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Mittwoch, 26. Juli 2023

Sommerferien im Wallis 2023

Ein kurzer Bericht von Teil 1 der Sommerferien 2023 kommt zügig! Wie so oft diktieren die äusseren Gegebenheiten die Ferienoptionen. Dass dies keinesfalls schlecht zu sein hat und die Sache in gewisser Hinsicht vielleicht auch einfacher macht, beweist dieser Beitrag sicher zur Genüge. Jedenfalls war Jerome von SA-DO in einem Trainingslager, so dass sich für den Rest der Familie in dieser Zeit ein paar Klettertage ausgingen. Dies mit der Einschränkung, dass Larina am SA am Swiss Cup in Villeneuve engagiert war. Doch dieses Mal liessen sich Not (Abholdienst), Tugend (Zuschauen) und Ferienpläne bestens vereinbaren. Mit Verstärkung von Hannah, einer weiteren Wettkämpferin, wollten wir die Top-Sommerspots im Wallis ausprobieren, welche uns Sandro eben erst gerade im neuen Schweiz extrem West präsentiert hatte. An dieser Stelle eine kurze Charakterisierung der Gebiete.

Tolle Abendstimmung am Plage du Bouveret am Lac Léman.

Epagny

Ein bisschen snobistisch lautete der Eltern Devise "wir klettern lieber erst selbst noch etwas und schauen Larina nur beim Final zu". Ein allzu langes Zeitfenster blieb uns nach Jeromes Aufbruch trotzdem nicht, weshalb die Wahl auf diesen Crag nahe bei Bulle fiel. Der relativ kurze Umweg auf der Fahrt Richtung Genfersee, das Attribut "neu für uns" und die NW-Exposition gaben den Ausschlag. Leicht ätzend war die Tatsache, dass beim Parkplatz bei der Chapelle des Marches eine Motocross-Veranstaltung stattfand, was leider den Zustieg etwas verkomplizierte. Ich will ja nicht mit Verbotitis um mich werfen. Aber dass eine solche Veranstaltung, wo ganze Felder umgepflügt werden, ein weitherum hörbarer Höllenlärm herrscht und die Luft massiv verpestet wird erstaunt im Angesicht der immer weiter greifenden Einschränkungen im stillen Bergsport schon fragwürdig. Aber sei's drum, ich wollte ja eh über das Gebiet schreiben... wie der extrem West schon antönt, ist der Fels in Epagny nicht wunderprächtig. Am ehesten hat er mich an (das inzwischen wohl für immer gesperrte 😔) Lungern erinnert. Und auch die Bemerkung mit der Steinschlaggefahr ist absolut richtig - immer wieder fällt von oben Ware runter. Beim Sichern und Klettern an der überhängenden Wand ist man zwar geschützt. Umsicht, Helm auf und kleine Kinder daheimlassen scheint trotzdem die Devise. Betrieb war übrigens trotz Samstag absolut keiner, das Gebiet scheint nur wenig Besuch zu erhalten. Gekletterte Routen: Callisto (6b+), Armageddon (7a), Matrix (7b), Andromède (7c)

Kathrin movt in der Armageddon (7a) in Epagny.

Van d'en Haut

Mit gütlicher Zeitreserve waren wir in Villeneuve eingetroffen und konnten Larina in ihrem Final anfeuern. Was ganz gut klappte, mit dem 3. Rang gab's einen Podestplatz am Swiss Cup, bravo und Gratulation! Für den Abend und die Nacht fanden wir auf dem Camping in Le Bouveret am Lac Léman bei befreundeten Wettkämpfern Unterschlupf. Danach wollten wir uns etwas zentraler im Wallis installieren, verabredeten uns jedoch mit einem grösseren Detachement vom Wettkampf für den Sektor oberhalb vom Camping in Van d'en Haut. Eine absolut geniale, viele Meter überhängende Gneiswand mit 35m Höhe, ca. 25 Routen von 7a+ bis 9a und ganztägigen Schatten - was will man mehr?!? Wer gleich mehrere Tage dort klettern möchte, kann sich ideal auf dem naturbelassenen Camping unterhalb installieren. Mir machte das Klettern dort trotz eher harter Bewertung enorm viel Spass. Die Routen bieten auch einen sehr interessanten Mix von gekonntem Body Positioning (oft in verschneidungsähnlichen Strukturen) und Fingerkraft-Ausdauer an Leisten. Eingestiegen war ich nur in Gaya (7a+, knifflig), Deux mains peut-être (7c, Réééésiiii mit knüppelhartem Finish) und Gravitation (7c+, technisch und kräftig), so dass noch viele Projekte offen wären. Wir beschlossen aber trotzdem, noch andere Felsen sehen zu wollen und campierten schliesslich im Tal.

Podest U16 Girls - leider keine Fotos gemacht in Van d'en Haut (hey, das ist keine faule Ausrede 😄)

Rawyl

Ja, dieses weltbekannte Gebiet ist nicht ganz neu und stand bei mir natürlich schon lange auf der Agenda. Nun, im Zentralwallis ist man nicht allzu häufig und selbst ab dem Hauptort Sion ist es noch eine gehörige Kurverei, bis man einmal oben bei der Barrage du Tseuzier ist. Zur Auswahl stehen dann unterschiedliche Sektoren (ja eigentlich eher Gebiete, die teils komplett verschieden angelaufen werden). Wir entschieden uns für den ostseitig exponierten M12, der mehr oder weniger ganztägig im Schatten liegt und rund 50 Routen bis 8c bietet. Im Zustieg wählten wir den "weiten Weg rundherum" der Wasserleitung entlang (gute 30 Minuten), effizienter ist sicher der Direktabstieg an den Fixseilen und Ketten (unser Rückweg, ca. 20 Minuten, passt schon!). Zu sagen ist, dass der quer gebänderte Fels oft nicht so von Top-Qualität ist. Teils sind die Bänder etwas brösmelig-splittrig, aber in den beliebtesten Routen wo schon Hunderten von Climber-Händen hingelangt haben, stört das kaum mehr. Zu erwähnen ist noch, dass manche der oft stark überhängenden Routen im "Mutproben-Style" eingerichtet sind. Ob der Steilheit zwar ungefährlich, aber doch mit weiten Abständen und meist so, dass schwere Stellen zwingend, mit Potenzial für gehörige Flugmeilen vor dem nächsten Klipp gemeistert werden wollen. Einige finden es wohl gerade darum toll... Ich für mich selber muss hingegen konstatieren, dass ich beim Klettern am Limit auch bei normalen Abständen mehr als ausreichend Nervenkitzel empfinde und somit nicht ein Fan derartiger Ausrüstung bin. Aber solange man nur in Routen klettert, wo man die (fast durchwegs guten bis sehr guten) Griffe genügend lange festhalten kann, geht's schon. Dieser Strategie folgend gab es folgende Einträge in der Ticklist: Allah Akbar (7a, super spektakuläre Henkeltour), Coup de Steehl (7a, kleingriffiger Einstieg, dann Ausdauer an Querbändern), Sensimilla (7b, schön, eher crimpy & technisch) und Fils de... (7b, Henkel-Ausdauer mit athletischen Moves, der Routenname erklärt sich einem selbst, wenn man vor der Crux, weit über dem letzten Haken bei idealer Klipp-Position einen eingeschlagenen Dübel vor der Nase hat...).

