An einem genial schönen Wochenende zum Ende der Sommerferien 2019 hatten wir erst die Nanouk und dann die Braveheart geklettert. Verzaubert vom Bündner Matterhorn, der einsamen, wunderschönen Umgebung und der Kletterei über Risse und Platten in vorzüglichem, orangem Gneis schweiften meine Blicke über die Wand. Verschneidungen, Kanten, Pfeiler, alles reihte sich aneinander. Ja, da war die Gelegenheit für eine Neutour vorhanden. Die Verlockung war so gross, dass ich am liebsten gleich unmittelbar nach dem Abseilen wieder in die Wand eingestiegen wäre. Das war natürlich utopisch, somit war erst eine Woche an Geduld gefragt, bevor es am darauf folgenden Samstag (24.8.2019) losgehen konnte. Entstanden ist schliesslich eine tolle Route mit typischer Zervreila-Kletterei, die im Semi-Trad-Style (nicht absicherbare, plattige Passagen und Stände gut eingebohrt, die Risspassagen clean) konzipiert ist.
Die fantastische SE-Wand des Zervreilahorns mit der Maverik und den Zustiegen (normal von rechts, alternativ direkt).
Erstbegehung
Um den Tag auch wirklich gütlich nutzen zu können, brachen wir bereits um 5.00 Uhr in der Früh von Zervreila auf. Mit 3 Sätzen Cams, 60 Bohrhaken und vielen weiteren Gegenständen schwer bepackt ging's hinauf ans Zervreilahorn zum Einstieg, wo wir bereits um 7.00 Uhr loslegen konnten. Wir kamen zügig voran: der Schwierigkeitsgrad der am Horn üblichen Mischung von Wandstellen und Rissverschneidungen war meist im Bereich 6b, die Linie ergab sich von selbst und dank vielen Möglichkeiten für zuverlässige mobile Sicherungen konnte die Bohrmaschine meist stumm bleiben. Insgesamt weist die Route auf 9 Seillängen nur 18 gebohrte Zwischensicherungen auf, macht im Schnitt genau 2 Stück pro Länge. Trotzdem, der extrem harte Gneis forderte unseren Bohrer, so dass am Ende nicht nur wir, sondern auch die Akkus erschöpft waren und das Setzen der Bolts zur Geduldsprobe wurde. Doch nachdem sich die letzten 2.5 Seillängen clean klettern liessen, erreichten wir um 20.00 Uhr abends nach 13 Stunden Kletterei doch noch überglücklich und hochzufrieden den Klettergipfel des Zervreilahorns. Nach Hause ins Bett war's allerdings noch ein weiter Weg, nach 22 Stunden auf den Beinen konnte ich mich schliesslich in die Federn legen. Ja, durchaus ein wenig eine verrückte Aktion, aber ein Tag der für immer in Erinnerung bleiben wird.
Der Startschuss zu unserem Projekt, just in time mit dem Sonnenaufgang!
Selbstverständlich wollten wir die Route auch Rotpunkt klettern, sowieso mussten wir auch noch einige Verbesserungen vornehmen, insbesondere die Standplätze hatten wir anlässlich der Erstbegehung um Zeit und Wattstunden zu sparen erst sehr spartanisch eingerichtet. Vier Wochen nach der Erstbegehung (21.9.2019) war es schliesslich soweit, angenehmes Wetter und die Verfügbarkeit von beiden Seilpartnern liessen den Ausflug zu. Mit grossem Genuss und Begeisterung konnten wir unsere Linie erfolgreich Punkten und alle Arbeiten abschliessen. Einzig die zweite Seillänge erforderte dabei ein "genaues Hinschauen". Damals, beim Einbohren und mit dem üblichen Pausieren am frisch gesetzten Zwischenhaken war die linke Kante an der fraglichen Stelle rasch erreicht. Doch würde es auch ohne diesen Zwischenhalt gehen? Ja, und wie - mit einem fantastischen New-School-Move konnten wir das Problem lösen. Jeder der behauptet, die modernen Boulder an den Wettkämpfen hätten nichts mit realem Klettern zu tun, der sollte einmal diese Stelle probieren!
Anreise und Zustieg
Per Auto oder öV auf kurvenreicher Strasse von Chur via Ilanz nach Vals und weiter nach Zervreila zum Parkplatz bei der Kapelle (P.1984). Nun der mit Fahrverbot für Motorfahrzeuge belegten Schotterstrasse entlang ca. 2.7km zum Beginn des Wanderwegs nach Furggelti, dabei vernichtet man rund 130 Höhenmeter. Es ist sehr empfehlenswert, für diesen Abschnitt ein Bike zu verwenden. Die Zeitersparnis auf dem Hinweg beträgt ca. 30 Minuten, auf dem Rückweg ca. 15-20 Minuten. Dann zu Fuss dem Wanderweg entlang bis zu dieser Stelle auf ca. 2240m (Steinhaufen, Eisenstange mit weiss-rot-weisser Markierung), wo man diesen nach rechts verlässt.
Der Zustieg ist für sich alleine schon ein Erlebnis, die Gegend ist wunderschön!
Die Pfadspur zum Zervreilahorn ist ganz am Anfang nicht sehr ausgeprägt, wird aber bald deutlicher. Sie verläuft später am Fuss des markanten, diagonal verlaufenden Felsbands - im Zweifel einfach in diese Richtung gehen. Man erreicht schliesslich den flachen Boden (Biwakplatz) auf ca. 2420m und wenig später übers Geröllfeld den Fuss der Wand. Von dort auf Pfadspur links aufwärts und über den Graskegel zur Kraxelstelle, die aufs grasige Einstiegsband leitet. Auf diesem noch ca. 200m nach links, man passiert dabei die Einstiege von Medea, Nanouk und Braveheart. Ca. 25m links der letzteren befindet sich der angeschriebene Einstieg auf ca. 2550m, ein kurzes Fixseil erleichtert die letzten Meter. Alternativ und einen Tick schneller kann man auch unterhalb der Wand gut begehbar übers Geröllfeld queren und erst hinten über die Stufe direkt zum Einstieg der Braveheart hinauf (Fixseil vorhanden). Unser totaler Zeitbedarf von der Kapelle bis zum Start der Route belief sich am Tag der Rotpunktbegehung (mit Bike, zügiges Gehen, inkl. der Bohrausrüstung fürs Nachbessern im Gepäck) auf 1:15 Stunden. In der Literatur steht 2:30h, man kalkuliere also selbst.
Hier geht's los! Der Einstieg befindet sich 25m links der Braveheart und führt direkt oberhalb vom BH in gerade Linie an das System mit Schuppen und Verschneidungen. Die mit BH abgesicherte Linie, welche über die Platte nach links zieht, ist die Holy Smoke. Man lasse sich also nicht in falsche Versuchung bringen...
L1, 6b, 30m: Achtung, vom Einstiegsband startet nicht nur die Maverik, sondern auch die Holy Smoke, welches mit mehreren BH gesichert nach links über die Platte zieht, während die Maverik gerade hinauf an die Schuppe und später Verschneidung führt. Direkt über den Einstiegsbohrhaken folgt in der Maverik eine plattige Stelle um wach zu werden, bevor man die griffige Schuppe in die Finger kriegt und dieser folgt. Nach einem Absatz geht's los: erst den Riss geschickt nutzen, dann in kräftigen Piaz wechseln um das Dächli athletisch zu überwinden. Über zwei Stufen hinweg gelangt man zum Stand.
In L1 (6b) der Maverik. Kurze Platte, dann griffige Schuppen und eine Piazverschneidung mit Dächli.
L2, 6c 1pa oder 7a, 30m: Schon der Gegendruck-Start aus dem Stand raus hat es in sich. Gute Beinarbeit, etwas Fingerkraft und Vertrauen in die Füsse sind nötig, damit das Scheunentor nicht aufgeht! Dank griffigen Leisten kommt man anschliessend besser zur Cruxzone voran. Dort erst an der feinen, diagonal verlaufenden Rissspur aufwärts, doch irgendwann ist fertig. Man finde die richtige Strategie, um an die offensichtliche Kante links zu gelangen! Ganz einfach geht das mit einem kurzen Pendelquergang am BH (das wäre dann 6c 1pa), doch auch in freier Kletterei ist es möglich. Wir haben uns dafür an einigen Tricks aus der New-School-Boulderszene bedient. Das macht die Stelle unglaublich schwierig zu bewerten. Schlussendlich denken wir aber, dass der Move mehr Kopfsache und knifflig als echt schwierig ist, ja für Spezialisten dieses Genres möglicherweise sogar "einfach". Somit werfen wir eine 7a dafür aus. Gewiss ist da nur eines - der das ganze Valsertal füllende Jauchzer, wenn der Move gelingt!
In L2 (7a oder 6c 1pa) wartet plattige Wandkletterei mit einem kniffligen Bouldermove.
