nicht nötig

L1, 15m, 6c: Schöne Seillänge, welche sich deutlich kniffliger klettert, wie es auf den ersten Blick den Anschein macht. Der Start in einer Verschneidung, wobei hier auch Risse bei der Fortbewegung helfen. Man passiert dar folgende Dach auf seiner rechten Seite und nähert sich der Cruxzone. Eine originelle Mischung zwischen einem seichten Doppelriss und steilplattiger Wandkletterei an sloprigen Griffen wartet da - gutes Bewegungsgefühl nötig! Ganz zum Schluss dann wieder einfacher zum Stand am Beginn des Supercrack. Komplett eingebohrt, kann auch gut als Klettergarten-Baseclimb gemacht werden, durchaus lohnend in diesem Stil! 

Viktor folgt in der Cruxzone von L1 (6c), die mit kniffligen Moves am seichten Doppelriss aufwartet.

L2, 25m, 7b+:  Der so wunderschöne Riss ist leider flared, man kann ihn nicht jammen - ausser an einer Stelle, wo ein seichter Klemmer dann auch der Schlüssel zum Erfolg ist. Es bleibt einem nichts anderes übrig, als mit einer kreativen Mischung von Layback und Wandkletterei an Höhe zu gewinnen. Die Wand neben dem Riss weist nämlich allerhand Struktur auf. Meist eher abschüssig und sloprig, um die Füsse anzupressen reicht's fast immer, hier und da auch für einen dann absolut zentralen Handmove. Die Schwierigkeiten sind ziemlich anhaltend, es handelt sich durchaus um ein Ausdauerproblem. Und obwohl komplett und sportklettermässig einbohrt, ist die Sache aufgrund der Art der Kletterei auch nicht ohne jeden psychischen Anspruch - spannend auf jeden Fall! Wie man aufgrund der schwarzen Färbung der Wand vermuten kann, läuft hier bisweilen das Wasser. Wir trafen die Route bei unseren Besuchen im Hochsommer stets komplett trocken an - es könnte aber wohl auch anders sein. Zu erwähnen ist auch, dass der Fels grundsätzlich sauber ist. Weil aber wohl periodisch das Wasser läuft, liefert ein gutes Brushing schon den besseren Grip. Zuletzt: wer möchte, kann L1 & L2 mit 12 Exen und einem 80er-Seil als Baseclimb mit Umlenken klettern.

Auch aus dieser Perspektive würde man es einem noch vorbehaltlos abkaufen, wenn man das Flairyteil als den Supercrack of Zervreila, ja einen Splitter à la Indian Creek verkaufen würde... Aber nein, auch wenn man es kaum glauben mag, Jammen und mobil Absichern ist echt nicht möglich. Man sieht in diesem Licht auch gut die Struktur der Wand, welche die Kletterei überhaupt erst möglich macht.

L3, 15m, 6c: Einfach, aber in etwas flechtigem Fels geht es unter das Dach. Dieses zu erreichen und sich an diesem zu etablieren, erfordert dann ein paar schwierigere Bewegungen an Slopern. Dann geht es darüber hinweg, die Stelle könnte gerne unmöglich sein, befänden sich nicht exakt an der entscheidenden Stelle taugliche Leisten. So geht's ohne extreme Schwierigkeiten und man erreicht in Kürze den reichlich bequemen Ausstiegsstand, gerade vor dem Übergang ins einfache, terrassierte Gelände darob.

Nochmals eine Gesamtansicht der Route, hier aus der frontalen Froschperspektive.

Der Weg zurück an den Einstieg vollzieht sich am einfachsten per Abseilen. Richtig bequem hat man es mit 2x50m-Seilen, da reicht ein einziges, gestrecktes Manöver gerade retour auf den Boden. Auch mit einem 1x50m-Strick lässt es sich Abseilen, dann sind jedoch 3 Manöver fällig. Ein Fussabstieg geht auch, man kann von der Terrasse beim Ausstieg sowohl nach links wie nach rechts kraxeln und zurück zum Wandfuss gelangen. Was gibt es sonst noch zu erwähnen? Zur Planung hilfreich ist sicherlich das Wissen, dass die Route im Sommer bis um ca. 11.30 Uhr besonnt ist, nachher klettert man bis zum Einbruch der Dunkelheit im Schatten.

