Die Galadriel nimmt in meinem Kletterleben einen speziellen Platz ein. Im September 1995, und damit bereits vor mehr als 20 Jahren (!!!) hatte ich das erste Mal das Vergnügen. Bis dato war ich noch nie in meinem Leben je in eine 6c+ (oder 8-, wie man zu dieser Zeit noch sagte) eingestiegen. Doch damals lautete der Befehl ganz einfach "Mitkommen!", und so geschah es. Für mich total überraschend gelang es mir, bis auf ein paar wenige Hilfspunkte den grössten Teil der Route frei zu durchsteigen. Die Tour war definitiv der Augenöffner, dass auch in solchen Wänden nur mit Wasser gekocht wird, und dass vor dem 8. Grad kein übertriebener Respekt nötig war.
Bereits im Jahr darauf ging ich die Route dann in Hauptverantwortung mit einem Kollegen an. Zwar noch mit dem puren Fokus aufs "Hochkommen - Stilmittel egal", was aber erfolgreich gelang. Drei weitere Versuche in der Route standen dann mehr im Zeichen einer kompletten RP-Begehung, welche jedoch leider immer am einen oder anderen Detail scheiterten. Im Sommer 2002, und damit auch schon vor mehr als 13 Jahren (Wahnsinn, wie die Zeit vergeht...), war ich dann das letzte Mal in der Route, bevor ich mich definitiv anderen Zielen und Projekten widmete.
Die Südwand der 5. Kirchlispitze mit der Route. Links der Elefantenbauch an der 4. Kirchlispitze mit dem Silbergeier. |
Dass es nun zu einem weiteren Go kam, ist mehr dem Faktor Zufall zuzuschreiben. Nebel, Quellwolken, Neuschnee und verbleibende Restnässe machten die Gebietswahl schwierig. Rätikon hiess die schliesslich, und während der erste Blick beim Aussteigen dort erstaunlich trockene Verhältnisse offenbarte, zeigte genauere Inspektion hier einen Wasserstreifen in der Cruxlänge und dort eine siffige 7a-Verschneidung mit vermutlich wenig Klettergenuss. Die für mich letzten, im Onsight denkbaren Kirchlispitzen-Touren wollte ich definitiv nicht bei untauglichen Bedingungen herschenken. Dieser purste aller Begehungsstile erfordert eben auch die Geduld, auf den richtigen Moment warten zu können.
Somit war eine Alternative gefragt, am schattigen Schweizereck und der noch mit Schneeresten überzogenen Drusenfluh waren diese jedoch nicht zu finden. Somit war dann rasch klar, dass es für mich eben eine Wiederholung einer bereits bekannten Kirchlispitzen-Tour geben würde. Was mir aber natürlich lieber war, als irgendwo mit Hängen und Würgen über nasse Stellen hinwegzumogeln, um hinter einer weiteren Tour den Tick setzen zu können. Nirgends war es im Gebiet so trocken wie im Sektor der Galadriel, da nur eine Seilschaft dort bereits aktiv war und ich sowieso noch eine Rechnung offen hatte, war der Plan rasch gemacht. Um ca. 10.15 Uhr ging es los.
Schöne Wolkenstimmung im Rätikon. Die Drusenfluh ist bereits eingenebelt, wir sind noch an der Sonne... |
L1, 50m, 6b: Noch etwas durchzogene Kletterei über ein paar schöne Wandstufen hinweg, dann und wann unterbrechen aber auch einige Absätze den Kletterfluss. Zwar nicht schwierig, aber manchmal auch gar nicht so einfach.
L2, 40m, 6b+: Eine kurze, steile Wand mit einem griffigen Riss stellt eine erste Herausforderung. Danach einfacher rechtsrum oder als erster Reibungstest direkt über die nächste Stelle. Nach einfacherem Gelände zuletzt noch eine schöne Querung zum Stand hin.
Jonas on lead am griffig-steilen Riss zu Beginn von L2 (6b+). Sehr schöner Rätikonkalk hier! |
L3, 35m, 6c: Die erste, richtig fordernde Länge. Gleich nach dem Stand warten feine Balance-Moves und gespreiztes Antreten auf Reibung. Danach geht's in schönem Fels etwas einfacher und genussvoll dahin, bis zum Stand auf bequemem Absatz.
L4, 50m, 6a: Fast 50m lange Überführungslänge in etwas weniger schönem, teil etwas schrofigem Gelände. Die Route wurde jedoch in die kompakten Zonen gelegt, so dass man trotzdem recht genussvoll steigen kann.