L3, 6b+, 30m: An der Kante der grossen, abgespaltenen Schuppe geht's in die Höhe. Wer gerade Musse hat, könnte sich auch in Rampftechnik durch den Offwidth-Spalt kämpfen ;-) Steht man einmal auf der Schuppe, so geht's ganz logisch nach links und hinauf, bis einen der Crux-BH in die Wand lockt. Eigentlich hat's gute Tritte, nur haben diese nicht unbedingt die korrekte Ausrichtung. Somit ist Vorstellungsvermögen und Bewegungssubilität gefragt, um den kniffligen Move zu bezwingen, New-School-Dynamik ginge wohl auch. Es folgen Rissspuren mit einer nochmals etwas kniffligen Stelle (0.2er-Cam zwingend) zum Stand.
Super Kletterei auch in L3 (6b+). Es hat mehr (nach rechts offene, auf dem Bild nicht sichtbare) Struktur, wie man denkt!
L4, 6b, 25m: Es wartet eine kaminartige Verschneidung bzw. Schuppe, die mit kreativen Techniken erklettert sein will. Mal so und mal anders geht's am besten, zwischendurch hilft aber echt ein kurzer "Squeeze" am besten und es lässt sich alles mobil absichern. Oben dann steil, ja sogar überhängend, supercool! Zuletzt, nach dem BH, geht's dann nicht rechts in die Verschneidung, sondern - an sich der logische Weg - an die Kante und um diese herum.
Die kaminartige Verschneidung bzw. Schuppe in L4 (6b) erfordert vielfältige Techniken!
L5, 6b+, 30m: Absolut fabelhafte Risskletterei an einem perfekt gefrästen Finger Splitter. Unten gibt's einige Verbreiterungen, wo man etwas grösseres Gear platzieren kann, für die erste Crux mit Fingerklemmern und Toe Jams passt dann allerdings nur der 0.3er optimal. Der einfachste Weg führt dann an die Kante und über ein griffiges Dächli, bevor die zweite Episode am Fingerriss folgt. Auch hier sehr schön mit zwingenden Klemmern über die Crux, erneut passt der 0.3er optimal. Auf dem folgenden Podest ist die Seillänge noch nicht zu Ende. In cooler 3d-Kletterei geht's die steile Verschneidung hinauf, der Ausstieg zuletzt erfolgt nach rechts.
Hervorragende Trad-Kletterei wartet in L5 (6b+) mit perfekt gefrästen Finger Cracks und einer Verschneidung am Ende.
L6, 6a+, 30m: Ein gemütliches Zwischenstück mit schöner Wandkletterei führt einen an den Fuss der nächsten, orangen Steilwand. Zwei kniffligere Stellen sind mit je einem BH gesichert, der Rest lässt sich auch hier prima mobil absichern. Ein weiteres Highlight ist dann der Stand auf dem perfekten, topfebenen Bivy-Ledge. Ein prima Platz für eine Pause und um seinen Blick schweifen zu lassen!
Prima Wandkletterei, die man jedoch auch vorwiegend mobil absichern kann wartet in L6 (6a+).
L7, 6c, 35m: Angezogen hat uns auf dieser Seillänge natürlich die markante Schuppe. Doch leider ist sie am Rand dermassen dünn und hohl tönend, dass wir schlussendlich die Finger davon gelassen haben und es auch wenig empfehlenswert scheint, mobile Sicherungen daran zu legen. Das ist nicht weiter störend, weil man unmittelbar rechts in der Wand an Leisten super schön und sogar eher einfacher klettern kann (dafür war halt ein zusätzlicher BH nötig). Bald folgt eine schwierige Wandstelle an einer kniffligen Seitgriffkante. Nein, hier liegt nicht etwa die Bewertung von 6c daneben! Es geht wirklich in diesem Grad, wenn man die Lösung findet. Doch damit nicht genug. Die danach ansetzende, steile Rissverschneidung mit genialem Dächli ist echt super zu klettern und komplett mobil zu sichern.
Ausblick auf L7 (6c), die griffigen Schuppen laden zum Klettern ein!
L8, 6a+, 30m: Über eine Doppelstufe geht's zum markanten Splitter Crack in Faustgrösse. Dieser hat uns bereits bei der Begehung der Braveheart so herzlich aus der Ferne angelacht, dass wir ihn so gut wie zwingend in die Route einbauen mussten. Auch wirklich super zu klettern, nur etwas länger dürfte er noch sein! Anschliessend der Kante entlang auf die liegende Platte, welche entlang von weiteren, breiten Rissen überquert wird.
Über zwei Stufen geht's in L8 (6a+) zum perfekten Faustriss - genial!
L9, 5c, 25m: Gleich oberhalb in der gelben Wand warten ein paar wunderschöne Risse mit genialer Felsstruktur, eine echte Plaisir-Clean-Kletterei. Zuletzt führt der logische Weg nach rechts und mangels weiterem Akkustrom blieb uns bei der Erstbegehung gar nichts anderes übrig, wie zum Abschlussstand der Braveheart zu zielen. Im Zuge der Rotpunktbegehung hätten wir zwar einen eigenen Schlusstand ein paar Meter weiter links setzen können, was uns jedoch schliesslich als unnötige Hakenverschwendung und Zervreilahorn-Perforierung vorgekommen wäre. Somit endet die Maverik am selben Ort wie die Braveheart. Es lässt sich an diesem Punkt auch ideal aufs Gipfelplateau aussteigen, ebenso haben wir das Wandbuch dort platziert (Configlas in der Nische, unverfehlbar).
Zum Schluss wartet noch cleane Plaisir-Risse (L9, 5c). Die Braveheart führt gratartig über die angelehnten Blöcke zu gemeinsamen Endpunkt.
Abseilen
Erfolgt am besten und einfachsten gleich über die Route selber. Es sind 5 Manöver, die nötigen Standplätze (9-7-5-3-2) sind ausgerüstet. Auf den ersten beiden Strecken werden die 2x50m-Seile jeweils gut ausgenutzt, aber es reicht. Alternativ könnte man auf dem Gipfelplateau auch wenig absteigen und die Piste über die Fahnenroute verwenden. Mit 2x50m sind aber auch dort 5 Abseiler nötig und besser/effizienter ist diese Variante nicht. Somit macht's also wenig Sinn bzw. lohnt sich höchstens für einen Einblick in jene Route und die grosse Abschlussplatte, bzw. für jene, die nur mit einem Einfachseil angerückt sind (dann 10x22m abseilen).
Material
Absolut unverzichtbar ein Satz Cams der Grössen 0.2-3. Wer so legt wie im Topo empfohlen und die mobilen Sicherungen nicht üppiger platziert wie man es bei Bohrhaken tun würde, kommt damit gerade knapp aus. Wenn man ein bisschen grosszügiger und weniger taktisch legen möchte, so kann sich ein zweites Set Cams der Grössen 0.3-0.75 als durchaus sehr nützlich zeigen. Allenfalls könnte man auch einen Satz Keile der entsprechenden Grössen mitführen, was uns jedoch als deutlich weniger praktisch erscheint. Als eher optional darf man das doppelte Mitführen der Cam-Grössen 1-3 bezeichnen, es ist jedoch durchaus möglich, auch diese sinnvoll an den Fels zu bringen. An Seilen sind 2x50m nötig, mit einem Einfachseil müsste man die Abseilpiste über die Fahnenroute (10x22m) nutzen. Mit 8 Exen (wovon 4 verlängerbare Alpine Draws) sollte man gut durchkommen, wenn man dort wo durch geraden Seilverlauf möglich/sinnvoll die Cams direkt und ohne Exe klippt. Risshandschuhe sind insgesamt eher optional, es gibt neben dem Fist Splitter in L8 nur wenige Stellen, wo ein Jamming mit dem Handrücken zum Einsatz kommt.
Da kann man nur noch sagen, let's go und viel Spass! Das Bild aus L1 (6b).
Topo
Hier unten als Bild, für die beste Qualität empfiehlt sich ein Download als PDF! Artwork by Viktor, vielen herzlichen Dank! Nach Abschluss unserer Neutouren-Trilogie gibt's ebenfalls eine Gesamtdokumentation mit allen Topos, Wandfotos und Routenbeschrieben.
Die Gletschersinfonie (25 SL, 6c+) ist sicher die bekannteste und vielleicht auch die beste Tour in der SE-Wand des Klein Wellhorn. In einer einmaligen Gebirgsszenerie klettert man hier in meist perfekt rauem Kalk über Platten und steilere Wände einem isolierten Gipfel entgegen. Es ist eine Tour, die nach ganz oben auf die Wunschliste eines jeden Kletterers gehört. Lange Jahre habe ich auf den richtigen Moment gewartet, um hier einmal anzugreifen. Nun war der Tag X gekommen, das lange Warten wurde mit perfekten Bedingungen, passender Form und einer kompletten Onsight/Flash-Begehung belohnt. Das Klettern hat ja viele Facetten und bietet manch tolles Erlebnis, vom Erfolg am Boulder-Wettkampf über das Klippen des Umlenkers in einem Langzeit-Sportkletterprojekt, dem erfolgreichen Einbohren von Neutouren bis zu epischen Gipfelerlebnissen
im Hochgebirge. Aber durch solch grosse und abweisende Wände wie am Wellhorn zu steigen, den ganzen Tag über mit unzähligen Challenges konfontiert zu werden und am Ende alle erfolgreich geknackt zu haben ist für mich wirklich das 1a im Klettersport. In diesem Sinne sicher einer der besten Klettertage meiner 32-jährigen "Karriere".
