Am Vortag hatten wir am Quadrel Rock Rodeo alles gegeben - bis wir daheim und im Bett waren, schlug es schon Mitternacht. Mit einer solchen Megasession im Gepäck ist ein frühes Aufstehen am nächsten Tag nicht unbedingt das Höchste der Gefühle. Zwar verhiess der Wetterbericht in den inneren Alpen durchaus Sonnenschein. Doch wegen dem Mangel an Schnee und dessen miserabler Qualität schien eine Top-Skitour kaum machbar. Auch um in den Genuss von Sonnenschein zu kommen tönte es danach, einen grossen Fahraufwand in Kauf nehmen zu müssen. Also hiess das Motto für den Tag Ausschlafen, gemütlich Frühstücken und Weiterschauen.
Der grandiose Blick vom Mättlistock auf Klöntalersee und die imposante Glärnisch-Nordwand. |
Bei diesem letzten Programmpunkt zeigten die Webcams aber sogar im nahen Glarnerland prima blauen Himmel. Also lag mit einem Start am späteren Vormittag auch noch etwas drin. Meine Lust, auf einem zerfurchten Tourenacker aufzusteigen und abzufahren war aber gleich null, somit musste ein etwas exotisches Ziel her. Und dieses fixierte ich im Hinter Klöntal. Über die sehr sonnig exponierten Hänge der Mutteristock-Kette wollte ich starten. Mit einem Ausgangspunkt auf nur 1030m könnte man das im Februar 2023 als hoffnungsloses Unterfangen taxieren. Das war mir natürlich bewusst, deshalb hatte ich das Bike dabei mit welchem ich bis zum Schnee pedalen wollte - in der Hoffnung, dass die Übergangszone zwischen 'nicht mehr Bike-fahrbar' und 'noch nicht Ski-fahrbar' möglichst klein sein würde.
Pedalend geht's auf gut fahrbarer Alpstrasse dem Schnee entgegen - so geht Skitouren im Winter 23. |
Diese Strategie ging schliesslich ganz ordentlich auf. Mit einem Start um 12.15 Uhr gwann ich die ersten 250 Höhenmeter wie gewünscht auf 2 Rädern. Bis zu den Ställen von Ratlis galt es nur einige Mini-Schneeresten zu überqueren, auch danach kam ich noch gut weiter bis zum Bikedepot exakt bei P.1292. Und tatsächlich, ab da konnte ich fellend aufsteigen - mit 2x einige Schritte übers Kies treten konnten die Bretter permanent an den Füssen bleiben. Bis zum P.1554 gewinnt man auf dem Trassee der Alpstrasse durchgehend an Höhe. Ab da geht's dann für 1.5km mehr oder weniger flach hinein in die Kammer des Sulzbachs. Auf dieser Strecke war's mehr eine Skiwanderung - aber eben eine eindrückliche. Das Terrain war unberührt, man befindet sich hier in abgeschieden-einsamer Lage, ohne Talblick zu haben. Ganz alleine auf weiter Flur so zu schreiten ist immer ein eindrückliches Erlebnis und gibt das Mini-Feeling einer Arktis-Expedition. Natürlich, die Zivilisation ist nur ein Katzensprung entfernt, überstrapazieren soll man den Begriff nicht - wobei manchen Zeitgenossen wohl schon so viel an Einsamkeit und Abgeschiedenheit in der Natur viel zu viel wären.