Topo

Ein schematisches Topo zur Route gibt's hier ausnahmsweise keines. Das scheint mir aufgrund der Kürze und der klaren, zudem mit regelmässig steckenden BH definierten Linie einfach nicht nötig. Übersichtsfotos gibt's in diesem Beitrag ja zur Genüge, hier folgt nun noch eine Gesamtübersicht der kleinen Linie am grossen Horn, mit allen wissenswerten Infos darauf eingetragen.

Das grosse Zervreilahorn mit unserer kleinen Linie: Flairytale (7b+)

Samstag, 15. Oktober 2022

Wildhauser Schafberg - Schafbergkante (5c+)

Die Schafbergkante ist ein grosser Klassiker des Kletterns in der Ostschweiz in den gemässigten Schwierigkeitsgraden. Während sie früher mit 4+ A0 bewertet wurde (Schweiz Plaisir, erste Ausgabe von 1992) hat sich im Lauf der Zeit herauskristallisiert, dass die Schwierigkeiten eher höher liegen und auch die alpinen Anforderungen nicht ganz trivial sind. Ich konnte die Kante in einem Nachmittags-Spritztüürli an der goldigen Herbstsonne begehen. Wäre mir dabei nicht aufgefallen, dass die vielen Beschreibungen teils widersprüchlich und inkonsistent sind, so hätte ich möglicherweise nicht einmal einen Beitrag über die Tour geschrieben. Hier der Versuch, etwas Ordnung zu schaffen.

Die Schafbergwand mit ihrer bekannten Kante, die von links her zum Legföhren-Gipfel führt.

Der Zustieg startet vom grossen Parkplatz in Wildhaus (1095m, Kartenlink). Nun gilt es, zur letzten Kurve vor der Alp Fros zu kommen (1430m, Kartenlink). Dies entweder direkt dem Wanderweg entlang je nach Gehtempo in 40-50 Minuten zu Fuss, sehr bequem der Strasse entlang per E-Bike (15 Minuten) oder alternativ mit der Gamplüt-Bahn, was jedoch gegenüber dem Fussaufstieg kaum eine Zeitersparnis bringt. Vom Kuhrost in der Kurve geht's auf deutlich sichtbarer Wegspur über die Wiese, nach ca. 150m führt der Pfad in waldiges Gelände hinein. Man überquert die Trockenmauer und kommt zur Geröllhalde, an deren Rand man zum ersten Vorbauturm aufsteigt. Links an diesem geht's vorbei, d.h. weiter die geröllige Rinne hinauf. Den Anseilplatz am Beginn der Kante erreicht man, indem man den zweiten Vorbauturm rechterhand im Uhrzeigersinn umrundend von hinten kraxelnd mit einigen Moves im zweiten Grad entert. Beim bequemen und geräumigen Anseilplatz (1610m, Kartenlink, total 60-75 Minuten) kann man sich ideal auf die Kletterei vorbereiten.

Grobübersicht zum letzten Teil des Zustiegs ab der Haarnadelkurve vor der Alp Fros.
Detailansicht des Zustiegs zur Schafbergkante und zum Frospfeiler.

L1, 45m, 4a: Zuerst ohne fixe Absicherung ca. 10-15m einfach durch die grasige, kaminartige Rinne hinauf. Diese steilt auf und bietet einige Züge an Henkeln (BH). Nach der Steilstufe rechts haltend (BH) in wieder einfacheres Gelände und schliesslich zu Stand an BH auf kleiner Terrasse vor der nächsten, imposanten Steilwand.

