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Sonntag, 26. November 2017

Val Calanca - Chook Party

Während die Dettling-Frauen beim Wettkampf der Zürcher Klettermeisterschaft sehr erfolgreich abgeschnitten hatten, zeigte sich bei den Männern der Bedarf, noch ein wenig zu üben... Anstatt einen weiteren Tag am Plastik zu pullen, wollte ich mich indes lieber bei herrlichem Sonnenschein am Tessiner (bzw. genau genommen Bündner) Gneis betätigen. Die Wahl fiel dabei auf den relativ neuen Sektor Chook Party im Val Calanca, eine wirklich sehr nette Sache. Dieser ist auf rund 900m gelegen und sonnig nach SW exponiert, ideal für die kalte Jahreszeit, also. Wobei man wie in vielen anderen Gebieten auch hier das Fenster zu treffen hat. Ab ca. 9.00-9.30 Uhr treffen die ersten Strahlen auf den Fels, um 15.00 Uhr verschwindet sie an den kurzen Tagen im Altjahr dann bereits wieder hinter dem vorgelagerten Bergkamm. Wobei, an den anderen, bekannteren Tessiner Winterfelsen hat man auch nicht länger Sonne...

Girl on Fire, unterwegs zur Bronzemedaille. Foto: Martin Rahn, regionalzentrum.ch
Vor Ort gibt es 10 Routen und 4 Projekte, welche im Zeitraum zwischen zwischen 2010 und 2013 eingerichtet wurden. Wie mir scheint, ist hier weder der Andrang noch das Interesse der Locals sehr gross. Am Wandfuss beginnt bereits wieder das Dornengestrüpp zu wuchern (Tipp: Gartenschere einpacken) und auch wenn die Projekte eingebohrt sind, so schienen mir diese selbst nach 5 Jahren ungeputzt und vernachlässigt. Unter den existierenden Routen gibt's aber echte Perlen! Hier eine kurze Übersicht über die Linien, welche wir geklettert oder besichtigt haben:

Aaaahhhh!!! Morgendlicher Blick auf den bereits sonnengewärmten Gneis im Sektor Chook Party.
Veronica Supersonica, 40m, 6b: Lange Tour mit kurviger Linie mit Zwischenstand, welche sich mit ein paar Verlängerungen und Aushängen der jeweils vorletzten Exe auch in einer Länge machen lässt. Im oberen Teil sehr schöne Wand- und Risskletterei.

Coito Ergo Sum, 35m, 7c+/8a: Einfacherer Zustieg mit Piazkletterei, oben am stark überhängenden Wulst geht's dann mit athletischen Zügen zur Sache.

Fresssack, 20m, 6a: Weniger lohnende und etwas inhomogene Tour, der Fels ist zum Teil etwas brösmelig.

Fantastisches Ambiente in den Südschweizer Bergen, nachdem uns das wärmende Gestirn bereits verlassen hatte.
Rampega rantega, 15m, 6b: Athletische und anhaltende Route, meist an Rissspuren und Seitgriffen. Kam mir für den Grad sehr hart vor, lag aber womöglich daran, dass wir hier nicht die geschickteste Aufwärmtour erwischten - zumal der Fels noch sehr gechillt und stellenweise heftig schlonzig war.

Il pollaio degli stronzi, 35m, 7a: Fantastische Route mit einem athletischen Einstieg, gefolgt von schönen Rissen, einer technischen Rampe und einem luftig-griffigen Finish. Sehr empfehlenswert, auch wenn die Schwierigkeiten etwas inhomogen sind!

El Cap?!? Nein, nur der "Pollaio degli Stronzi" (bitte selber übersetzen ;-)), aber eine supergeniale 7a!
Dingos en vadrouille, 35m, 7b: Die beste, welche ich hier geklettert habe! Abwechslungsreiche und homogen schwierige Kletterei, zuerst Wand mit ein paar Rissspuren, gefolgt von einer athletischen Verschneidung und dem luftigen Ausstieg. Immer wieder weite Moves und flache Griffe plätten den Bizeps.

Ciapal che ‘l ghé, 35m, 7c: Coole Route mit zwei bouldrigen Cruxen an Slopern in der ersten Hälfte, gefolgt von einer kräftigen Verschneidung, einem Dächlein und einem etwas unübersichtlichen Steilplatten-Ausstieg. Sehr empfehlenswert, auch wenn die Schwierigkeiten nicht so anhaltend sind!

Apfelchips à discretion, Bauchweh bei übermässigem Genuss jedoch nicht ausgeschlossen.
Auch nachdem die Sonne bereits hinter dem Berg verschwunden war, liess es sich noch gut 1.5 Stunden klettern, um die letzten Nüsse zu knacken. Höchst zufrieden machten wir uns danach auf den Weg zurück in den Norden, wobei auf der Fahrt ein beinahe episches Schneegestöber gemeistert werden musste. Ja, auf der Chook Party hatte ich mich deutlich leichter getan und die grösseren Erfolge gefeiert wie an den Plastikgriffen am Tag zuvor. Das war jetzt ein echt gelungener Klettertag, an welchem das Punktetäschchen wieder einmal richtig befüllt werden konnte. 

Mittwoch, 15. November 2017

Skitour Fanenstock (2236m)

Während ich mir vor einenhalb bis zwei Jahrzehnten kaum eine Schneeflocke entgehen liess, bin ich in den letzten Jahren jeweils spät und später in die Tourensaison eingestiegen. Nicht so in der Saison 2017/2018. Nachdem sich am ersten schönen Tag nach den ersten üppigen Schneefällen die Gelegenheit ergab, wollte ich diese auch packen...

Geglückter Startschuss in den Tourenwinter 2017/2018. Pics: Chris O.
Als Ziel wurde der Fanenstock in Elm auserkoren. Üblicherweise vermeide ich es ja soweit möglich, einen Gipfel oder eine Route mehrfach anzugehen, weil's schlicht und einfach viel zu viele neue und damit noch attraktivere Ziele gibt. Doch anfangs Saison, mit nur einem halben Tag, bei erheblich und ohne riesigen Aufwand zu treiben wird's natürlich langsam schwierig, noch Exklusivität zu erleben. Somit also zum dritten Mal in 25 Jahren die Normalroute rauf und runter auf den Fanenstock. Eigentlich ja auch nicht so schlimm und von 2x pro Woche sind wir ja noch weit entfernt ;-) 

Aufstieg über die flache Strasse durch den Gamperduner Wald. Hinten super der Piz Sardona.
Wir starteten um 13.45 Uhr in Elm. Es war zwar schön weiss, aber gerade üppig war die Schneelage auf den untersten Hängen nicht. Aufgrund vom Wechsel zwischen feuchtem Pflutter in den sonnigen Passagen und kaltem Powder im Schatten dauerte es wie befürchtet nicht lange, bis sich die ersten Stollen an den Fellen bildeten. Trotzdem gelang der Aufstieg zügig und problemlos, nur beim Mittler Stafel war eine kurze Pause nötig, um so gut wie's ging Fellpflege zu betreiben.