Bei der Alphütte von Unter Längenegg, hinein in die abgeschiedene Kammer des Sulzbachs. Hinten der Sattel ca. 1760m. |
Mit wieder etwas mehr Steigung geht's hinauf zur Einsattelung (ca. 1760m) nördlich des Mättlistocks. Und hier wurde ich Zeuge von einem eindrücklichen Naturerlebnis. Dass an den Südhängen vom Chrutlistogg ein Adler über mir kreiste, hatte ich bereits wahrgenommen. Plötzlich stach er im Sturzflug davon, zu den Schattenhängen vom P.1884. Dort attackierte er eine ausgewachsene Gämse, wohl mit der Absicht sie bei der folgenden Flucht zum Absturz im Steilgelände bringen zu können. Diese hatte jedoch ausreichend geländetechnische und körperliche Reserven, so konnte sie den Angriff parieren. Als drei weitere Attacken auch nicht den gewünschten Effekt zeigten, begab sich der Gefiederte wieder in die thermodynamischen Aufwinde - bestimmt um von hoch oben nach einem nächsten, potenziellen Opfer für eine gehörige Mahlzeit zu spähen. Tja, so ist die Natur - verhungern oder gefressen werden, einer muss unweigerlich darben. Da haben wir Menschen es gut, so wie wir uns mit Supermarkt, Krankenhaus und allen Versicherungen von dieser grausamen Umwelt abgekoppelt haben. Oder ist dies nur ein Kartenhaus und wann fällt es zusammen? Über solche Fragen lässt es sich auf einer einsamen Tour hervorragend sinnieren.
Auf dem Mättlistock - mit Blick vom Kreuz zum höchsten Punkt. Sehr schön da oben! |
Mir stand noch der Schlussaufstieg über die steilen Nordhänge zum Gipfel bevor. Dieser umfasst eine kurze Passage von 40 Grad Steilheit, die sich nicht umgehen lässt. Dank günstigem Bulletin und in dieser Exposition vernünftiger Schneedecke machte es an diesem Tag keine Sorgen. So gelangte bald das Gipfelkreuz in Sichtweite (14.30 Uhr). Es steht nicht am höchsten Punkt des Berges und wird fast ausschliesslich von einheimischen Liebhabern aufgesucht. Trotz nur 1911m Gipfelhöhe ist es ein spekakulärer Ort. Man hat eine aussergewöhnliche Vogelperspektive zum Klöntalersee zu Füssen, gegenüber präsentiert sich stolz die Glärnisch-Nordwand - da konnte ich mit meinen Touren im Chalttäli und am Ruchenpfeiler in tollen Erinnerungen schwelgen.
Heimwärts - mehr gemütliches Gleiten als genüssliches Schwingen, passt so bei den aktuellen Verhältnissen. |
Nach gütlicher Rast besuchte ich noch den höchsten Punkt vom Mättlistock, schnallte meine Bretter an und machte mich auf den Rückweg. In der Nordflanke durfte man die Tätigkeit durchaus Skifahren nennen, auch wenn es wegen etwas wechselhaftem, meist zähem Schnee kein Highlight war. Hinunter in den Boden der Längenegg war dann Spurfahren angesagt - ob dem feuchten Pflutterschnee kein Verlust. Die Flachpassage erforderte einiges an Stockeinsatz, dann gab es auf dem Alpstrassen-Trassee wieder Geradeausfahrt, die effiziente Strecken- und Höhenmeter-Vernichtung erlaubte. Um die Bretter zu schonen, trug ich diese die letzten 80hm im nur noch knapp schneebedeckten Gelände zum Bikedepot, von wo es in rasanter Fahrt zum Ausgangspunkt ging. Fazit: das war bei kleinem Aufwand ein absolut tolles Naturlerlebnis bei idealem Wetter gewesen - skifahrerisch definitiv kein Highlight, aber ein solches hätte sich in der CH derzeit wohl sowieso kaum finden lassen.
Facts
Mättlistock (1911m) ab Schwändeli (1030m) im Hinter Klöntal
Bis auf den kurz 40 Grad steilen Gipfelhang einfache Skitour in wenig steilem Gelände. Am lohnendsten sicher bei schnellen Frühlingsverhältnissen, d.h. tragend-gefrorener Schneedecke. Bei tiefem Schnee gleicht das Unternehmen über weite Teile mehr einer Skiwanderung - auch das kann natürlich genussvoll sein. Die untersten, stark besonnten Hänge sind üblicherweise bald einmal aper.