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Dienstag, 30. Dezember 2014

Der Anfang vom Ende?

Wer ist beim Klettern für die Sicherheit verantwortlich? Diese Frage hatte ich mit einem Beitrag nach den Vorfällen in San Vito aufgegriffen. Während meines Erachtens die schlüssige Antwort nur lauten kann, dass jeder für sich selber schauen und beurteilen muss, gibt es auch andere Stimmen. Es ist eine Tendenz zur Normierung, Regulierung und Kontrolle ersichtlich, welche meines Erachtens der Anfang vom Ende des Klettersports und erst recht des Alpinismus in seiner heutigen Form wäre. Mit einem Gastbeitrag schildert Patrik Müller, Präsident der IG Klettern Basler Jura, die aktuelle Situation.

Frisches Ausbruchsmaterial im Einstiegsbereich der alten Klettergartens in Klus/Balsthal, welche von einem Felssturz aus Gelände oberhalb der bekletterten Felsen stammen. Trotz der offensichtlichen Gefahr halten sich Kletterer an dieser Stelle ungeniert zum Sichern, Klettern, Pausieren und sogar Grillieren auf. Bild: Jürg Müller, alpinesicherheit.ch
So wie es im Moment scheint, treiben sich gewisse Teile im SAC effektiv mit der Thematik der Verantwortung beim Klettern um, und planen sich dieser Frage juristisch zu nähern. Dies aus verschiedenen Gründen: zum einen nutzen SACler Klettergärten und deren Einrichtungen, zum anderen unterstützen sie Einrichter bei ihrem Tun oder betreiben Unterhaltsarbeiten in, nach Absprache, ihnen zugeteilten Klettergebieten (sogenannte Gebietspatronagen). Zumindest im Unterland (Mitelgebirge) stellen sich nun Ämter und Behörden immer häufiger auf den Standpunkt, dass Kletterrouten oder -gärten bewilligungspflichtige Anlagen darstellen. Somit wären Kletterrouten, oder zumindest deren Ausrüstung, "Anlagen" wofür der Errichter haftbar gemacht werden könnte bei einem Versagen einer solchen (Werkshaftung). Damit in einem solchen Fall ein Einrichter oder Sanierer haftpflichtmässig abgedeckt wäre, müsste dieser also zumindest einen Kurs vom SAC (Einrichten und Sanieren) abgeschlossen haben. Oder er ist als Bergführer für solche Arbeiten qualifiziert.

Anmerkung von Marcel: hier befinden wir uns wohl in einer mehrfach unglücklichen Situation. Die SAC-Sektionen wollen sich absichern, die Bergführer sehen vor allem die zusätzliche bezahlte Arbeit und wer als Kletterer nicht weiterdenkt, denkt sich, dass so alles sicherer wird. Umso wichtiger ist es, dass wir hier entschieden Gegensteuer geben - die Begründung folgt gleich unterhalb.

Felssturz an der Frümel Ostwand in den Churfirsten, welche die beliebte Plaisirroute Städtliblick zerstört hat. Unvorhersehbar und überraschend kam er, und zeigt deutlich auf, dass nichts und niemand die Sicherheit des alpinen und auch weniger alpinen Kletterns garantieren kann. Bild: Thomas Wälti, alpinesicherheit.ch
Wenn ich solche Überlegungen bis in die letzte Konsequenz weiterdenke stellen sich mir die Haare zu Berge. Lasse ich vor jeder Routeneinrichtung ein geologisches Fachgutachten erstellen, damit ich auch auf diese Seite hin rechtlich abgedeckt bin? Es nützt ja nichts, wenn der einzelne Bohrhaken profimässig perfekt, aber in einem brüchigen Felskopf steckt... So gesehen müsste man vermutlich einige klassische Routen oder viele Klettergärten sofort schliessen. Es ist nicht alles betonfester Bombenfels, an welchem wir hier im Jura rumklettern? Ich bin überzeugt, wir müssen die Risikodiskussion unbedingt führen, aber nicht ausschliesslich betreffend den Ausrüstungsstandards einer Route sondern generell auch unter dem neuen Gesichtspunkt von Verantwortung, Haftung und Schuld. Ich frage mich:
  • Wollen wir Routenbaugesuche bei Ämtern einreichen zu deren Bewilligung Normiergesetze benötigt werden?
  • Wer kann den Unterhalt von bestehenden Routen garantieren? Vor allem, wenn der Errichter nicht mehr lebt?
  • Wer beurteilt bestehende Kletterrouten auf deren Sicherheitsstandard und übernimmt dafür die Verantwortung?
  • In welchen Intervallen benötigen Kletterrouten eine Neubeurteilung? (Beispiel Egerkingerplatte: jedes Jahr!) 
  • Normierung der Kletterei draussen wie diejenige in der Halle nach DIN-Normen?
  • Was soll das kosten??
  • Wer soll dass bezahlen??
  • Eidgenössiches Amt für Kletterei mit Fachstellen zu Geologie, Material, Koordination von Sanierungen durch Profis und Meldestelle für Brüchige Felsstellen oder nicht angezogene Maillons? Taskforce die ausrückt um "gefährliche" Routen sofort zu sperren bis die "Reparaturteams" angerückt sind, die Arbeit erledigt und der Abschlussrapport vom Landbesitzer, der Fachstelle, dem Geologen unterschrieben und das ganze in einer Datenbank abgelegt und die Route wieder offiziell für jeden Volltrottel freigegeben hat?
Felssturz im Klettergarten an der Siggenthaler Flue. Ein weiterer Jura-Klettergarten, den man bei normierter Zulassung gleich komplett sperren müsste. Keiner wird hier je die Verantwortung übernehmen können oder wollen, dass nicht noch weiteres Material ausbricht. Trotzdem kann man hier mit etwas Umsicht problemlos und gut klettern. Bild: Patrik Müller.
Vielleicht zeichne ich da gerade etwas sehr schwarz, denn bisher gibt es solcherlei ja noch nicht einmal in den verschrieenen USA. Aber der Gedanke ist bei uns bereits gesetzt und guteidgenössische Gründlichkeit tut manchmal das Ihrige. Ich meinerseits setze immer noch auf den gesunden Menschenverstand, der gerade in unserer Sportart besonders gefördert werden kann. Ebenso auf Verzicht (Demut) wenn mir etwas zuwenig geheuer ist und auf den Nervenkribbel der Anfang und Ausgangspunkt und elementarer Bestandteil vom Klettersport und Alpinismus generell ist. Es lebe das Plaisirklettern und der wilde Trad und alle Formen dazwischen!!!

