Saisonstart im alpinen Sportklettern - stimmt zwar nicht ganz, da wir mitten im Winter im Tessin (1,2) und in Talnähe an der Föhnmauer aktiv waren. Doch für einen ambitionierten Besuch in den Top-Gebieten der Alpennordseite geht's erst jetzt mit fortgeschrittener Schneeschmelze so richtig los. Top motiviert wurde gleich der Moor mit seinem nicht eben kurzen Zustieg und den nicht minder anspruchsvollen Routen zum Ziel auserkoren. Da wir uns gut vorbereitet und ausgeruht fühlten, sollte das aber schon passen. Zum Sammeln von Kraft und Motivation sollte mir auch der Sparta Kids Fight dienen, an welchen ich am Tag zuvor zwecks Fahrdienst und Coaching anwesend war. Das traf zu, bis ich mich bei der After-Comp-Session dazu hinreissen liess, in die Kletterfinken zu schlüpfen und nicht mehr aufhören konnte, bis alle Boulder durchgeprügelt waren. So blieb nur die Hoffnung, dass jugendlich anmutender Leichtsinn auch jugendlich anmutende Über-Nacht-Rekuperationssfähigkeiten induzieren würde...
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Da thront er imposant am Horizont über Wildhaus, der Moor - links die Schafbergwand. |
Jedenfalls gelang es schon mal, einigermassen früh aus den Federn zu kommen und den Zustieg um 8.20 Uhr in Wildhaus zu starten. Schon ganze 7 Jahre ist es her, seit ich dereinst für das Moorphium den 1000hm umfassenden Zustieg unter die Füsse genommen hatte - Wahnsinn, wie die Jahre im Eiltempo verstreichen. Im Gegensatz zu damals schien es ratsam, den Zustieg etwas gechillter anzugehen. Der Weg blieb sich genau derselbe, durchs Flürentobel zum Wildhauser Schafboden und weiter auf dem Weg zum Jöchli bis ca. 1880m. Ab dort in logischer Linie steil aber recht gut gängig (ca. T4+ bis T5) über einen Sporn und zuletzt querend zum Einstieg. Dieser befindet sich ca. 20m links der markanten Schlucht in Mitte der Wand und ist ziemlich unscheinbar. Als Markierung dient eine Bandschlinge in einer gebohrten Sanduhr, ebenso lassen sich beim Sperbern die ersten 3 BH erkennen. Nach 1:45h Zustieg waren wir da und starteten ein paar Minuten vor 10.30 Uhr mit der Kletterei. Zu erwähnen ist, dass die erste Seillänge nicht so viel früher von der Sonne beschienen wird.
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Wandansicht vom Schafboden mit dem Verlauf von Moorpheus. |
L1, 35m, 6b: Nach ein paar einfachen Metern etabliert man sich rechts auf dem Plattenpanzer, klippt den ersten Bolt und gleich geht's los. Der Fels ist wunderbar rau bei erstklassiger Reibung, welcher aber auch unverzüglich zu vertrauen ist. Hat man den dritten BH geklippt, so befindet sich der nächste erst in weiter Ferne. Dies "zwingt" den Vorsteiger fast, links im etwas durchzogenen Gelände zu steigen. Angenehmer und kaum schwieriger ist aber die gut strukturierte Platte rechts, nur halt etwas kühn(er). Der erwähnte, distant steckende Bolt ist dann etwas heikel anzuklettern bzw. zu klippen (!), erlaubt aber stressfrei die letzte Stelle rechts hinauf über den Wulst zu erledigen.
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Die "gut strukturierte Platte" in L1 (6b), mangels Absicherung geht der Vorsteiger aber wohl meistens links im etwas durchzogenen Gelände. Ich würde es nicht empfehlen, besser sichern kann man da auch nicht wirklich und auch wenn's vielleicht einen Tick einfacher ist, angenehmer zu klettern ist es da bestimmt nicht. |
L2, 35m, 7a+: Spätestens ab hier heisst es, richtig parat zu sein. Über eine abdrängende Seitenwand heisst es, rechts hinaus auf eine nächste Steilplattenzone zu kommen. Da der Fels ordentlich mit Crimps und Schlitzen garniert ist, geht dies einfacher als befürchtet. Einmal drüben ist man froh, dass sich die Neigung etwas zurücklegt. Die richtige Linie will aber erkannt werden, ein Cam muss hinter einer Schuppe platziert werden und bald geht's richtig los. Der nächste Haken blitzt in als haarsträubend weit empfundener Ferne, "bin nicht sicher, ob ich mich das traue" rufe ich dem Kameraden zu. Da es aber niemand anders für mich klettert und ich nicht schon wieder nach Hause will, steige ich natürlich trotzdem mal los. Zwei Meter über dem Haken stehend folgt dann die Erkenntnis, dass Zurückklettern definitiv unmöglich ist und Abspringen auch die sekundäre Option gegenüber dem Versuch, die restlichen 3m zum nächsten Rettungsanker doch noch zu versuchen (inkl. dem Risiko eines immer mordsmässigeren Abgangs, selbstverständlich) - alpines Sportklettern at it's finest, so schnell ist man wieder mittendrin! Doch wie so oft, zum Glück kommen die benötigten Griffe und die Begehung bleibt sauber. In der Folge stecken die Bolts wieder etwas dichter, was wegen diversen bouldrigen Stellen aber auch nötig ist. Doch auch die Psyche wird nochmals gefordert, ein Runout zum Stand inkl. knifflig-grifflosen Abschlussmantle beschliesst dieses Wahnsinngerät von einer Seillänge.