L2, 45m, 5c: Laut der Literatur und rein in Bezug auf die klettertechnische Schwierigkeit zwar nicht die Crux, aber vermutlich die Schlüsselstelle der Route in Bezug auf das Hochkommen! Im SAC-Führer Alpstein (Ausgabe 2022) lapidar mit einer 4b bewertet, der Plaisir Ost (Ausgabe 2021) vergibt immerhin eine 5a. Mich dünkt beides klar zu tief, eine 5c ist dieser Abschnitt auf jeden Fall wert! Im Einzelnen: den BH 5m oberhalb vom Stand erreicht man einfacher linksherum. Dann geht es steil, abgespeckt und rampfig rechts durch die steile, fast kaminartige Verschneidung mit ihrem breiten Riss hinauf. Es stecken wenige BH, die Schwierigkeiten sind aber bei etwas unangenehmer Kletterei zwingend zu meistern. Nach ca. 20m legt sich das Terrain zurück. (Variante in diesem Abschnitt: links an breitem Riss durch die Wand, schlechter gesichert und schwieriger, 6a). Im einfacheren Gelände steigt man ohne fixe Absicherung geradeaus weiter und erreicht schliesslich einen geräumigen, flachen Platz. Stand entweder an Legföhren oder an 2 BH am Fusse des nächsten Aufschwungs (Hinweis: schwierige Kommunikation mit dem Seilzweiten).

Blick auf den letzten Teil des Zustiegs (orange) und die ersten beiden Seillängen der Kante.

L3, 45m, 4a: Vom BH-Stand nicht den sichtbaren Haken rechts an der Kante folgen (Variante 6a), sondern links in einfachem, gestuftem Gelände gerade hinauf klettern. Auf dieser Seillänge ist nur wenig fixe Absicherung vorhanden.

L4, 25m, 2a: Verbindungsstück über den hier einfachen, mehr oder weniger horizontalen Grat an den nächsten, steilen Aufschwung. Am Ende muss man noch etwas in eine erdige Rinne nach rechts absteigen. Die plattig-eindrückliche Variante (6a+) links am Turm ist die falsche Adresse.

L5, 40m, 5a: Die Route verläuft hier in griffig-steilem Gelände rechts der Verschneidung. Hier stecken wieder fixe Sicherungen, dies jedoch auch nicht allzu üppig. Man steigt schliesslich auf den wieder mehr oder weniger horizontalen Grat aus und folgt diesem noch ein Stück - her rechts unterhalb des Kamms halten.

L6, 30m, 2a: Einfacher Abschnitt dem mehr oder weniger horizontalen Grat entlang, auch hier eher rechts halten. Am besten bezieht man zwecks einfacherer Kommunikation in der Seilschaft nochmals Stand, bevor das Abkletterstück in die Scharte vor der Schlüsselstelle folgt. 

Ausblick von der Kante ins obere Toggenburg. Die Bergstation Gamplüt ist am unteren Bildrand in der linken Hälfte gerade sichtbar, ebenso wie die sehr markanten Churfirsten am Horizont. Landschaftlich ist die Kante ein sehr tolles Erlebnis!

L7, 20m, 3a: Nun folgt das vorher bereits erwähnte Abkletterstück in die Scharte. Das Abkletterstück ist wirklich unschwierig, allerdings steckt wenig bis nichts, der Seilzweite darf hier keinen Fehler machen! Hinweis: ab hier einzige und letzte, von mir nicht verifizierte Fluchtmöglichkeit durch 20m Abseilen an Muniring in die Schlucht und übersteigen des gegenüberliegenden Sattels.

L8, 20m, 5c+: Die nominelle Crux der Route - sie hat es freigeklettert durchaus in sich, aber hier stecken die BH so dicht, dass man problemlos in Klettersteigmanier A0 hochkommt. In freier Kletterei sind ein paar athletisch-weite Moves an guten Griffen nötig. Leider ist das Gestein per se eher unschön, zudem ist es auch noch extrem abgespeckt. Nein, das ist nicht das Prunkstück der Route!

L9, 20m, 4a: Auch wenn man dieses eher kurze Teilstück an die vorangehende Crux anhängen könnte, so ist es wenig empfehlenswert. Die Route verläuft hier eher nordseitig der Kante, wobei man sich nicht zu tief hinunter abdrängen lassen soll und mittig auf eine plattige Rampe emporsteigt (BH). Sonst steckt nur wenig fixes Material. Der Stand dann in einer Scharte.

L10, 40m, 4c: Schwieriger Auftakt aus der Scharte nach rechts hinaus, mässige Griffe und vor allem stark abgespeckte Tritte machen das Leben nicht einfach (BH, A0 möglich). Später bieten sich dann gute Legföhren als Griffmaterial an und die Route verläuft einfacher dem flachen Grat entlang.

Diesen Blick zum Moor mit seinen steilen Wänden gibt es vom Gipfel.