Hannah in der Sensimilla (7b) im Sektor M12 von Rawyl.

Sanières

Nach 3 Tagen Vollgas war erst einmal ein Restday angesagt. Natürlich nicht im Schwimmbad, sondern auf MSL am Sanetsch. Der Bericht zur 5-SL-Route Damned (7a) erscheint jedoch in einem eigenen Beitrag. Am Mittwoch entschieden wir uns dann für diesen NW-exponierten Sektor bei Les Haudères im Val d'Hérens. 30 Jahre waren es her, seit ich mich in meinen alpinistischen Frühzeiten für die Besteigung der Dent Blanche das letzte Mal hier hinten aufgehalten hatte - c'est fou comme le temps passe vite! Das Gebiet auf 1600m überzeugt mit Schatten bis um 16 Uhr (und nachher wird es ausser an absoluten Hitzetagen auch meist noch gut gehen), 35 steil-gutgriffigen Routen von 6b bis 8a und kurz gehaltener Absicherung. Zu erwähnen ist, dass der Fels nicht von Klasse Premier Cru ist, fürs Sportklettern jedoch absolut ausreichend und echt lässig zu beklettern. Von Yanik und Chris erhielten wir Verstärkung, so dass ich die Jungmannschaft voller Elan in einer 8a betätigen konnte. Mir war es lieber, auf sicher ein paar Punkte zu buchen als einen besonders wertvollen (oder dann doch nicht 🙄), dementsprechend wurde in folgenden Touren angegriffen: Sang bleu (7a, 40m geniale Leistenkletterei à la Acherli, ein Muss!), Terra Nova L1 mit Verlängerung rechts (7a, 35m super steil, luftig und nur Henkel), Divergence (7c, Boulderstellen mit Rastpunkten dazwischen), Pierre de Lune (7a, zwei zähe Stellen, komisch gebohrt) und Sang neuf (6c+, super Henkelspass).

Kathrin in der super ästhetischen Sang Bleu (7a) in Sanières.

Vionnaz

Tja, da hiess es schon wieder Einpacken, Abschied nehmen, Jerome abholen und den nächsten Ferienzielen zustreben. Auf dem Heimweg blieb aber noch Zeit für eine gute Session im Sektor Atelier in Vionnaz, dieses Mal mit der Berner Oberländer Wettkampfcrew. Der NW-seitig exponierte Sektor befindet sich in einem dichten Wald, morgens war da fast noch eine Stirnlampe angezeigt! Der Vorteil besteht aber darin, dass man trotz nur 700m Meereshöhe den ganzen Tag bei guten Conditions riegeln kann. Die leicht überhängende Wand wirkt (nicht ganz so sehr wie am Voralpsee) ein bisschen wie "mit dem Messer geschnitten". Grosse Strukturen sind Mangelware und während man für die Griffel oft ganz taugliche Leisten findet, stehen die Füsse oft "im Nichts" auf einem ziemlich glatten Parkett. Auf jeden Fall, im Vergleich zu den Tagen davor war es eine komplett andere Kletterei. Zu sagen ist auch, dass die beiden naheliegenden Aufwärmer im Grad 6c+ ihren Job nur mässig erfüllen. Die Aldo maçonne (6c+) ist taff bewertet und wartet gleich mit heftig-seriösem Leistengeriegel auf, ebenso wartet in La chignôlle (rechte Variante, 6c+) die kleingriffige Crux gerade am Anfang, bevor oben freundlichere Klimmerei folgt. Sehr cool waren auch die La visite (7b, tolle Leistenmoves) und die etwas steilere und kräftigere Placebo (7c, rechte Variante). Ja, auch da gibt's noch viel zu tun, in erster Linie den direkten 8a-Exit der letztgekletterten Route, doch selbstverständlich noch viel mehr.

Larina am Aufwärmen im Sektor Atelier in Vionnaz.

Infos und Topos zu allen Gebieten findet man im kürzlich erschienen Schweiz extrem West Band I aus dem Filidor-Verlag.

Samstag, 22. Juli 2023

Schweiz extrem West (Band I)

Was lange währt wird endlich wahr, schreibt der Autor Sandro von Känel auf seiner Webseite! Auch ich habe mich sehr gefreut, als der neue Führer über die Sportklettergebiete in der westlichen Landeshälfte bei mir im Briefkasten steckte. Noch besser: in der vergangenen Woche konnte ich ihn gleich einer ausgiebigen Prüfung unterziehen und in den Kantonen Wallis, Waadt und Fribourg täglich ein Klettergebiet besuchen, welches mir bisher noch nicht bekannt war. Präsentiert werden diese in einem folgenden, separaten Blog.

Auf dem Cover klettert Katie Choong in 'Cabane au Canada' (8c+, ex 9a) in Rawyl...