Szenerie, Timing und Form passen - nichts wie los in die Gletschersinfonie am Klein Wellhorn!
Da uns ein mit Sicherheit gewitterfreier Tag zur Verfügung steht (nur dann macht es Sinn, in die Gletschersinfonie einzusteigen!) und die Juni-Tage lang sind, wollen wir nicht allzu früh und erst mit der Sonne einsteigen. Frühmorgens weht am Wellhorn nach klaren Nächten nämlich meist ein schneidig-kalter Abwind vom Gletscher her, der einen die ersten Seillängen schlotternd und wenig genussreich absolvieren lassen würde. Meine Berechnungen zeigen, dass der Einstieg in der zweiten Junihälfte ab ca. 7.45 Uhr besonnt wird - in der Tat ist es dann sogar noch eine Viertelstunde früher. Es sei an dieser Stelle erwähnt, dass die Sonne Mitte August schon deutlich länger (ca. 1h) hat, um über den Grat des Gstellihorns zu steigen. Somit heisst es trotzdem früh aufstehen, um 4.15 Uhr schellt daheim der Wecker, so dass wir um 6.45 Uhr beim Parkplatz der Gletscherschlucht loslaufen können. Die Parkgebühr für das Gebiet beträgt 8 CHF und muss zuvor am Automat einige Kilometer weiter unten an der Strasse berappt werden (auch mit elektronischen Zahlungsmitteln möglich).
Von unterhalb der Wand lässt sich nicht die gesamte Route einsehen. Doch immerhin ist auf diesem Shot der Beginn in der Nische am Ende der orangen Linie klar markiert. Die ersten paar Seillängen am ersten Aufschwung sind dann klar einsehbar und mit Schwierigkeitsgraden versehen. Im zweiten Drittel liess sich die Linie immerhin noch einzeichnen, die Schlusswand ist hingegen auf diesem Foto nicht sichtbar.
Die Gletschersinfonie ist bereits meine fünfte Wellhorn-Route, so ist mir der Zustieg bestens bekannt. Effizient macht man hier Höhe, so dass wir für die 750hm gerade 1:00h brauchen. Es sei erwähnt, dass der Einstieg für Ortsunkundige ohne gutes Wandfoto gar nicht mal so einfach zu finden ist. Ein paar Tipps: er befindet sich erst "weit hinten", nachdem man ein gutes Stück der augenscheinlich schon kletterbaren Wand gefolgt ist. Die ominöse Nische, wo die Tour wirklich startet liegt heutzutage ca. 30m über dem flachen Terrain am Wandfuss und muss kraxelnd im 2./3. Grad über eine von rechts unten nach links oben verlaufende Rampe erreicht werden (zur Zeit der Erstbegehung war da noch der Gletscher!). Eine Anschrift gibt es zwar, aber sie ist inzwischen so verblasst, dass sie erst aus unmittelbarer Nähe erkennbar ist. Nachdem wir uns verpflegt, vorbereitet und ausgiebig mit Sonnencrème beschmiert hatten, ging es kurz behost um 8.15 Uhr los mit der Kletterei.
Hier geht's los, 30m über dem Wandfuss etwas splittrig steil aus der Nische raus - ohne Sicherung!
L1, 35m, 5c: Am Einstieg, d.h. in der Nische selber steckt leider kein Haken mehr, dieser wurde im Zuge der Sanierung ein paar Meter nach oben versetzt. So klettert man ungesichert gleich steil und etwas splittrig rechts aus der Nische raus - höchste Vorsicht, ein Sturz wäre da für beide in der Seilschaft potenziell tödlich (besser erst ab Erreichen des ersten BH sichern, so erwischt es wenigstens nur einen...). Die Moves über den ersten Haken dann für den banalen Grad gar nicht einfach, zudem auch das erste, aber längst nicht das letzte Mal mit der Frage "links oder rechts?!?" verknüpft. In der Folge geht's dann deutlich moderater voran, es stecken total 5 BH, womit auch die Absicherung gut ist. Im oberen Teil der Seillänge verläuft die Route gemeinsam mit der Miracolo, was allenfalls für Verwirrung sorgen könnte.
L2, 15m, 6a+: Weil 35m+15m=50m könnte man versucht sein, auf dem ersten Streich gleich zwei Felder vorzurücken. Diese Strategie funktioniert! Vom ersten Stand geht's deutlich nach rechts hinaus in die steile Wand, um die Längen zu verbinden darf man den Stand nicht klippen oder muss ihn beim bald folgenden, ersten Zwischenbolt wieder aushängen. Die Steilstufe fordert, es gilt einige sloprige Löcher zu bedienen, gar nicht mal so easy! Bald darauf erreicht man gredig obsi in einfacherem Gelände den Stand.
Schöne Kletterei am Ende von L2 (6a+).
L3, 45m, 6c: Nach dem Aufwärmen folgt hier gleich eine der nominell schwierigsten Sequenzen. Sie beginnt mit einer kniffligen Plattenquerung aus dem Stand raus, bevor es über einen feingriffigen Abschnitt schleichermässig unter den markanten Dachriegel raufgeht. Nach ein paar Leistenzügen verwendet man griffige Querfugen, um unter dem Dach weit nach links hinaus bis zum Zusammentreffen mit der Miracolo zu klettern. Hier wartet der athletische Cruxmove etwas über dem Haken, die Sache hat auch etwas einen Ausdauerfaktor, insbesondere da der hier noch reichlich mit Getränken/Gewicht gefüllte Rucksack heftig in die Tiefe zieht. Einmal droben wartet als Herausforderung noch eine erstmal zu entschlüsselnde Plattenstelle über eine Sanduhr, den Bolt kann man hier erst klippen, nachdem man das Rätsel gelöst hat :-) Schliesslich in einfacherem Gelände zum Stand, man verwende die erste Kette (wenige Meter links oberhalb ist der Stand von Miracolo).
Erst plattig, dann an den Querfugen unter dem Dach queren und athletisch darüber hinweg: das Programm in L4 (6c).
L4, 40m, 6a: Wenig nach links auf dem Band, doch es geht bereits vor dem Miracolo-Stand in die silbergraue Wand hinauf (den Stand von Miracolo berührt/verwendet man nicht, das Topo aus dem Extrem West stimmt hier nicht ganz mit den Gegebenheiten vor Ort überein). Ein sehr schöner, flowiger Abschnitt, sloprig und stets interessant gewinnt man an Höhe, bis man den Stand unter dem nächsten Steilriegel findet.
Sehr schöne Kletterei in L4 (6a), von unten würde man den Schwierigkeitsgrad zweifellos höher einschätzen.
L5, 40m, 6b+: Los geht's mit einer gut abgesicherten, etwas unübersichtlichen Linksquerung, wo es ein paar kleine Leisten zu identifizieren und kombinieren gilt. Danach kommt es nochmals zum Kontakt mit der Miracolo, wobei das Einbauen eines Haken von jener Route absolut Sinn macht. Ab dieser Stelle geht es jedoch leicht rechts haltend die graue Steilwand hinauf. Super schöne und geniale Kletterei - nie extrem schwierig, aber immer fordernd und vor allem ziemlich luftig abgesichert. Geht aber schon, einfach mutig vorwärtssteigen, megacool!
Eine etwas unübersichtliche Linksquerung an Leisten wartet am Anfang von L5 (6b+).
L6, 30m, 5a: Auf den ersten Blick mag man kaum glauben, dass hier nur ein banaler Fünfer wartet. Los geht's mit einer etwas unlogisch anmutenden Querung nach rechts. Dort entpuppen sich dann erst ein paar formidable Löcher und dann eine wahre Steigleiter aus riesigen Silex-Einschlüssen, der Verlauf macht also absolut Sinn und ist voll genial! Die Absicherung mit BH und SU-Schlingen ist hier gut, so erreicht man bald und ohne grosse Schwierigkeiten den Stand.
Fotogener Start in die gemütliche, aber sehr schöne L6 (5a) mit den Engelhörnern im Hintergrund.
L7, 20m, 6a+: Hier haben wir es mit einem relativ kurzen 1-Bolt-Rüteli zu tun, welches man durchaus an die vorhergehende Länge anhängen kann (Stand gut verlängern!). Bald kommt man zu dieser einzigen Zwischensicherung. Nun ist die Wand kompakt und fordernd. Da sie sich weiter oben wieder zurücklegt, ist man völlig ahnungslos, wo die Route durchführt. Queren nach links, gerade hinauf?!? Wieder einmal eine Stelle, wo man seiner Intuition ausgeliefert ist. Jedenfalls befindet sich der Stand danach viel weiter links als die Topos suggerieren, der Nachsteiger sieht sich in der Crux (nach dem Aushängen des BH) einem ordentlichen Pendler ausgesetzt.
L8, 50m, 2b: Nun hat man das erste Routendrittel erledigt. Es folgt hier der Übergang zum zweiten Abschnitt via ein schrofiges Teilstück. Dazu steht ein Fixseil zur Verfügung (Zustand ok, Stand Juni 2020), welches erst rechts und oben wieder nach links zu einem Stand führt. Dank dem Fixseil kann man hier auch seilfrei gehen oder (besser) die nächste Seillänge am laufenden Seil anhängen.