Fantastisches Ambiente beim Aufstieg - Sonne satt und unberührtes, weisses Gold :-)
Rundblick vom einsamen und windstillen Gipfel - immer wieder toll.
Bei sehr schönem Ambiente trudelten wir gerade noch unter der 2-Stunden-Marke, aber bereits wieder mit heftigen Stollen auf dem Gipfel ein, welcher sich einerseits verwaist und andererseits schön windstill präsentierte. Somit sprach nichts dagegen, die Stimmung etwas zu geniessen. Schliesslich stachen wir in den Gipfelhang, welcher sehr gute Verhältnisse präsentierte. Somit liessen wir es uns nicht nehmen, danach (etwas mühsam) auch noch zum Vorgipfel hinaufzutreten, um den folgenden Superhang optimal zu nutzen - welch ein Genuss!

Yours truly als kleiner Punkt in der weiten Winterlandschaft. Avis aux Amateurs: der Mixed-Kletterer, der zoomt erkennt am Piz Segnas ein paar ganz schöne Linien. Sowas ist ja immer verlockend, aber nein, ich werde nicht angreifen. Das ist mir dann doch etwas zu arg abgelegen und zudem in etwas heikler Umgebung. Die Kletterei sieht de visu aber hammermässig aus.
Unterhalb der Steilstufe auf 1900m musste man dann bereits die sonnenabgewandteren oder flacheren Passagen suchen, um noch auf schön fluffigen Schnee zu treffen - was aber bis zum Beginn der Waldstrasse auf 1500m gelang. Diese cruisten wir im Nu hinunter. Nun noch die letzten Hänge retour nach Elm - dank den glatten Wiesen ging's selbst auf den letzten Zentimetern Schnee ohne Probleme und Steinkontakt, auch wenn's nicht mehr der grosse Skigenuss war. Trotz der etwas grasigen Passage zum Schluss konnten wir einen höchst geglückten Auftakt in den Tourenwinter konstatieren. 

So haben wir's gern!

Montag, 13. November 2017

Fallenflue

Eigentlich ist die Fallenflue ein richtiger grosser Kletterspot in der Zentralschweiz, der auch erst in jüngerer Zeit eingerichtet wurde. Sie befindet sich an einem schönen, ruhigen Ort und man hat die Wahl zwischen sonnenxponierten, beinahe ganzjährig bekletterbaren Sektoren und einer kühleren NW-Seite. Noch dazu sind die Zustiege moderat und die Anfahrt aus den Ballungszentren kurz. Trotzdem, nicht nur ich hatte es bisher nie in dieses Gebiet geschafft, sondern es wird auch sonst scheinbar nicht allzu viel geklettert. Obwohl es beinahe 200 Routen gibt, sind auf 8a.nu nur gerade insgesamt 13 Einträge vorhanden. Das hätte mich wohl bereits stutzig machen sollen...

Nach einer kurzfristigen Absage ging sich am letzten schönen Herbsttag leider keine Saisonschluss-MSL mehr aus, somit wollte ich einmal die Fallenflue erkunden. Und ich muss sagen, dass ich schlussendlich etwas enttäuscht von dannen gezogen bin. Ich will das Gebiet damit nicht schlecht reden, aber einige Nachteile bringt es eben doch mit sich. Dass das Gelände vielfach unwegsam ist und man sich in vielen Sektoren auf einem schmalen bis schmalsten Band (teils auch hängend) inmitten einer steilen Wand befindet, ist ja aufgrund der Topos schon klar. Doch während man dies in anderen Gebieten (z.B. Acherli, Vättis, Lopper) toleriert und es der Frequenz dieser Gärten keinen Abbruch tut, so funktioniert es an der Fallenflue offenbar nicht. Es muss also auch noch andere Gründe geben. Dazu im nächsten Abschnitt...

Sicht zu Gross Mythen vom Fuss des Sektors Halo auf der NW-Seite der Fallenflue.
Geklettert bin ich schliesslich in den beiden relativ bequemen und gut zugänglichen Sektoren Silver auf der Südseite und Halo auf der NW-Seite, die Bequemlichkeit war also kein Faktor. Aber es haben mir eben auch der Fels, die Kletterei und die Bewertungen nicht wirklich zugesagt. Dabei schien der Sektor Silver auf dem Papier super - ein paar einfachere Aufwärmtouren, zwei 7a+ zum Onsighten, zwei 7c und eine 8a zum Projektieren. Aber denkste... die "Zak Zak" (7a+) konnte ich zwar gerade noch auf Anhieb ziehen, aber mit zack, zack war da nichts, "Ach & Krach" wäre in meinem Fall der passende Name gewesen. Auf höherem Niveau, in der "Silver" (7c) war ich dann chancenlos. Da wartet knüppelharte Gegendruck-Kletterei an runden Strukturen auf glattem Fels. Sowas taugt mir grundsätzlich sehr wenig, aber dennoch empfand ich die Bewertungen (ganz generell in diesem Sektor) als irgendwie demotivierend hart.

Somit wurde das Handtuch geworfen, in der Hoffnung im Sektor Halo im Schein der Nachmittagssonne noch ein paar zusätzliche Punkte zu sammeln. Doch auch da schienen mir die Bewertungen nicht freundlicher - bereits für den "Hexenpunsch" (7a+) musste ich hart kämpfen. In diesem Sektor schien mir der Fels etwas "Jura-like", d.h. bisschen staubig, da und dort ein bisschen splittrig. Nunja: niemand soll sich aufgrund meiner Eindrücke von einem Besuch abhalten lassen, vielleicht habe ich die wirklichen Perlen ja schlicht und einfach verpasst oder persönlich einen schwachen Tag eingezogen. Den Erstbegehern sei jedenfalls trotz meiner etwas zwiespältigen Eindrücke herzlich für ihre grosse Arbeit gedankt! Nähere Infos zum Gebiet findet man im SAC-Führer Zentralschweizer Voralpen Nordost oder im lokalen Gebietsführer vom Erschliesser Lucas Iten.

Mittwoch, 8. November 2017

Wendenstöcke - Torwächter (7a)

Schon seit Ewigkeiten war der Torwächter am Mähren weit oben auf meiner Liste, schlussendlich wurden ihm aber doch wieder andere Touren vorgezogen. Nachdem jedoch ein weiterer, goldener Herbst(kletter)tag angesagt war und mit Jonas so etwas wie mein Wenden-Standardpartner zur Verfügung stand, wollte ich zum 34. Abenteuer an ebendieser Bergkette antreten. Ambiance und geniale Kletterei sind an den Wendenstöcken ja sowieso garantiert, am Mähren lockte nun auch noch eine Prise Wildheit und Abenteuer, wird doch an diesem Berg nur selten geklettert. Doch so viel sei jetzt schon verraten, der Torwächter kann mit den bekannten und beliebten Pfaffenhuet-Routen in jeder Beziehung mithalten!