Ja, seit der letzten Ausgabe des extrem West im 2010 hat sich sehr vieles getan. Neue Sektoren wurden erschlossen, bisherige Routen saniert, bestehende Klettergärten erweitert und ehemals geheime Gebiete erstmalig in Buchform publiziert. Während das Berner Oberland sehr umfassend beschrieben ist, findet man aus den Kantonen Waadt und Wallis eine Auswahl der besten Gebiete. Und da gibt es eine riesige Auswahl, sowohl für den Sommer wie den Winter (und die für den Sportkletterer "weniger problematischen" Übergangszeiten natürlich sowieso). Präsentiert wird die geballte Ladung an Information über 72 Gebiete auf 324 Seiten. Wie man es beim Filidor-Verlag gewohnt ist, kommt der Führer sehr kompakt und übersichtlich daher. Präzise Zustiegsskizzen mit allen nötigen Infos, klare Topos in welchen vielerorts die Routen mit Charakter und Schönheitssternen versehen sind sowie ästhetische Fotos und Erschliesserportraits runden das Werk ab. Das Prädikat lautet ganz klar "unverzichtbar" für alle, die in diesen Regionen Hand an den Fels legen wollen (was ich all jenen, die noch zweifeln, natürlich nur wärmstens empfehlen kann). Zu beziehen ist das Topo für 44 CHF direkt beim Filidor-Verlag oder natürlich auch im Buchhandel. Mit inkludiert ist auch ein Code, welcher für 3 Jahre einen kostenlosen Zugang zur Vertical-Life-App erlaubt.

...und hier klettert Larina, auch in Rawyl. Auch schwierig, aber noch nicht grad eine 8c+ 😎

Dienstag, 18. Juli 2023

Titlis Nordwand - Land ohne Herren (7c)

'Land ohne Herren' - diese bekannte Route des illustren Erschliesserduos Ruhstaller/Rathmayr hatte ich natürlich schon lange auf dem Radar. Das Problem war bloss, dass mir das Anforderungsprofil für eine Onsight-Session mit 6a, 6c, 2x 6c+, 7a, 7a+, 2x 7b und einer 7c selbst in der Kletterhalle die Unterarme zum Explodieren bringt. Normalerweise kann man sich bei einer MSL immerhin auf das Argument zurückziehen, dass die Kletterei weniger steil und physisch anstrengend wie Indoor ist. Nicht jedoch bei dieser fast permanent überhängenden Route am steilsten Stück Fels im Titlismassiv. Da aber Alexandra (➡ Trainerin von Larina) sich wieder einmal auf eine MSL wagen wollte um vom "Experten" einige First-Hand-Tipps in Erfahrung zu bringen, war ich mir einer kompetenten Ropegun sicher. Denn für sie ist das oben erwähnte Programm nach wie vor just an easy day...

Die Titlis Nordwand mit dem Zustieg übers Band (gepunktet) und dem Verlauf von Land ohne Herren.

Da ein Hitzetag prognostiziert war, wir eine zeitige Rückkehr präferierten und vor allem nicht hinter einer anderen Seilschaft klettern wollten, brachen wir früh auf - Weckerzeit um 4.30 Uhr klassifiziert da definitiv dafür. Immerhin, der Benefit war einer der wenigen verbleibenden Gratis-Parkplätze bei der Fürenalpbahn. Um 6.45 Uhr zockelten wir da los, gingen am um diese Zeit logischerweise verwaisten Schlänggen vorbei und nahmen den mir bestens bekannten Pfad via Hohfaldalp zum Galtigbergboden. In etwas weniger als 1:30h hatten wir die 900hm erledigt und standen nahe der Rampe, welche zum Band inmitten der Wand führt. Obwohl es noch früh war, hatte die Sonne beim Zustieg bereits eingeheizt und wir begaben uns gerne in den Schatten, um das Gstältli zu montieren und den Helm aufzusetzen. Die Querung übers Band bis ganz hinüber unter die Nase nimmt dann noch einiges an Zeit in Anspruch. Das Gelände ist teils exponiert und man muss sich an Fixseilen hinüberhangeln. Während die ersten Seile bis zur Piccola Spada neuwertig sind, so sind schon jene hinüber zur Süpervitamin marode und teils zu kurz. Danach ist es nur noch schlimmer (Stand Juli 2023). Es wäre schön, wenn jeder Titlisgänger ein Stück Seil mitführt (15-20m reichen) und auf einem Teilabschnitt einen alten Strick ersetzt (Update vom September 2023: inzwischen hat sich die Situation bis zur Süpervitamin verbessert, siehe Kommentar unten). 

Es ist ja schon ziemlich speziell, dass die Routen am Titlis erst inmitten der Wand beginnen. Das Band, das dahin führt, ist über weite Strecken erstaunlich einfach begehbar. Einige Abschnitte sind aber in exponiertem Absturzgelände, wo man zwingend auf die Fixseile angewiesen ist (oder dann zeitaufwändig in Seilschaft sichern müsste).

Der Einstieg war für mich als Beinahe-Ortskundiger (die LoH war zu diesem Zeitpunkt meine sechste Route in der Titlis Nordwand) relativ schnell aufzufinden. Vom Ende der horizontalen Fixseilquerung zum Bereich des Piz dal Nas geht man noch 10m nach links, über eine 3-4m hohe Stufe hinauf und befindet sich dann auf dem wieder breiteren Band unter der Nase. Hier nun leicht rechts ein paar Meter hinauf auf ein höheres Band, wo man den rot lackierten Einstiegs-BH (Fixé-Plättli) findet. Mit der Gear-Montage und der Querung waren nochmals 30 Minuten draufgegangen, so dass wir ziemlich genau 2:00h nach Aufbruch am Einstieg waren. Wir trödelten nicht herum, sondern schlüpften zügig in die Finken und starteten wohl ein paar Minuten nach 9:00 Uhr mit der Kletterei. Bis auf eine Seilschaft die drüben im Lochblick aktiv war und einer, die später noch zur Süpervitamin kam, waren wir alleine im Sektor unterwegs.

Letzter Teil der Fixseil-Querung, welcher in den Bereich unter der Nase führt (hier auf unserem Rückweg fotografiert). Das Gelände hier exponiert, zudem nass und kraxlig. Die Seile sind hier in schlechtem Zustand, noch dazu durch wegen Beschädigung gemachter Knoten inzwischen zu kurz. Mit 2 Seilschlingen, die ich gerade noch dabei hatte, konnte ich etwa 3m verlängern, was die Sache gerade wieder halbwegs vertretbar ist. Hätte ich es gewusst, so hätte ich mehr an Seilreserve mitgenommen.

