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Dienstag, 29. September 2015

Rätikon - Galadriel (6c+)

Die Galadriel nimmt in meinem Kletterleben einen speziellen Platz ein. Im September 1995, und damit bereits vor mehr als 20 Jahren (!!!) hatte ich das erste Mal das Vergnügen. Bis dato war ich noch nie in meinem Leben je in eine 6c+ (oder 8-, wie man zu dieser Zeit noch sagte) eingestiegen. Doch damals lautete der Befehl ganz einfach "Mitkommen!", und so geschah es. Für mich total überraschend gelang es mir, bis auf ein paar wenige Hilfspunkte den grössten Teil der Route frei zu durchsteigen. Die Tour war definitiv der Augenöffner, dass auch in solchen Wänden nur mit Wasser gekocht wird, und dass vor dem 8. Grad kein übertriebener Respekt nötig war.

Bereits im Jahr darauf ging ich die Route dann in Hauptverantwortung mit einem Kollegen an. Zwar noch mit dem puren Fokus aufs "Hochkommen - Stilmittel egal", was aber erfolgreich gelang. Drei weitere Versuche in der Route standen dann mehr im Zeichen einer kompletten RP-Begehung, welche jedoch leider immer am einen oder anderen Detail scheiterten. Im Sommer 2002, und damit auch schon vor mehr als 13 Jahren (Wahnsinn, wie die Zeit vergeht...), war ich dann das letzte Mal in der Route, bevor ich mich definitiv anderen Zielen und Projekten widmete. 

Die Südwand der 5. Kirchlispitze mit der Route. Links der Elefantenbauch an der 4. Kirchlispitze mit dem Silbergeier.
Dass es nun zu einem weiteren Go kam, ist mehr dem Faktor Zufall zuzuschreiben. Nebel, Quellwolken, Neuschnee und verbleibende Restnässe machten die Gebietswahl schwierig. Rätikon hiess die schliesslich, und während der erste Blick beim Aussteigen dort erstaunlich trockene Verhältnisse offenbarte, zeigte genauere Inspektion hier einen Wasserstreifen in der Cruxlänge und dort eine siffige 7a-Verschneidung mit vermutlich wenig Klettergenuss. Die für mich letzten, im Onsight denkbaren Kirchlispitzen-Touren wollte ich definitiv nicht bei untauglichen Bedingungen herschenken. Dieser purste aller Begehungsstile erfordert eben auch die Geduld, auf den richtigen Moment warten zu können.

Somit war eine Alternative gefragt, am schattigen Schweizereck und der noch mit Schneeresten überzogenen Drusenfluh waren diese jedoch nicht zu finden. Somit war dann rasch klar, dass es für mich eben eine Wiederholung einer bereits bekannten Kirchlispitzen-Tour geben würde. Was mir aber natürlich lieber war, als irgendwo mit Hängen und Würgen über nasse Stellen hinwegzumogeln, um hinter einer weiteren Tour den Tick setzen zu können. Nirgends war es im Gebiet so trocken wie im Sektor der Galadriel, da nur eine Seilschaft dort bereits aktiv war und ich sowieso noch eine Rechnung offen hatte, war der Plan rasch gemacht. Um ca. 10.15 Uhr ging es los.

Schöne Wolkenstimmung im Rätikon. Die Drusenfluh ist bereits eingenebelt, wir sind noch an der Sonne...
L1, 50m, 6b: Noch etwas durchzogene Kletterei über ein paar schöne Wandstufen hinweg, dann und wann unterbrechen aber auch einige Absätze den Kletterfluss. Zwar nicht schwierig, aber manchmal auch gar nicht so einfach.

L2, 40m, 6b+: Eine kurze, steile Wand mit einem griffigen Riss stellt eine erste Herausforderung. Danach einfacher rechtsrum oder als erster Reibungstest direkt über die nächste Stelle. Nach einfacherem Gelände zuletzt noch eine schöne Querung zum Stand hin.

Jonas on lead am griffig-steilen Riss zu Beginn von L2 (6b+). Sehr schöner Rätikonkalk hier!
L3, 35m, 6c: Die erste, richtig fordernde Länge. Gleich nach dem Stand warten feine Balance-Moves und gespreiztes Antreten auf Reibung. Danach geht's in schönem Fels etwas einfacher und genussvoll dahin, bis zum Stand auf bequemem Absatz.

L4, 50m, 6a: Fast 50m lange Überführungslänge in etwas weniger schönem, teil etwas schrofigem Gelände. Die Route wurde jedoch in die kompakten Zonen gelegt, so dass man trotzdem recht genussvoll steigen kann.

Sehr schöne Plattenkletterei im einmaligen Fels mit hervorragender Reibung. Das ist L3 (6c).
L5, 40m, 6b: Lange Platte mit recht anhaltenden Schwierigkeiten, aber nie extrem. Bei genauerem Hinschauen offeriert sich immer da ein Griffchen oder dort ein guter Tritt. Halbseiltechnik oder lange Schlingen zwecks Entgegnen des Seilzugs definitiv sinnvoll.

L6, 20m, 6b+: Schöne Sequenz mit ziemlich athletischer Kletterei. Schon bald nach dem Start etwas knifflig über einen ersten Bauch, später dann eine trittarme Gegendruck-Linksquerung an Seitgriffen und zum Schluss eine luftige, aber griffige Leistenquerung nach links.

L7, 20m, 6c: Relativ gemütlicher, aber etwas rustikaler Auftakt an einer leicht splittrigen Piazschuppe zu griffiger Querung nach links. Die Crux kommt am Schluss dieser kurzen Länge. Links aussen "spitzig" antreten, im Untergriff etablieren und an den Henkel, Rechtstraverse zum Stand, voilà!

Jonas im Ausstieg der zweitschwersten Stelle der Route in L7 (6c).
L8, 45m, 6c+: Die schwerste, und auch deutlich anspruchsvollste Länge. Während der Rest durchgehend bestens eingebohrt ist, warten hier zwei ca. 5m lange Hakenabstände mit nicht ganz trivialen Plattenmoves dazwischen. Der erste geht mit etwas Entschlossenheit und zwei Seitgriffen (erst für links und danach für rechts) gut. Der zweite leitet die Cruxsequenz ein. Hat man den letzten Haken weit überstiegen und steht auf dem letzten, vernünftigen Tritt, so grinst einen der Haken 50cm ausser Reichweite fies an. Nun also an einem Untergriff anlaufen, wacklig klinken (mit erheblich störendem Seilzug) und gleich weiter. Seitgriff, entschlossen abschüssig hintreten und hepp, an den Henkel. Nach dem Mantle nochmals klinken und schliesslich sloprig etwas links am letzten Bolt vorbei zu besseren Griffen und Stand.