Ausblick vom Zustieg, genauer jener Stelle, wo man die Wegspur zum Pfaffenhuet verlässt und weglos diagonal zum SE-Pfeiler des Mähren aufsteigt. Einstieg und Ausstieg vom Torwächter sind auf dem Foto markiert, die Route verläuft mehr oder weniger im Profil des Pfeilers, weshalb sich die Linie auf diesem Foto nicht gut einzeichnen lässt.
Eigentlich weiss man so wenig über den Torwächter, dass nicht einmal klar ist, wie man am besten zu dessen Einstieg kommt. Eine Möglichkeit besteht darin, von der Mettlenalp die weglosen Grashänge zum Mähren-Pfeiler zu nehmen um dann diagonal nach rechts hinauf zu steigen, einen Sporn zu überqueren und dann quasi "von hinten" (d.h. Osten) in die Scharte hinter dem Turm zu steigen, wo die Route beginnt. Wir wollten die Alternative probieren, welche zwar hier und da Erwähnung findet, aber aufgrund der Absenz von konkreten Informationen vermutlich noch kaum je wirklich angegangen wurde - nämlich jene über den Pfaffenhuet-Zustieg mit einer Querung unter dessen Wänden nach links. Somit stiegen wir auf dem normalen Weg zur Steifrou hinauf, über die Gneisrippe, dann der Abzweiger mit Querung nach links (zuletzt über das mühsame Geröllfeld) um die Ecke aufs "Dach". Das Dach steigt man für etwa die Hälfte der Strecke hinauf, bis nacheinander die einzigen zwei kurzen Verflachungen folgen. Bei der oberen geht's diagonal nach links hinauf, in Richtung unterste Felsen des Pfaffenhuet. Dort angekommen, quert man horizontal nach links, traversiert den Graben zwischen Pfaffenhuet und Mähren, was an sich problemlos möglich ist - Vorsicht jedoch auf Steinschlag, bei Regen oder wenn es oben noch Schnee oder Tiere hat. Man kann diese Stelle jedoch sehr zügig hinter sich bringen. Jenseits des Grabens geht's dann wieder diagonal hinauf in die bereits gut sichtbare Scharte hinter dem Turm P.2426. Die letzten Meter sind steiler und etwas heikel, aber da hat's ein (altes) Fixseil. Wir machten uns im Schatten des vorgelagerten Turms bereit - nach 75 Minuten Zustieg ging's um 9.45 Uhr los mit der Klimmerei.

L1, 30m, 6c: Gut abgesicherte, schöne Kletterei für an die Wendenstöcke ungewöhnlich geschichtetem Fels, der zahlreiche Seit-/Untergriffe bietet. Es geht erst gerade hinauf, dann diagonal nach links, aufgrund der Felsstruktur sind die eigentlich zahlreichen Bolts nicht gut zu sehen. Etwas längere Exen zu verwenden schadet hier nicht, die Länge ist etwas für Seilzug anfällig.

Sehr schöne Kletterei bereits in L1 (6c), der Fels ist nach den ersten paar Metern fantastisch. Unten sieht man die Turmscharte mit dem Einstieg, welcher um diese Jahreszeit vormittags im Schatten liegt. Wer gemütlich vespern will, sollte das definitiv etwas unterhalb bereits erledigen.
L2, 30m, 6c+: Vom Stand noch moderat schwierig nach links weg und hinauf. Dort, wo es schwieriger wird scheint der Bolt noch immer 3m höher zu stecken - ahja, nein rechts schlecht sichtbar aussen auf der Rippe ist ja auch noch einer. Sonst wäre das schon eine richtig kühne und auch heikle Sache gewesen. Steilheit und geforderte Athletik nehmen zu und gipfeln in der pumpigen, absolut wendentypischen Schlusspassage. Die Sache ist dazu noch relativ unübersichtlich und nach der Crux werden die Griffe zwar beständig besser, es sind jedoch etwa 5m zum nächsten Bolt - hier muss man etwas Mut beweisen. Die letzten Meter zum Stand hinauf geben dann noch das Rätsel auf, welcher Weg zu wählen ist... die Lösung will ich jedoch nicht verraten.

Die absolut wendentypische Schlusspassage an sloprigen Löchern und ein paar Leisten am Ende von L2 (6c+). Die schwierigsten Moves sind gleich jene über den Haken drüber, danach heisst's in einfacher und griffiger werdendem Gelände dann aber ein paar Meter dranbleiben, bis wieder geklippt werden kann.
L3, 35m, 6c+: Diese Seillänge bietet nun ganz anders wie die ersten beiden eine heftige Plattenkletterei. In der Crux gleich zu Beginn gilt es, den Fuss etwa auf Höhe der Nasenspitze anzusetzen und sich dann an üblen Slopern aufzurichten. Danach noch einmal kräftig und gewagt von einem Seitgriff weit ziehen - diese Passage ist mit 2 nahe steckenden BH gut gesichert, dafür bezahlt man danach mit einem Runout in einfacher werdendem Gelände. Vorerst geht's besser dahin, erst zum Schluss der Länge verlangt eine knifflige Stelle (auch eher von plattiger Hinsteh-Natur) noch einmal sorgfältige Planung der Bewegungen.

Plattige Kletterei à la Wellhorn oder Rätikon wartet in L3 (6c+) - sehr schön!
L4, 30m, 3a: Überführungsstück zum nächsten Wandteil. Erst sehr schöner, gestufter Fels, dann ein einfaches Schutt-/Schrofenband. Der Stand unterhalb ist leider kaum geschützt, deshalb vorsichtig agieren!

Ausblick vom Stand nach L3 auf das folgende Programm. Die paar Meter im Vordergrund gehören zu L4 (3a), das nachfolgende Schuttband ist nicht einsehbar. Die Platte unter dem Bauch ist dann L5 (6b). Über den Superpanza der Wendenstöcke führt schliesslich die anhaltende Cruxlänge L6 (7a).
L5, 25m, 6b: Sehr schöne Steilplatte, welche unter den gewaltigen Bauch der Cruxlänge hinaufführt. Diese Seillänge war ursprünglich mit UIAA 7- (d.h. 6a+) bewertet und wurde im neusten Extrem West nach oben korrigiert. Ok, sie ist natürlich nicht ganz trivial, jedoch mit der ersten Länge der Excalibur sind die Schwierigkeiten dann doch auch wieder nicht zu vergleichen.