Das Gelände zwischen dem ersten und zweiten Wandabschnitt ist nicht spektakulär, daher hier nochmals L5 (6b+).
L9, 50m, 5b (?): Das Topo aus dem Extrem West schreibt hier von Gehgelände, während das Sanierungstopo eine Seillänge im Grad 5b verzeichnet. Klar ist, es geht linkshaltend in einfachem Gelände in die gut gestufte, schluchtartige Rinne. Hier kreuzt man auch die Miracolo, die schliesslich rechts der Rinne hinaufführt (Irniger-Plättli). Die Gletschersinfonie führt links der Rinne weiter (Fixé-Laschen gut sichtbar). Zuletzt muss man tatsächlich über ein paar Aufschwünge zum Stand am Fusse der nächsten, kompakten Plattenzone klettern - es ist aber eher ein Dreier als ein Fünfer, problemlos am laufenden Seil zu machen.
L10, 40m, 6a: Gar nicht mal so einfach geht es hier los, der Fels ist schräg abwärts gesichert und man ist durchaus froh, dass die Absicherung im Zuge der Sanierung hier aufgepeppt wurde. Schliesslich legt sich die Wand ein wenig zurück, es folgt eine coole Single-Wasserrille, bevor zum Schluss eine glatte Platte überlistet werden will. Diese führt hinauf zum Stand in der überdachten Nische (Zufluchtsort bei Gewitter!), der Stand hier besteht nur aus einer (allerdings grossen) Sanduhr). Sollten jedoch die Schlingen verrottet sein, so ist hier viel Material (ca. 3m langes Seilstück) nötig.
Den Auftakt zu den weiten Platten des mittleren Wanddrittels macht L10 (6a), hinten das Vorfeld des Rosenlauigletschers.
L11, 45m, 5c: Nach rechts abwärts geht's aus der Nische raus, die ersten Sicherungen danach verlängert man idealerweise grosszügig. Die Wandkletterei auch hier von etwas abschüssiger Natur, nicht völlig geschenkt. Über eine Art Rampe geht es dann zwar relativ einfach, aber auch mit sehr weiten Sicherungsabständen zum gut sichtbaren Standplatz.
L12, 20m, 3b: Hier muss man unbedingt vor dem nächsten 6c-Abschnitt noch weiter nach links oben verschieben. Wenn man gut verlängert hat, so kann man diese Sequenz jedoch mit L11 kombinieren. Auch mit 60m-Seilen muss der Nachsteiger jedoch die dortige Abwärts-Rechtsquerung simultan nachfolgen. Das geht dank einfachem Gelände gut - auch der Vorsteiger ist im Simultan-Abschnitt von L12 nicht überaus gefordert: plattige Kletterei auf schönen Silex-Einschlüssen, jedoch mit 3b ziemlich stark unterbewertet (deutlich schwieriger wie L9 jedenfalls) und komplett ohne Zwischensicherungen - suber staa und sicher gaa!!!
Das wäre dann der Rückblick auf L12, welche lapidar mit 3b bewertet und ohne jegliche Zwischensicherung ist.
L13, 45m, 6c: Die am anhaltendsten schwierige Seillänge, oft auch als Crux der Route bezeichnet. Nun ja, als Einzelstellen gibt es anderswo (L14, L25) Schwierigeres, aber die Komplexität ist hier schon Alleinstellungsmerkmal. Über eine mit feinen Wasserrillen ziselierte Platte gilt es, den richtigen Weg zu erkennen, abschüssigen Reibungstritten zu vertrauen oder dann wieder zu spreizen und teils mikrig kleine Griffe zu nutzen oder an Slopern effizient das Gewicht zu verschieben. Drei Stellen stechen besonders heraus: fordernd über die ersten zwei BH hinweg, dann die knifflige Querung nach dem vierten und schliesslich links drüben "très sublime" - hält der Fuss oder nicht?!? Er muss und er tut. Würde er nicht, so kommt man hier dank der recht guten Absicherung mit auf die Bolts stehen und derlei Taktiken wohl schon ganz ordentlich mit A0 durch.
Diese seichten Wasserrillen wollen in L13 (6c) fein schleichend in eine Sequenz eingebaut werden.
L14, 35m, 6c: "Einzelstelle" versprechen die Topos. Da klettert man gleich mit Respekt los, so richtig weiss man ja nicht, wo diese wartet und kopflos-schusselig in die Crux reinklettern und den Onsight gefährden mag man ja dann auch nicht. Auf der Rechtsquerung aus dem Stand raus wartet die Schlüsselstelle jedenfalls noch nicht - nicht völlig trivial hier, geht aber gut. Später dann rechts drüben weiss man dann bei einem glatten Plattenaufschwung aber schon, was es geschlagen hat. Zwei Bolts stecken nahe und man hat ausgiebig Zeit, sich seine Strategie zurecht zu legen. Gerade hinauf oder nach rechts?!? Mit einem Ultra-Gewürge wird die Stelle schliesslich wenig elegant niedergeknüppelt - Fear-of-Failure-Mode. Leichter hat's definitiv, wer sich hier den Griff zum ideal steckenden BH bereits erlauben darf... zur Entschädigung gibt's danach wieder einmal eine perfekte Leiter aus riesig grossen Knobs, absolut genial!
Der Akteur zu Beginn der ominösen "Einzelstelle" in L14 (6c), im Vordergrund die super Knobs.
L15, 35m, 5c: Zu Beginn hat man die Wahl, rechts schwieriger im Fels zu moven oder links auf das Gras zu treten. Diese Chance gibt's in der Gletschersinfonie nicht oft, so nimmt man sie gerne wahr ;-) Das Silexband zieht hier weiter, allerdings längst nicht mehr so griffig. Über Gelände, das weder richtig einfach noch richtig schwierig ist, macht man Höhe. Insgesamt eher mehr fordernd als die heutigen Vorstellungen einer 5c sind. Das Finish dann über die kompakte, nun wieder graue Platte mit einer etwas unlogisch erscheinenden Linksschleife - ob es direkt wohl nicht auch bei gleicher Schwierigkeit ginge? Wir konnten/wollten es nicht probieren.
Steile, dafür aber griffige Kletterei in L15 ("nur" 5c, von unten erscheint es doch ein wenig schwieriger).
L16, 30m, 6a+: Ein erster Blick auf die steile graue Wand, ein zweiter auf das Topo, welches hier nur gerade 2 BH verspricht, da könnte man den Bammel kriegen. Einerseits ist das berechtigt, weil die Kletterei durch die steile Wand entlang einer Struktur (Mischung zwischen grosser Wasserrille und Verschneidung/Riss) wirklich steil und fordernd ist. Noch dazu dürfte dieser Abschnitt manchmal nass sein - da der Fels zu Beginn etwas belagig wirkt, könnte das ein Showstopper sein. Genial auf jeden Fall auch die paar wenigen, sloprigen Löcher, die an entscheidender Stelle das Fortkommen erlauben, ohne dass es richtig schwierig würde. Es ist übrigens so, dass das Sanierungsteam hier durchaus Einsehen mit der Psyche der Wiederholer hatte. Es stecken mittlerweile 4 BH, aber die Länge ist immer noch kühn und fordernd!
L17, 15m, 6a+: Der Stand von L16 liegt ziemlich unlogisch weit links aussen, L17 beginnt mit einer Rechtsquerung und da insgesamt nur 15m lang, ist es absolut sinnvoll, diese beiden Abschnitte zu einer Länge zu verbinden. Den Stand von L16 kann man natürlich so nicht klippen (nicht nötig bzw. macht keinen Unterschied), sondern man zielt gleich zur einzigen Zwischensicherung von L17 (es sei erwähnt, dass diese für Kleingewachsene möglicherweise schwierig zu klippen ist). Der folgende Boulder ist echt knifflig (so à la 6a+, wtf!) - kleine Leiste matchen oder taffer Kreuzzug. Nach einem Mantle folgt wieder griffigeres Gelände, mit einem Runout gelangt man zum Stand.
Rückblick von Stand 17 auf das Plattenmeer, in welchem wir die Sequenzen 16 & 17 verbunden hatten (6a+).
L18, 40m, 6a+: Superkompakte, graue Spritzbetonwand, sehr eindrücklich. In einer S-förmigen Linie geht es hier anhaltend und fordernd in die Höhe. Als Nachsteiger sind mir keine besonderen oder echt schwierigen Stellen in Erinnerung geblieben. Steigt man bei dieser luftig gehaltenen Absicherung vor, kriegt man möglicherweise eine andere Wahrnehmung. Wie schon in L15 beschreibt die Route am Ende einen (unnötig?) grossen Linksbogen mit einer kniffligen Nachsteiger-Traverse. Oder wurde die etwa angelegt, dass man den Seilzweiten schön vor dem Gletscher im Hintergrund fotografieren kann - könnte durchaus sein ;-)
Suchbild "wo sind die Zwischensicherungen?!?" - aufgenommen in L18 (6a+).