Die Cruxsequenz der ganzen Route. Jonas folgt auf den letzten Metern in L8 (6c+).
L9, 35m, 6b: Nicht ganz triviale Quergangsseillänge, welche vor allem vom ersten zum zweiten Bolt mit überraschend schweren Moves aufwartet. Die Felsschichtung ist dort kurzzeitig ziemlich ätzend, alles zeigt vermeintlich in die falsche Richtung - nur nicht abschmieren. Beim Runout zum Stand tief bleiben, und erst am Schluss hinaufsteigen.

L10, 45m, 6c: Von der geräumigen Nische wartet ein weiterer Quergang. Zwecks Vermeidung von Seilzug stecken hier die Haken 1-3m höher als man am einfachsten klettert. Aber man kann entweder hinaufsteigen zum Einhängen, oder klippt gleich die (teils morschen), fixen Verlängerungen. Nach dem Quergang noch ein langer Abschnitt in Wandkletterei in fantastischem, wasserzerfressenem Fels, teilweise nochmals ziemlich fordernd.

Nach dem Quergang zu Beginn herausragend schöne Kletterei im oberen Teil von L10 (6c).
L11, 40m, 5b: Das letzte Teilstück führt bis kurz vor den Grat hinauf. Hier warten keine Schwierigkeiten mehr, und man ist entsprechend bald am Top angelangt.

Um 14.45 Uhr nach rund 4:30 Stunden Kletterzeit haben wir es geschafft. Während wir in der ersten Hälfte schönen Sonnenschein genossen, wurden wir später teilweise eingenebelt und kletterten bei frischen Temperaturen. Zum Schluss lachte jedoch wieder die Sonne. Das war passend, denn tatsächlich war mir die komplette RP-Begehung gelungen und damit ein altes Projekt erfolgreich erledigt. Ich war happy, hier trotz inzwischen fortgeschrittenem Alter noch zum Erfolg zu kommen - im Spitzensport wäre ich ja mit meinem Jahrgang längst von der Bildfläche verschwunden. Scheiterten meine früheren Versuche immer jeweils daran, dass mir irgendwann die Kraft ausging, so war dieser Aspekt nun trotz der Vorermüdung aus der Kamasutra absolut kein Faktor. Hier kommt mir ganz sicher mein gegenüber früher deutlich höheres Klettergarten-Niveau entgegen. Das zeigt sich auch daran, dass ich gemäss meinen früheren Notizen oftmals die etwas athletischeren Passagen als herausfordernd empfand.

Die letzte schwere Kletterstelle in der Route am Abschlussüberhang von L10 (6c).
Andererseits, als ganz einfach empfand ich die Route auch heute noch nicht. Vor allem im plattigen Hinsteh-Gelände und bei eher kühnen Balancy-Moves war ich durchaus gefordert und einiges vom sorglosen Durchmarschieren entfernt, wenn es dumm gelaufen wäre, hätte dort ein kleiner Fehler auch das Ende der RP-Bemühungen bedeuten können. Die zwei Runouts in der Cruxlänge kamen mir auch heute noch als nicht ganz unbedenklich rein und ich staunte doch ziemlich über mein Kühnheit vor 20 Jahren, vor allem im Angesicht von meinem damaligen Niveau. Naja, jugendlicher Auftrieb eben, und wie es scheint, ist es deutlich einfacher, durch Training Fortschritte in Bezug auf Kraft und Ausdauer zu machen, wie in Bezug auf Kühnheit und Souplesse im technischen Hinsteh-Gelände. Dieses Fazit ist eigentlich gar nicht so erstaunlich, ist mir doch heute glasklar, dass gewisse schlecht abgesicherte Alpin-Plattenhämmer trotz eigentlich ausreichendem (Klettergarten-)Niveau in Bezug auf den Schwierigkeitsgrad wohl für immer unerreichbar sein werden.

Um diese Erkenntnisse reicher machten wir uns auf den Weg nach Hause. Vom Top seilt man erst diagonal über Schrofengelände zu einem routenunabhängigen Stand ab. Von dort geht's dann zügig in die Tiefe, auch mit 2x50m-Seilen kann man noch ideal 3x einen Stand auslassen und erreicht in total 7 Manövern wieder den Einstieg. Wir brauchten nur eine gute halbe Stunde dafür, so dass wir am Einstieg nochmals bequem an der wieder scheinenden Sonne vespern konnten, um später gemütlich zurück zum Grüscher Älpli zu wandern. Zum Schluss verbleibt nur die Frage, ob ich die Galadriel in 20 Jahren wohl ein weiteres Mal werde klettern können...?!?

Facts

5. Kirchlispitze - Galadriel 6c+ (6b+ obl.) - 11 SL, 420m - Lietha et al. 1994 - ***;xxx/xxxx
Material: 12 Express, evtl. Camalots 0.3-0.75, 2x50m-Seile.

Diese Route hat sich zum grossen, viel begangenen Rätikon-Klassiker gemausert, da es sich lange Zeit um die einfachste der gut mit BH abgesicherten modernen Routen an den Kirchlispitzen gehandelt hat. Die Linie besticht durch meist plattige Kletterei in gutem bis sehr gutem Fels. Unten hat es noch einige Bänder und weniger schöne Zonen, oben folgt man dann in einigen Quergängen dem kompakten Fels. Die Route ist gut mit BH abgesichert, über weiteste Strecken kann man ein solides xxxx vergeben. Am anspruchsvollsten ist aber ausgerechnet die Cruxlänge (L8, 6c+) ausgefallen, wo man in anhaltendem Gelände auch einmal ein paar Meter über die Haken steigen muss und eher nur xxx vergibt. Hier merkt man, dass der Erstbegeher deutlich über den geforderten Schwierigkeiten stand. Die Mitnahme von mobilem Sicherungsmaterial kann man sich sparen, auch wenn man hier und da noch einen kleinen Cam unterbringt.

Topo

Die Route wurde bereits in zahlreichen Führerwerken publiziert und selbst Google zeigt einem diverse Topos. Erwähnt sei, dass die Crux vor allem im Lokalisieren des Startpunktes besteht, danach folgt man dann einfach den regelmässig steckenden Bohrhaken zum Top. Die Schwierigkeitsangaben in meinem Bericht habe ich aus dem Extrem Ost übernommen, je nach Topo differieren diese etwas. An dieser Stelle noch das gute Werk von Paolo & Sonja:

Topo von Paolo & Sonja. Link zur Quelle: klick!