Patrik Müller
Präsident IG Klettern Basler Jura

Freitag, 26. Dezember 2014

Buon Natale a Tutti!

Im Alpinismus gibt's ja kaum so etwas wie eine Zwischensaison. Entweder am Fels, im Schnee oder im Eis geht fast immer ein bisschen etwas. Trotzdem, die Weihnachtszeit präsentiert sich mit dem oft übellaunigen Tauwetter meist als nicht besonders ergiebige Zeit, besonders auf der Alpennordseite hat es zum Skifahren kaum Schnee, fürs Eis ist es zu warm und das Wetter zum Klettern überzeugt auch nur teilweise. Umso besser, dass es noch die Alpensüdseite gibt, die als Ziel für unseren Weihnachtstrip bald gesetzt war.

Claro

Zum Auftakt besuchten wir die Felsen in Claro, schon über 15 Jahre zurück liegt mein letzter Besuch hier. Fuhren wir damals die Bergstrasse nach Censo aufgrund des Fahrverbots noch mit Bike hoch, so darf man dies nach dem Löhnen von 10 CHF nun auch offiziell mit dem Auto tun. In 10-15 Minuten Bergabmarsch erreicht man dann das langgezogene Felsband, das rund 100 sehr interessante Routen in perfektem Gneis aufweist. Das Gebiet gilt als sehr anfällig in Bezug auf Nässe und tatsächlich war hier immer noch der Effekt der heftigen Niederschläge von Anfang November zu sehen. Geschätzt mehr als die Hälfte der Routen war nicht komplett trocken. Umso besser, dass ich hier ohne offene Projekte angerückt war.

Moulin Rouge (6c, ****): Sehr interessante und anhaltende, plattige Kletterei. Drei Einzelstellen stechen bezüglich Schwierigkeit noch besonders heraus, die letzte ein laaanger Move kurz vor dem Umlenker. Da musste ich mich echt schon anstrengen, um den Onsight zu holen.

La Ragnatela (6b, ***): Steile Wand mit interessanter Felsstruktur. Einige Crimps und die auffälligen, schrägen Risse erlauben hier das Fortkommen. Ziemlich anhaltend, eher ein Ausdauerproblem.

La Canta (6c, **): Bouldrige Kantenkletterei, die Bewegungen gut geplant und gut gehookt ist hier halb geklettert. Im Vergleich zur Moulin Rouge meiner Meinung nach kaum derselbe Grad, sondern deutlich einfacher.

Lobbia (6c, ****): Nochmals eine bouldrige Kante. Einfacher Plattenauftakt, das Wesentliche spielt sich auf den 8m danach ab. Trotz der Kürze aber voll genial, um die Ecke drücken, an Leisten schnappen und an Henkeln manteln - supercoole Abfolge!

Damit war der Klettertag dann auch schon wieder gelaufen. Die Sonne erwärmt einen in Claro am kürzesten Tag des Jahres bis irgendwann zwischen 15.30-16.00 Uhr. Diese Zeit hatten wir mehr als ausgenützt und dabei das ganze Gebiet für uns alleine gehabt. Nachdem Larina ihr Projekt auch beendet hatte wartete auf uns noch der Wiederaufstieg zum Parkplatz und nach dem Käffeli die Fahrt in unser Domizil. 