L11, 50m, 2c: Hier verläuft die Route nordseitig auf deutlich sichtbaren Wegspuren über ein Grasband. Fixe Absicherung ist keine vorhanden. Am Ende dieses Abschnitts ist die Routenführung dann nicht mehr so klar, da sich die Wegspuren auf dem grundsätzlich weiter begehbaren Grasband verlieren. Über leichten Fels kraxelt man der Nase nach zurück Richtung Grat zu Stand am Fuss des nächsten und letzten Aufschwungs.

L12, 40m, 4a: Nochmals steiler, aber griffig und insgesamt gut gestuft aufwärts, dann weiter in einfacherem Gelände dem Grat entlang zum letzten BH-Stand der Route. Die Absicherung unterwegs ist nur spärlich gehalten.

Ab diesem Punkt kann/muss man keine Seillängen mehr machen. Da das Gelände nicht mehr exponiert ist, kann man gut auf eine Seilsicherung verzichten. Etwas später erreicht man einen Punkt, der einen guten Überblick auf die Nordseite bietet und einen Abstieg in diese erlaubt. Hier kann man die Tour beenden und in 3x Abseilen nach Norden (18m, 18m, 22m) die Grashänge erreichen. Alternativ ca. 150m weiter über die mit Legföhren bestockte Kante, es dauert doch noch ein paar Minuten, bis man schliesslich das Gipfelbuch erreicht (Hinweis: das verlockende Grasband nordseitig unterhalb führt nicht zum Gipfel und ist nicht durchgehend begehbar!). Der Endpunkt des Aufstiegs ist zwar nicht der eigentliche Kulminationspunkt der Schafbergwand (P.1909), aber trotzdem ein logischer "Gipfel". 

Für den Abstieg heisst es zuerst, NE-seitig eine kurze Stufe abzukraxeln (8-10m, 2a, Abseilen an Einzel-BH möglich). Danach führt der einfachste Abstieg nach links (Westen) über ein schmaler werdendes Grasband mit Wegspuren, welches man ca. 40-50m verfolgt. An dessen Ende kann man an einem Muniring 15m abseilen, bei trockenen Verhältnissen lässt sich die Stelle auch gut abklettern (max. 3a). Achtung, im Plaisir Ost ist ein anderer Abstieg weiter östlich beschrieben - vermutlich geht der ja auch. Einmal auf den Grashängen unterhalb der Kante erreicht man in Kürze die Wegspur, welche via die Schäferhütte zurück nach Gamplüt und von dort nach Wildhaus führt. Hinweis: am Einstieg kommt man so nicht mehr vorbei. Das ist möglich, indem man sich auf ca. 1635m (85hm oberhalb der Schäferhütte, Kartenlink) nach links horizontal querend über eine Geröllhalde zu einer markanten Scharte (Kartenlink) hält und von dieser südseitig steil absteigt (T5, II, wenig empfehlenswert!).

Die Kante, mehr aus frontaler Perspektive vom Gamplüt gesehen.

Facts

Wildhauser Schafberg - Schafbergkante 5c+ (5a obl.) - 12 SL, 420m - ***;xx
Material: 1x50m-Seil, 10 Express, Schlingen, Cams 0.3-2 und/oder Keile

Imposante, landschaftlich schöne Route mit alpin angehauchter Kletterei. Es wartet ein Mix von schwierigen Steilaufschwüngen und einfacheren, flacheren Abschnitten am Grat. Es handelt sich dabei um keine typische Plaisirroute. Das Unternehmen stellt durchaus Ansprüche an die Wegfindung und das Seilhandling. Die fixe Absicherung ist in den einfacheren Abschnitten sehr spärlich. Hier muss man sicher klettern und zusätzlich mit Schlingen, Cams und/oder Keilen absichern. Zu bedenken ist auch, dass ein Übungsabbruch nur gerade über die beschriebene Fluchtmöglichkeit vor der nominellen Crux möglich ist. Der Zeitbedarf ist schwierig anzugeben: eine routinierte und diesem Gelände gewachsene Seilschaft wird kaum 3 Stunden benötigen. Wer in den an schönen Weekends üblichen Stau gerät und Schwierigkeiten mit der Kletterei, der spärlichen Absicherung und der Orientierung hat, wagt sich leicht auf ein tagesfüllendes Unternehmen - Helikopter-Rettungen von blockierten oder verspäteten Seilschaften sollen häufig vorkommen. Das in der Route vorhandene Material ist von guter Qualität. Das trifft jedoch nicht für die in den Topos beschriebenen Varianten zu. Dort stecken noch die alten Kronenbohrhaken von 1988, das Gelände sieht plattig-anspruchsvoll aus und lässt eine Unterbewertung der Schwierigkeiten vermuten - nichts für Gelegenheitskletterer, die sich sonst nur in der Halle oder im Garten einmal in eine 6a wagen. Topos zur Route findet man im SAC-Alpsteinführer von Werner Küng und im Plaisir Ost von Filidor.