Mittwoch, 23. September 2015

82 Summits

Vom diesjährigen Sommer-Projekt von Ueli Steck, dem Enchainement aller 82 Alpen-Viertausender, haben wohl die Meisten das Wesentliche mitbekommen. Nämlich, dass das Projekt in 62 Tagen erfolgreich abgeschlossen wurde, es jedoch auch von Zwischenfällen nicht verschont blieb. Trotzdem blieben Details aber bisher vage, so war mir z.B. die Sequenz der bestiegenen Gipfel und auch die gewählten Routen bis auf einzelne Ausnahmen unklar. Licht ins Dunkel kommt nun mit einem exzellenten Artikel auf der französischen Seite summits.info, von dem ich an dieser Stelle einige Ausschnitte wiedergeben möchte.

Entstanden ist der erwähnte Artikel bei einem Interview mit Ueli Steck, nachdem er 2 Wochen nach Abschluss seines Projekts am Wettkampf Ultra Trail du Mont-Blanc (53km, 3300hm) teilgenommen und als 22. von über 1200 Teilnehmern abgeschlossen hat. Gemäss seinen Aussagen sei er aber noch nicht erholt von seinem 4000er-Enchainement gewesen, und insbesondere in den flachen Abschnitten langsam gewesen. Wie immer ist alles relativ. Wissenswert vielleicht auch, dass er während seiner 4000er-Tour im Schnitt pro Tag (inkl. der 11 Ruhetage ohne Aktivität) rund 2000hm und 30km Distanz zurückgelegt hat. 

Die Wächten an den Graten von Täschhorn und Dome können heikel sein. Hier anlässlich meiner Besteigung im 2009.
Zur Sprache kommt dann die Vorgeschichte des 4000er-Projekts. Zwei Briten realisierten 1993 das erste, durchgehende Human-Powered-Enchainement, 2007 realisierte eine Slowene alle Gipfel am Stück mit motorisierten Transporten dazwischen, bevor im Sommer 2008 zwei Italiener die 82 4000er in 60 Tagen und ebenfalls komplett Human Powered realisierten. Dazu gab es den Versuch der beiden Franzosen Patrick Berhault und Philippe Magnin, wobei ersterer jedoch auf der Täschhorn-Dom Traverse tödlich abstürzte. Diese war auch für Ueli Steck ein Pièce de Resistance: geplant war ein Raid über die 7 Viertausender vom Dürrenhorn über den gesamten Nadelgrat, Dom und Täschhorn bis zum Mischabelbiwak. Der Abstieg über den Dom-Südgrat war dann Ueli Steck jedoch zu heikel, so dass er über die Dom-Normalroute nach Randa abstieg und den bereits postierten Fotografen am Täschhorn vergeblich warten liess.

Weiter zur Sprache kommt der Unfall seines ursprünglich vorgesehenen Partners Michi Wohlleben. Nachdem die beiden mit der Traverse von Schreckhorn und Lauteraarhorn die Gipfel Nr. 2 und 3 bestiegen hatten, hatte dieser beim anschliessenden Flug von der Schreckhornhütte ins Tal eine Crashlandung zu vergegenwärtigen, welche mit heftigen Prellungen endete. Über zwei weitere Gipfel (Mönch und Jungfrau) konnte er sich noch quälen, danach musste er das Handtuch werfen. Während der Gleitschirm im Hochgebirge ein bequemes Hilfsmittel sein kann, so birgt er natürlich auch Gefahren. Zum Glück war meine persönliche Gleitschirm-Erfahrung am Schreckhorn damals deutlich besser ausgegangen - ein Abenteuer, das ich auch heute noch in bester Erinnerung habe.

Mein persönliches Bergsteiger- und Gleitschirm-Abenteuer am Schreckhorn: hier bei der Hütte auf 2600m.
Ein Effort ganz besonderer Art war es schliesslich, als Ueli Steck zusammen mit dem Zermatter Andreas Steindl die gesamte Spaghetti-Tour mit ihren 18 4000ern an einem einzigen Tag von der Monte-Rosa-Hütte bis aufs Klein Matterhorn abspulen konnten. Rund 30km Horizontaldistanz und über 4000 Aufstiegs-Höhenmeter stehen dabei auf dem Programm - nicht etwa auf Bergwegen, sondern im Schnee und auch hochalpinen, exponierten Graten. Und am Folgetag wurde nicht etwa pausiert, sondern vom Klein Matterhorn rasch der grosse Bruder bestiegen. Nur schon vom Klein Matterhorn bis zur Hörnlihütte ist es ein Stück (das Stück vom Trockenen Steg zur Hütte legte ich letztes Jahr bei meiner Tour durch die Nordwand zurück), doch gelang es den beiden in beinahe unglaublichen 6:29 Stunden nicht nur auch noch zum Gipfel zu gelangen, sondern auch zu Fuss nach Zermatt abzusteigen und mit dem Velo nach Randa zu fahren - Wahnsinn! In dieselbe Kategorie gehört auch die Tour aufs Weisshorn von der gleichnamigen Hütte, über den Ostgrat mit Abstieg über den Nordgrat und via Bishorn nach Zinal mit anschliessender Velo-Fahrt nach Sion in 7:06 Stunden. Nebst Top-Kondition braucht es für solche Efforts natürlich auch eine überdurchschnittliche Rekuperations-Fähigkeit. Trotz ständigem Aufenthalt in der Höhe, bzw. in einfachen Verhältnissen auf Berghütten und im Wohnwagen sowie wenig Schlaf wurde Ueli nie krank und war stets wieder fit für die nächsten Leistungen. Zu futtern gab es gemäss seiner Aussage einfach das, was ihm auf den Hütten serviert wurde, tagsüber ernährte er sich von Riegeln, Bananen und Gels. 

Weisshorn-Nordgrat: Jogging-Gelände für Ueli Steck, wir brauchten etwas länger...
Der tragische Zwischenfall auf dem Rochefort-Grat, als Martjin Seueren in den Tod stürzte, schaffte es bei uns bis in die Print- und Online-Medien. Die Details dazu blieben allerdings lange vage. Offenbar waren Steck und Seueren vorher nicht persönlich bekannt, vereinbarten jedoch, die Traverse der Aiguilles de Rochefort und der Grandes Jorasses wenn auch nicht gemeinsam (Seueren war mit einem Partner unterwegs), dann doch parallel anzugehen. Beim Absturz am Rochefort-Grat war Ueli Steck nicht unmittelbar dabei, da er die beiden vorgehen liess und noch den am Weg liegenden Dent du Géant bestieg. Er traf erst danach auf den ihm alleine entgegenkommenden Partner von Seueren, welcher ihm vom Absturz berichtete. Für Steck folgte danach eine Reflexionspause von 5 Tagen, sowie ein weiterer zweitägiger Unterbruch für den Besuch der Trauerfeierlichkeiten in den Niederlanden.

