In den Nordwänden der Kreuzberge war ich bisher nur ein einziges Mal geklettert. Dieses Kalkriff über dem Rheintal ist ziemlich abgelegen und nur mit einem längeren Zustieg erreichbar. Gleichzeitig sind die Routen nur ein paar wenige Seillängen kurz, womit man ein Missverhältnis zwischen Aufwand und Ertrag diagnostizieren kann. Trotzdem, um an heissen Tagen im kühlen Schatten zu klettern bietet sich diese Wände an. Zudem hatten wir erfahren, dass Tobias Bitschnau kürzlich der hier beschriebenen Graue Eminenz die (soweit zur Zeit bekannt) erste RP-Begehung abgeluchst und eine Aufwertung auf 8a vorgeschlagen hatte. Da wollten wir gleich nachsehen, was es damit auf sich hatte.
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Die Nordwände der Kreuzberge IV und V, markiert Start- und Endpunkt von Graue Eminenz (8a). |
Für den Zustieg gibt es je nach Ausgangspunkt mehrere Optionen, es sind jedoch alle aufwändig. Ab Nasseel oberhalb von Sax im Rheintal sind 1100hm fällig. Diese kann man mit der Stauberenbahn in etwa halbieren, der Zeitaufwand ist jedoch kaum kleiner. Wir hingegen setzten auf die E-Bike-Variante ab Wildhaus. Man kann dazu Faulheit monieren, doch kurz und bequem ist auch sie nicht, der Zeitaufwand ab dem Parkplatz ist ähnlich wie aus dem Rheintal. Für mich persönlich besticht sie dadurch, dass sie (pro Weg 35km bzw. 25min) Autofahrt einspart und damit die effizienteste und auch ökologischste Variante ist, um an den Kreuzbergen zu klettern. So machten wir uns um 7.20 Uhr in Wildhaus auf den Weg und deponierten das Zweirad um 7.50 Uhr auf ~1500m etwas hinter der Teselalp.
Unterwegs von Wildhaus zum Mutschensattel, welcher sich in Verlängerung der Strasse befindet. |
Nun ging es zu Fuss weiter Richtung Mutschensattel. Nicht gerade ein kurzer Marsch, aber irgendwie doch angenehmer wie der Höhenmeter-Fresser aus dem Rheintal, zudem morgens auch noch angenehm im Schatten. Erwähnt sei an dieser Stelle, dass auf der NE-Seite des Sattels früh in der Saison gerne noch ein steiles Schneefeld lungert, welches ohne alpine Ausrüstung heikel zu begehen sein kann. Im schneearmen und heissen Vorsommer 2025 war Ende Juni nur noch ein letzter Rest vorhanden, welcher umgangen werden konnte. Dann heisst es vom Sattel P.2069 etwas abzusteigen, man kann jedoch auf ca. 1940m die Höhe halten und auf Wegspuren bzw. Wildwechseln unter die Nordwand der Kreuzberge traversieren. Um 9.15 Uhr und damit 1:55h nach Aufbruch hatten wir den Einstieg aufgespürt, welcher schon im steilen Gelände liegt, angekraxelt werden muss und durch einen einzelnen BH mit silbriger Fixé-Lasche identifiziert ist. Nach einer Pause starteten wir ca. eine halbe Stunde später mit der Kletterei.
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Am Mutschensattel, mit dem Rest vom (u.U. heiklen) Schneefeld. Die Wolken verzogen sich bald... |
L1, 35m, 7b: Los geht's noch moderat schwierig an etwas dumpf tönendem Fels zum hoch steckenden, ersten BH. Danach heisst es dann gleich subito, parat zu sein. Mit einem dynamischen Startmove zündet man das Feuerwerk, etabliert sich an einer Seitgriffschuppe und powert durch einen erneuten, dynamisch-weiten Move. An einer trickreichen kleinen Rampe lässt sich dann ein schöner Pump aufbauen, der in der finalen, leistenlastigen Rechtsquerung hinderlich sein könnte. Dann endlich kommen Henkel und damit ein Ausstieg in weniger schönes Gelände mit etwas unsicherem Fels, in welchem man die letzten 12m zum Stand bewältigt. Doof, dass da nicht noch ein BH steckt: der Vorsteiger wäre im Falle des Falles sicher mindestens spitalreif, im Nachstieg droht ein übler Pendler. Anyway, das ist alles hypothetisch, Daniel kletterte die Länge onsight und ich konnte sie, nachdem die Rakete für den Startdyno im zweiten Versuch zündete, auch durchsteigen. Trotzdem, die von Tobias vorgeschlagene 7b (Alpsteinführer bisher: 7a) passt und ist sicherlich nicht übertrieben. Zu erwähnen ist auch, dass wir die nur halbfett eingetragene (Original-)Option über den letzten Haken wählten. Linksrum über Hägar auszukneifen wäre da oben evtl. etwas einfacher, jedoch ändert es kaum etwas an der Schwierigkeit der Länge. V.a. aber bringt es einen in eine unvorteilhafte Position für den Weg zum Stand, insbesondere im Nachstieg geht es dann sicherlich in Richtung "echt gefährlich".