Yours truly folgt in L5 (6b). Rein aufgrund der Kompaktheit vom Fels könnte man hier durchaus vermuten, dass es sich um eine richtig schwierige Seillänge handelt. Die entspannte Körperhaltung und der auf einem sehr guten Tritt platzierte rechte Fuss verraten dann aber doch, dass wir es hier mit genussreichem Cruising-Gelände zu tun haben.
L6, 40m, 7a: Eine Monsterlänge! Durchwegs überhängend, lang, anhaltend und leider ist aufgrund der kurvigen Linie auch die Seilreibung ein zu berücksichtigender Faktor. Der Beginn bietet pumpige Kletterei an guten Griffen im 6c-Bereich. In der Mitte nimmt die Steilheit etwas ab, dafür verschwinden die Henkel auch komplett. Hier muss man in bereits angebretzeltem Zustand die Umstellung auf Tropflochkletterei der feinen Art meistern. Leider steckt hier ein Bolt weit links aussen im Schilf - jedoch nur, was den Seilverlauf betrifft, denn die einfachste Passage führt tatsächlich direkt an ihm vorbei. Hier wäre es dienlich, eine lange (min. 60cm, besser 120cm) Schlinge einzuhängen. Das ist allerdings leicht psycho, weil nachher gleich die schwierigsten Meter mit heiklen, feinen und trittarmen Moves folgen und zudem der nächste Bolt auch zäh zum Klippen ist (was für den übernächsten genauso gilt). Hier kam wieder einmal der Chäppi-Spezialtrick zum Einsatz. Sprich, beim Einrichten wurde an der letzten, brauchbaren Struktur geclifft, 50cm höher ein kleines Cliffloch gebohrt um dann an diesem hängend den Haken nochmals 50cm weiter oben zu setzen. Tja, so spart man Haken und macht gleichzeitig die Schwierigkeiten sehr zwingend! Am besten geht's definitiv, wenn man die Coolheit hat, über diese Stellen einfach drüberzusteigen und erst nach der Passage zu klippen. Die letzten Meter dann nochmals steil und griffig in eine Nische hinauf - ich bin total ausgepumpt und beim Seil einziehen habe ich tatsächlich Krampferscheinungen.

Jonas in der entscheidenden Passage der Monster-Cruxlänge (L6, 7a). Die Kletterei super, die Position atemberaubend!
L7, 30m, 6b+: Rein nominell sind die Hauptschwierigkeiten nun vorbei, wogegen ich bei meinem aktuellen Kräftepegel gar nichts einzuwenden habe. Allerdings scheint die Linie davon vorerst nicht allzu viel davon zu wissen, denn in athletisch-kräftiger Kletterei will man in äusserst luftiger Position weiterkommen. Mittig in dieser Seillänge wartet dann eine knifflige Crux in feiner, kleingriffiger Wandkletterei, gar nicht so einfach - erst recht nicht, wenn man den entscheidenden Kniff verpasst. Zu erwähnen auch noch: selbst wenn man diese Länge als mit BH und (teils gebohrten) Sanduhren als gut abgesichert bezeichnen darf, so habe ich hier doch mein ganzes Rack von Camalots 0.3-1 gelegt.

Steiler und luftiger Beginn von L7 (6b+), gesichert nur von einem Cam.
L8, 30m, 5c: Nun wird's noch einfacher, auch wenn's gar nicht so nach halbem Gehgelände aussieht - wer würde denn an den Wendenstöcken auch so etwas erwarten. Auf dieser Seillänge befinden sich nun neben 2 bereits gefädelten Sanduhren nur noch Möglichkeiten zur mobilen Absicherung. Es geht aber gut und die Kletterei ist denn auch tatsächlich nie verzweifelt schwierig. Einzig die Orientierung ist ein Faktor, aber die fixe Sanduhrschlinge weit oben weist den Weg (immer tendenziell leicht linkshaltend aufwärts).

L9, 30m, 6b+: Aus der Standnische nach links, über eine Mini-Version des Thank-God-Ledge. Beim Hinaufsteigen bald die Crux, eine bouldrige Stelle zum Überwinden eines kleinen Dächleins. Diese dünkte mich für den angegeben Grad und die Wendenstöcke für einmal ziemlich gutmütig. Steht man über dem Aufschwung, stellt sich die Frage wohin des Weges. Es bleibt nämlich ziemlich viel Steilplatte übrig und fixe Sicherungen kommen keine mehr. Ich ging etwas nach links, dort kommt dann ein perfektes Cam-Placement und die Moves lösen sich auch super auf. Dann steigt man auf ein Schuttband aus, wo sich an der nächsten Wand der Stand befindet.

Die oberen Seillängen sind von den Standplätzen aus nicht mehr ganz so fotogen. Das Panorama wie immer an den Wendenstöcken aber top. Grassen, Fünffingerstöck-Gruppe, Griessenhörner, Stucklistock und Fleckistock sowie das Sustenhorn sind hier sichtbar.
L10, 30m, 6a+: Vom Stand aus sieht's nach weiträumiger Absicherung und steiler, wenn auch nicht allzu schwieriger Kletterei aus. So entpuppt sich die Länge dann auch. Über die ersten 2 Haken ist die Absicherung tatsächlich knapp, v.a. da man ja auch direkt über dem Schuttband operiert. Man schalte den Spürhund ein, damit man die wenigen vorhandenen Placements für mobile Sicherungen nicht verpasst, sonst ist's definitiv 100% eine No-Fall-Zone. Die Crux dann eher am Schluss direkt am Haken, der Stand bzw. die Route ist links vom Dach bzw. grossen Überhang.

Am Anfang von L10 (6a+) muss man nochmals parat sein. Ist zwar "nur" 6a+, aber doch steil und mit nicht ganz kurzen Sicherungsabständen. Wer nicht halb im Free-Solo-Modus unterwegs sein will, muss auch zwingend die wenigen, aber durchaus vorhandenen Cam-Placements nutzen.
L11, 30m, 5c: Zum Abschluss noch ein schönes 2-Bolt-Rüteli in bzw. neben der Verschneidung. Gemütliche Sache, mobil ergänzbar und hübscher Fels bis fast zuoberst.

Um 15.30 Uhr sind wir nach 5:45 Stunden Kletterei am Top angekommen. Hochzufrieden, denn das war nun tatsächlich eine prima Wendenkletterei in einem hervorragenden Ambiente. Wir steigen noch die wenigen Meter im Schrofengelände zum Pfeilergipfel hinauf und vergrössern den Steinmann, der definitiv schon bessere Zeit gesehen hat. Oberhalb von unserem Pfeiler bleibt noch ziemlich viel Berg übrig - es scheint auf den ersten Blick so, als ob eine Fortsetzung des Aufstiegs möglich wäre. Dagegen sprechen hingegen die Steinböcke auf dem Ringband unter dem Gipfelaufschwung. Diese scheinen ob unserer Präsenz wenig erfreut und schmeissen in grossen Portionen Steine hinunter. Allerdings stürzen sie die Schluchten links und rechts, unsere Position ist absolut sicher. So sehen wir noch etwas den anderen Seilschaften am Pfaffenhuet und Excaliburpfeiler zu, in welche man aufgrund der etwas vorgelagerten Position guten Einblick hat.