Chronologische Auflistung aller Touren. Quelle: http://sommets.info/82-4000-des-alpes-lextraordinaire-enchainement-de-ueli-steck/
Ueli Steck entschied sich schliesslich, die Tour fortzusetzen. Inklusive bewegender Momente, da er ja die Überschreitung Rochefort-Grandes Jorasses ebenfalls anzugehen hatte. Weiter folgten gewaltige Ausdauerleistungen mit einer zweimaligen Traverse des Mont Blanc von Süden nach Norden, um jeweils alle Satelliten-Viertausender des grossen Onkels abzuholen. Interessant ist dabei vor allem das Zitat von seinem Begleiter Jon Griffith, seines Zeichens auch ein exzellenter Alpinist und fit wie ein Turnschuh: "Die Beine von Ueli? Wie Baumstämme... Die Alpen sind für ihn nur ein Trainingsparcours, da gibt es für ihn nirgends so etwas wie Schwierigkeiten. Er kann einfach überall rennen, klettern ist das für ihn nicht." Damit ist wohl fast alles gesagt! Gratulation dem Protagonisten und viel Erfolg beim nächsten Projekt mit der Nuptse-Südwand.

Dienstag, 15. September 2015

Bockmattli - Element of Slime (6c+, 7 SL, Erstbegehung)

Bereits 1998 hatte ich die beiden damaligen Seillängen des Element of Slime geklettert, hoch oben an der Westwand des kleinen Bockmattliturms. "Monumentale Kletterei an perfektem Fels wie an den Wendenstöcken, gut abgesichert" hatte ich mir damals kurz ins Tourenbuch geschrieben. Zugestiegen waren wir an jenem Tag zu Fuss auf den ersten Absatz, weiter dann über zwei einfache, etwas grasige Seillängen vom klassischen Westwändli. Zusammen mit einer Stunde Zustieg fast etwas viel Aufwand für zwei wirklich tolle Seillängen an steiler Kletterei.

Das Ambiente an den Bockmattlitürmen im Wägital ist immer wieder toll. Eine meiner Lieblingsgegenden!
Im Zuge der Entstehung des Kletterführers Extrem Ost wiederholte dann auch Sandro das alte Element of Slime und schlug begeistert eine Fünf-Sterne-Bewertung vor. Mein Einwand war, dass ich in Bezug auf die Kletterei in den eigentlichen zwei Seillängen zwar zustimmen würde, als Gesamtbewertung mit dem unlohnenden Zustieg aber höchstens drei Sterne zu vertreten wären. So steht's denn nun heute auch im Führer. Nachdem Erich und ich im 2012 das inzwischen sehr beliebte Echo der Zeit in der Westwand kreierten, stand eine zweite durchgehende Linie durch die Westwand immer auf der Projektliste.

Die Westwand vom kleinen Bockmattliturm mit dem Routenverlauf vom Kletterhüttli aus gesehen. Zustieg ab da: 2 Minuten
Das Element of Slime mit einzubeziehen war dabei stets geplant, so würde sich auch eine eigenständige Linienführung durch steilen Fels verwirklichen lassen. Im Juni 2015 ging es schliesslich an die Realisierung. Von den Erstbegehern hatten wir grünes Licht zur Sanierung der beiden ursprünglichen Seillängen erhalten. Die bald 30-jährigen Kronenbohrhaken durch zeitgemässes Material zu ersetzen schien mir für einen unbeschwerten Klettergenuss nämlich unabdingbar. An die Erlaubnis war die Bedingung geknüpft, die originalen Hakenabstände zu respektieren und den Routennamen zu belassen.

Der Autor im Vorstieg in L2 (6c+), eine der schwersten Stellen der Route ist hiermit bereits überwunden.
So machten wir uns dann im Juni 2015 ans Werk. Mir schwebte schon da ein direkter Einstieg vom Wandfuss vor, doch um gleich mit dem Serious Business zu beginnen, querten wir vom Echo-Einstieg nach links zum 4-BH-Stand einer Rettungsübung und begannen gleich mit der heutigen zweiten Seillänge. Wie immer mit der Maschine am Gurt machte ich mich auf den Weg. Das Setzen des zweiten BH aus wackliger Kletterposition präsentierte sich dabei schon als nervenaufreibende Geschichte! Doch schliesslich war der Silberling platziert, die nachfolgende knifflige Stelle geknackt und weiter ging's mit erstklassiger Bockmattlikletterei, d.h. athletischer Turnerei an griffigen Henkelschuppen, bis zum bequemen Stand auf einer Grasinsel.

Kathrin folgt im oberen Teil von L2 (6c+), die mit vielen, griffigen Schuppen aufwartet.
Für die nächste Sequenz war Erich an der Reihe. Auch bei ihm war für Spannung gesorgt. Das Bohren eines dritten Zwischenhakens am markanten Überhang war unverzichtbar, aber aus der Kletterstellung nicht zu bewältigen. So musste ein 2-Segment-Cam-Placement am offenen Riss herhalten. Dass es zuerst einmal rausflutschte gehört dazu, zum Glück bevor der Bohrer angesetzt wurde. Nachher hielt es dann... Nach einigen Holzerarbeiten war damit auch die heutige dritte Seillänge komplett, hier lässt es sich übrigens auch ideal in die West- bzw. Himmelskante wechseln, für welche unsere neuen Seillängen ebenfalls den lohnendsten Einstieg hergeben.

Erich streng am Bolten in L3 (6c). Der nächste Bolt ist dann jener, der vom 2-Segment-Friend-Placement platziert wurde.
Für mich ging's weiter mit der Maschine am Gurt. Die Platte am Anfang der vierten Seillänge war kein Problem, der folgende Überhang schon eher. Die Bohrerei im athletischen Gelände forderte viel Saft, und einigen davon hatte ich am Vortag strategisch ungünstig beim Sportklettern, den anderen in meiner ersten Bohrlänge liegen lassen. Auf dem Zahnfleisch ging es mit zwei zwingenden Passagen noch bis zum viertletzten Haken dieser Seillänge, womit die Hauptschwierigkeiten jener Sequenz überwunden waren und der Weg nach oben frei schien. Damit war unser Tagewerk beendet, wir seilten ab und verabredeten uns für einen nächsten Versuch.

Der Autor im Vorstieg in L4 (6c+), der Überhang und die folgenden 10m bilden dabei die Crux.
Beim folgenden Angriff zwei Wochen später bestand ich dann darauf, am Wandfuss einzusteigen, um die schöne Wasserrillenplatte einzubohren. Diese ist allemal lohnender wie der Einstieg von rechts her, wo man auch eine Seillänge klettern muss, dies aber im Schrofengelände ohne schlaue Absicherung. Kurze Zeit und fünf Zwischenhaken später hatte ich diese freudvolle Aufgabe erledigt. Die Pein bestand nun darin, den schweren Sack mit den vielen Bolts zu hissen. Dies natürlich auch noch über zwei weitere Seillängen, bevor es in der vierten mit Erstbegehen weiter ging. Es wartete erst nochmal eine knifflige, technische Stelle, dann war der nächste Stand in leichtem Gelände rasch erreicht. Nach ein paar weiteren Holzerarbeiten stand nun noch die Sanierung der bereits bestehenden Seillängen fünf und sechs an.