L1, 20m, 4c: Verschärfter Teil des Zustiegs sozusagen, ohne fixe Absicherung und Legemöglichkeit, eher brüchiges Gelände. Die Seilsicherung dient dem Vorsteiger nur der Totalschadenbegrenzung (Absturz zum Wandfuss).

L2, 35m, 6c: Der erste überhängende Wulst folgt sogleich nach dem Stand und schon heisst es das erste Mal zupacken (bei auch noch nicht 1a-Felsqualität). Gut abgesichert jedoch. Nachher hat es über weite Strecken meist gute Leisten, dafür stecken die Bolts eher weiträumig. Eine kurze Stelle im letzten Drittel fordert nochmals mehr.

Meist - aber halt eben nicht immer - findet man in L2 (6c) gute Leisten.

L3, 35m, 7a+: Warnung, wer in der Nacht vor der Tour ruhig schlafen will, liest die folgenden Zeilen vielleicht lieber nicht... Der erste BH steckt hier etwas hoch und so schaffte es Alexandra sogar, in einer Rissspur links einen 0.75er-Cam zu versorgen - den einzigen der ganzen Tour. Das ist aber noch nicht das Problem. Sondern, dass der Abstand zwischen dem zweiten und dritten BH etwa doppelt so gross ist wie die übrigen Distanzen. Und nein, die Kletterei da ist eben nicht einfach, sondern es ist die Crux der Länge! Eher feine Leisten, relativ trittarm und ziemlich unübersichtlich - es braucht Mut und Kletterkönnen. Definitiv kann man da einen gehörigen Abflug hinlegen und wohl recht hart und unangenehm stürzen. Echt gefährlich ist es aber nicht, die Wand ist da leicht überhängend und der Sturzraum ist frei. Kommt noch hinzu, dass mich diese Sektion eher schwieriger dünkte wie die beiden 7b weiter oben - bisschen schade diese Hartmacher-Passage, irgendwie suboptimal auf der sonst eigentlich durchgehend top abgesicherten Route. Sonst ist die Länge aber echt cool, super Kletterei in scharfem Tropflochfels, mich hat es sehr an die Eiger-Nordwand (Deep Blue Sea) erinnert.

Nicht so angenehm... in L3 (7a+ engagée) ist der Abstand in der Crux vom zweiten zum dritten BH (wie hier auf dem Foto in voller Auflösung gut sichtbar) etwa doppelt so gross wie die restlichen. Den drohenden harten Sturz ausblenden, gut festhalten und durch muss hier die Devise sein.

L4, 25m, 6a: Ein nochmals relativ gutmütiges, wohl nicht einmal ganz senkrechtes Überführungsstück, bevor es dann definitiv ans Eingemachte geht. Schöne, griffige und gut kontrollierbare Kletterei, da wird es einem trotz nur 2 BH und einer Lotter-Sanduhr nicht Angst und Bange.

L5, 30m, 7b: Keine Frage, ab jetzt wird es echt steil. Als Nordwand-Kenner weiss man ja, dass damit auch unweigerlich die guten Griffe kommen. Und genau so ist es dann auch, so dass man vorerst gut an Terrain gewinnt und den Pump unter Kontrolle halten kann. Die Crux dieser Länge besteht aus einer kurzen Boulderpassage mit "gewusst wie"-Faktor. Leider sind da die Griffe oft nass und weder sonderlich scharf noch positiv. Hat man den Schlüssel gefunden, so darf man die genussreiche Henkelei wiederum frohgemut fortsetzen. 

Im steilen Wandteil hat man fast durchgehend juggy Gelände. Wenn dann die Henkel oder zumindest die positiven Leisten aber mal kurz fehlen, wird es logischerweise subito schwierig. In L5 und auch in L6 hat es je genau eine solche Stelle, wo man dann wegen dem Pumpfaktor auch nicht ewig nach einer Lösung suchen kann.

L6, 25m, 7c: Ohlalalala, man hält es kaum für möglich, aber die Steilheit legt gleich nochmals eine Schippe drauf. Schon nach den ersten Moves wird es gleich powerig und anhaltend geht's im "Vorglühen" (und hoffentlich nicht "Verglühen")-Modus bis zu einem Schüttler, wo man sich vor der relativ kurzen, bouldrigen "gewusst wie"-Crux etwas mehr (oder je nach Fitness weniger) Übersicht verschaffen kann. Für die Schlüsselstelle braucht man entweder einen guten Plan, oder dann die Fähigkeit, das nächstbeste Kleinmaterial an für einmal eher stumpfen Griffen zu nutzen. Mich hat es da leider rausgeputzt - alter Klempner, schade! Nachher wird dann wiederum "nur noch" die Ausdauer gefordert, um erfolgreich zum Stand zu klettern - und die war sogar bei mir in genügendem Ausmass vorhanden, also wird da bei starken Leuten kaum mehr etwas anbrennen.

Alexandra in der Crux (L6, 7c) - souverän wie gewohnt, das war bester Anschauungsunterricht!

L7, 25m, 6c+: Die Wand legt sich etwas zurück, gutgriffig bleibt's. Gleich aus dem Stand raus heisst es ordentlich festhalten, dann folgt eine etwas öttelige Stelle über eine Art Nase hinweg, bevor das etwas komisch gebohrt wirkende Ende folgt - naja, die Bolts leiten einen schliesslich doch auf die richtige Fährte und man kommt zum Standplatz unterhalb der Nase - von unten würde man nicht glauben, dass es da diese Flachzone gibt, wo sogar ein paar Grasbüschel wachsen.

L8, 15m, 7a: Ein kurzes 2-Bolt-Rüteli wartet hier. Hinüber zum steilen Pfeiler, da athletisch an Leisten hinauf, am Ausstieg kurz etwas dranbleiben und sobald man wieder in Gelände steht, wo man sich erholen kann, findet sich auch schon der Standplatz vor Beginn der nächsten Steilzone.

In der kurzen 7a-Länge (L8) mit Blick auf das erstaunliche, grasig-schottrige Band unter der Nase.