Ausblick in die wilde Gipfelregion am Mähren. Man könnte meinen, dass man in einfachem Gelände zu Fuss weiter hinaufsteigen könnte. Ich glaube a), dass dies täuscht und b) wäre es aufgrund der Steine schmeissenden Steinböcke nicht sehr angenehm gewesen.
Die Abseilfahrt geht dann ziemlich zügig vonstatten. Erst lassen sich zwei Seillängen verbinden, danach werden 2 routenunabhängige Standplätze benutzt, bevor man wiederum mit dem Auslassen eines Standplatzes das untere Schuttband erreicht. Von dort kann man einen weiteren Stand überspringen und erreicht in 2 Manövern den Einstieg. Wir nehmen uns unterwegs noch etwas Zeit, um mit den mitgeführten ~20m Seil noch diverse Standplätze zu verbessern und fixe Sanduhrschlingen zu ersetzen. Zusammen mit dem, was vorher bereits in erneuertem Zustand war, darf man derzeit alle entscheidenden SU-Schlingen und zum Abseilen benutzten Standplätze als in gutem Zustand bezeichnen. Um das restliche Material auch noch vollständig aufzumöbeln, wäre der Verbau von weiteren ~20m Seil nötig. Vielleicht kann das ja die nächste Seilschaft erledigen. Für uns  verblieb der Abstieg. Den obersten, steilsten Teil von der Scharte seilten wir ab, danach stiegen wir vorsichtig retour zum Pfaffenhuet-Abstieg. Da merkte man wieder einmal, wie viel einfacher die Wenden-Zustieg durch die inzwischen präsenten (wenn auch immer noch spärlichen) Wegspuren geworden sind. Das Gelände im obersten Teil unserer Abstiegs war nämlich nicht steiler, fühlte sich jedoch gleich viel wilder an und erforderte eine defensive Herangehensweise - einmal auf der Pfaffenhuet-Spur etabliert, konnte man es danach dann rollen lassen. So gelangten wir dieses Mal mit den letzten Sonnenstrahlen zurück auf die Wendenalp und konnten zufrieden, um ein weiteres Wenden-Abenteuer bereichert, nach Hause cruisen.

Facts

Mähren - Torwächter 7a (6c obl.) - 11 SL, 340m - K. & R. Ochsner 1991 - ****;xxx
Material: 2x50m-Seile, 12 Express, Camalots 0.3-1, evtl. Messer, Draht & Seilstücke

Sehr schöne Kletterei über den SE-Pfeiler am Mähren. Die  Linie fernab von anderen Routen gibt der Sache etwas einzigartiges, qualitativ kann der Torwächter definitiv mit den Pfaffenhuet-Routen mithalten. Der Fels ist meist sehr schön, rau und mit guter Reibung. Unterwegs gibt's Abwechslung zwischen der wendentypischen Kletterei an runden Löchern, Leisten, Seitgriffen und plattigen Passaagen. Zur Höchstnote reicht's nicht ganz aufgrund der zwei (gut passierbaren) Schuttbänder, der im oberen Teil nicht mehr so anhaltenden Schwierigkeiten und kompakt-luftigen Linie. Die Absicherung darf man als gut bezeichnen, für eine Wendenroute erst recht. Wie üblich bei einer Route von Kaspar Ochsner kann man sich darauf verlassen, dass dort wo es heikel würde, dann schon wieder ein Bohrhaken kommt - in den schwierigen Seillängen sogar auch schon vorher. In den einfacheren, oberen Seillängen ist die BH-Dichte geringer. Hier kann man mit einem Set Camalots 0.3-1 aber immer wieder mobil ergänzen und erreicht auch da einen genügenden Standard. Erwähnt sei, dass die Absicherung zu einem Teil aus (gebohrten) Sanduhrschlingen besteht und man auch bei den Abseilstellen oft auf die Qualität des Textils angewiesen ist. Derzeit (Oktober 2017) war alles in gutem Zustand, aber natürlicherweise wird dies ohne weiteren Unterhalt nicht ewig so bleiben. Somit kann es sich durchaus empfehlen, sich für das Ersetzen gewisser Schlingen vorzubereiten. Das Topo zur Route findet man im Schweiz Extrem West (z.B. bei Bächli Bergsport erhältlich).  

Mittwoch, 1. November 2017

Parete Val d'Iragna - Baci dal Nord (7c+/8a, 7 SL, Erstbegehung)

Als wir im September 2017 die My Darling kletterten, waren wir vollauf begeistert. Von der Wand, der schönen sonnigen Lage und der genialen Kletterei. Schon im Aufstieg schweiften unsere Blicke immer wieder nach links in den noch unerschlossenen Wandbereich und Gedanken an eine Erstbegehung keimten auf. Beim Abseilen erhielten wir dann einen detaillierten Einblick. Tatsächlich, hier gab es über weite Strecken hervorragende, saubere Risse, welche zum Klettern nur so einladen. Gut, einige nicht ganz triviale Wandstellen dazwischen schienen auch vorhanden, aber das sollte uns nicht abhalten. Wo sonst in der Schweiz hätte man ein solch geniales Projekt mit kurzem Zustieg und toller Lage finden können?!? Ich glaube (fast) nirgends...

In der cleanen Piazverschneidung von L6 (6a+). Die Route führt an der Rissspur oberhalb des Kletterers weiter. Der Ausstieg befindet sich am steilen Schiffsbug, welcher den Horizont markiert. Yay!!!
So kam es, dass wir nach Hause fuhren, dort die Säcke packen und uns praktisch umgehend wieder auf den Weg nach Süden machten. Wenn die Paranoia über eine im letzten Moment weggeschnappte Erstbegehung einmal zuschlägt, dann gibt's kaum eine Unannehmlichkeit zu viel. Früh, ja für die Parete eigentlich komplett unvernünftig früh fuhren wir los. Beim Einbiegen auf die Bergstrasse nach Citto passierte es. Ein Wagen mit Tessiner Nummerschildern war Sekundenbruchteile schneller als wir, wir hatten nur noch Startnummer 2. Die beiden Typen sahen doch wie Kletterer und somit Konkurrenten aus?!? Wir malten uns bereits aus, wie wir die beiden im Zustieg distanzieren müssten - beim Gewicht unserer Säcke allerdings kein einfaches Unterfangen. Das Problem löste sich in Luft auf, als der Subaru eine andere Abzweigung wählte. Somit ging's beruhigt und ohne zu hetzen auf den Zustieg. Jedoch nur, bis sich auf diesem unzweifelhaft frische Fussspuren entdecken liessen. Ja gopelletti, würde uns jetzt tatsächlich noch jemand zuvorkommen?!? Schliesslich zeigte sich, dass es nur ein Wanderer war. So kamen wir (immer noch frühmorgens) an der Wand an und fanden den angepeilten Bereich tatsächlich genau so jungfräulich, wie wir ihn spätabends davor verlassen hatten. Aus objektiver Sicht mag man da wohl ironischerweise bemerken "welch eine Überraschung!".