Kathrin folgt in L4 (6c+), hier gerade in der Cruxzone engagiert.
Da die bestehenden Haken sowieso 1:1 ersetzt werden mussten, entschlossen wir uns zu einem Letztvorstieg am alten Gerät mit Bohren im Nachstieg. Doch auch dies ist anstrengende Arbeit, besonders gut merkt man's, wenn man wie ich (erneut) am Vortag alle seine Körner bereits im Sportkletter-Projekt verschossen hat. Nach schweisstreibender Arbeit war es aber geschafft, d.h. das Ende vom Element of Slime erreicht. Nun wurde die Diskussion des "wie weiter" geführt. Meine Idee war es, in einer Traverse um die Ecke zu klettern, um dort an den letzten Stand vom Echo der Zeit zu gelangen, von wo man noch die schöne 6c-Ausstiegsplatte "Koch ins Loch" hätte sanieren und klettern können. Erich's Gegenargumente waren "unlogisch" und "kreuzendes Routenchaos". Nach einiger Diskussion liessen wir es beim Erreichten bewenden und seilten ab.

Sieht nach nettem Wanderweg aus... das Ende von L4 (6c+) führt ca. 15m durch grasig-einfaches Gelände.
Ein paar Tage später war ich mit Kathrin am Start, um die Route mit einer Gesamtbegehung zu befreien. Temperaturen deutlich jenseits der Hitzemarke erforderten einen frühen Aufbruch, da wir die ganze Route im Schatten klettern wollten. An den beiden Bohrtagen hatte sich die Kletterei für mich jeweils streng angefühlt und so stieg ich doch mit gehörigem Respekt ein. Mein Ziel war wie immer in diesen Fällen, eine komplett sturzfreie Begehung. Damit galt es, konzentriert und fehlerfrei zu bleiben. Für einmal ohne schweres Material am Gurt, ohne elenden Haulbag und ohne vom Sportklettern bedingte Vorermüdung gelang der Gesamtdurchstieg dann doch erstaunlich mühelos. Bereits um 12.30 Uhr erreichten wir nach 3:45 Stunden Kletterei die Westschulter noch im Schatten. Freude herrschte, ein weiteres Projekt hatte sich damit erfolgreich beenden lassen!

Kathrin folgt in L5 (6c+), die wendenmässige Kletterei in tollem Fels bietet.
Nachfolgend eine Beschreibung der einzelnen Seillängen:

L1, 40m, 5c: Schöne Plattenkletterei an wasserzerfressenem Fels in etwas grasigem Ambiente. Man kommt aber gut durch, ohne jemals aufs Gras treten zu müssen. Deutlich lohnender wie der alternative Einstieg von rechts her übers Band.

L2, 30m, 6c+: Knifflige Moves an feinen Griffen und Tritten nach dem zweiten Bohrhaken stellen eine der schwersten Einzelstellen der Route dar. Danach geht es kräftig und anhaltend, dafür meist an Henkelschuppen weiter.

Der Autor im Vorstieg in L6 (6c+). Hier bereits dem Erfolg sicher, die letzten Meter sind zwar steil, aber ultra-henklig.
L3, 20m, 6c: Ausgeprägte Crux am bauchigen Überhang 8m oberhalb vom Stand. Zuerst ausdauernd in einer kleinen Linksschleife dahin, dann in kräftigen Gegendruck-Moves drüber weg und schliesslich über den Pfeiler hoch zum Stand.

L4, 50m, 6c+: Nach der schönen Platte den athletischen, gutgriffigen Überhang von links nach rechts anpacken und knifflig raufmanteln. Es geht anhaltend weiter mit technisch fordernden Moves in vage angedeuteter Verschneidung mit zwingender Stelle daraus hinaus. Nach kurzer Verschnaufpause ein weiteres technisches Schmankerl, zuletzt 15m in etwas grasigem, aber gut begehbarem Gelände (nicht das Filetstück der Route) zum Stand an der grossen Föhre.

Kathrin folgt in L6 (6c+), wo man zuletzt in atemberaubender Position an einem sich verjüngenden Pfeiler klettert.
L5, 25m, 6c+: Der etwas einschüchternd aussehende Beginn löst sich besser auf als gedacht. Easy zum ersten BH, kurze Stelle darüber hinweg, einfachere Moves und ein letzter Zug zum zweiten. Dann die einfachste Linie zum dritten korrekt interpretieren, so ist der Hakenabstand problemlos zu meistern. Die eng gesicherte Crux folgt danach, hier muss entschieden angetreten und an Untergriffen gezogen werden.

L6, 35m, 6c+: Fantastische Kletterei, die nach ein paar gemütlichen Auftakt-Metern die erste Crux mit weiten Moves an Untergriffen bereithält. Danach kaum Gelegenheit zum Verschnaufen, ein kniffliger Klipp von Slopern, bevor die feinen Leisten gefunden und bedient werden wollen, welche zur Henkelschuppe führen. Die letzten 20m bieten steiles Schaulaufen an Henkeln in atemberaubender Position am Pfeiler.

L7, 40m, 4a: Einige Meter hoch, dann erst etwas links rum, die Pfeilerscharte überqueren und hoch aufs Band in der Nordwand. Von da in ein paar letzten Moves hinauf zum Ausstiegsstand vom Echo der Zeit, oder alternativ links an die Kette vom Prachtsexemplar.

Der Ausstieg nach L7 ist erreicht, unten der Wägitalersee, hinten Chli und Gross Aubrig.
Die letzten Meter hinauf auf die Westschulter lassen sich übers Grasgelände nordseitig gut seilfrei begehen, ansonsten hat's ganz oben noch eine Sanduhrschlinge zum Nachnehmen. Hat man L7 geklettert, so empfiehlt sich der Fussabstieg durch die kleine Chälen. Dieser ist problemlos und schnell (ca. 15 Minuten zum Einstieg). Wenn es trocken ist, gehe ich diesen jeweils in Kletterfinken und nehme die Schuhe nicht extra mit. Da aber nicht jeder meine Härte aufweist ;-) bzw. in solchen Badeschlappen wie ich klettert, mag auch die Mitnahme von Turnschuhen angezeigt sein. Wer unbedingt Abseilen möchte, der kann dies vom Top nach L7 übers Prachtsexemplar in der Nordwand tun, zurück an den letzten Stand vom Element of Slime kommt man nicht mehr. Will man dort runter, so muss man bereits am Ende der Schwierigkeiten nach L6 umdrehen. Von dort kann man in 4x Abseilen (50m/45m/50m/35m), wobei nach dem ersten Manöver ein routenunabhängiger Stand (Muniring vom Westriss, siehe Skizze, vor Ort ist's absolut logisch) zu benützen ist.