L9, 20m, 7b: Spätestens hier kann man endgültig konstatieren, dass es rechtsherum einfacher und weniger steil ginge. Das Kredo der Erschliesser lag jedoch darin, die steilstmögliche und homogen schwierige Linie zu wählen und so geht's hier nochmals in ein überhängendes Brett hinein. Dieses bietet durchgehend Material, das mindestens als "gute Griffe" zu bezeichnen ist, ja teilweise auch formidable Henkel. Dranbleiben und athletisch moven muss man trotzdem - es ist durchaus ein Test, wie viel Strom der Akku noch hat.

L10, 20m, 6c+: Mit einer Rechts-Links-Schleife wird nochmals alles an steilem Terrain ausgenutzt, was die Nase zu bieten hat. Natürlich erneut alles an grossem und positivem Griffmaterial. Selbstverständlich geht's langsam an die Substanz, aber hoffentlich reichen die Kräfte für den finalen Mantle auf die geneigte Abschlussplatte mit 400m Luft unter dem Pürzel - wäre schade es da noch zu vergeigen (ist uns aber nicht passiert).

Die Erschliesser haben bis zum Ende immer die steilstmögliche Linie gewählt (L10, 6c+).

Ein paar Minuten vor 14.00 Uhr und damit nach nicht einmal 5:00h Kletterei hatten wir das Top erreicht, eine sehr fixe Zeit! Aber Kunststück, mit einer Ropegun welche das alles mit einer unglaublichen Souveränität und Leichtigkeit klettern konnte. Mir war es auch ganz ordentlich gelaufen, für einen Komplettdurchstieg heisst es aber wiederkommen. Und erst noch etwas Suppe zu essen, das könnte auch noch nützlich sein. Am Routenende, d.h. auf der Kanzel der Nase kann man sich frei bewegen. Und noch ausserordentlicher, an die Kante sitzen und die Beine im Leeren baumeln lassen. Bis zum Wandfuss pfeift es da 400hm überhängend runter, das ist schon sehr, sehr aussergewöhnlich.

Wie schon damals bei der Duracell... oben am Routenende an die scharfe Kante der Nase zu sitzen, die Beine ins Leere baumeln zu lassen und unter sich 400hm Leere bis zum Wandfuss zu haben ist Pflicht!

Der massiven Steilheit wird man sich auch alsbald bewusst, wenn man abseilend wieder zu Tale gleiten möchte. Die Seilenden hängen da zig Meter von der Wand entfernt im luftleeren Raum. Man überlege sich also gut, wie man den Fels wieder erreicht. Auch das Handling an den Abseilständen will wohl durchdacht sein und mit Redundanz versehen werden. Einmal das falsche Seil loslassen bedeutet da die üble Arschkarte, da braucht es wirklich nicht viel, um mitten in der überhängenden Wand blockiert zu sein. Bei uns ging aber alles gut, uff! Eine etwas weniger extreme Option wäre das Abseilen über die Duracell, was wohl auch steil, aber nicht ganz so beständig massiv überhängend ist. Es macht jedoch wohl nur dann Sinn, wenn man diese Route kennt. Um 15.30 Uhr machten wir uns vorsichtig auf den Rückweg übers Band, um 17.00 Uhr schloss sich der Kreis bei der Fürenalpbahn, wo eine Affenhitze herrschte. Wow, das war nun eine richtig eindrückliche Sache gewesen. Und obendrein die richtige Destination für diesen Hitzetag. Ich hatte den ganzen Tag in Shorts und T-Shirt agiert und weder je gefroren noch geschwitzt - perfekt. Herzlichen Dank an Alexandra für diesen tollen Tag!

Facts

Titlis Nordwand - Land ohne Herren 7c (7a+ obl.) - 10 SL, 250m - Ruhstaller/Rathmayr 2006 - *****;xxx
Material: 2x60m-Seile, 10 Express, Cams/Keile kaum einsetzbar

Steil, steiler, Land ohne Herren! Ich wage die Behauptung, dass wir es hier im siebten Franzosengrad mit der steilsten MSL-Tour in der Schweiz zu tun haben. Die Kletterei ist wirklich äusserst spektakulär und aussergewöhnlich, eine absolute Must-Do-Route für all jene, die es draufhaben. Darum vergebe ich auch gerne 5 Sterne, selbst wenn die Felsqualität nicht auf jedem Meter top ist (im einfacheren Gelände ist es bisweilen auch mal etwas schottrig, teils ist der Fels etwas belagig/staubig). Abstriche könnten "Logiker" allenfalls für die ab L6 etwas gesuchte Linie durch die steilsten Zonen machen, etwas rechtsrum ginge es da beständig deutlich einfacher. Aber das entspricht natürlich nicht dem Konzept dieser Route, das nach meiner Ansicht absolut stimmig ist. Die Absicherung mit erst rot (später auch gelb und blau oder gar nicht) lackierten, verzinkten Haken ist an den schwierigen Stellen (>6b) bis auf den im Text erwähnten Hartmacher-Runout in L3 immer sehr gut (Niveau xxxx, bis auf die Stelle in L3 ist die Route auch nur ca. 6c+ obl). Wenn das Gelände leichter ist, so werden die Abstände deutlich grösser, was aber im gutgriffigen Fels kaum je ein Problem darstellt oder psycho ist. In den Topos werden die Friends 1.5 und 2 empfohlen (entspricht Camalot 0.75 und 1). Wir haben nur am Anfang von L3 den 0.75er ein einziges Mal platziert (mässig nötig/sinnvoll), sonst haben wir keine relevanten Einsatzmöglichkeiten für mobile Absicherung gesehen. Infos zur Wand/Route findet man im Filidor extrem Ost, dem SAC-Führer Zentralschweizer Voralpen Südwest und im Engelberg Outdoor Guide. Anbei das Fototopo der Erschliesser (vielen Dank!), wenngleich mit relativ schlechter Auflösung.

Fototopo zu Land ohne Herren an der Titlis Nordwand von den Erschliessern.