L19, 45m, 6b: Zum Abschluss des mittleren Wandteils geht's nochmals ans Eingemachte! Auch wenn es nirgendwo so richtig hart wird, so stellen die spärliche Absicherung und der zum Schluss unklare Verlauf doch erhebliche Anforderungen. Es ist auch die Länge, wo wir am meisten mobile Sicherungen verwendet haben. Dies gleich zum Auftakt an der griffigen Schuppe, wobei es dann den Übergang auf die Wand links gut zu erwischen gilt! Einmal dort, wartet eine Linkstraverse mit einer Go-Go-Gadget-o-Arm Stelle (Spannweitenproblem). Nun griffiger ans markante Nasen-Dach und erstaunlich einfach an Cams gesichert darüber hinweg. Es folgen Wasserillen, wo nochmals schwiergere Moves und zwei BH warten. Aber damit ist nicht fertig. Zum Stand ist es einfach noch weit, Sicherungsmöglichkeiten habe ich keine gefunden und ohne den mutigen Schritt vorwärts geht es nicht. Die Insel der Sicherheit findet man schliesslich gut sichtbar links am Wulst.
Toller Fels, geniale Kletterei und eher kühne Absicherung zum Abschluss des mittleren Wanddrittels (L19, 6b).
L20, 50m, Gehgelände: An sich ein problemlos begehbarer Abschnitt, das grasige Gelände ist gut gestuft. Aber laut Landeskarte im Schnitt doch über 45 Grad steil, ca. T4/T5. Rechterhand an den Felsen findet man einen Zwischenbolt, nach ca. 50m kommt auch ein Standplatz.
L21, 50m, Gehgelände: Der zweite Abschnitt durch diesen Alpengarten erfordert nun etwas Kletterei über ein paar Felsen, ist also etwas schwieriger und steiler. Es geht eher etwas nach rechts hinauf, markante Anhaltspunkte um die Fortsetzung zu finden fehlen. Aber man wird schon fündig werden. Wir hatten die beiden Seillängen am laufenden Seil geklettert, um 15.30 Uhr hatten wir den letzten Wandabschnitt erreicht, die Sonne hatte uns ebenda und ebendann verlassen.
Ausblick von Stand 19 auf die 100m Gehgelände, welche zum dritten Wandabschnitt führen.
L22, 20m, 4b: Wenn man genau späht, so erkennt man vom Standplatz durchaus die farblich dem Fels angeglichene SU-Schlinge (die schon bald folgt) sowie weiter oben einen BH. Es geht vom Standplatz leicht linkshaltend hoch. Kompakte Platte, gar nicht so einfach - auf einer neu eingerichteten Plaisirtour würde man das nicht mit 4b bewerten.
Ausblick auf die "so-called 4b" von L22 und den kompakten dritten Wandabschnitt generell.
L23, 40m, 6b+: Jetzt heisst's nochmals "ad Seck!". Nur gerade 4 BH und 1 SU säumen diesen Abschnitt, da könnte man aufgrund der vermeintlich äusserst kompakten Steilwand schon im Voraus den Bammel kriegen. Es kommt aber doch besser wie befürchtet: absolut charakteristisch für diesen Wandteil ist, dass er von unten so kompakt-unnahbar aussieht, sich aufgrund der diagonal-positiven Felsschichtung aber doch immer wieder sehr gute Griffmöglichkeiten auftun. In Erinnerung bleibt mir ein doch plötzlich unverhofft abdrängender Aufsteher beim zweiten Bolt, wo ich mich nur knapp vor dem Abkippen retten konnte. Danach zeigen die älteren Topos eine Rechtsumgehung bei markant tieferen Bewertungen. Vor Ort konnte ich die nicht erkennen (bzw. sie schien mir unlogisch und nicht so viel einfacher, wie der handlichere, direkte Weg), so dass ich die 6b+ Direktvariante aus dem Sanierungstopo übernehme - kurz ein paar kleinere Griffe halten und entschieden Antreten genügt.
Kompakte Wandkletterei in L23 (6b+).
L24, 40m, 6b+: Hier gibt's nochmals eine richtig fordernde Seillänge mit sehr luftiger Absicherung. Es stecken in der Tat nur 4 BH und auch wenn's vielleicht eher 38m statt 42m sind, so heisst hier "Runout" ganz klar das Motto. Wobei die Absicherung schon fair und sinnvoll platziert ist, an den luftigen Abschnitten ist es schlicht und einfach griffig-kontrollierbar-einfacher. Der Schuppe entlang geht's zum ersten Bolt, wo sich vor allem ein Linienwahlproblem stellt. Dem Topo oder der Intuition vertrauen?!? Hat die zweite Sicherung eingeschnappt, geht's weit und griffig zur dritten. Erneut mit zu erkennender Linie schwierig zum letzten Bolt, nach welchem auch nochmals kleine Griffe gehalten werden müssen - very memorable!
42m kompaktissimo Wandkletterei in L24 (6b+), die erste von 4 Patronen (=Zwischensicherungen) schon verbraucht...
L25, 30m, 6c+: Nun wartet tatsächlich noch die nominelle Crux der Route! Wer über Stunden den roten Punkt erhalten konnte, wird hier nun nochmals richtig geprüft. So spielt denn die mentale Komponente durchaus eine Rolle - hier noch an der perfekten Begehung zu scheitern, wäre ja schon schade. Aber das Spiel ist halt erst mit dem (fast) letzten Move zu Ende, das ist doch auch immer wieder eine tolle Sache. Gesagt sei, dass es sich bei dieser Seillänge für Gipfelstürmer um eine fakultative Zusatzaufgabe handelt. Die Topos suggerieren, dass man ab Stand 24 im Gehgelände den Klein Wellhorn Nordgipfel (P.2686) erreichen könne. Mag sein, im Gelände sah das allerdings nicht nach einfachem Terrain aus, wo man seilfrei hochspazieren könnte. Um hingegen zum Südgipfel, auch Lilienspitz genannt und mit 2701m der echte Höhepunkt zu kommen, könnte man tatsächlich das diagonal links hinauf ziehende Band verwenden. Es ist gut begehbar, teils etwas schuttig und im Abstieg (man muss seilfrei steigen) doch auch ordentlich expo (experienced alpinists only!!!). Anyway, wir sind ja eh zum Klettern hier, also los. Erster BH geht gut, dank ein paar Leisten geht's auch zu Silberling Nr. 2 voran. Hier die Crux, wo man echt voll noch rasiermesserscharfe Kleingriffe zupfen muss und sich die etwas wackligen Moves an schlechten Tritten ohne etwas (Sturz)Risiko zu nehmen nicht auflösen. Ich kann mich aber an die Henkel retten, der erlösende Jauchzer ähm nein die Gletschersinfonie konnte aus der Kehle ertönen :-) Die Schwierigkeiten sind damit gegessen, aber vorbei ist die Länge nicht. Nun entweder links in der Wand um den Turm herum (ist es wirklich so gedacht?!?) oder hinauf und über die Rampe. Der dritte BH folgt erst auf dem Turm beim Übergang an das finale Wandstück - er ist unsichtbar, die Sicherungsperson am Stand sieht aber die daran befestigte Seilschlinge und kann leiten. Achtung, dieses Stück ist zwar einfach aber expo, ein Sturz liegt da definitiv nicht drin! Die letzten Meter entpuppen sich an Henkeln dann problemlos, man erreicht den Grat und etwas daran aufwärts haltend das Routenende - wow!
Zum Abschluss noch die Crux mit Vollgas-Crimperei in L25 (6c+). Da werde ich mich noch lange daran erinnern!
Um 17.50 Uhr und damit nach rund 9:40h Kletterei hatten wir es geschafft. Wobei die Zeit (für uns) völlig unerheblich ist. Es gab null Grund zur Eile, auf unserem Niveau, ohne Routenkenntnis und mit der Ambition, an beiden Seilende alles sauber Onsight/Flash zu klettern dauert es einfach eine Weile, bis jede Kletterstelle geschafft ist. So konnten wir stolz den Eintrag im Routenbuch vornehmen. Im 2020 hatte sich zuvor noch niemand eingetragen. Allerdings war der Deckel der Wandbuchdose abgestürzt, das Buch lag einfach mit einem Stein beschwert in einer kleinen Nische - hatte es wirklich auf diese Art unbeschadet den Winter überdauert?!? Das ist ein Rätsel, das wir auch nicht auflösen konnten. Allerdings löste sich ein anderes: auf dem Grasbord unterhalb hatten wir schon lange einen metallig schimmernden Stein gesehen und fragten uns, was das wohl sei. Natürlich, der Deckel - wir konnten ihn beim Abseilen bergen und auf der Route platzieren. Die beim Einstieg biwakierende Seilschaft, welche die Route am Folgetag begehen wollte, konnten wir instruieren, so dass die Sache nun hoffentlich wieder bereinigt ist.
Letzter Standplatz der Gletschersinfonie, but going for the summit!
Mit dem Wandbucheintrag wollte ich es nicht bewenden lassen. Eine solche Route, die zudem in unmittelbarer Gipfelnähe endet, kann man mit einem echten Alpinistenherz nicht einfach am letzten Stand beenden. So hiess es hinauf zum Top, dem Eintrag von Lorenzo auf hikr.org sei Dank wusste ich in etwas, was noch wartete. Der Grat hinauf bietet erst noch etwas Zweier- und Dreiergelände, ist allerdings brutal exponiert und die Felsen sind nicht überall zuverlässig. Danach noch ein paar Schritte in einfacherem Gelände zum Top, das wohl nur ganz selten besucht wird. Ausser einem Steinmann gibt's denn auch wenig Konkretes dort oben - ausser natürlich das Feeling, das ist einfach ganz unbeschreiblich nach dieser epischen Begehung! Nun hiess es aber wieder hinunter - da mein Partner am Routenende geblieben war, standen mir sowohl der Grat als Rückweg wie auch das Diagonalband offen. Weder das eine noch das andere ist harmlos und muss seilfrei und ohne jegliche Sicherung abgeklettert werden - make your own choice.