Super schönes Ambiente über den grünen Tessiner Kastanienwäldern in einem ruhigen Seitental. Hier L4 (7b).
Sogleich, also nein eher nach längerer Zeit, nachdem wir alles nötige Material organisiert hatten, machten wir uns auf den Weg. Trotz der teils schwierigen Kletterei nahe meines persönlichen Limits erzielten wir einen ganz guten Fortschritt - die vielen Abschnitte, welche sich mobil absichern liessen, kamen uns dabei natürlich sehr entgegen. Somit gelang es uns, die Linie in zwei langen Bohrtagen komplett zu erschliessen. Beide Male reizten wir das Tageslicht dabei bis zum allerletzten aus. Beim ersten Mal hatten wir dummerweise ob all dem vielen anderen Material nicht an die Stirnlampen gedacht. Als es dunkel wurde, kam natürlich prompt etwas Beklemmung auf, denn schliesslich ist man ja doch immer etwas verloren, wenn das Tageslicht plötzlich schwindet. Erst recht, wenn man noch irgendwo oben in einer Wand hängt und den Rückweg durch dunkle Tessiner Wälder angehen muss. Der Ingenieur hat für eine solche Situation natürlich eine Notlösung parat. Sie bestand darin, das Smartphone auf den Helm zu tapen. Funktioniert (bei gewisser Gefahr für eine Nackenstarre) ganz leidlich, zumindest solange der Akku hält. Noch glücklicher kann sich schätzen, wer die richtigen Partner auf seiner Seite weiss. Nach dieser Geschichte bin ich nun stolzer Besitzer eine Petzl Actik Core. Dies ist definitiv die beste und leuchtstärkste Stirnlampe, welche ich bisher besessen habe, mit einem Gewicht von nur 82g ist sie eigentlich nie zu schwer zum mitnehmen und das Konzept mit einem Akku, welcher auch durch drei handelsübliche AAA-Batterien ersetzt werden kann, überzeugt vollauf - herzlichen Dank an Bächli Bergsport! Schon erstaunlich, wie viel gelassener wir beim zweiten Mal das Eindunkeln über uns ergehen lassen konnten. Somit schützt die Stirnlampe eben nicht nur wegen dem Licht, sondern auch durch das Verringern der Hast vor dem Eindunkeln.

Auf dem Rückweg durch die dunkeln Tessiner Wälder. Wenn da nur nicht noch ein paar Geister hausen!

Somit war die Route komplett erschlossen und es wartete "nur noch" das Freikletter-Business. Am zweiten Bohrtag hatten wir uns bereits die Mühe genommen, die schwierigsten Stellen genau zu begutachten. Glasklar war, dass es sich um eine für unsere Fähigkeiten harte Nuss handeln würde. Während Adi den Eindruck hatte, hier nur mit grossem Projektieraufwand zum Erfolg zu kommen, war ich etwas optimistischer. Mit etwas Glück würde ich L1 gleich packen und die schwierigste Einzelstelle gleich zu Beginn von L2 liess immerhin mehrere Versuche ohne allzu grossen Zeitaufwand zu. Vorausgesetzt, dass nach dieser Stelle noch etwas Reserven in Bezug auf Kraft, Haut und Zeit vorhanden wären, schien mir ein Durchstieg realistisch - die oberen Längen sind zwar auch nicht gerade trivial, aber mit dem Wissen wie es geht für mich doch im machbaren Bereich. Weil die Gelegenheit gerade günstig war, trat ich dann bereits zwei Tage später mit Kathrin die Reise an die Parete Val d'Iragna an. Ganz optimal war dies nicht, der zweite Bohrtag hatte meine ganzen Kräfte und einen wesentlichen Teil der Fingerhaut gefordert, zudem war ein sonnig-warmer Herbsttag angesagt, was die Farbe der Fingerkuppen umso schneller in Richtung rosarot treiben würde. Trotzdem, es nicht zu versuchen wäre töricht gewesen und tatsächlich konnte ich das Projekt abschliessen. Bis wir wieder festen Boden unter den Füssen hatten, war erneut die Dunkelheit hereingebrochen. Natürlich waren wir nicht ganz so früh aufgebrochen, dann hatte die Kletterei und die nötigen Pausen dazwischen Zeit gefressen und was vom Tageslicht noch übrig geblieben war, wurde in letzte Putz- und Einrichtungsarbeiten investiert. Während ich 2 Tage zuvor beim Bohren mit dem Gefühl des "grössten Dursts aller Zeiten" abgestiegen war, schien mir dieser nur gleich nochmals gesteigert. Dummerweise mussten wir bei der ersten Gelegenheit wegen verkehrstechnischer Umstände (und eigener Unterlassung) für frische Getränke bis ins Urnerland fahren, so wurden wie bei zweiter Gelegenheit bereits in Biasca fündig - prost!

Eine weitere Impression aus der Route, dieses Mal das Finish der tollen L5 (6c).
L1, 45m, 7b+: Der Auftakt in diese Seillänge ist moderat schwierig und da man Cams legen kann, braucht's ziemliche Sperberaugen, um vom Einstieg den ersten BH zu lokalisieren. Wobei, darüber wo man durchklettert, gibt's eigentlich keine Fragezeichen. Dann steilt sich die Wand bereits auf, an einigen Seitgriffschuppen gilt's da schon ernst. Zwei Bolts, dann ein "crucial placement" für einen 0.3er-Camalot. Etwa 1-1.5m rechts-unten-aussen lässt sich auch noch ein Rock 4 (oder BD Stopper 7) gut legen - ich habe das nur beim allerersten Mal gemacht, d.h. es geht auch ohne, ist aber bereits etwas kühn. An ein paar Henkeln kommt man zu einem letzten Rastpunkt, bevor es mit der gebolteten Crux ernst gilt. Erst gilt's an Seitgriffen den Druck auf die Reibungstritte zu bringen, wo diese auslaufen folgen ein paar klitzekleine Leisten (so à la Beastmaker 6mm), welche direkt in eine heikle Mantle-Sequenz an Slopern überleiten - supercool! Zuletzt dann noch auf dem Band einige Meter nach links.

Blick vom Einstieg auf L1 (7b+), die hier sichtbare erste Hälfte ist noch nicht allzu schwierig (<=6c).