L2, 25m, 7c+: Diese Seillänge ist ein absoluter Knaller, mitten durch die kompakte Wand, welche man von unten durchaus als unkletterbar taxieren könnte. Doch es geht, die Erstbegeher haben hier den richtigen Riecher (oder Glück...) gehabt. Der Fels ist zwar nur knapp strukturiert, durchgehend säumen aber kleine Leisten den Weg. Und das zum Glück in einer Verteilung, welche ein sehr homogenes Ausdauerproblem ohne verzweifelt schwierige Einzelstelle kreiert. Saubere Fussarbeit und ein gutes Bewegungsrepertoire gehören ebenfalls zu den Anforderungen, welche hier nötig sind. Ich werde Zeuge, wie Daniel wieder einmal sein überragendes Können demonstriert und diesen Abschnitt onsight zieht. Was für eine Leistung, absolut der Hammer! Nicht nur braucht es dazu die nötige Physis und die Skills. Auch mental ist es eine Challenge: es heisst, über eine lange Zeit am Limit dranzubleiben, echte Erholungspausen gibt es unterwegs keine. Meinereiner benötigte ich einige von diesen: mit ca. 5 Rastern im Seil konnte ich die Seillänge in überlappenden Einheiten ebenfalls durchziehen. Die 7c+ schätzen wir als passend ein. Die Absicherung hier ist übrigens gut, die Sache ist aber anhaltend schwierig und es gilt harte Moves auch zwischen den Bolts zu ziehen.
It's hard but a lot of fun (L2, 7c+)! |
L3, 15m, 7c/+: Sehr kurz, aber gar nicht schnurz... die Wand legt sich ganz leicht zurück, wird aber gleichzeitig auch etwas strukturärmer. Sprich, die "guten" (d.h. kleinen, aber hin und wieder doch etwas positiven) Leisten von vorher fehlend weitgehend und es geht mehr in Richtung Zauberei an mickrigen Kratzern und Slopern. Somit war es leider bald vorbei mit der Onsight-Begehung und es dauerte eine geraume Weile, bis eine tragfähige Lösung für diesen Abschnitt ermittelt war. Immerhin gelang dies an beiden Seilenden. Wobei wir den Beweis für das Zusammenhängen dieser komplizierten Abfolge schuldig blieben. Möglich scheint es jedoch schon, mittig im schwersten Teil gibt's auch noch einen guten Griff, wo man sich etwas sammeln kann. Trotzdem, mich dünkte diese Länge kaum einfacher wie die benachbarten beiden. Apropos: wer sich nach dem unbequemen Stand nach L2 auf eine bessere Station freut, wird leider enttäuscht. Getoppt wird das Ganze nur vom nochmals unbequemeren Stand nach L4, aber dazu kommen wir ja erst.
Harte Moves an sehr kleinen Griffe in technisch forderndem Gelände (L3, 7c/+). |
L4, 35m, 8a: Der Alpsteinführer rapportiert hier eine lapidare 7b, wobei dies wohl eher die obligatorisch zwischen den Haken zu kletternde Schwierigkeit bezeichnet, welche die Erstbegeher im Rahmen der Erschliessung wahrgenommen hatten. In Tat und Wahrheit gibt's von BH #2 zu #3 eine heftige (aber halt nicht zwingend vollständig freizukletternde) Crux von soso Seit-/Untergriff über eine übel schmierige (weiss-flechtige) Sloperleiste an ein kleines Schüppli, dessen pflegliche Behandlung anzuraten scheint. Während Daniel hier den Schlüssel fand (nicht im onsight jedoch), konnte ich diesen Move nicht ausführen: mit den tieferen Tritten fehlte mir die Reichweite, mit den höheren drückte ich mich aus der Sloperleiste und mit Antreten im Nichts dazwischen war dieser Griff einfach zu schlecht, um haltbar zu sein. Als nächsten Programmpunkt erreicht man eine Rissspur, wo man zwar leichter für Fortschritt sorgt (ca. 7a/+), einfach ist es jedoch aufgrund der etwas mehlig-schmierigen Griffe auch nicht wirklich (zudem 1x Cam 0.4 oder 0.5 sehr hilfreich). Irgendwann ist dann aber fertig Riss und es folgen nochmals zähe Wand- bzw. Plattenmoves in sehr knapp und abschüssig strukturiertem Fels. Daniel meinte, dies könne evtl. schon nur 7b sein. Mir hingegen kam dieser Teil schwieriger vor, sprich nochmals in ähnlichem Rahmen wie in L2 und L3. Jedenfalls: eine 7b ist diese Länge sicher nicht, wir stimmen mit Tobias' Vorschlag von 8a überein.