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Fetzenscharfe, steile Tropflochkletterei in L2 (7a+) |
L3, 30m, 7a: Hier wartet erneut anhaltend anspruchsvolle Kletterei in absolut vorzüglichem, fetzenscharfem Tropflochfels. Quasi vom ersten Meter an heisst es beständig, die oft eher minimalen Strukuren so zu nutzen, dass man die Füsse effektiv auf die Rauigkeiten pressen kann. Die Kletterei ist sehr athletisch und sehr technisch zugleich. Die Hakenabstände sind mit dem Zollstock gemessen nicht allzu weit, aber bei dieser Art der Kletterei subjektiv trotzdem sehr fordernd. Achtung, nach dem fünften BH heisst es, horizontal ca. 15m nach links zum Stand zu queren - und für den Nachsteiger gibt's durchaus ein paar aufregende Momente nach dem Aushängen dieses Hakens. Die Bewertung von 7a (laut Extrem Ost) hier gegenüber der 6c+ (SAC-Führer) ganz sicher angebracht, ist diese Länge doch nach unserem Empfinden sicherlich nicht einfacher wie L4 (7a) oder L7 (7a+).
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Super genial und anhaltend ist L3 (7a), bald steht dem Nachsteiger ein spannender Moment bevor. |
L4, 35m, 7a: Nein, zurücklehnen kann man sich auch hier nicht. Es geht gleich volle Kanne los, knifflig unter ein Dach, kräftig darüber hinweg und mit der Ausdauer rettet man sich an Slopern in flacheres Gelände. Leider kam mir dabei (wie sich zeigen sollte) der ansonsten einwandfreie Onsight-Durchstieg der ganzen Route abhanden - schade! Nun kann man natürlich konstatieren, dass der ohne die Kraftverschwendung beim Bouldern am Vorabend möglicherweise gelungen wäre. Tja, mehr Kraft hilft natürlich immer, doch intelligenter Klettern meist noch deutlich mehr. Sprich, hätte ich von Beginn weg auf die richtige Lösung gesetzt, so wäre es locker aufgegangen. Nun denn, nach der Steilzone mit der Crux klettert man einfacher über schöne Platten (weite Absicherung), bevor ein paar athletische Züge über den letzten BH führen.
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Kernig-kräftige Kletterei zum Beginn von L4 (7a). |
L5, 35m, 6c+: Ohlala, zum ersten Haken scheint es weit - dank mobiler Sicherung und guten Griffen aber problemlos. Die kompakte Zone beim dritten BH bietet dann wie vermutet die Crux. Eher vom Typ bouldrige Einzelstelle, die auf den ersten Blick unmöglich scheinende Wand offeriert tatsächlich ein paar versteckte Griffe, während die vermeintlich mögliche Auskneifvariante über links echt keine Option ist. Genussreich und extrem strukturiert geht's über zwei weitere Bolts zum Stand.
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Toller Fels und dem Himmel entgegen in L5 (6c+), bald folgt die bouldrige Einzelstelle. |
L6, 30m, T5: Überführungsstück über grasige Schrofen an die nächste kompakte Wand. Es ist ziemlich problemlos begehbar, nicht allzu steil und gut gestuft. Sicherungsmöglichkeiten gibt's allerdings keine, daher liegen keine Fehler drin.
L7, 35m, 7a+: Abwechslungsreiche Länge mit einem heiklen Auftakt: der erste BH steckt tief und nahe, dies allerdings mit Fug und Recht. An scharfen und kleinen Griffen gilt es eine Schuppe zu erhaschen. Spätestens wenn man diese in den Fingern hat, darf man nicht mehr stürzen, sonst kratert man am Boden ein. Zum nächsten BH sind es jedoch nochmals 4-5m, jedoch mit einfacherer, relativ kontrollierbarer Kletterei. Man überlege sich also genau, ob man dieser Stelle gewachsen ist - die offensichtliche Alternative besteht in einer Umgehung linksherum über den Parcours von 'Mittler Moor'. Nach dem zweiten BH wird man auf eine geneigte Platte entlassen, die zum finalen, überhängenden Wulst führt. An Slopern hangeln, hooken, sich dann an besser werdenden Griffen nicht abschütteln lassen und rausmanteln ist das Programm - ein richtig cooler Boulder!