Ambiente beim Abstieg durch die kleine Chälen.

Facts

Bockmattli - Element of Slime 6c+ (6b+ obl.) - 7 SL, 240m - Götz/Wyser 1989 & Dettling/Rütsche 2015 - ****;xxxx
Material: 1x oder 2x50m-Seile, 10 Express, Keile/Friends nicht nötig

Seit im Jahr 2015 ein neuer Zustieg zu den beiden seit 1989 existierenden Seillängen gefunden wurde, erstrahlt das Element of Slime in neuem Glanz. Es handelt sich nun um eine sehr lohnende alpine Sportklettertour mit eigenständiger Linie durch die Westwand am Kleinen Bockmattliturm. Die Kletterei ist meist von athletischem Zuschnitt an henkligen Schuppen, Unter- und Seitgriffen. Viel Abwechslung ist also geboten. Die Felsqualität ist durchgehend gut, gegen oben hin teilweise sogar echt fantastisch. Ähnliche Worte findet man auch für die Absicherung. Die Schlüsselstellen sind alle sehr gut mit BH eingerichtet, im leichteren Gelände wartet auch einmal ein etwas grösserer Abstand, aber immer so, dass es nicht gefährlich wird.

Topo

Das komplette Topo steht als PDF-Dokument zum Download zur Verfügung. Hier eine Seite als Ausschnitt.



Support

Wer einen kleinen Beitrag an diese (oder auch vergangene und zukünftige) Routen leisten möchte, der kann das mit einem Klick auf den Button unten tun. Ein 'Buy me a Bolt' Symbol wäre zwar passender, gibt's aber leider noch nicht im Angebot ;-). Herzlichen Dank!


Buy Me A Bolt at Ko-Fi.com

Mittwoch, 9. September 2015

Steinschlag am Gonzen

Mein Freund Dani kennt den Gonzen wie seine Westentasche und hat dort auch zahlreiche Routen eröffnet. Über eine davon hatte ich an dieser Stelle bereits berichtet  (Metronom (8a)), und auch sonst findet man am Gonzen nebst tollen Tiefblicken ins Sarganserland sehr lohnende Kletterei (Miss Marple (7b)). Nun hat sich bei einer Wiederholung der Routen im linken, unteren Wandteil ein Zwischenfall ereignet, der nur mit einigem Glück glimpflich ausging. Anlass genug für eine Warnung, sowie sich auch generell einige Gedanken zu machen.

Sehr schöne, selber abzusichernde Verschneidungskletterei in "As chunnt schon guat..."
Obwohl die Routen im linken Wandteil anlässlich ihrer Erstbegehung vor jeweils 7-8 Jahren sorgfältig von losem Gestein befreit wurden, war es überraschend, wie viel absturzbereiter Fels nun doch wieder anzutreffen war. Vor allem in der Route "As chunnt scho guat..." habe es mehrere lose Blöcke, die bei einer Begehung verheerend sein könnten. Dani schätzt die Situation so ein, dass mit der nötigen Erfahrung eine Begehung zu zweit nach wie vor sicher sei. Insbesondere abgeraten wird jedoch davon, hier aktiv zu sein, wenn bereits eine Seilschaft oberhalb am Werk ist. Im vorliegenden Fall löste eine Kletterin im Nachstieg einen grossen Block, und konnte diesen nur mit grösster Mühe ein paar Minuten zurückhalten, bis zwei Seilschaften in Schusslinie unterhalb sich in grosser Eile in Sicherheit gebracht hatten. Schliesslich polterten die Felsmassen ohne Schaden an Leib und Leben in die Tiefe.

Eindrückliches Bild von der Erstbegehung der Route "Augen zu und durch". Plattenknaller par excellence...
Fazit

Der Gonzen ist ein alpines Klettergebiet, wo entsprechende Erfahrung und Vorsicht unabdingbar sind. Gesteinsmassen können sich über die Zeit lockern und ausbrechen, mit oder ohne Zutun von Personen. Nebst den losen Blöcken in der Route "As chunnt schon guat..." zeigt sich auch unmittelbar neben der Route "Augen zu und durch" ein frischer, spontaner Ausbruch. Auch in der Route "Nimbostratus" ist eine grosse, eine halbe Seillänge umfassende Schuppe ausgebrochen. Alle diese Routen wurden jedoch nach den Ausbrüchen wieder begangen und bleiben bekletterbar.

Mit diesem Foto aus der Route "In Dubio pro Reo" erhält man auch einen guten Überblick auf den ganzen linken Wandteil des Gonzen.
Solche spontanen, grossen Ausbrüche ereignen sich meist bei starken Regenfällen und/oder Tauwetter und sind bei guten Kletterbedingungen wenig wahrscheinlich. Ich denke, diese Gefahr kann man zum normalen Restrisiko zählen, das es beim Klettern und den anderen Betätigungen im Leben einfach zu akzeptieren gilt. Ansonsten ist es natürlich wenig ratsam, hier hinter einer anderen Seilschaft einzusteigen. Diese Gefahr beschränkt sich allerdings nicht nur auf den Gonzen, sondern betrifft ALLE Klettergebiete. Selbst an den Massiven mit sehr guter Felsqualität kann es lose Schuppen geben, oder dann liegen auf Bändern Steine abschussbereit. Ich will mich selber von diesem Gedankenanstoss gar nicht ausnehmen und bin in der Vergangenheit in dieser Hinsicht auch nicht immer mit bestem Beispiel vorangegangen. Wie das Beispiel vom Gonzen zeigt, bringt man sich dabei in eine (zumindest potenziell) gefährliche Lage und bürdet der vorangehenden Seilschaft auch eine immense Verantwortung auf - wer kann beim Klettern schon garantieren, dass er niemals einen Stein löst? Und bereits ein faustgrosses Exemplar davon reicht für schwerste bis tödliche Verletzungen.