Dienstag, 4. Oktober 2022

Exploring the Queyras!

Es kam nochmals ein Tag mit schönstem Bergwetter in unseren Ferien. Doch mit schon viel Bewegung in den Knochen und der Heimreise vor Augen liess sich niemand mehr für eine alpine Tour, eine MSL oder eine Sportklettersession in einem nicht nahe gelegenen Gebiet begeistern. Somit durfte ich alleine Auslauf geniessen, erst spät am Vorabend konnte ich jedoch zur Planung schreiten. Ein Mix zwischen Biketour, Trailrun und Kraxelei im Kessel von Saint-Véran (scheinbar dem höchstgelegenen, ganzjährig bewohnten Dorf in den Alpen) in den Queyras-Bergen entsprach ganz meinem Gusto. Aussichtsreich, mit Felskontakt und der Möglichkeit zu fünf 3000er-Gipfeln waren die entsprechenden Argumente dazu.

In der Bildmitte mein Hauptziel der Tour, die stolze Tête de Toillies (3175m). Rechts davon zwei weitere, auf dieser Tour von mir bestiegene Gipfel, erst die Petite Tête Noir (3039m), dann der Pic de la Farnéréta (3134m). Links an die Toillies schliessen sich der braune, namenlose P.2955 und ganz am Bildrand die Rocca Bianca (3059m) an.

So viel vorweg, an Möglichkeiten, die auch in meiner, hier beschriebenen Version schon lange und konditionell fordernde Tour noch heftiger zu machen gibt es ganz gewiss viele. Eine davon wäre es gewesen, gleich ab dem Camping mit dem Bike zu starten. Das hätte rund 80km und 800hm zusätzlich mit dem Bike bedeutet, was für meinen Fitnesszustand und die Kletterambitionen am Folgetag doch etwas heftig gewesen wäre. Schliesslich warteten auch mit der automobilen Anreise noch total ~2500hm und viel zurückzulegende Distanz auf dem Programm. 

Auf der Anfahrt per Bike, hier auf dem Abschnitt zwischen Saint-Véran zur Chapelle de Clausis. Das Hauptziel meiner Tour, die Tête de Toillies (3175m), ist zwar noch weit weg, aber im Bildzentrum bereits prominent sichtbar.

Um 10.30 Uhr startete ich in Ville Vieille von Château Queyras (1380m) mit dem Bike. Zuerst hiess es, zur Chapelle de Clausis (2340m), dem Ausgangspunkt meiner Rundtour zu kommen. Dies wäre komplett über Trails machbar. Um Kraft zu sparen, hielt ich mich aber an die Strassen und fuhr via Molines-en-Queyras und Saint-Véran (bis da asphaltiert, danach Schotterstrasse). Bei der Kapelle deponierte ich mein Gefährt (11.50 Uhr) und ging per Pedes weiter. Es wäre zwar problemlos möglich, noch bis zum Refuge de la Blanche (2500m) zu fahren, was mir aber im Kontext der ganzen Rundtour weniger ökonomisch erschien.

Nun bereits etwas oberhalb vom Refuge de la Blanche (2500m), von hier wirkt die Tête de Toillies (3175m) mit ihrer Nordwand klotzig und unnahbar. Links im Profil der NE-Grat (6a), welcher die schwierigste (mir bekannte) Route am Berg darstellt. Von hier aus gesehen auf der Rückseite gelangt man einfacher zum Top.