Kurz vor dem Top - welch Ambiente!
Nun galt es noch, wieder vom Berg zu kommen. Im Vorfeld hatten wir erst noch mit dem Gedanken eines Fussabstiegs über die Nordabdachung gespielt. Doch bei der Gletschersinfonie lohnt sich das ganz bestimmt nicht! Um ca. 18.10 Uhr waren wir am Routenende bereit, in die Tiefe zu gleiten. Nach dem Studium einiger Berichte hatten wir uns entschlossen, 2x60m-Seile mitzunehmen, weil das hier zum Abseilen wohl die Nachteile beim Aufstieg mehr als Ausgleichen würde. Und ich muss sagen, das war ein ganz smarter Move - unbedingt mit 60er-Stricken anreisen! Wir konnten auf der ganzen Route abseilend immer mindestens 2 Seillängen verbinden, 2x sogar 3 Stück! Hier noch die Einzelheiten: S25 -> S23 -> S21 und mit Fussabstieg über den unteren Teil des Grasbands -> S19 -> S17 -> S14 -> S12 -> S10 und mit etwas Fussabstieg in der terrassierten Schlucht zum Fixseil, diesem entlang -> S7 -> S4 -> Miracolo-Stand etwas rechts oberhalb von S2 -> Boden. Das sind konkret nur 11 Manöver, die wirklich speditiv gehen, so waren wir nach 1:15h bereits etwas vor 19.30 Uhr wieder am Einstieg. Auch hier soll aber Safety vor Speed kommen und es sei erwähnt, dass das Seil öfters nur knapp reicht! Somit blieb uns nur noch der Fussabstieg zurück zum Ausgangspunkt. Um 20.15 Uhr waren wir retour beim Parkplatz, macht 13:30h für die komplette Runde und ich denke, dass eine Zeit von gut 2 Stunden für Lilienspitz - Gletscherschlucht mit einem Fussabstieg ohne Routenkenntnis und das Eingehen von ungebührlichen Risiken kaum zu machen ist. Freude, Stolz, tiefe Zufriedenheit - es ist schwierig, die Emotionen nach dieser Tour, auf welche ich lange Jahre gewartet hatte, zu beschreiben. Und dann war ja auch noch alles perfekt und wie erhofft aufgegangen. Vielleicht mochte dieser laaaange Bericht ein wenig etwas davon zu vermitteln. Und sonst gibt es noch das live vor Ort kommentierte Video, das weitere Eindrücke liefert :-)
Facts
Wellhorn - Gletschersinfonie 6c+ (6b obl.) - 25 SL, 900m - K. & R. Ochsner, M. Pitelka 1988 - *****;xxx
Material: 2x60m-Seile, 12 Express, Camalots 0.2-1
Viel besser kann alpines Sportklettern nicht sein. Diese Route hat Weltruhm und dies absolut zurecht, da gibt es keine Zweifel an der Höchstnote. Nein, der Fels ist nicht auf jedem Meter (aber vielerorts) perfekt, zwei längere Schrofenabschnitte müssen auch bewältigt werden. Aber in der Summe ist es ein sehr eindrückliches Erlebnis mit unzähligen genialen Kletterzügen. Das erste Drittel wartet mit einem Mix von Steilplatten und athletischer Wandkletterei auf, im zweiten Abschnitt dominieren die Steilplatten, teils mit Wasserrillen und Knobs, während in der Schlusswand monumentale technische Wandkletterei wartet.
Die Absicherung darf man seit der letzten Sanierung 2012 als gut bezeichnen. Im leichteren Terrain warten immer wieder grössere Abstände, die sich aber mit etwas kühlem Blut immer gut auflösen. Die schwierigen Kletterstellen ab ca. 6a und mehr (nach der alten Ochsner- und Wenden-Skala) sind vernünftig behakt. Zu einem grossen Teil handelt es sich bei den Sicherungen um solide Inoxbolts, hier und da wurde auch noch ältere Ware belassen. Die plattig-kompakte Felsstruktur bietet sich nicht gerade an, um ausgiebig mobile Sicherungen zu platzieren. Hin und wieder liefern diese aber doch einen entscheidenden Beitrag zu Sicherheit und Wohlbefinden. Wir haben uns entschieden, ein Set Cams von 0.2-1 mitzunehmen und fanden das goldrichtig so. Psychisch gefestigte Ultralight-Fetischisten könnten eventuell noch 0.75, 0.4 und 0.2 weglassen.
Sicht zum Dossen und dem Rosenlauigletscher.
Die Sonne scheint je nach Jahreszeit frühestens ab 7.30 Uhr auf den Einstieg (August 8.30 Uhr, September 9.30 Uhr), sie verlässt die Wand Mitte Nachmittag wieder. Für eine Begehung bieten sich insbesondere die langen Tage der zweiten Junihälfte und im Juli an. Sehr früh in der Saison, solange noch Schnee auf dem oberen Grasband liegt, kann Schmelzwasser Probleme bereiten. Gegen den Herbst hin werden die kürzeren Tage zum Handicap und die Sonne erscheint erst relativ spät am Einstieg, so dass man sicher noch in der schattigen Kälte starten sollte.
Ich kann nur mit Nachdruck empfehlen, ausschliesslich bei stabiler Wetterlage mit 0% Gewitterrisiko einzusteigen. Der Kessel des Rosenlauigletschers bleibt lange vor Bewölkung verschont, man sieht die sich oft am Eiger zusammenbrauenden oder von Westen heranrückenden Gewitter nicht kommen. In der Wand gibt es nur wenig Schutz (beste Option ist die Nische nach L10), zusammen mit dem exponierten Gipfel, enormen Wassermassen und Steinschlag in der Wand gibt das einen potenziell tödlichen Mix - es ist kein Platz für "wir schauen mal"-Experimente. Es gibt in der Wand übrigens auch nur sporadisch Handyempfang (Swisscom, Stand Juni 2020), keinen Imbisskiosk und Getränkenachschub, das sollte bei der Planung ebenso berücksichtigt werden.
Goodbye-Gruss vom Wellhorn! Im Bild die Nordabdachung, über welche man zu Fuss absteigen würde.
Laut dem Routenbuch gibt es pro Saison ca. 5 komplette Begehungen, wobei manche Anwärter möglicherweise schon vor dem Top das Handtuch werfen müssen. Das beste Topo findet man im Extrem West, frei verfügbar ist dasjenige vom Rebolting-Team. Letzteres zeigt allerdings die Anzahl Haken im Originalzustand und nicht nach den beiden Sanierungen (K. Ochsner 2003 & R. Schmid 2012) - es steckt also (v.a. unten, teils in der Mitte, oben dafür kaum mehr) zusätzlich Material. Letzter Hinweis: im unteren Teil verläuft die enger geboltete Miracolo abschnittweise gemeinsam mit der Gletschersinfonie und bietet entsprechend Gelegenheit, sich zu verkoffern.
Rechtzeitig auf die Sommerferien wurden die Reiserestriktionen in unsere Nachbarländer aufgehoben und auch der topaktuelle Führer für den Klettergenuss im Süden ist da. Vor Kurzem lag das nun aus zwei Bänden bestehende Werk als Geschenk des Autors Sandro von Känel in meinem Briefkasten - vielen herzlichen Dank dafür. Darum folgt an dieser Stelle eine kurze Vorstellung, wie immer natürlich auch ergänzt mit ein paar Verbesserungsvorschlägen.
Der Plaisir SUD 2020 kommt neu in 2 Bänden
Beschrieben sind total 84 Gebiete von der Dauphiné über das Aostatal, die Ossolatäler, das Tessin, die Region Lecco, Chiavenna bis zum Bergell. Natürlich waren in der letzten Ausgabe von 2011 manche Felsen auch schon beschrieben. Aber fast überall wurden neue Touren erschlossen, es wurde saniert, Zugänge und Parkplätze haben sich geändert und eben, manch tolle Neuheit wird im Plaisir SUD nun das erste Mal in gedruckter Form publiziert, wie z.B. die Geisha Walls im Tessin. Wie immer hat Sandro einen enormen Aufwand betrieben, um Recherche zu betreiben und seine Erkenntnisse in hoher grafischer Qualität auf Papier gebracht. Dieser vollständige, klare aber trotzdem sehr übersichtliche Stil ist ganz klar ein grosses Plus und Alleinstellungsmerkmal vom Hause Filidor. Da kann man einfach nur blättern und sich auf die Ferien freuen - für (fast) jeden, vom Anfänger bis zum Crack finden sich lohnende Ziele zuhauf. Wenn ich z.B. das Gebiet Agaro aufschlage, so kann ich es kaum erwarten, in der Ico (11 SL, 6c, 4*) Hand anzulegen!