Grosser, spontaner Ausbruch in der zweiten Seillänge der Route Nimbostratus (6b+). Diese befindet sich auch am Gonzen, aber in einem anderen Sektor, nämlich dem Erzhus bzw. Leiterwand. Ich hatte diese im Jahr 2007 noch vor dem Ausbruch ebenfalls begangen und trotz der harten Bewertung als lohnend empfunden. Die Route wurde übrigens nachweislich nach dieser im Jahr 2013 gemachten Aufnahme im Frühling 2014 wieder begangen, siehe hier.
Topos

An dieser Stelle werden die mit den neusten Informationen versehenen Topos der Route aus dem linken Wandteil publiziert. Besondere Erwähnung verdient dabei die Route Phantom (7a+) in der Gletschergrube. Sie bietet stark überhängende, südländisch geprägte Kletterei in einem sehr speziellen Ambiente - sehr empfehlenswert!

Topo mit allen Routen im linken Wandteil, aufdatiert mit den neusten Informationen.
Älteres Topo aus demselben Sektor, die enthaltenen Infos sind für Wiederholer auch sehr dienlich.
Weitere Informationen und ein detailliertes Topo zu "In Dubio pro Reo".
Topo der Route am breiten Turm, in der Gletschergrube und im linken Wandteil.
Impressionen aus der Gletschergrube, der Kletterer im Phantom (7a+).

Donnerstag, 3. September 2015

Chli Bielenhorn - Sacremotion (7a)

Noch nicht oft war ich bisher am Chli Bielenhorn zu Gange, obwohl es sich dabei in Sachen Granitklettern um einen der besten Spots in der Schweiz handelt. Einerseits lässt eben das raue Klima am Furkapass das Klettern nur an richtig schönen und warmen Tagen zu. Andererseits sind dann aber die dortigen Routen mit ihren 3-8 Seillängen wiederum eher kurz für wettersichere Hochdrucktage. Insgesamt ist das Chli Bielenhorn bestimmt ein ideales Ziel für Spätsommer und Herbst. Nun denn, auch wenn es erst Ende August war, für dieses Mal passte eine Route am Chli Bielenhorn perfekt ins Schema. Eine offensichtliche Wahl ist die im zentralen Wandbereich angesiedelte Sacremotion der Remy-Brüder, im Extrem Ost mit der Höchstnote von 5 Sternen ausgezeichnet.

Das Chli Bielenhorn am Furkapass. Unsere Route Sacremotion führt wenig rechts der Gipfefallinie hinauf...
Im Vorfeld fragte ich mich durchaus, ob es denn Ende August bei Maximaltemperaturen von 30 Grad im Flachland nicht etwa zu warm wäre, um an der auf 2700m gelegenen Südwand zu klettern.  Da die Route aber sonst so perfekt ins restliche Anforderungsprofil passte, entschieden wir uns trotzdem für einen Versuch. Und dies völlig zu Recht: den ganzen Tag konnte man genussreich in Shorts und T-Shirt klettern, es war nie drückend oder lähmend heiss. Dazu der wolkenlose Himmel, der weite Ausblicke ins Gotthardgebiet zuliess, ein absoluter Traumtag! Auch wenn sich an einem solchen Tag natürlich höhere Ziele hätten realisieren lassen oder man auch in einer Nordwand hätte antreten können, so bin ich doch sehr froh, die Sacremotion nicht bei marginalen Wetterbedingungen zähneklappernd oder mit benebeltem Ausblick geklettert zu haben.

...und zwar genau hier. Mit oranger Farbe sind übrigens die Irniger-Stände der sehr praktischen 2x60m-Abseilpiste markiert.
Bei der elterntypisch eher späten Anreise hatten wir uns die begehrten Strassen der Alpentransversale bereits mit etlichen anderen Verkehrsteilnehmern zu teilen - vor allem auch mit den Radsportlern des Alpenbrevets. So an einem Tag rasch 5 Pässe, 276km und über 7000hm klopfen, da sind wir Kletterer doch richtige Schöggeler dagegen. So wurde es schliesslich nach 11.00 Uhr, bis wir bei Sidelenbach P.2280 aufbruchbereit waren. Von dort folgt man dem Weg in Richtung Sidelenhütte bis auf 2470m. Unmittelbar dort, wo der offizielle Weg wieder nach links über den Bach quert, geht rechts eine gute Steigspur ab, welche einen direkt unter die Wände des Chli Bielenhorn führt. Nach rund 45 Gehminuten trafen wir am Einstieg ein. Es herrschte ziemlich Betrieb, u.a. waren in RoRu, Perrenoud und Psychides Seilschaften engagiert und auch in der Sacremotion war bereits ein Team am Werk. Wir gönnten uns eine kurze Pause und stiegen wenige Minuten nach 12.15 Uhr ebenfalls ein.

L1, 40m, 6c: Man quert von links her ein, und gleich geht's los mit einem kniffligen Schritt am noch seichten Riss. Entschlossen will eine Untergriffschuppe gepackt werden, dann darf man nicht rumtämpelen, sondern muss gleich den abschüssigen Tritten vertrauen und im Piaz durchziehen. Nach etwa 10m lässt es etwas nach, eine Rechtsquerung an guten Griffen folgt. Der zweite Teil der Seillänge bietet dann sehr schöne Splitter Cracks und ist etwas einfacher (ca. 6b), hier muss man zwischen den Bolts auch noch 1-2 Sicherungen selber platzieren.

Herausragend schöne Granit-Risskletterei in L1 (6c).
L2, 35m, 7a: Nach ein paar einfachen Metern auf den Pfeiler hoch und dann folgt gleich die Crux, eine 2m-Linksquerung ohne viel Struktur. Mich hat es ziemlich an die Crux vom Prachtsexemplar erinnert. Ganz ausgestreckt lässt sich zwar links aussen ein Griff fassen, die Position aber wieder aufzulösen ist das Problem, auch wenn man gross ist. Irgendwie halb kontrolliert mache ich das, gehen tut's trotzdem. Ist man einmal drüben, so kämpft man erst auch noch in der etwas trittarmen Verschneidung. Bald geht's aber besser dahin, bis es zum Ende der Seillänge nochmals steiler wird und eine knifflige Stelle an einem dünner und dünner werdenden Riss wartet.

Ein bisschen einfacheres Gelände im Mittelteil von L2 (7a), die schwersten Stellen sind am Anfang und am Schluss.
L3, 25m, 6b: Erst wird links vom Pfeiler geklettert (dabei aber nicht in die Krampfader abdriften!), um diesen dann nach 7m nach rechts zu queren (BH). Auf der Ostseite dann eine lustige Hangelquerung an kleinen Leisten - wie daheim am Griffbrett. Als nächstes dann eine steile Piazverschneidung, bevor es neuerlich rechts um die Ecke an einem stehenden Obelisken vorbei, bzw. über einen liegendes Exemplar hinweggeht. Nachdem die vorangehende Seilschaft den engen und sehr unbequemen Stand 10m höher oben in der Verschneidung noch beansprucht, mache ich am Obelisken (plus BH) Stand - sehr zu empfehlen, auch wenn der richtig Stand frei ist!