Zu Fuss ging es weiter, die Muskeln waren bald auf die neue Art der Fortbewegung adaptiert. So gelangte ich zügig zum Col de la Noire (2955m, 12.50 Uhr), der einen Übergang in das von uns auch schon besuchte, paradiesische Vallon d'Ubaye erlaubt und den Beginn von meinem "Gang über die Krete" markierte, welcher ich im Gegenuhrzeigersinn folgen wollte. Den vom Übergang nahe gelegenen Gipfel des Pic de la Farnéréta (3134m) wollte ich aber noch mitnehmen, auch wenn ich dafür in die falsche Richtung Hin-und-Zurück gehen musste. Es gibt ganz leidliche Wegspuren, die Hände braucht man höchstens ganz kurz (T4, 13.15 Uhr). 

Blick vom Col de la Noire (2955m) in Richtung Ubaye-Tal. Wer genau weiss wo, erkennt auf dem Bild ziemlich klein und unscheinbar die Aiguille Pierre-André, auf welche wir 2 Jahre zuvor eine grandiose Klettertour gemacht hatten. Dieses vernetzen von Karte, Landschaft und persönlichen Erlebnissen ist etwas, was mir grandios Spass macht.

Bald einmal war ich zurück auf dem Col de la Noire und ging nun weiter auf meiner Rundtour. Obwohl kein offizieller Weg markiert ist, gibt es im Schutt eine ganz passable Wegspur, welche hinüber in Richtung der stolzen Tête des Toillies führt. Mit einer Extraschlaufe lässt sich auch noch der Gipfel der Petite Tête Noire (3039m, 13.40 Uhr) mitnehmen, worauf ich natürlich nicht verzichten wollte. Dieser ist komplett unschwierig zu erreichen (T3). Wegspuren sind zwar nur unmerkliche vorhanden, aber das schuttige Gelände ist trotzdem gut und wenig beschwerlich zu begehen. 

Blick vom Pic de la Farnéréta (3134m) auf die schuttige Petite Tête Noire (3039m) in der rechten Bildhälfte, mit dem gut sichtbaren Pfad durch ihre Nordflanke. Ihren Gipfel mitzunehmen erscheint aus dieser Perspektive schuttig und mühsam, entpuppte sich aber als weniger beschwerlich wie befürchtet. In Bildmitte die Tête de Toillies (3175m) mit ihrer "einfachsten Seite", der Westflanke. In der linken Bildhälfte sieht man auch meinen Weiterweg mit der Rocca Bianca (3063m).

Der Abstieg führt auf eine schöne Ebene auf ~2965m hinunter, bevor der Anstieg zum Fuss meines hauptsächlichen Ziels, der Tête des Toillies (3175m) beginnt. Dieser prominente Gipfel wirkt von jeder Seite unnahbar und ist tatsächlich von keiner Seite unschwierig zu erreichen. Am mühelosesten geht dies noch über die Westflanke, doch selbst da ist Kraxelei (T5, mit Stellen III) nötig. Auf C2C sind mehrere 'Normalwege' durch diese Flanke beschrieben, wobei man sich darum aber nicht extrem kümmern muss. Es spielt nämlich auch keine grosse Rolle, wo man entlang geht, der alpinen Spürnase nach kommt es sicher gut.

Ähnliche Perspektive wie im vorangehenden Bild (auch die zugehörigen Erklärungen von oben passen). Hier ist gleich hinter der Tête de Toillies auch noch der stolze Gipfel des Monviso (3841m) sichtbar, welchem man auch einmal einen Besuch abstatten müsste...

Noch direkter auf der Linie meiner Talumrundung lag allerdings nicht dieser Normalweg, sondern der SW-Grat. Dieser ist auf C2C jedoch als eigentliche Kletterroute beschrieben (4c, gebohrte Standplätze und Zwischensicherungen) und definitiv kein Turnschuhgelände mehr. Da aber offensichtliche Fluchtmöglichkeiten vom Grat in die Westflanke bestanden, wollte ich es mir einmal genau anschauen und montierte die dafür mitgebrachten Kletterfinken. Erst geht's wenig exponiert über Aufschwünge dahin, dann folgt eine kurz mal etwas glatte Platte (L5, 4c), bevor es luftig aber super-henklig über 2 Dächer geht (L6, 4c) und man linkshaltend an einem griffigen Riss (L7, 4c) den Ausstieg erreicht. In 20 Minuten war die Sache erledigt, ich wechselte zurück zu den Turnschuhen und ging das kurze Stück hinauf zum Gipfel (3175m, 14.30 Uhr), wo ich gerade ein französisches Paar überraschte, welches über den NE-Grat aufgestiegen war.