Geschenkt gibt es da gar nix: Marcel in der anhaltenden L4 (8a). |
L5, 25m, 6c: Auf dem Topo sieht's eher so aus, als ob die Route nach L4 enden würde. Im Gelände hingegen weniger. Denn der Stand befindet sich effektiv direkt im Verlauf der letzten Seillänge (6c+) von Hägar und auch weiter unten wie in der Literatur verzeichnet. De fakto klettert man hier noch gute 25m und damit fast die ganze Hägar-Länge. Evtl. käme die Crux dort gleich zu Beginn, denn die 6c+ scheint mir eher etwas hoch. Was aber nicht heisst, dass es geschenkt wäre. Ein paar fordernde Moves warten durchaus, aber die Griffe sind nun schon etwas grösser ausgefallen. Am Ende sitzt übrigens nicht mehr jeder Griff bombenfest (passt aber schon) und man hat die Wahl, zwischen einem erneut unbequemen Stand in der Wand, oder einem Ausstieg auf den Felskopf, wo man 3m weiter oben auf zwei Longlife-BH einer klassischen Route stösst.
Wenn man zum Vorgipfel aussteigt, gibt's dafür keine Fotos von L5 (6c)... |
Wir nutzten gerne die letztere Option, welche in ein paar weiteren Metern in seilfreiem Kraxelgelände auch noch den Besuch des Vorgipfels erlaubt, so dass eine Rundumsicht in alle Richtungen genossen werden kann. Um 15.20 Uhr waren wir da, hatten somit also 5:30h für die fünf nicht einmal überaus langen Seillängen gebraucht. Schliesslich galt es aber, viele harte Moves zu dechiffrieren und wir waren im Sportklettermodus unterwegs. Während Daniel ein "all free" gelang, blieb mir dieser eine Move in der 8a verwehrt. Trotzdem, das war eine sehr zufriedenstellende Sache und es hatte enormen Spass gemacht, bei angenehmen Bedingungen in dieser Wand zu fighten und zu puzzeln.
Blick vom Top Richtung Norden, d.h. zur Roslenalp und zum Kreuzberg III. |
Für den Weg zurück wäre ein Fussabstieg optional möglich. In Kletterfinken jedoch nicht, so stiegen wir vom Vorgipfel zum Stand zurück, seilten die 3-4m über die Kante zu jenem nach L5 ab. Dann geht's zurück zu jenem nach L4, von wo man dann in zwei voll ausgereizten 50m-Strecken (via Stand 2) gerade wieder zum Einstieg kommt. Dort packten wir zusammen, liefen wieder unter den Kreuzberg-Nordwänden durch und stiegen retour zum Mutschensattel. Daniel schritt zügig seiner daheim wartenden Familie entgegen, ich konnte mir etwas mehr Zeit nehmen und die Abendstimmung in der schönen Umgebung aufsaugen. Spät wurde es auch bei mir nicht, zum Znacht und zum Verfolgen der Seminfinals vom Weltcup in Innsbruck war ich daheim - sehr zufrieden übrigens mit der Zustiegsoption ab Wildhaus, in Kombination mit dem E-Bike ist das für mich die Optimalroute an die Kreuzberge.
Am Mutschensattel, voraus der Weg zurück zum Ausgangspunkt Wildhaus. |
Facts
4. Kreuzberg - Graue Eminenz 8a (7b obl.) - 5 SL, 135m - Good/Weber/Wohlwend 1996 - ****;xxxx
Material: 2x50m-Seil, 14 Express, Cam 0.5
Ein richtig cooler, schattig gelegener Alpinsportkletterhammer! Absolut herausragend ist die Kletterei in der anhaltend-ausdauernd-homogenen L2, ebenfalls sehr gefallen haben mir die Moves in L1. Danach ist der Fels etwas abschüssiger strukturiert, die Kletterei wird dementsprechend mehr tüftelig und bouldrig. Auch das ist lohnend, ich fand es aber nicht mehr ganz so cool. Abgerundet wird das Ganze mit einer einfacheren letzten Länge plus Gipfelerlebnis. Somit mein Fazit: für diejenigen die es drauf haben, lohnt sich der weite Weg dahin auf jeden Fall. Sonst gäbe es mehr oder weniger dasselbe unmittelbar daneben auch zu (mutmasslich) leicht günstigerem Tarif in Hägar (7b+). Die Route(n, gilt wohl ähnlich für Hägar) sind sehr gut mit BH abgesichert. Jedoch ist die Kletterei anhaltend schwierig und es gilt doch manchen, fordernden Move zwischen den Sicherungen zu absolvieren. Etwas Argwohn erwecket die Tatsache, dass die verzinkten Bolts mit den rostfreien Laschen aufgrund der galvanischen Korrosion nicht mehr taufrisch aussehen (Stand 2025), zudem sind das (deutlich einfachere, aber vom Fels her nicht 100%ige, 6b max) Start- und Schlussstück in L1 leider boltlos geblieben. Das Topo findet man im SAC-Kletterführer Alpstein. Gegen die bei der ersten RP-Begehung vorgeschlagenen Bewertungen von 7b, 7c+, 7c, 8a gibt es von unserer Seite absolut keinen Grund zur Opposition, sie passen sicher besser wie dir originalen Vorschläge.