Donnerstag, 13. Juli 2023

SAC-Kletterführer Sankt Galler Oberland

Ja, dieses massive Schriftstück aus der Feder von Thomas Wälti mit seinen 437 Seiten war schon lange sehnlich erwartet worden. Da gibt es viele Gründe davon: einerseits war das Vorgängerwerk, der Churfirstenführer von 1995 zwar beispielhaft in Sachen Genauigkeit und Präzision der Topos. Andererseits war er nach 28 Jahren jedoch auch hoffnungslos veraltet, weil sich in diesem Gebiet in Sachen Sanierungen und Neutouren doch manches getan hatte. Andererseits gab es zu superbeliebten Crags wie der Galerie nun auch schon seit 10 Jahren keine aktualisierte, gedruckte Führerliteratur mehr. Und dann gab es natürlich noch viele Insider-Gebiete, die bisher noch gar nicht publiziert waren.

Meinereiner konnte ich auch ein wenig zu diesem Führer beitragen. Sei es mit MSL-Neutouren wie der Solitaire und am Ragnatscherbach, oder den Erschliessungen in diversen Klettergärten wie der Galerie, Magletsch und den Gebieten um Heiligkreuz. Weiter aber auch in der Form von Fotos und allerlei im Lauf der Jahre gesammelter Informationen und Eindrücke - ein nicht unwesentlicher Teil davon ist natürlich auch schon auf diesem Blog zu lesen, aber manch zusätzlicher Tipp hat auch noch Eingang in das Druckwerk gefunden. Eines der grössten Assets aus meiner Perspektive ist das komplett neue Gebiet Wintergarten ob Heiligkreuz. Natürlich gebührt da Daniel die grosse Ehre, ein paar Routen (Single und Multipitch) konnte ich dort aber auch beitragen und vor allem ist nun die Zeit gekommen, um die schon lange getippten Blogs der Öffentlichkeit preiszugeben. Sie kommen dann - im Moment ist ja Sommer und nicht Winter, somit herrscht dort eh nicht Saison.

Bit of a random pic... wobei vom Voralpsee ist mit der Halben Portion auch eine Neutour von mir drin.

Kurzum, für Kletterer aus der Ostschweiz und all jene die dort aktiv sein wollen, ist dieser Führer sicher unverzichtbar. Wie man es sich von Thomas gewohnt ist, hat er alle Gebiete sauber recherchiert und beschrieben. Für den SAC-Preis von 59 CHF kriegt man wirklich eine geballte Ladung von Information sowie die von ihm gewohnten, superpräzisen Topos. Natürlich hat er auch an vielen Orten selbst zur Bohrmaschine gegriffen und eine grosse Anzahl von Neutouren beigesteuert. Die absoluten Neuigkeiten im Führer sind wirklich sehr zahlreich: erstmals publiziert sind die Gebiete Windegg, L'Isola, Schlumschopf, Wintergarten, Twirriwand, Stierenwändli, Walabütz, Mapragg, Chüegang, Vättnerberg und Magletsch. Somit ist nun wirklich fast alles beschrieben - aber doch nicht ganz. Wie Thomas an der Vernissage eindrücklich geschildert hat, musste auf die Publikation einiger Gebiete doch verzichtet werden. Nur selten ist die Geheimniskrämerei der Erschliesser der Hauptgrund. Meist sind es die Behörden oder sonstige Akteure, welche das Klettern zwar (noch?) nicht explizit untersagen können, aber doch klar möglichst wenig Betrieb wollen. Bedenken wir doch dies beim Besuch der neuen Gebiete: wir Kletterer sind oftmals maximal geduldet, vielerorts sogar explizit unerwünscht. Verhalten wir uns also so diskret und unauffällig wie möglich! 

Freitag, 7. Juli 2023

Gastlosen - Voie des Biennois (7b+)

In den letzten Wochen herrschte bei uns Ausnahmezustand. Der war darin begründet, dass Larina das Schweizer Nationalteam an drei European Youth Cups im Leadklettern vertreten durfte 😍 Mit der Selektion, allen Trainings, Vorbereitungen und der Begleitung zu den Wettkämpfen blieb mir zum Bloggen keine Zeit und auch meine persönliche Kletterei stand weniger im Vordergrund. Immerhin, quasi "auf dem Heimweg" von der Comp in Saint-Pierre-en-Faucigny hatte ich die Gelegenheit, noch eine Route in der westlichen Landeshälfte oder im angrenzenden Ausland klettern. Logischerweise war es eine organisatorische Herausforderung, noch dazu gab es Last-Minute-Planänderungen, so dass die Sache schliesslich zu den Gastlosen konvergierte. Für einen warmen Sommertag ist deren NW-Seite definitiv eine sehr geeignete Destination. Die Wahl fiel schliesslich auf die Voie des Biennois am Gross Turm, welche 1961 als klassische Kletterei mit Schlaghaken und sehr abenteuerlichen Fortbewegungs-BH eröffnet worden war. In den letzten Jahren wurde das Equipment modernisiert, für die Freikletterei optimiert und eine teilweise neue Linie gefunden. Bei einem Grad von 7b+ liebäugelt man gerne mit einem freien Gesamtdurchstieg und genau das wollten wir probieren.

Der begeisternde Blick auf die Gastlosenkette vom Ausgangspunkt Chli Sattel.

Zu Anreise und Zustieg gibt's nicht viel zu vermerken - es war erst mein zweiter Besuch an der Gastlosen NW-Seite. Da kann ich keine Insider-Tricks geben, wir hielten uns an die Literatur. D.h. Ausgangpunkt bei Chli Sattel (1430m), dann zum Chalet du Soldat (1751m) und über den in der Landeskarte verzeichneten Climbers Trail zur prominenten und im Aufstieg sichtbaren Wand (1880m). In zügigem Schritt brauchten wir ca. 40 Minuten für die 450hm. Der Wandfuss ist als Sportklettersektor eingerichtet - das scheint am Fusse einer 250m hohen Wand aus Alpinisten- und MSL-Sicht ein wenig "lazy" 🦥 Doch es ist ein bequemer Platz, schön schattig und eben, dazu hat der untere Wandteil richtig Schwung, somit macht es absolut Sinn. Für uns galt es noch, den richtigen Einstieg zu identifizieren. Von Wand über überhängende Verschneidung bis zu Fingerriss gibt's da mancherlei Option im untersten Stockwerk. Schliesslich waren wir uns nach einer Analyse trotz eher rudimentärem Fototopo sicher, wo es losging. Präzise Informationen zu diesem Sektor und dem Einstieg der Biennois wären übrigens im brandneuen Extrem West Band I von Filidor zu finden. Um 9.45 Uhr stiegen wir ein.