In der Schlusswand darf man dann seine "Crimp Strength" und seine Technik zum Einsatz bringen. Immer noch L1 (7b+).
L2, 25m, 7c+/8a: Nachdem man einfach 3m hinaufgestiegen ist, gilt's sogleich ernst. Die folgende Wandstufe ist leider nur mit ein paar Miniatur-Crimpern und schlechten Tritten ausgestattet. Aber es geht, für mich fühlt sich das an der Grenze des Menschenmöglichen an. Logo, ist es natürlich nicht, aber dass man an solchen Strukturen noch durchkommt ist schon erstaunlich. Die Bewertungsfrage bleibt somit ein Stück offen. Einfacher wie 7c kann das eigentlich kaum sein, nachdem wir es konnten, auch kaum schwierger wie 8a. Ich bin jedenfalls auf die Einschätzung von Spezialisten für diese Art der Kletterei gespannt. Nun denn, nach dem Einstiegsboulder hat man die Länge noch nicht im Sack. Die geniale Passage an der charakteristischen Quarzader erlaubt nochmals etwas Durchschnaufen vor dem kräftigen Finale. Der Fels bietet hier zwei herausstehende, vertikale und ziemlich glatte Kanten, an welchen man sich knifflig in die Höhe arbeiten muss. Wer zuhause einen freistehenden Kühlschrank hat, der könnte jedenfalls schon einmal an einem ähnlichen Objekt eine Übungsanlage finden (Sitzstart, please!). Zum Schluss gibt's in dieser Länge dann noch eine athletische Linksquerung an Slopern und ein paar Leisten - jedenfalls nach meinem Empfinden eine affengeile Länge mit total abgefahrenen Moves. Gneiskletterei par Excellence, so wie für die umliegenden Klettergärten (z.B. Claro) typisch.

L2 (7c+/8a) ist ein absoluter Knaller und bietet Gneiskletterei par Excellence.
L3, 30m, 6c+: Relativ gemütlich geht's los, für einmal an richtig guten Griffen und bequemen Tritten. Über den zweiten Haken ist's mal kurz etwas kniffliger, die Crux folgt an der finalen Wandstufe auf das bewachsene Zentralband hinauf. Hier stand ich bei der Erstbegehung kurz etwas ratlos herum und stellte mir die Frage, wie man dieses Stück wohl am wenigsten unangenehm erledigen könnte. Überall hingen von oben herab üppig Erika-Stauden und ein Durchkommen erschien fraglich. Nachdem die Passage nun jedoch gesäubert und geputzt ist, geht's ganz kommod. Die Wandstufe bietet dann allerdings doch noch einen powerigen Einzelzug, gar nicht so trivial. Dann rüber zum Baum, rauf aufs Band und nach links zum Stand.

L3 (6c+) ist mit dem Ausstieg aufs Zentralband nicht besonders fotogen, hat aber an ihrem Ende noch einen giftig-schönen Einzelzug. In der Route haben wir keine Fliegenpilze gefunden, auf dem Zustieg aber dafür unzählige.
L4, 30m, 7b: Als Wiederholer steht man möglicherweise vor dieser Seillänge und fragt sich, warum zur Hölle die Querung an die Kante. Die Antwort: weil die Kletterei viel besser ist. Bei der Erstebegehung standen wir nämlich vor der Entscheidung, die Verschneidung gleich ob dem Stand anzupacken, oder eben kühn die Kante zu versuchen. Nachdem die Verschneidung selbst noch etwas feucht war (was wohl häufig der Fall ist) und man wegen etwas Flechten und Moos erheblich hätte putzen müssen, wollte ich die Kante probieren. Vorsichtig (schliesslich steckte ja noch kein BH) tastete ich um die Ecke und ja, da schienen Griffe zu sein. Also wurde heikel aus der offenen Tür der erste BH gesetzt und tatsächlich, der Move um die Kante war gar nicht so schwierig und nachher folgte beste Wandkletterei an coolen Leisten. Weiter oben dann eine zweite Entscheidung: henklig übers Dach, an den Riss im Winkel oder rechts in der Wand bleiben. Hier fiel die Entscheidung auf letzteres, weil mir die Schuppen im Dachwinkel etwas gar zu hohl tönten - ich fühle mich einfach sofort unwohl, wenn ich an einer grossen Struktur ziehen muss, welche nicht zu 100.00% standhält. Die Wand rechts geht denn auch tatsächlich bis auf einen einzigen Move gut. Doch diese knifflige Bewegung macht die Länge zur 7b. Die Lösung aufzudecken wäre übrigens fast ein Verrat... Hat man sich die henklige Verschneidung dann geschnappt, warten noch ein paar Genuss-Moves hinauf zum Stand an einer soliden Eiche, wobei hier mit dem Camalot 3 (oder grösser) für Absicherung gesorgt sein will.

Blick von unten auf die tolle Wandkletterei in L4 (7b), wo Adi kurz vor dem entscheidenden Schlussmove ist.

Der Ausstieg in L4 (7b) zum Stand dann an dieser griffigen Schuppe, mit einem Camalot 3 (oder grösser) selber abzusichern.
L5, 35m, 6c: Der Blick hinauf offenbart eine kühne Risslinie, wow! Die ersten Meter gehen dabei einfacher wie gedacht, hier lässt sich vor allem kleines Gear legen. Eine kurz plattige Querung an einen parallelen Riss erfordert dann mehr, bevor man entlang der griffigen Schuppe (mittleres Gear) unter das Dächli gelangt. Wie ein gestrandeter Walfisch habe ich das erste Mal den Mantle auf den Absatz links geklettert - noch ohne den BH zu setzen. Als ich dann oben war, schien mir ein BH fürs sichere Weiterklettern und insbesondere für den Nachsteiger doch zwingend. Nun die Preisfrage, setze ich ihn so hoch, dass er erst nach dem Walfisch-Mantle zu klippen ist oder doch tiefer?!? Im Nachgang habe ich diese Anekdote hier und da erzählt und interessant ist vor allem, wie unterschiedlich die Ansichten sind. Von "wenn du es selber ohne BH geklettert hast, dann darf man nicht vorher klippen können" bis zu "fang jetzt nicht auch noch wie viele andere an, die Leute zu verarschen" war da die ganze Bandbreite dabei. Ähm ja, man kann den Haken jetzt übrigens schon vor dem Mantle klippen und beim zweiten Mal habe ich auch eine bessere Methode wie den Walfisch herausgefunden. Danach geht's hinauf an die Flosse, bevor eine weitere, charakteristische Passage folgt, nämliche die Traverse am "Fingerboard". Warum es so heisst, klärt sich dann vor Ort. Für ganz zuletzt ist's praktisch, wenn man noch einen 0.4er-Cam (ich behalte mir jeweils den auf) am Gurt hat, der 0.5er würde bei jenem Placement auch passen.