Sehr schöne Plattenkletterei im einmaligen Fels mit hervorragender Reibung. Das ist L3 (6c). |
L5, 40m, 6b: Lange Platte mit recht anhaltenden Schwierigkeiten, aber nie extrem. Bei genauerem Hinschauen offeriert sich immer da ein Griffchen oder dort ein guter Tritt. Halbseiltechnik oder lange Schlingen zwecks Entgegnen des Seilzugs definitiv sinnvoll.
L6, 20m, 6b+: Schöne Sequenz mit ziemlich athletischer Kletterei. Schon bald nach dem Start etwas knifflig über einen ersten Bauch, später dann eine trittarme Gegendruck-Linksquerung an Seitgriffen und zum Schluss eine luftige, aber griffige Leistenquerung nach links.
L7, 20m, 6c: Relativ gemütlicher, aber etwas rustikaler Auftakt an einer leicht splittrigen Piazschuppe zu griffiger Querung nach links. Die Crux kommt am Schluss dieser kurzen Länge. Links aussen "spitzig" antreten, im Untergriff etablieren und an den Henkel, Rechtstraverse zum Stand, voilà!
Jonas im Ausstieg der zweitschwersten Stelle der Route in L7 (6c). |
L8, 45m, 6c+: Die schwerste, und auch deutlich anspruchsvollste Länge. Während der Rest durchgehend bestens eingebohrt ist, warten hier zwei ca. 5m lange Hakenabstände mit nicht ganz trivialen Plattenmoves dazwischen. Der erste geht mit etwas Entschlossenheit und zwei Seitgriffen (erst für links und danach für rechts) gut. Der zweite leitet die Cruxsequenz ein. Hat man den letzten Haken weit überstiegen und steht auf dem letzten, vernünftigen Tritt, so grinst einen der Haken 50cm ausser Reichweite fies an. Nun also an einem Untergriff anlaufen, wacklig klinken (mit erheblich störendem Seilzug) und gleich weiter. Seitgriff, entschlossen abschüssig hintreten und hepp, an den Henkel. Nach dem Mantle nochmals klinken und schliesslich sloprig etwas links am letzten Bolt vorbei zu besseren Griffen und Stand.
Die Cruxsequenz der ganzen Route. Jonas folgt auf den letzten Metern in L8 (6c+). |
L9, 35m, 6b: Nicht ganz triviale Quergangsseillänge, welche vor allem vom ersten zum zweiten Bolt mit überraschend schweren Moves aufwartet. Die Felsschichtung ist dort kurzzeitig ziemlich ätzend, alles zeigt vermeintlich in die falsche Richtung - nur nicht abschmieren. Beim Runout zum Stand tief bleiben, und erst am Schluss hinaufsteigen.
L10, 45m, 6c: Von der geräumigen Nische wartet ein weiterer Quergang. Zwecks Vermeidung von Seilzug stecken hier die Haken 1-3m höher als man am einfachsten klettert. Aber man kann entweder hinaufsteigen zum Einhängen, oder klippt gleich die (teils morschen), fixen Verlängerungen. Nach dem Quergang noch ein langer Abschnitt in Wandkletterei in fantastischem, wasserzerfressenem Fels, teilweise nochmals ziemlich fordernd.
Nach dem Quergang zu Beginn herausragend schöne Kletterei im oberen Teil von L10 (6c). |
L11, 40m, 5b: Das letzte Teilstück führt bis kurz vor den Grat hinauf. Hier warten keine Schwierigkeiten mehr, und man ist entsprechend bald am Top angelangt.
Um 14.45 Uhr nach rund 4:30 Stunden Kletterzeit haben wir es geschafft. Während wir in der ersten Hälfte schönen Sonnenschein genossen, wurden wir später teilweise eingenebelt und kletterten bei frischen Temperaturen. Zum Schluss lachte jedoch wieder die Sonne. Das war passend, denn tatsächlich war mir die komplette RP-Begehung gelungen und damit ein altes Projekt erfolgreich erledigt. Ich war happy, hier trotz inzwischen fortgeschrittenem Alter noch zum Erfolg zu kommen - im Spitzensport wäre ich ja mit meinem Jahrgang längst von der Bildfläche verschwunden. Scheiterten meine früheren Versuche immer jeweils daran, dass mir irgendwann die Kraft ausging, so war dieser Aspekt nun trotz der Vorermüdung aus der Kamasutra absolut kein Faktor. Hier kommt mir ganz sicher mein gegenüber früher deutlich höheres Klettergarten-Niveau entgegen. Das zeigt sich auch daran, dass ich gemäss meinen früheren Notizen oftmals die etwas athletischeren Passagen als herausfordernd empfand.
