Die Sens Unik ist eine Route, welche die Gebrüder Remy in den 1990er-Jahren in den rechten Wandteil am Schlossberg gelegt haben. Während es in der Anfangszeit ein paar Wiederholungen gab, ging sie bald darauf in Vergessenheit und in diesem Dornröschenschlaf steckt sie noch immer. Auch ich hatte sie lange Zeit nie ernsthaft in Erwägung gezogen, bis mir Sämi Speck einmal persönlich mitteilte, dass er hier 2015 im Rahmen einer sanften Sanierung eine teilweise direktere Linie fand und ein paar haarsträubende Passagen entschärft hatte. Die Kletterei beschrieb er als absolut lohnend. Grund genug, um selber einmal nachzuschauen! Wir wurden nicht enttäuscht: es wartet tatsächlich hervorragende, steile Kletterei in sehr gutem Gestein, man fühlt sich des Öfteren schon beinahe wie an den Wendenstöcken!
Routenverlauf der Sens Unik (7a+) am Schlossberg im unteren Wandteil |
Der Zustieg an den Schlossberg ist nicht eben kurz, aber mit der richtigen Einstellung oder vereinfacht mit entsprechenden Gerätschaften doch auch rasch erledigt. Konkret heisst das, dass man mit einem Mountain Bike schon im Aufstieg etwas Zeit spart, während dann vor allem der Abstieg im Nu vonstatten geht. Weitere Vorteile bringt es natürlich mit sich, wenn man über ein elektrisiertes Bike verfügt. Eine andere Alternative besteht darin, die Kletterei am Schlossberg als Climb & Fly anzugehen. Sowohl unterhalb wie oberhalb der Hütte gibt's prima Startplätze, welche sich auch gut für einen Flug nach der Kletterei eignen. Auf diese Weise ist man in 15 Minuten vom Einstieg retour beim Auto, idealer geht's fast nicht. Für diejenigen, welche weniger auf naturnahe Fortbewegung stehen, gibt's offenbar auch noch die Möglichkeit, ein Fahrbewilligung bis zum Stäfeli zu organisieren. Hierzu kann ich keine weitere Auskunft geben, ich hatte das bisher nie ernsthaft in Erwägung gezogen. Vielleicht mag's ja mal jemand mit dem entsprechenden Wissen als Kommentar hinzufügen.
Der Blick auf die gewaltigen Wände vom Schlossberg auf dem Zustiegsweg zum Stäfeli. |
Unsere Tour begann um 7.30 Uhr beim Parkplatz Bründler auf 1170m. Die 5 CHF an Fahrgebühr von der Talstation der Fürenalpbahn noch zu investieren, lohnt sich auf jeden Fall. Ab hier bis an den Einstieg sind es ungefähr 900hm, die jedoch ziemlich rasch purzeln. So war der Zustieg in 1:30h erledigt. Nachdem wir uns vorbereitet hatten, ging es um ca. 9.30 Uhr los mit der Kletterei. Das heisst, dass wir noch im Schatten starteten. Die Sonne erreicht den Wandfuss bei der Sens Unik um diese Jahreszeit (Mitte August) erst ab etwa 10.45 Uhr Uhr und somit deutlich früher wie bei den Touren weiter links, z.B. bei der Jingo oder der Rittergold am Gendarm, wo dies erst um 12.30 Uhr der Fall ist. Am Schatten zu klettern war jedoch kein Problem, da es ohne weiteres genügend warm war - was wir bei der Planung natürlich entsprechend berücksichtigt hatten.
L1, 40m, 6a+: Ja, die Route führt tatsächlich durch das markante Kamin-/Risssystem hinauf, bei der Route in der Wand links handelt es sich um ein vielversprechendes, jedoch noch nicht fertiggestelltes Projekt. Im Remy-Originaltopo steht für diese Seillänge eine lapidare 5+ (französische Skala, entspricht dem neuartigeren 5c+). Im SAC-Führer Zentralschweizer Voralpen wurde diese Bewertung falsch zu einer 5b übersetzt. Wie auch immer, beide Angaben sind meines Erachtens deutlich zu tief. Die anhaltende Kletterei ist reichlich ungewohnt, das Gestein teilweise ziemlich glattgewaschen und auch mit den zusätzlichen BH ist's schlicht und einfach fordernd, weil man doch hier und da ziemlich über die Sicherungen steigen muss. Man kann jedoch hier und da noch Cams platzieren. Im Gesamtkontext der Route würde ich hier auf jeden Fall mit mindestens 6a+ bewerten! Seinen Spass wird man hier aber garantiert haben: Stemm-, Klemm-, Offwidth- und Wandmoves warten.