Der Blick vom Standplatz hinauf auf die coolen, cleanen Risse von L5 (6c) - naja, so gut auch wieder nicht sichtbar...
Die Schlusspassage jener Seillänge am "Fingerboard" (L5, 6c).
L6, 25m, 6a+: Nun wartet die coole Piaz-Verschneidung - irgendwie mein Anti-Style, aber trotzdem standen wir bei der Erstbegehung hier und es gab kein zurück. Den Bohrer konnte man allerdings getrost zurücklassen, denn dass hier perfekt mit Klemmgeräten abgesichert werden kann, war ja mehr als offensichtlich. Zu meinem Glück war die Kletterei nicht allzu schwierig. Wer nur ein Set Cams dabei hat, der sollte sich die auf dem Topo angegebene Sequenz (0.75; 2; 3; 1) zu Herzen nehmen, im Prinzip könnte man auf diesem Abschnitt jedoch auch die Lagerhaltung von einem ganzen Bergsportgeschäft versorgen. Das Finish dann steil und athletisch an Henkeln - es ist übrigens cooler, wenn man's direkt klettert, der Umweg rechts herum ist nicht einfacher und vor allem einfach auch mühsamer. Wie viele diesen Tipp beim ersten Mal beherzigen werden?!? Wahrscheinlich niemand, ich hab's auch erst herausgefunden, nachdem ich es im Toprope einmal ausprobiert habe.

Der Blick von oben auf das einfachere zweite Drittel der tollen Piazlänge L6 (6a+).
L7, 30m, 7a: Diese Seillänge kann durchaus etwas Bammel verursachen. Der Riss schwingt sich überhängend in den Himmel und Bolts stecken keine. Ist jedoch auch nicht nötig, das man hier wiederum seine ganze Habe an Cams versenken kann (und darf). Auf den ersten Metern gibt's einige unglaubliche Henkelschuppen und einen fetten Untergriff, so dass es schliesslich gar nicht so schwierig ist. Erst am Ende wartet dann ein zwingender Faustklemmer und ein paar tricky Moves, um den Riss zu verlassen. Das erste Mal kam mir dies sehr schwierig vor, vermutlich ist's jedoch eher eindrücklich als hart. Beim Durchstieg ging's dann leicht vor der Hand - hier konnte ich endlich auch das erste Mal meine Splitter Gloves einsetzen. Es gibt im Wesentlichen zwei Produkte, nämlich die deutlich dickeren, weniger Gefühl vermittelnden von Ocun und die deutlich filigraneren von Outdoor Research, welche ich von Bächli Bergsport erhalten hatte (herzlichen Dank!). Irgendwie ist die Sache durchaus etwas gewöhnungsbedürftig, allerdings auch deutlich weniger schmerzhaft und die Reibung ist mit Garantie deutlich besser. Naja, nach diesem Werbespot fokussieren wir vielleicht nochmals auf die Route, welche im letzten Abschnitt nochmals athletische Wandkletterei mit einer fordernden Linksquerung und eine abschüssige Ausstiegsplatte bietet. Dann schwingt man sich über die Kante, geht wenige Meter aufwärts und hat es GESCHAFFT!!!

Die Splitter Gloves erleichtern die Faustklemmer in L7 (7a). Da es nur wenige sind, muss man nicht zwingend welche mitführen.
Kathrin attackiert im "Juggy Crack" am Beginn von L7 (7a). Foto: H. Tobler
Für den ersten Abseiler ist es deutlich günstiger, den Ausstiegsstand der My Darling zu nutzen. Von dort geht's 1 Seillänge runter, danach kann man 2 Strecken am Stück machen. Es sei erwähnt, die Verhänger-Gefahr ist nicht null - bei uns hat's bisher aber immer ohne geklappt. Andernfalls käme man halt nochmals in Genuss der tollen Risslänge (d.h. L5). Nun geht's vom Baum gerade runter aufs Band. Dort quert man am Fixseil hinüber zur Abseilmöglichkeit am Zwischenstand der My Darling. Es folgen noch zwei Strecken, bis man wieder Boden unter den Füssen hat. Anders als der Autor werden es die meisten wohl schaffen, den Abstieg bei Tageslicht zurückzulegen. Weil wir das erste Mal im Schein der Handy-Taschenlampen kurz etwas Mühe hatten, den horizontalen Pfad zurück zu den zerfallenen Ställen aufzugreifen, haben wir dort nun ein paar schöne Steinmänner gebaut. Ich hoffe, sie sind noch dort - und wenn nicht, so ist's bei Tageslicht eh kein Problem. Den Tipp mit der Tankstelle in Biasca für die ganz durstigen habe ich ja bereits erwähnt. Für jene, welche hingegen noch überschüssigen Strom im Bizeps haben, gibt's 50m über dem Parkplatz in Citto auch noch einen Klettergarten mit ca. 17 Routen von 5b-7c, Namen und Schwierigkeitsgrade sind am Fels angeschrieben. Viel Spass am Moven im Tessiner Gneis!!!

Happy Alpinist reaching the top after the First Free Ascent! Foto: H. Tobler

Facts

Parete Val d'Iragna - Baci dal Nord 7c+/8a (6c obl.) - 7 SL, 220m - Dettling/Waibel 2017 - ****;xxxx
Material: 2x50m-Seile, 12 Express, 1 Set Cams BD C4 0.3-3, evtl. Keile und 0.4-1 doppelt

Vorwiegend steile, athletische und kaum plattige Kletterei in sehr gutem Gneis, der auch zur Zeit der Erstbegehung nur an ganz wenigen Stellen brösmelig oder flechtig war. Die Kletterei zieht sich entlang einer logischen Linie an Rissen, verbunden mit anspruchsvoller Wandkletterei dazwischen. Letztere markieren die Schlüsselstellen, welche mit abgefahrenen Bouldermoves gemeistert sein wollen. Die etwas leichteren Splitter Cracks sind alle sauber, kaum bewachsen und hervorragend mobil abzusichern. So stecken denn in diesen Risspassagen auch keine Bohrhaken. Die nicht mobil absicherbaren Wandstellen sind mit A4-Inox-BH gut ausgerüstet. Inklusive der absolut zwingend einzusetzenden mobilen Sicherungen erreicht man einen Standard von xxxx bzw. gut+. Wer sich an die Placements im Topo hält, seinen Klemmgeräten vertraut und die Risse nicht übersichert, kommt wie der Autor mit 1 Set Cams von 0.3-3 durch. Wer möchte, kann problemlos auch ein zweites Set verbauen, Keile sind ebenfalls hier und da einsetzbar. Die Parete Val d'Iragna ist exakt nach Süden ausgerichtet und trocknet schnell - hier sollte man auch nach intensiven Tessiner Regenfällen bald wieder attackieren können. Während es im Sommer ausser bei bewölktem Himmel oder nach Ausbruch der nächsten Eiszeit sicherlich zu warm ist, kommen die Vorzüge der Wand vor allem in der kälteren Jahreshälfte zum Tragen. Selbst in der Zeit um Weihnachten hat die Route von ca. 8.45 Uhr bis 13.30 Uhr Sonne, einen Monat früher oder später bleibt die Sonne dann bereits bis um ca. 15.00 Uhr. Das PDF-Topo zur Route kann man hier runterladen.