Der Gross Turm mit dem Verlauf der Voie des Biennois.

L1, 25m, 6c: Ja, der markante Fingerriss gleich links der überhängenden Verschneidung ist es - was die Bewertung von 6c gleichzeitig beruhigend wie unberuhigend macht. Denn der Riss sieht irgendwie grausam glatt und kompromisslos aus. Zu des Sportkletterers Glück lässt es sich dann jedoch weitestgehend in normaler Wandkletterei moven. Der Riss ist nämlich effektiv glatt und seifig, da ist man froh, nicht ausführlich auf Jams angewiesen zu sein. Mich dünkte die Sache doch ordentlich pumpig, irgendwie war der Grip so richtig ätzend schlecht und ich musste tiefer in die Tasche greifen wie in dem Grad üblich 🥵 Vielleicht eher eine 6c+?

L1 (6c) ist steil und kam mir sehr pumpig vor!

L2, 50m, 6b+: Hier hatten wir mit unserem Fototopo, das nur eine einzige Linie ausweist, kurz etwas Orientierungsschwierigkeiten. Als Fortsetzung von L1 liessen sich nämlich ca. 4 verschiedene Linien klettern. Die Biennois quert 5m horizontal nach rechts und nimmt die Fixé-Plättli, die erst Wandkletterei bieten und ultimativ in eine Verschneidung führen. Diese in anhaltender, aber nie extremer und vor allem sehr interessanter 3d-Kletterei hinauf, meist ist der Fels toll strukturiert und der Riss prima griffig. The Meat of the Pitch ist das Dach ein paar Meter vor dem Ende der Seillänge. Nach meinem Empfinden deutlich leichter wie L1.

Schöne Wand- und später Verschneidungskletterei in L2 (6b+).

L3, 25m, 7a oder 7b (?): In dieser Seillänge wurde die Route augenscheinlich schon zu einem früheren Zeitpunkt saniert und mit einer neuen, für die freie Kletterei besseren Linienführung optimiert. Das bedeutet dafür weitere Hakenabstände, gerade der zweite Klipp ist durchaus etwas engagiert. Die Wandkletterei im scharfen Tropflochfels ist aber genial. Nach einer Rastposition geht's dann in die zweite Wand hinein - kräftige Tropflochpuncherei mit einem erneut recht engagierten Klipp führen zur Crux. Da lässt sich die Sache dann kaum mehr mit Kraft wegdrücken und es wird verdammt knifflig. Mein Onsight-Go endet mit dem Move an die grundsätzlich rettende Kante, wobei die von mir gewählte, offensichtliche (oder vielleicht besser "in Spekulation und Hoffnung auf den Henkel") Beta halt einfach keine machbare Lösung darstellt. Summa summarum finde ich die Bewertung von 7b oder 6c A0 laut altem Topo passender wie jene im neuen (7a oder 6b+ A0).

Too much information?!? Ein genaues Studium des Fotos hilft womöglich beim Ausstieg aus der Cruxpassage in L3 (7a oder 7b, von mir aus gesehen eher zweiteres). Wobei das Foto dann vermutlich höchstens dazu hilft, nicht machbare Lösungen zu erkennen...

L4, 35m, 6c A0 oder 7b+ (?): Der Stand bietet eine bequeme Ruheoase, wo man sich auf die Crux vorbereiten kann. Wobei sich diese vorerst nicht zeigt, denn dass die Verschneidung ob dem Stand nicht die 7b+ ist, lässt sich zweifelsfrei prognostizieren. Wobei der Fels aufgrund seiner Glattheit diese Passage doch schwieriger macht, wie man zuerst gedacht hätte - lässig zu klettern ist der Part aber absolut. Auch dass es später beim Linksknick nach dem Zwischenstand verdammt schwierig wird, braucht dann keinen Propheten. Die Stelle ist uns schliesslich auch nach längerem Tüfteln und Probieren aller erdenklicher Beta nicht frei gelungen. Das passiert in einer 7b+ sonst nicht - ob das als Richtschnur für eine höhere Bewertung dient ist zwar durchaus fraglich. Jedoch sollte man sich als Normalsterblicher vielleicht nicht zu viel Hoffnung machen, diese Stelle klettern zu können, schon gar nicht im Onsight. Es hat den Charakter von einer extremen Zauberstelle, welche zudem sehr 'aleatory' scheint. Angetreten wird auf der äusserst glatten Seitenwand, dann heisst es von quasi inexistenten Griffen den nötigen Druck auf die Sohlen zu bringen und gleichzeitig weite Moves nach oben zu machen ohne dass die Füsse wegflutschen. Nach ca. 2m geht's wieder "normal schwierig" (ca. 6c) weiter. Der Fels ist wieder strukturiert, bietet lässige 3d-Kletterei, die durchaus etwas Engagement erfordert. Fast ein wenig schade, dass die Natur hier kurz mit den Strukturen gegeizt hat.

Ergänzung: erst im Nachhinein habe ich erfahren, dass der Originalparcours der Biennois vom Zwischenstand in einer Rechtsschleife hochführt. Dieser Abschnitt wurde inzwischen auch saniert und ist als 6b bewertet. Somit kann man die für uns nicht frei kletterbare 7b+ Crux umgehen.

Sowas à la Raupentechnik hilft am Anfang von L4 (6c A0 oder für uns nicht nachvollziehbar, 7b+).

L5, 40m, 6b+: Hier trifft man mit der 2ème à Emile zusammen. Offenbar führt(e) die Biennois original dem sehr alpinen Schuppensystem entlang gerade hoch, was aber auch modernen Gesichtpunkten keine lohnende Kletterei darstellt. Die neue Variante geht in der linken Verschneidung den Fixé-Plättli entlang. Eine klassische Linie, überaus steil, cool zu klettern! Dank dem meist sehr griffigen Riss und den stets guten Trittmöglichkeiten zwar durchaus athletisch und luftig, jedoch ohne extreme Schwierigkeiten. Zu erwähnen ist, dass der Fels bisweilen etwas mehlig-belagig ist, passt aber schon. Ebenso wurde zum Zeitpunkt unserer Begehung kürzlich geputzt, so dass auch teilweise der Dreck rieselte und für noch etwas alpinere Verhältnisse sorgte (das dürfte sich bestimmt wieder legen).