Bottom-Up-Perspektive vom oberen Teil des SW-Grats an der Tête de Toillies (3175m). Von hier sieht das sehr imposant und wohl eher noch schwieriger wie die 4c aus, mit welcher dieser Aufstieg bewertet ist?!? Allerdings löst sich alles prima auf und ist mehr Scrambling als echte Kletterei.

Genau dieser NE-Grat wäre die logische Fortsetzung meiner Rundtour gewesen. Da mit 6a bewertet, war dies natürlich nicht der richtige Weg für den Abstieg (wenn man ihn einbauen möchte, so geht man die Rundtour bevorzugt im Gegenrichtung an, was mir für eine Solotour aber zu heftig schien). Somit bin ich also über die Westflanke (T5, Stellen III) abgestiegen - auf welcher Route kann ich nicht wirklich sagen, eben einfach der alpinen Spürnase entlang. Es gab auch da einige Bohrhaken, welche man zur Sicherung bei den kraxligeren Stellen benutzen könnte, doch für versierte Alpinwanderer ist das wirklich überhaupt nicht nötig. 

Blick auf die Westflanke der Tête de Toillies (3175m), welcher aus dieser Froschperspektive flach und verkürzt aussieht. Abgestiegen bin ich +/- in Bildmitte (T5, III). Mein Aufstiegsweg über den SW-Grat ist hier sehr gut im Profil in der rechten Bildhälfte sichtbar.

Um etwa 14.50 Uhr war ich zurück im Sattel bei P.3088, wo ich meinen Aufstieg über den SW-Grat gestartet hatte. Ich hatte keine Beschreibung gefunden, wie ich ab hier die Rundtour fortsetzen könnte. Aufgrund der (mässig genauen, französischen) IGN-Karte dachte ich mir aber, dass es mit einem kleineren oder grösseren Umweg schon möglich sein musste. Vor Ort war es dann sogar noch einfacher als vermutet. Durch ein mergelig-loses Couloir konnte ich direkt von der Lücke ostseitig absteigen (T4) und so den Fuss der imposanten Ostwand der Tête de Toillies queren. Jenseitig gelangte ich wieder auf den Grat, den ich auf schwachen Wegspuren in angeregter Kraxelei über den namenlosen Gipfel des P.2959 bis zum Col Blanchet (2897m, 15.20 Uhr) verfolgte.

Rückblick zur Tête de Toillies (3175m) mit ihrer Nordseite, durch welche mittig die Route über den aus dieser Perspektive wenig markanten NE-Grat (6a) führt. Ich war von hier aus gesehen quasi "auf der Rückseite" auf- und abgestiegen, war dann am Fuss der Ostwand (hier links) über die Geröllfelder zurück zum Grat gequert. In der rechten unteren Bildhälfte sieht man den namenlosen Gipfel von P.2959, wer genau hinschaut erkennt 2 italienische Berggänger im Abstieg von diesem.

Da begann der Anstieg zum nächsten 3000er-Gipfel. Unschwierig geht's vorerst dem breiten Grat entlang. Weiter oben wird das Gelände direkt am Grat dann felsig, in schöner, eleganter Turnerei im dritten Grad erreichte ich den Gipfel der Rocca Bianca (3059m, 15.35 Uhr). Wie einfach dieser Punkt zu erreichen ist, da bin ich mir im Nachhinein gar nicht sicher, nahm ich doch auch im Abstieg einen Weg, welcher die Nutzung meiner Greifwerkzeuge zwingend erforderte (T5, II). Es sei erwähnt, dass auf diesen Gipfel auch mehrere MSL-Kletterrouten führen. 

Ausblick auf den letzten Abschnitt zur Rocca Bianca (3059m). Ich bin hier direkt am Grat geblieben, was zum Schluss anregende Kletterei erfordert. Links herum ausweichend geht es bestimmt einfacher, aber ob es ganz ohne Einsatz der Hände geht?!? Ich bin mir auch im Nachhinein nicht sicher...