Die letzte schwere Kletterstelle in der Route am Abschlussüberhang von L10 (6c). |
Andererseits, als ganz einfach empfand ich die Route auch heute noch nicht. Vor allem im plattigen Hinsteh-Gelände und bei eher kühnen Balancy-Moves war ich durchaus gefordert und einiges vom sorglosen Durchmarschieren entfernt, wenn es dumm gelaufen wäre, hätte dort ein kleiner Fehler auch das Ende der RP-Bemühungen bedeuten können. Die zwei Runouts in der Cruxlänge kamen mir auch heute noch als nicht ganz unbedenklich rein und ich staunte doch ziemlich über mein Kühnheit vor 20 Jahren, vor allem im Angesicht von meinem damaligen Niveau. Naja, jugendlicher Auftrieb eben, und wie es scheint, ist es deutlich einfacher, durch Training Fortschritte in Bezug auf Kraft und Ausdauer zu machen, wie in Bezug auf Kühnheit und Souplesse im technischen Hinsteh-Gelände. Dieses Fazit ist eigentlich gar nicht so erstaunlich, ist mir doch heute glasklar, dass gewisse schlecht abgesicherte Alpin-Plattenhämmer trotz eigentlich ausreichendem (Klettergarten-)Niveau in Bezug auf den Schwierigkeitsgrad wohl für immer unerreichbar sein werden.
Um diese Erkenntnisse reicher machten wir uns auf den Weg nach Hause. Vom Top seilt man erst diagonal über Schrofengelände zu einem routenunabhängigen Stand ab. Von dort geht's dann zügig in die Tiefe, auch mit 2x50m-Seilen kann man noch ideal 3x einen Stand auslassen und erreicht in total 7 Manövern wieder den Einstieg. Wir brauchten nur eine gute halbe Stunde dafür, so dass wir am Einstieg nochmals bequem an der wieder scheinenden Sonne vespern konnten, um später gemütlich zurück zum Grüscher Älpli zu wandern. Zum Schluss verbleibt nur die Frage, ob ich die Galadriel in 20 Jahren wohl ein weiteres Mal werde klettern können...?!?
Facts
5. Kirchlispitze - Galadriel 6c+ (6b+ obl.) - 11 SL, 420m - Lietha et al. 1994 - ***;xxx/xxxx
Material: 12 Express, evtl. Camalots 0.3-0.75, 2x50m-Seile.
Diese Route hat sich zum grossen, viel begangenen Rätikon-Klassiker gemausert, da es sich lange Zeit um die einfachste der gut mit BH abgesicherten modernen Routen an den Kirchlispitzen gehandelt hat. Die Linie besticht durch meist plattige Kletterei in gutem bis sehr gutem Fels. Unten hat es noch einige Bänder und weniger schöne Zonen, oben folgt man dann in einigen Quergängen dem kompakten Fels. Die Route ist gut mit BH abgesichert, über weiteste Strecken kann man ein solides xxxx vergeben. Am anspruchsvollsten ist aber ausgerechnet die Cruxlänge (L8, 6c+) ausgefallen, wo man in anhaltendem Gelände auch einmal ein paar Meter über die Haken steigen muss und eher nur xxx vergibt. Hier merkt man, dass der Erstbegeher deutlich über den geforderten Schwierigkeiten stand. Die Mitnahme von mobilem Sicherungsmaterial kann man sich sparen, auch wenn man hier und da noch einen kleinen Cam unterbringt.
Topo
Die Route wurde bereits in zahlreichen Führerwerken publiziert und selbst Google zeigt einem diverse Topos. Erwähnt sei, dass die Crux vor allem im Lokalisieren des Startpunktes besteht, danach folgt man dann einfach den regelmässig steckenden Bohrhaken zum Top. Die Schwierigkeitsangaben in meinem Bericht habe ich aus dem Extrem Ost übernommen, je nach Topo differieren diese etwas. An dieser Stelle noch das gute Werk von Paolo & Sonja:
Topo von Paolo & Sonja. Link zur Quelle: klick! |