Steile, klassisch anmutende, aber gut eingebohrte Verschneidung in L5 (6b+).

L6, 40m, 5b: Ab hier legt sich das Terrain zurück und wird auch weniger lohnend - der Weiterweg zum Gipfel gehört aber absolut dazu und wird in der letzten Seillänge auch nochmals belohnt. Erst links in gutgriffiger Wandkletterei über die gut sichtbaren Haken, womit man eine ziemlich grasige Rampe erreicht. Auf dieser nach links aufwärts, die Bolts sind dabei wie auch der Stand auf der rechten Seite zu suchen (nicht so gut sichtbar). Ein letzter Hinweis noch: das Sanierungstopo der 2ème à Emile zeigt deren Routenverlauf im oberen Teil sehr ähnlich wie bei der Biennois, aber in verschiedenen Details doch nicht 100% deckungsgleich. Ob sich da nun tatsächlich 2 unterschiedliche Linien befinden oder nicht, kann ich beim Schreiben dieses Blogs nicht wirklich klären.

Sieht gar nicht so nach "Gelände legt sich zurück" aus: L6, 5b.

L7, 50m, 6a+: Hier folgt ein durchaus nochmals lässiges Schlussbouquet. Erst wenige Meter weiter der Rampe entlang, dann rechts die Seitenwand erklettern, um eine grasige Fläche unter der markanten Rissverschneidung zu erreichen. Der breite Riss klettert sich lässig, wenn auch ein wenig mit Techniken 'à l'ancienne'. Die BH sind da zwar nicht weit auseinander, aber aufgrund vom Seilverlauf führt ein Sturz in der Crux auf den ersten 5-7m vom Riss doch mit einer nicht zu vernachlässigenden W'keit zurück auf den Grasboden. Wer dies Entschärfen will, kann Cams der Grösse 3 und/oder 4 shuffeln - zwingend ist das nicht, wer den Grad einigermassen im Griff hat, verspürt wohl einige aufgestellte Nackenhaare, aber nicht Lebensgefahr. Zum Ende hin dann wieder etwas flacheres Gelände und etwas Gras zum Abschluss-Kettenstand bei kleiner Föhre am Grat.

L7 (6a+) kriegt man nicht adäquat vor die Linse. Unten das Chalet du Soldat.

Um 15.00 Uhr hatten wir nach 5:15h der Kletterei das Top erreicht. Tönt nach ziemlich lange für die bloss 7 Seillängen. Die Erklärung dazu: die meisten SL sind relativ lang und anhaltend steil, wir hatten uns nicht übermässig gestresst und auf eine komplette RP oder zumindest freie Begehung aspiriert. Und natürlich hatten wir auch die Zeit dazu gehabt. Gerade zum Zeitpunkt unseres Ausstieg begann die Sonne, die Wand zu bestreichen. Wir indessen stiegen die wenigen Meter zum Gipfel des Gross Turms hinauf, um das vollständige Panorama zu bewundern. Retour ging es auf dem gleichen Wege, in 6 Manövern (zuletzt über einen routenunabhängigen Stand) geht's zurück an den Einstieg. Wobei sich zeigte, wie steil die Wand doch ist. Der Schlappen, der an Stand 5 vom Fuss rutschte, fiel im freien Fall zu Boden und traf etwa 15m vom Einstieg entfernt auf - was übrigens auch die Steinschlaggefahr für allfällige Sportkletterer in den Baseclimbs relativiert. Um 16.30 waren wir schliesslich retour am Parkplatz und machten uns auf den ziemlich langen Heimweg. Auch mein (erst) zweiter Ausflug an die NW-Seite der Gastlosen hatte mich begeistert. Auch wenn's nicht gleich um die Ecke ist, da komme ich sicher wieder hin - es gibt noch viel zu tun!

Facts

Gastlosen / Gross Turm NW-Wand - Voie des Biennois 7b+ (6c obl.) - 7 SL, 255m - ***;xxxx
Material: 2x50m-Seile, 15 Express

Eigentlich eine klassische Kletterei aus dem Jahr 1961, welche über weite Strecken einer naturgegebenen Verschneidungslinie folgt. Dazwischen gibt es diverse Passagen in Wandkletterei und zusammen mit einer üppigen Sanierung (leider verzinktes Material) mit teilweiser Linienverbesserung sprechen wir heutzutage von einer aus modernen Alpinsportkletterperspektive tollen Unternehmung. Die Felsqualität ist im unteren Teil sehr gut bis super, zudem sind die ersten 5 SL überaus steil, für Ambiance ist also gesorgt. Oben wird es dann ein wenig klassisch-alpiner mit stellenweisen Grasbewuchs, das passt aber schon. Die Hakenabstände sind meist klettergartenmässig eng gehalten, trotzdem besteht ein gewisser Anspruch an den Vorsteiger, so 6b+/6c obl. kommt durchaus hin. Cams und Keile könnte man wiederholt anbringen um für noch kürzere Sicherungsabstände zu sorgen, nötig ist dies jedoch nicht (wir hatten kein mobiles Material dabei). Zur Route gibt es 2 unterschiedliche Online-Topos mit auch unterschiedlichen Bewertungen. Aus unserer Sicht passen die älteren Bewertungen (L3 als 7b oder 6b+ A0, L4 als 6c A0) besser wie die neueren und tieferen. Vielleicht ist die Route sowieso am lohnendsten für eine 7a-Kletterer, der in L3 und L4 zwei Stellen à je 3m hakentechnisch macht. Denn ob's für einen 7c-Kletterer frei geht, steht dann doch eher in den Sternen... Anbei mein schematischer Toposudel (vielleicht hilft's ja für mehr Klarheit in der Wand) und die beiden erwähnten Fototopos. Ebenfalls hilfreich sein kann das Sanierungstopo zur 2ème à Emile.

Meine persönliche, schematische Toposkizze der Biennois.

Älteres Fototopo zur Biennois, für mich passen da die Bewertungen von L1-L5 (Quelle)
Das neuere Fototopo zur Biennois. 7a hard in L3 und L4 war für uns definitiv A0 (Quelle)