Das Gebiet Agaro im Ossola - da muss ich mal hin!
Was kann man sich da noch mehr wünschen?!? Zum Beispiel einen möglichst vollständigen Extrem-Führer für die Dauphiné, aber eigentlich hätte ich ja gerne für jedes Klettergebiet der Welt einen Filidor-Führer zur Verfügung :-) Zwei Kritikpunkte sind mir aber aufgefallen: für mich persönlich ist es absolut logisch, Bücher, Gebiete und Routen "von links nach rechts", d.h. von SW nach NE zu ordnen. Dieser Logik wurde im Plaisir SUD nicht Folge geleistet. Band I beschreibt Ossola-Tessin-Lecco-Bergell und Band II Dauphiné-Aosta. Noch dazu sind in Band II die Gebiete von rechts nach links und im Band I von links nach rechts nummeriert. Das erscheint mir unnötig kompliziert. Darüber hinaus wäre es sicher auch nützlich gewesen, die Bände bzw. die SUD-Reihe etwas klarer zu identifzieren, z.B. mit einem Farbstreifen auf dem Cover oder Buchrücken. In meinem Regal stehen nämlich alle Filidor-Führer - auf Sämtlichen prangt ein sehr schönes Titel-Kletterfoto. Jedoch mit dem Nachteil, dass sich diese alle gleichen (farblich, Stil) und es gar nicht mal so einfach ist, auf den ersten Griff das gewünschte Werk zu identifizieren.
Ein paar Filidor-Führer stehen schon im Regal (es haben nicht mehr alle in der Frontreihe Platz...).
Der Plaisir SUD ist ab sofort im Fachhandel zu erwerben oder kann auch direkt (einzeln oder kombiniert) beim Filidor-Verlag bestellt werden. Mit enthalten im Buch ist auch ein Code, mit welchem die laufend aufdatierten Inhalte des Plaisir SUD in der Vertical-Life-App für 3 Jahre freigeschaltet werden können.
Endlich wieder einmal reicht es Kathrin und mir für eine gemeinsame MSL-Tour. Unter leicht erschwerten Bedingungen allerdings, weil wir erst noch Arbeiten müssen, können wir erst am späten Vormittag los. Unser Plan A spielt sich am Klausenpass ab, doch der Blick von Altdorf hinauf heisst wie schon vermutet nichts Gutes: alles ist dick in Quellwolken eingehüllt und in der Nebelsuppe zu schlottern macht keinen Spass. Die Alternative ist sofort zur Hand, die Teufelstalwand ist ebenso zügig zu erreichen und ein optimales Ziel für eine Kletterei an einem Juni-Nachmittag mit stabilem Wetter. Nachdem ich schon Laura (7a), Wilde 13 (7b) und das Pissoir du Diable (6b) hatte klettern können, ist dieses Mal der Alpentraum (7a) die logische Wahl. Und die entpuppt sich als absolut genial - super Kletterei von Weltklasse-Zuschnitt, wirklich eine Traumkletterei für den ganzen Alpenbogen, dazu perfekt mit BH gesichert. Definitiv die Route, die mir an der Teufelstalwand bisher am besten gefallen hat.
Die Teufelstalwand rückt ins Blickfeld. Zuerst heisst es aber, ins Inner Teufelstal an den Einstieg zu kommen...
Da wir eher spät unterwegs sind, spielen wir mit dem Gedanken, für dieses Mal eine Bewilligung zu lösen, damit wir die Bergstrasse von Nätschen Richtung Gütsch befahren können. Allerdings hat über Mittag das Tourismusbüro gleich beim Bahnhof in Andermatt geschlossen und bei der Kooperation Urseren ist auch niemand erreichbar. Einmal beim Fahrverbotsschild oberhalb des Bahnhofs angelangt sehen wir dann, dass man auch per Smartphone (mit Twint-App) bezahlen kann. Die Taxe beträgt allerdings satte 30 CHF, was uns für die wenigen eingesparten Höhenmeter dann doch zu viel an Obulus ist. Wir stationieren unser Mobil an dieser Stelle, laufen ein paar Minuten nach 13.00 Uhr los und wählen den Zustieg durch den Kirchbergwald. Folgt man den Pfaden gemäss Karte, so ist ein Höhenverlust von 60hm nicht zu vermeiden. Da im Gelände (vorerst) direkte Pfadspuren locken, versuchen wir eine Abkürzung. Diese gelingt und vermeidet den Höhenverlust, erfordert aber teilweise etwas Bushwhack und ich bin mir nicht sicher, ob ein Zeitgewinn resultierte. Wobei, wenn mehr Leute so gingen und jemand vielleicht einmal noch eine Heckenschere mitnehmen würde, hätten wir den ideal-effizienten Zustieg. Einmal auf dem Tüfelstalboden heisst es dann, weitere 100hm zur Abseilstelle zu vernichten. Für den ersten 45m-Abseiler müssen wir selber das Seil einfädeln, nachher war ein Fixseil vor Ort, so dass wir zügig und ohne Seilverhänger-Sorgen in die Schlucht gelangten. Super wäre es, wenn jemand für den ersten Abseiler auch noch ein Fixseil platzieren könnte (wenn man das jeweils im Voraus wüsste...). Der Bach war problemlos zu überqueren, jenseits querten wir, stellenweise sumpfig und mit Fixseil gesichert, horizontal zum Einstieg. Um 14.00 Uhr konnte der Startschuss fallen.
Auch von näher hat die Wand nicht ganz auf dem Apparat Platz. Man sieht den Verlauf ab L2 bis zum Ausstieg.
L1, 35m, 6a: Schöne Wandkletterei mit ein paar kniffligen Stellen, z.B. fordert ein erster kurzer Piaz, dann eine leistige Rechtsquerung an einem Aufschwung, bevor es einfacher über eine Verschneidung bzw. Rampe zum Stand geht. Gar nicht mal so einfach für eine 6a!
Dem Teufelstal wieder entronnen - auf der Rampe am Ende von L1 (6a).
L2, 25m, 6c: Sehr schöne Sequenz! Der Blick auf die steile, sehr eng gebohrte Piazverschneidung lässt etwas befürchten, das ist ja bekanntermassen nicht mein favorisierter Kletterstil. Schlussendlich ist es gängiger als gedacht, der Riss ist meist recht tief und scharf geschnitten, zum Treten ist auch nicht alles glatt. So fordert vor allem eine kurze Stelle, wo der Riss etwas mehr geschlossen ist und später dann der Wechsel von Layback zu Stem. Nach diesem strengen Auftakt geht es dann etwas gemütlicher und griffiger, aber nie leicht oder langweilig etwas rechtshaltend voran.
Ausblick auf die geschlossen wirkende Verschneidung mit Voll-Piaz in L2 (6c) - geht aber gut!
L3, 25m, 6c: Hier folgt die Route einem hammermässigen Splitter-Crack, das weckt viel Vorfreude. De visu sieht er weder sehr lang noch sehr schwierig und erst noch komplett eingebohrt aus. Einmal darin engagiert, ändert sich die Wahrnehmung dann durchaus: es ist steil, der Riss hat (für mich) gerade die ungünstige Thin Hands Dimension (d.h. die Finger klemmen nicht richtig und die Hand passt kaum rein, so dass sie ebenfalls nicht klemmt), alles ist etwas flutschig und zum Treten gibt's auch nix, die Füsse im Riss zu verklemmen ist die Devise. So war das für mich definitiv eine der anspruchsvollsten Stellen der Route, in der 7a und der 6c+ weiter oben konnte ich deutlich relaxter passieren. Die Absicherung mit BH ist wie erwähnt prima, dennoch dünkte mich der Klipp des zweiten Bolts aufgrund der labilen Position etwas risky - wenn der in die Hose geht, so hätte es wohl schon Weh getan. Mit einem Cam (wohl 0.75) könnte man das entschärfen. Damit nicht fertig, der Riss entwickelt sich zu einem Flared Slot, wo dann zum Glück auch noch ein paar "normale" Griffe auftauchen und weiterhelfen. Juggy geht's weiter über den Steilaufschwung, bevor man an einer letzten Piazverschneidung anpackt.
Ausblick auf den Splitter Crack in L3 (6c) mit den nachfolgenden Slot - alles länger, steiler und schwieriger, wie es aussieht!
Die Gegenperspektive - auch am Ende von L3 (6c) darf nochmals herzhaft, wenn auch einfacher gepiazt werden.
L4, 40m, 6b: Tolle Turnerei durch die grosse Verschneidung. Unschwierig gelangt man zum Kerzendepot im Biwak, danach geht's anhaltend in die Höhe. Der Riss im Verschneidungsgrund ist sehr breit, knieklemmend könnte man oft No-Hand-Rasten. Obwohl das Gelände aus Distanz sehr gleichbleibend aussieht, so sind die Moves äusserst abwechslungsreich. Einmal bietet die Wand links Leisten, hin und wieder kann man gut spreizen, dann piazt man an der Kante oder benutzt die Henkel, welche gut verkeilte Blöcke im Grund der Verschneidung bieten - super Fun! Erwähnenswert: hier sind die Hakenabstände im Vergleich zu manch anderer Seillänge spürbar weiter ausgefallen. Zum Abschluss gibt's dann ein henkliges Dach und dann - links draussen, ein letzter Piaz-Move.