In L1 (6a+) wartet ungewohnte Kletterei an breiten Rissen in glattgewaschenem Gestein. |
L2, 25m, 6b: Nun folgt die Route (zum Glück, obwohl oben noch NH sichtbar sind) nicht mehr weiter dem Kamin-/Risssystem, welches hier noch alpiner aussieht, sondern zieht nach links in die Wand hinaus. Hier wurde die Route wohl früher oder später abgeändert, wobei (für mich) nicht mehr nachvollziehbar war, wer wann wodurch geklettert ist. Jedenfalls kommt erst eine griffige Steilzone, dann eine glattgewaschene Platte, welche aber mit grossen Löchern gespickt ist, eine sehr originelle und lässige Kletterei. Eine kurze Crux erfordert etwas sorgfältigere Planung der Moves, aber die 6c gemäss dem nach der Sanierung aktualisierten Topo im Engelberg Outdoor Guide dürfte zu hoch gegriffen sein: 6b reicht auch, in der ersten Länge war ich jedenfalls deutlich mehr gefordert.
Von oben sieht diese glattgewaschene Platte am Ende von L2 (6b) nahezu unmöglich aus, aber die Griffe sind versteckt. |
L3, 35m, 6b+: Es folgt eine sehr schöne Wandkletterei an griffigem Fels. Im ersten Teil und ganz am Schluss warten steile Zonen mit athletischen Moves an Löchern und Leisten auf, aber insgesamt doch eine homogene und sehr genussreiche Sache. Hier passt m.E. der offizielle Grad von 6b+ tiptop.
Der Rückblick auf L3 (6b+) ist nicht so fotogen, umso cooler aber der Ausblick auf das Steilgelände von L4 (6c). |
L4, 30m, 6c: Hier wird es richtig steil und eigentlich sieht's fast ein bisschen aus wie die Steilzone im oberen Teil am Pfaffenhuet, wo die Inuit und die Sternschnuppe drüber führen. Nachdem wir schon einiges an Vertrauen in den hier sehr griffigen Fels gefunden haben, vermuten wir hier vorwiegend Henkelgelände. So kommt's dann auch, trotz der beachtlichen Steilheit geht's hier ohne allzu grosse Schwierigkeiten in die Höhe. Einzig dem Ausdauerfaktor ist etwas Beachtung zu schenken, passt aber schon. Hier hilft es, die eine oder andere Sicherung zu verlängern, ansonsten kämpft man zum Schluss sicher mit argem Seilzug.
So sieht's von oben aus. Hammergeniale, athletische Kletterei an guten Griffen in L4 (6c). |
L5, 25m, 6c: Nach links hinaus begibt man sich in luftiges Gelände. Während es vorerst noch sehr gute Griffe hat, spitzt sich die Sache später in einer anspruchsvollen Linksquerung zu. Hier ist der Fels für einmal nicht ganz so strukturiert wie sonst überall, so dass etwas Entschlossenheit und weite Züge an Seitgriffen und mit mässigen Füssen gefordert sind. Meines Erachtens klar die schwierigste Stelle im unteren Teil, hier ist die 6c-Bewertung sicher gut verdient. Man kommt dann zum Stand mit dem improvisierten Wandbuch. Hier zeigt sich: seit Sämi im 2015 saniert hat, war niemand mehr hier. Schon fast nicht zu glauben, wie sich anderswo an den Hotspots die Seilschaften in Schlange stellen und dann hier bei einer solchen Routenqualität keiner hingeht.
Äusserst luftige Kletterei mit einer feinen Crux am Ende von L5 (6c). |
L6, 25m, 6a+: Eine Hammerlänge, die eine kühne Linie über die vermeintlich glatte und exponierte Platte wählt. Doch vorerst ist da ein griffiger Riss und an dem Punkt, wo dieser nichts mehr hergibt, tauchen in der Wand auf einmal perfekt griffige, positive Leisten auf. Super Moves in luftiger Position, wirklich genial! Danach einfacher auf den Pfeilerkopf hinauf.
L7, 50m, Gehgelände: Man ist nun auf dem grossen Geröllband angelangt, wo man mehr oder weniger nach Belieben herumspazieren kann. Etwas nach oben ausholend könnte man hier zum Beginn der Abseilpiste nach rechts queren (derzeit ist diese dank Farbmarkierungen gut auffindbar). Oder dann natürlich das tun, was man eigentlich zu tun hat, nämlich zum Beginn des oberen Wandteils aufsteigen. Es sei an dieser Stelle jedoch erwähnt, dass die letzten 4 Seillängen NICHT nachgerüstet wurden. Hier klettert man also noch mit der Originalabsicherung, d.h. der Charakter ändert sich markant und man trifft auf einige typische Remy-Seillängen nach altem Schrot und Korn (will heissen, die BH stecken kreuz und quer und wo es gerade so ohne geht, steckt nix). Die oberen Seillängen sind zwar durchaus noch lohnend, aber qualitativ nicht von derselben Güte wie die unteren.