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Sieht auf dem Bild nicht ganz so spektakulär aus, wie die Seillänge gut ist. Kurz vor dem Ausstiegsmantle aus dem überhängenden Wulst am Ende von L7 (7a+) - nur nicht mehr Abschütteln lassen jetzt. |
L8, 15m, 6b: Kurzes, aber kurzweiliges Teilstück, das nur gerade kurz vor dem Ausstieg ins flache Gelände einen BH aufweist. Der Rest muss selber mit Cams und an einer Sanduhr abgesichert werden, was aber ganz gut möglich ist. Auch die Moves sind echt cool an originellen Strukturen.
Um ca. 16.40 Uhr und damit nach rund 6:00 Stunden Kletterei hatten wir das Top erreicht. Wir hatten uns wie eigentlich immer die Zeit genommen, an beiden Seilenden eine (einwand)freie Begehung herzustellen. Ein kleiner Wermutstropfen war der verzockte Onsight meinerseits in L4, der ganze Rest der Route gelang mir in diesem Stil. Am Top gab es nicht viel zu tun, die bequemen Schuhe, das Sandwich und die Getränke waren ebenso am Einstieg geblieben. So fädelten wir praktisch unverzüglich die Seile und glitten in die Tiefe. Und zwar über das Moorphium, wo dies direkter und weniger umständlich möglich ist. Mit 2x50m-Seilen sind 5 Manöver nötig (Top -> 30m zu Kettenstand von Mittler Moor -> S5 -> S3 -> S2 -> Boden), mit 2x60m kann man die obersten beiden Abschnitte verbinden. Keine halbe Stunde später waren wir zurück auf Terra Firma. Nach einem Imbiss, dem Verräumen des Materials und dem ehrfürchtigen Beäugen unserer nächsten Projekte (wovon der Strapaziergang (7c) wohl die nächstschwierigere Route ist) beschäftigten wir uns, bevor wir talwärts liefen. Das steile Gelände erfordert erst vorsichtiges Absteigen, einmal zurück auf der Pfadspur zum Jöchli kann dann mehr Gas gegeben werden. Ein paar Schneefelder erlaubten noch das Abrutschen, so dass wir nach einer guten Stunde zurück in Wildhaus waren, wo sich der Kreis um 18.40 Uhr schloss. Mit dem guten Gefühl, eine Toproute in sauberem Stil geklettert zu sein, machten wir uns zufrieden auf den Heimweg.
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Was für eine tolle Gegend! Blick auf Tristen, Zehenspitz und den Gipfel der Schafbergwand, unten im Tal der Ausgangsort Wildhaus und am Horizont die Alviergruppe und die Churfirsten. Auch wettertechnisch waren wir genau am richtigen Ort gewesen. Hier hielt es und war lange sonnig, während im Berner Oberland schon früh Gewitter niedergingen. |
Facts
Moor - Moorpheus 7a+ (6c+ obl.) - 8 SL, 250m - Oswald/Riediker/Stalder - *****;xxx
Material: 2x50m-Seile, 12 Express, Cams 0.2-1
Grandiose Route in fast durchwegs perfektem, rauem bis scharfem Gebirgskalk. Von steilplattigen Abschnitten zu viel athletischer Tropflochkletterei bis zu bouldrig-überhängenden Wulsten findet man einiges an Abwechslung und vieles an spannenden Herausforderungen. Die Route ist ein wenig homogener in den Schwierigkeiten, oben raus etwas spannender und nach meinem Gusto einen Tick schöner wie das benachbarte, ebenfalls sehr gute Moorphium und muss den Vergleich zu einer Wendenroute absolut nicht scheuen. Die Absicherung mit Inox-BH ist gut, aber oft zwingend und vergleichbar mit der Situation im Moorphium. An diversen Stellen muss man schon parat sein um im nichttrivialen Gelände zünftig von der letzten Sicherung wegzusteigen. Hier und da müssen (vorwiegend einfachere) Abschnitte mit Cams zusätzlich abgesichert werden. Ein Set Cams von 0.2-1 ist daher unabdingbar, grössere Exemplare braucht es hingegen definitiv nicht. Topos zur Route bzw. zum Moor allgemein findet man im Extrem Ost und im SAC-Kletterführer Alpstein.