Weiter ging es spannend, auf etwas verschlungenen Pfaden mit vielen interessanten Gesteinswechseln. Ein kurzer Abstecher führte zum markanten Kreuz auf der NE-Schulter der Rocca Bianca (3015m, 15.45 Uhr), der aber nur wenig selbständig ist und kaum als Gipfel gezählt werden kann. Vermutlich ist er aber aus dem Tal von Pontechianale prominent sichtbar. Inzwischen drückten von dieser italienischen (Lee-)Seite her Nebelschwaden gegen den Grat hoch, während die Luft in Frankreich (Luv) immer rein blieb, was für entsprechend mystische Stimmung sorgte. 

Gipfelkreuz auf der NE-Schulter der Rocca Bianca (3015m).

Der weitere Abstieg führte mich zum Col de Saint-Véran (2843m, 16.05 Uhr), von welchem auch eine bequeme Rückkehr zum Bike möglich gewesen wäre. Auch wenn ich meine Beine langsam spürte und meine Getränkevorräte erschöpft waren, wollte ich doch wie geplant noch den doppelgipfligen Pic de Caramantran (3025m) überschreiten. Um 16.25 Uhr war das geschafft und ich mir Gewiss, dass es nur noch (vorwiegend) abwärts gehen würde. 

Ausblick von der NE-Schulter der Rocca Bianca (3015m) zum Pic de Caramantran (3025m), auf welcher vom Col de Saint-Véran (2843m) ein guter Weg führt, der nur 200hm an Konditions-Fleissarbeit erforderte.
Rückblick vom Pic de Caramantran (3025m) auf den Col de Saint-Véran (2843m, unten), die NE-Schulter (3015m) und den Gipfel (3059m) der Rocca Bianca (links, umwölkt), den stolzen Zahn der Tête de Toillies (3175m, Bildmitte). Rechts von dieser dann die Petite Tête Noire (3039m) und der Pic de la Farnéréta (3134m). Ganz am rechten Bildrand wäre noch die Tête de Longet (3146m), welche ich aber nicht bestiegen habe.

Um 17.15 Uhr war ich retour bei der Chapelle de Clauzis und konnte auf's Bike steigen. Mein Downhill erfolgte über Trails und Schotterwege, wobei man sich stets links vom Fluss hält - einfach genial. Man erreicht so den Pont du Moulin unterhalb von Saint-Véran, doch auch hier kann man weiter den Trails folgen, bis man bei Molines-en-Queyras auf die Strasse gelangt. Eigentlich könnte man diese gleich wieder verlassen, um beim Pont des Achins auf den GR zu wechseln, welchem man 'trailend' bis nach Ville Vieille folgen könnte. Da nochmals etwas Aufstieg drohte und ich rechtzeitig für den Znacht und ein Bad im See zurück bei der Familie sein wollte, liess ich diesen Abschnitt aus und rollte der Strasse entlang talwärts um meine Runde schliesslich bald darauf hoch zufrieden und reichlich müde zu beschliessen.

Alternativen

Natürlich gibt es zur hier beschriebenen Tour auch Verbesserungs- und Verlängerungsmöglichkeiten. Eine davon wäre es, im Uhrzeigersinn zu gehen. So lässt sich mit dem NE-Grat (6a) der Tête de Toillies die Kingline im Gebiet mitnehmen und man kann sich konsequenter an die Krete halten. Das erfordert dann aber wohl, in Seilschaft zu gehen und eine komplette Kletterausrüstung mitzunehmen. Ebenso lässt sich die Tour beliebig verlängern. Auf der südlichen Talseite könnte man vom Pont du Moulin zum Col des Estronques gehen, womit vor dem Pic de la Farnéréta nochmals 9 Gipfel, viele Kilometer und manch ein Höhenmeter dazukämen. Auch auf der nördlichen Krete kann man die Tour weit ausdehnen, je nach Zählweise liegen auch da 7-8 zusätzliche Tops bis zum Pic de Château Renard und mit dem Rouchon sogar noch ein (fakultativer) Klettergipfel drin. Wer packt diesen Grand Raid an und berichtet mir davon?!?