Im Rückblick ist die genial zu kletternde L6 (6a+) leider nicht mehr fotogen, dafür hat man von hier einen guten Ausblick. |
L8, 35m, 7a+: Unscheinbar bei einem kleinen blauen Farbklecks und einer verrotteten SU-Schlinge geht's los. Lange verbleibt die Kletterei moderat schwierig im 6a+ Gelände, die Crux kommt erst zum Schluss. Hier nun eben das Problem, dass der Haken zum Beginn der Cruxsequenz komplett verbohrt ausserhalb der Freikletterlinie im Schilf steckt. Der nächste steckt recht nahe und deutlich besser, wurde aber ganz bestimmt aus einer Trittschlinge gesetzt. Der Freiklettern wollende Wiederholer hat nun nur suboptimale Optionen: der verbohrte Haken muss massiv verlängert werden, dann muss mühsam in die Crux hinein manövriert werden, der besser steckende, technisch gebohrte Haken kann aus der Kletterstellung nur sehr erschwert geklippt werden. Diesen auszulassen ist jedoch auch keine Option, weil sich darunter eine Art Band befindet und man bei einem Sturz darauf krachen würde. Mir gelingt's, so wartet nur noch der abschliessende Runout zum Stand, der mit etwas kühlem Blut auch noch gut vonstatten geht. Trotz all dieser Kapriolen konnte ich hier (wie auf dem ganzen Rest der Route) onsight durchmoven. Mit den erschwerten Bedingungen passt die 7a+ im Gesamtkontext vielleicht schon, rein von den Moves her ist's eher einfacher.
Rückblick auf die nominelle Crux der Route in L8 (7a+) und die 'heady section' danach zum Stand hinauf. |
L9, 40m, 6b+: Auf dieser langen und nirgendwo richtig einfachen Seillänge stecken nur gerade 4 Bohrhaken, d.h. hier muss man nun definitiv parat sein! Los geht's einem cleanen Riss entlang, wo man zwingend kleine Cams (naja, wer echt Vertrauen in diese hat kommt mit einem einzigen aus) legen muss. Dann etwas nach rechts und hinauf in die steile Wand. Vorerst hat's gute und positive Leisten, später wird's dann eher abschüssig und reibungslastig, zuletzt geht's entschlossen über ein kleines Dacherl hinweg. Die Hakenabstände von ~8-10m geben wenig Hinweise in Bezug auf die zu wählende Linie, v.a. weil der folgende Bolzen aus der Kletterstellung nicht in allen Fällen sichtbar ist. Aber wie (fast) immer geht's einfach da lang, wo's am einfachsten ist bzw. wo es zumindest nach der einfachsten Kletterei aussieht. Ich bin schliesslich froh, dass ich zumindest hier und jetzt mindestens gleich viel Mut und Kletterkönnen wie die Erstbegeher mitgebracht habe und ohne übermässige Vergeudung von Angstschweiss oder wahnwitzige Flugeinlagen die Standhaken einhängen kann.
Die allerletzten Meter von L9 (6b+) sind dann recht easy, da spielt's auch keine Rolle mehr, schon meilenweit über dem BH zu sein. |
L10, 30m, 5a: Man schaut hinauf und fragt sich, soll ich das jetzt wirklich noch rauf?!? Das Gelände sieht wenig kompakt und etwas lose aus, die Schwierigkeiten sind deutlich tiefer und bis auf eine uralte SU-Schlinge sind keine fixen Sicherungen erkennbar. Sogar ich spiele hier mit dem Gedanken, diese letzte Länge nicht mehr zu klettern. Schliesslich setzt sich dann aber doch das alpinistische Credo durch, dass eine Route nur als geklettert gilt, wenn sie auch bis zu deren Ende geklettert wurde. Schlussendlich ist's dann gar nicht so schlimm, der Fels solider wie befürchtet, die Kletterei gar nicht so schlecht und nebst 2 Sanduhren finden sich tatsächlich auch noch 2 Bohrhaken.