Falls es nötig wäre... wobei es bei einem der meist bequemen Stände sicher angenehmer wäre als in dieser Nische.
L5, 30m, 6a: Vorerst gemütlich klettert man genussreich und spektakulär an Rissen und später spreizend mit der Wand des markanten Turms, welchen man fast, aber dann doch nicht ganz ersteigt. Die Crux folgt mit dem Wechsel vom Turm an die Wand. Die Absicherung ist auch hier gut, aber trotzdem sollte der Vorsteiger es im Griff haben, das Sturzgelände wäre da ungut. Rechtshaltend geht's dann gutgriffig durch die Wand, resp. an kleinen Verschneidungen zum Stand. Insgesamt wieder einmal eine 6a, die gar nicht mal so einfach ist.
Der Turm in L5 (6a), sicher nicht für die geologische Ewigkeit gemacht...
L6, 40m, 7a: Die Cruxlänge, was für ein Gerät, megagenial! Gleich etwas knifflig geht's aus dem Stand raus, wobei der Abstand zum zweiten BH leicht allegro ist. Dort kann man wieder etwas durchschnaufen und nun in der seichten Verschneidung meist auf Gegendruck vorwärtsmoven, wobei dank ein paar besseren Griffen oder Tritten immer wieder einmal geschüttelt werden kann. Als nächstes auf dem Programm steht eine kräftige Untergriffquerung, zu deren Abschluss man sich knifflig nach rechts auf eine geneigte Rampe (Rastpunkt) drücken muss. Mit einem Spannweitenzug gelangt man wieder nach links ins das Riss-/Schuppensystem, das man schon zuvor benutzt hat. Dieses wird steiler, die Griffe/Kante werden tendenziell nicht besser/runder, die Kletterei ist anhaltend. Doch an der entscheidenden Stelle bietet dann wie von Zauberhand die Wand plötzlich etwas Struktur, so kann gecrimpt und schlau angetreten werden und die Thank-God-Jug rückt hoffentlich in Reichweite, bevor dem Kletterer der Saft ausgegangen ist - supercool! Ganz final wartet dann noch eine feine Rechtsquerung, dem Bolt sei Dank macht der Vorsteiger diese im Toprope und profitiert vom Gewicht des Seils, was die Sache fast banal macht - würde man hier 3m über der letzten Sicherung klettern, so hätte der Balancy-Move bestimmt eine andere Dimension.
Auch wenn es in der Cruxlänge (L6, 7a) weiterhin Risse, Schuppen und Verschneidungen hat, so herrscht insgesamt doch mehr Wandklettercharakter vor. Wie man sieht, ist die Felsqualität hier super - der Granit orange beinahe wie in Chamonix und doch auch ordentlich strukturiert. Sonst ist das Gestein an der Teufelstalwand doch vielerorts eher grau-grün-schwarz, mit weniger Reibung und Struktur.
L7, 20m, 6c+: Von unten sieht diese Länge ein wenig nach dem Teflon Corner der Teufelstalwand aus, viele andere Berichte schreiben von technischer Kletterei. Aber schlussendlich ist die Sache für mich doch ganz anders wie erwartet. Es hat viel mehr Griffe wie gedacht, gestemmt wird nur wenig, man movt viel mehr athletisch im Piaz oder an Leisten, wobei ich mich bei einer ganz entscheidenden gefragt habe, wie diese genau an der richtigen Stelle in die Wand gezaubert wurde... Nach etwas Antreten im Verschneidungsgrund steht man schliesslich unter der finalen Untergriffschuppe, wo mit den Füssen auf Gegendruck nach links in die steile Wand gequert wird: tricky Auftaktmove, dann kurz dranbleiben, mal kurz den Bizeps spannen oder mit Dynamo auf den Sloper patschen und ein Mantle - das ging viel müheloser wie erst gedacht. Eine total geniale Sequenz, zudem sehr eng mit Bolts ausgestattet.
An Untergriffen Druck auf die Reibungstritte bringen und einen weiten Move patschen heisst es am Ende von L7 (6c+)
L8, 20m, 5c: Kurzes Überführungsstück, immer griffig und tendenziell auch etwas piazig der Verschneidung entlang - für einmal wirklich eine gemütliche Sache. Zum Schluss in speziellem, schiefrigem Fels nach rechts raus. Wer mag und genügend Exen mitführt, kann diese Sequenz problemlos an L7 anhängen.
Seitenblick zu unseren Nachbarn in der Laura (7a). Da geht's nicht ganz so schnell vorwärts...
L9, 25m, 6c: Erst links an der griffigen Schuppe, dann eine Hangelquerung entlang der Ameisenstrasse, bevor ein Mantle auf's Band vor der entscheidenden Verschneidung führt. Gemütlich lässt diese einen an sich ran - Griffe und Tritte, alles da. Doch zu früh gefreut, plötzlich wird es doch noch herb! Der Riss verengt sich, die Tritte schwinden. Schon powerig erreiche ich ziemlich ausgestreckt einen Untergriff. Nun heisst's aber noch, mit den Füssen einen verwirrenden Tanz auf dem glatten Parkett hinzulegen, bevor Finger und Arme ihren Dienst quittieren. Da war ich doch plötzlich und etwas unverhofft am Limit, dank einem kreativen Dropknee an der Verschneidung und dem Risiko-Flucht-nach-vorne-Schalter, der sich betätigen liess, ging es auf. Geil-o-mat - wäre auch schade gewesen, hier noch den Komplett-Onsight zu vergeigen! Zuletzt dann deutlich nach rechts und easy in einer gestuften Verschneidung zum Stand.
Sieht gutmütig aus, aber ab dieser Position gilt es nochmals ernst - der Onsight-Spoiler wartet in L9 (6c).
L10, 45m, 5a: Gemässigte, plattige Kletterei über teils etwas flechtige Platten und bucklige Aufschwünge, wobei immer mal wieder ein Henkel oder ein abgesägter Baumstumpf einen guten Griff hergibt. Am schwierigsten sind die letzten Moves zum Stand hinauf - gut verlängern hilft hier sicher, um potenziellen Seilzug einzudämmen.
Die letzte Länge (L10, 5a) hat plattigen Charakter und ist zwar lang, aber zügig erledigt. Passt dann zu diesem Zeitpunkt!
Um 18.45 Uhr und somit nach 3:45h begeisternder Kletterei sind wir am Ausstieg. An sich wäre der Platz superbequem um sich der Lektüre des Routenbuchs zu widmen, wo sich schon viele zufriedene Begeher eingetragen haben. Allerdings hat es viele Ameisen, welche ganz gierig darauf sind, endlich wieder einmal einen Menschen besteigen zu können. So gibt's nur kurz ein Guetsli für uns, sowieso sollten wir langsam abdampfen, damit wir daheim sind wenn die Kinder von ihren Trainings zurück kommen und um sie ins Bett zu stecken. So hampeln wir wie üblich die Fixseile hinauf, wie jedes Mal bisher fahren diese 'unnötigen' 150hm Aufstieg wenn man doch eigentlich heim und hinunter wollte nochmals in die Beine. Später dann querend, durchs Couloir absteigend und nochmals querend gelangen wir zur Strasse und über diese zurück zum Nätschen (Zeitbedarf ca. 45 Minuten). Höchst zufrieden über diese absolut geniale Tour zuckeln wir über die angenehm leeren Strassen heim.
Weltklasse, da gibt es keine Zweifel! Fels und Kletterei im Alpentraum überzeugen auf der ganzen Linie, die Schwierigkeiten sind anhaltend, homogen und die Moves abwechslungsreich, das Ganze auf einer logischen Linie, die geradlinig gen Himmel zieht. Hingehen und Klettern, kann man da nur sagen. Mitnehmen muss man nur 14 Exen, da die ganze Route mit zahlreichen Inoxbolts ausgestattet ist. In gewissen Passagen stecken diese sehr eng (xxxxx), bei anderen (auch schwierigen Stellen) ist der Anspruch dann aber doch wieder etwas höher und man muss auch zwischen den Haken etwas bieten (xxxx). Alles in allem aber eine richtige Clip & Go Kletterei, einfach zum Geniessen. Und ich muss sagen, mir hat das enorm Spass gemacht - viel mehr als in den cleanen Trad-Routen nebenan, wo man sich erst mordsschwer mit Gear behängt, nachher mehr am Rumfummeln als am Klettern ist und sich beständig die besten Griffmöglichkeiten mit Cams blockiert. So erstaunt es natürlich auch wenig, dass ich den Alpentraum trotz auf dem Topo ähnlichen Schwierigkeiten als viel einfacher wahrgenommen habe als die Trad-Routen links - man kann viel schneller und offensiver klettern, die mentale Komponente spielt möglicherweise zusätzlich eine Rolle. Insgesamt dünkte es mich, dass der Alpentraum mehr ein Fall von 6b anstatt 6c obligatorisch ist - trotzdem soll man die Route nicht unterschätzen, insbesondere da ein Rückzug in die Schlucht zwar problemlos wäre, der Ausweg aus dieser aber schwierig zu finden, mühsam und nicht ungefährlich ist.