Der steile Piazriss von L3 (6b). Es ist wie immer, dran glauben, durchziehen und nicht zögern, dann geht's.
L4, 45m, 6c+: In sehr schöner und abwechslungsreicher Turnerei geht es nun die steile Verschneidung hinauf, dabei wird es stets etwas anspruchsvoller. Die Risse haben angenehm scharfe Kanten, so lässt es sich gut piazen, dazwischen sind auch noch 2-3 Sicherungen selber anzubringen. Als Schlussbouquet geht's dann links um die Ecke herum auf die goldene Reibungsplatte. Früher steckten hier nur 2 BH und man sprach von einer 7a+. Im Zuge der Nachrüstung im Jahr 2007 sind dann 2 weitere BH nachgewachsen, seither klettert sich die Stelle bestimmt entspannnter und wird nur noch als 6c+ gehandelt... während man sich im ersten Teil der Platte noch an ein paar Leisten bedient, sucht man im zweiten Teil entschieden den griffigen Riss links aussen. Ich für meinen Teil bin der Meinung, dass ich im Granit auch schon schwerere 6b's geklettert habe, aber zu fest wollen wir die Bewertung dann auch nicht dumpen.

Die Platte am Ende von L4 (6c+) stellt die Crux dieser Länge dar. Seit der Sanierung nun gut abgesichert.
L5, 40m, 6a: In einem leichten Linksbogen geht's den zahlreich steckenden BH entlang, mich dünkte die Linie dabei etwas unlogisch. Auf jeden Fall ertappte ich mich prompt dabei, gerade hinauf den Rissen entlang klettern und absichern zu wollen wie ich mir Gewahr wurde, dass ich links prompt schon zwei Bohrhaken übersehen hatte. So können hier die Klemmgeräte komplett am Gurt bleiben.

Gemütliche und vergnügliche Kletterei in L5 (6a).
L6, 40m, 6a: Gerade hinauf entlang von steilen, aber gutgriffigen Rissspuren. Wirklich kurzweilige Kletterei, am Schluss dann auch etwas weiter gesichert, Klemmgeräte braucht's aber trotzdem nicht unbedingt. Der Stand dann gemeinsam mit der Perrenoud auf einer grossen, sandigen Terrasse.

Kurzweilige, lässige und nun wieder steilere Risskletterei in L6 (6a).
L7, 40m, 6a: Es geht nach links auf ein Podest hinauf um die Kante. Ich fummle wieder einmal nach einem passenden Cam, vom Standplatz kommt erneut der Hinweis, dass ich stattdessen auch bequem den BH bei meiner linken Schulter klippen könne. Ja mei, in einer Remy-6a erwartet der Autor eben nicht so viele Bolts... Am danach folgenden, steilen Piazriss muss man dann hingegen für 6a nochmals richtig entschlossen "wollen". Danach ein paar einfache Meter, den v-förmigen Kamin links ansteuern, diesen hoch und rechts um die Ecke zum Ausstiegsstand.

Zum Schluss kommen noch ein paar alpine Klemmtechniken zum Einsatz. Ende der Route - L7 (6a).
Es ist inzwischen 16.45 Uhr, die vergnügliche Kletterei hatte uns während 4:30 Stunden bestens unterhalten, mich persönlich jedoch nicht wirklich an die Grenze gebracht. So konnte ich eine komplette Flash-Begehung realisieren, sicherlich ein Indiz dafür, dass die Bewertungen hier für Granit-, Remy- und 1989er-Verhältnisse für einmal recht grosszügig ausgefallen sind. Wenn man das jetzt z.B. mit der ähnlich bewerteten Lancelot an den Wendenstöcken vergleicht... andere Welt. Nachdem uns schon auf der ganzen Route sehr bequeme Standplätze immer wieder die Tief- und Rundblicke hatten geniessen lassen, verweilen wir nicht mehr lange am Top und fädeln die Seile. Wie auf anderen Internet-Seiten schon zu lesen ist, sind hier 2x60m-Seile äusserst praktisch. So erreicht man in 4 praktisch pfeifengraden Strecken mit minimaler Verhängergefahr wieder den Boden. Benutzt werden dabei ausschliesslich routenunabhängige Irniger-Stände, siehe Topo. Mit 50m-Stricken geht das hingegen nicht so einfach, da sind dann tatsächlich 7 Abseilmanöver fällig. So sind wir nach nur 20 Minuten wieder am Einstieg. Rasch heim zu den Kindern lautet die Devise, so machen wir uns umgehend an den Rückmarsch, froh darüber einen solch tollen Tag in den Bergen genossen zu haben.

Team in der benachbarten Psychides (7a+), gemäss Hans' Bericht auch eine schöne Route.

Facts

Chli Bielenhorn - Sacremotion 7a (6b obl.) - 7 SL, 265m - C. & Y. Remy 1989 - ****;xxxx
Material: 12 Express, Camalots 0.3-2, 2x60m-Seile zum Abseilen empfehlenswert

Sehr schöne Route in einem sauberen, orangefarbenen Granit. Geboten werden einem abwechslungsreiche Moves mit ein paar Wandstellen, einigen Splitter Cracks zum Jammen und vielfach Piazkletterei an griffigen Rissen und Verschneidungen. Die Route ist sehr gut mit Bohrhaken ausgerüstet, nicht alle davon wären neben gut selber abzusichernden Rissen zwingend nötig, manche sind dann aber doch +/- unverzichtbar. So sind nur vereinzelt Klemmgeräte zur Ergänzung zu platzieren, kühne Kletterer könnten sogar ganz ohne solche Gerätschaften auskommen. Ich persönlich empfand ein Set Camalots von 0.3-2 als gut ausreichend, Keile und insbesondere den Camalot 4 wie im Bericht auf Camptocamp angegeben fand ich definitiv unnötig. Die Bewertungen sind nach meinem Empfinden für eine Granitroute aus dieser Generation überraschend gutmütig ausgefallen, passt aber schon ;-) Für das Prädikat Weltklasse und damit eine 5-Sterne-Bewertung ist mir die Route etwas zu kurz und einfach zu wenig aussergewöhnlich. Trotzdem handelt es sich natürlich um eine sehr lohnende Unternehmung.

Topo

Ein Topo und weitere Informationen findet man z.B. im Extrem Ost, oder auch im SAC-Führer Urner Alpen 2. Die hier abgebildete Topo-Skizze von Paolo & Sonja ist exzellent und gibt den Routenverlauf exakt wieder. Ich habe zusätzlich noch die Position der Abseilstände eingefügt.

Topo von paolo-sonja.net. Route 1 = Sacremotion, Route 2 = Psychides