Bald geschafft! Der Fels in L10 (5a) ist besser, als er von unten aussieht, aber es liegen ein paar lose Steine rum. |
Dann ist aber wirklich fertig mit der Route, obwohl wir noch ganz, ganz weit vom Top des Berges entfernt sind. Vorerst würde nun eine Zone mit einfachem, schuttbedeckt-brüchigem Fels folgen, bevor (viel) weiter oben nochmals steile Wände stehen, welche wohl aber auch schlechte Felsqualität aufweisen. Aus dieser Optik (die Route endet sowieso irgendwo im Nirgendwo) ist die letzte Länge dann tatsächlich verzichtbar. Aber naja, das muss und jetzt nicht mehr kümmern, da wir 14.15 Uhr und damit nach 4:45 Stunden vergnüglicher Kletterei am letzten Stand stehen. In die Tiefe geht's abseilend: im oberen Teil sind 3 Manöver fällig, dann muss man das Seil kurz aufnehmen und die letzten 15m zum Beginn der Abseilpiste über die untere Stufe gehen. Diese befindet sich orografisch (d.h. von oben gesehen links!) vom markanten Kaminsystem, in welchem die Route startet. Mit 4 langen und steilen, ja teils freihängenden Abseilern sind wir im Nu zurück am Einstieg. Auf dem Rückweg stellen wir dann noch fest, dass es deutlich schneller und bequemer ist, den Graben vor der Wand gleich auf Höhe des Einstiegs zu queren. Im Aufstieg hatten wir dies viel weiter unten (auf der markierten Wegspur, die auch zu den anderen Sektoren Gendarm und Big Wall führt) gemacht und waren der Wand entlang ziemlich mühsam in etwas labilem Schutt traversiert - das ist entgegen den Angaben in der Literatur definitiv nicht die richtige Variante. Nach einem Vesper am Einstieg konnten wir es rollen lassen - erst im übertragenen Sinn auf dem Wanderweg, dann mit dem Bike in Richtung Tal, wo wir um 16.00 Uhr beim Auto eintrafen.
Schlossberg - Sens Unik 7a+ (6b+ obl.) - 10 SL, 340m - C. & Y. Remy 1994 - ***;xx-xxxx
Material: 2x50m-Seile, 12 Express, Cams 0.3-1
Bei dieser Route handelt es sich um ein Mauerblümchen, aber definitiv um ein zu Unrecht vernachlässigtes. Vor uns war 3 Jahre niemand mehr am Berg und die tolle Kletterei in steilem, griffigem Hochgebirgskalk von meist sehr guter Qualität war ungenutzt geblieben. Es sei erwähnt, dass mit dem grossen (aber gut begehbaren) Geröllband von L7 der Schwung der Wand gebrochen wird, die letzten 3 Seillängen sind nicht mehr ganz von derselben Qualität wie der untere Teil. Der untere Teil wurde im 2015 nachgerüstet, dort darf man die Absicherung als sehr gut bezeichnen (Niveau xxxx). Das gilt auch für L1 mit ihren nominell tiefen Schwierigkeiten, doch aufgrund der ungewohnten Kletterei platziert man hier unter Umständen gerne noch den einen oder anderen Cam der Grössen 0.3-1 (oder allenfalls 2). Für den Rest vom unteren Teil braucht man hingegen keine Klemmgeräte mehr. Im oberen Teil trifft man noch auf die Remy-Originalabsicherung, welche von genügend (L8 & L10, xxx) bis spärlich (L9, xx) ausfällt. Zu Beginn von L9 braucht's auch zwingend kleine Cams (0.3-0.5) oder entsprechende Keile. Den Routennamen ('Einbahnstrasse') muss man übrigens nicht allzu wörtlich nehmen. Ein Rückzug ist wegen der Steilheit und dem teils querenden Verlauf sicher etwas umständlich, aber im Notfall sicher möglich, die Standplätze sind allerdings nicht dafür eingerichtet. Im Sommer wird der auf ~2100m liegende Einstieg ab ca. 10.45 Uhr von der Sonne beschienen, man muss also nicht besonders früh aufstehen. Aufgrund der nicht allzu langen Kletterei findet man sicher bis weit in den Herbst hinein ein genügend langes Fenster, um die Route an der Sonne klettern zu können. Wie bereits erwähnt ist ein Bike für den ersten Teil des Zustiegs sehr nützlich, alternativ kann man auch mit dem Gleitschirm wenige Minuten vom Einstieg entfernt tiptop starten (und trifft am Nachmittag i.d.R. auf gute Bedingungen). Einen Einblick ins Gebiet erhält man mit der Webcam auf der Fürenalp. Weitere Infos erhält man (womöglich) in der Spannorthütte, wo man natürlich auch nächtigen kann. (Nicht ganz so präzise) Topos zur Route und Infos zu den anderen Routen am Berg gibt's im Engelberg Outdoor Guide und im SAC-Führer Zentralschweizer Voralpen Südwest, eine Auswahl (die Sens Unik fehlt!) findet sich auch im Schweiz Extrem Ost. Alle diese Kletterführer sind z.B. bei Bächli Bergsport erhältlich.