Larina in Moulin Rouge (6c) - bis zum Umlenker gekommen, die B-Note noch etwas verbesserungsfähig :-)

Vigezzo

Der zwischen Malesco und Re gelegene Klettersektor mit dem Namen Villette Alto existiert gewiss schon sehr lange. Auf unsere Traktandenliste war er aber erst gerückt, nachdem ihn Sandro im Extrem SUD publiziert hatte - da sieht man echt mal wieder, was ein gut recherchierter und schön präsentierter Führer ausmacht, ansonsten wäre diese Perle nämlich an uns vorbeigegangen. In rund 10 Minuten Zustieg erreicht man den am sonnigen Südhang gelegenen Felsriegel mit superbequemem Einstiegsbereich. Auch an den kürzesten Tage wärmt die Sonne hier von ca. 9.00-16.00 Uhr, einfach perfekt!

Marco (6c, ***): Schon bald nach dem Einstieg muss man parat sein, dann klettert man durch eine einfachere Zone zur steilen Abschlusszone, wo man für 6c schon ordentlich hinlagen und weite Züge präsentieren muss.

Zip (7a, ****): Bald nach dem Einstieg folgt eine kratzige Passage, bevor man nochmals etwas durchschnaufen kann, um dann das Bewegungsproblem der finalen Crux (sehr interessant an Leisten und Untergriffen) anpacken muss.

Gaby (7c, **): Sehr einfacher Auftakt (ca. 5c, 12m) bis zum Zwischenstand, dann folgt ein etwas brösmelig-sandiger Wulst, der mit einem praktisch trittlosen Boulder (Seitgriff - Crimp - Crimp) zu meistern ist - konzentriert und tough!

Fabri (7a, ***): Anhaltende Kletterei an kleinen Leisten und ein paar Seitgriffen, schön! Teilweise etwas nahe an den anderen Routen gebohrt (oder umgekehrt, je nachdem was zuerst da war).

Edera (7a, ****): Geniales, bouldriges Bewegungs- und Spannungsproblem mit vielen Untergriffen und ein paar Leisten - Gneiskletterei at its best!

Digital Killer (7a+, ***): Ziemlich kratzige und technisch anspruchsvolle Route. Gute Fussarbeit ist unerlässlich, und das Halten von winzigen, rauhen Leisten erfordert noch genügend Fingerhaut.

Facile (5b, ***): Die einfachste Route im Gebiet, fast 30m lange Plattenkletterei mit recht anhaltenden Schwierigkeiten. Für diesen Grad wirklich gut, es war das Projekt für unsere Kinder.

Als die Sonne schon eine Weile hinter dem Horizont verschwunden war und die Dunkelheit hereinbrach, traten wir den Weg zurück zum Automobil an. Kaum eingestiegen war der Nachwuchs schon eingeschlafen. Die Rückfahrt nach Locarno ist zwar nur etwa 30km kurz, wegen der extrem engen und kurvigen Strasse dauert's bei defensiver Fahrweise aber doch fast eine Stunde. Dort wartete dann noch das Highlight des Tages, der Besuch auf der Eisbahn, welche temporär auf der Piazza Grande aufgebaut ist - wirklich tolles Ambiente, guter Sound, was will man mehr?!

Der Anmarsch schön kurz, und dabei erst noch hervorragend bezeichnet...
...der Fels mit dem topfebenen Einstiegsbereich lässt auch nur wenige Wünsche offen.
Facile (5b), easy debii sii, aber nie (!) ohne Chalkbag!

Russo

Ein guter Tessin-Tip für die dunklen Wintertage sind auch die Felsen von Russo im Val Onsernone. Hier wärmt einem die Sonne auch von früh bis Mitte Nachmittag (ca. 9.00-14.45 Uhr). Geboten wird einem interessante Plattenkletterei (linker Sektor) oder athletisches Steilpotenzial (rechter Sektor). In letzterem liessen wir uns nieder - selbst nach zwei früheren Besuchen waren mir hier noch einige Projekte offen geblieben. Bis auf eine weitere Seilschaft waren wir auch hier wieder alleine zugegen und hatten somit bezüglich der Routenauswahl freie Hand.

Lame a doppio taglio (6a+, ***): Steile, für den Grad richtig athletische und auch nicht ganz einfache Kletterei, welche einem System von Rissen und Schuppen entlang führt. So ganz restlos zu 100% solide wirken diese Schuppen auf mich nicht wirklich, da hier aber regelmässig geklettert wird, braucht man sich wohl nicht allzu sehr zu sorgen.

Croce del Sud (7b+, ****): Allez hop, nicht trödeln sondern durchsteigen heisst die Devise. Nach dem einfachen Einstieg wartet erst technisches Geschiebe an Rissspuren und Seitgriffen. Die Crux dann unters und übers markante Dach, ein paar ganz ok Leisten und Henkel helfen dabei. So richtig ins Schwitzen kam ich dann erst danach - die Abschlussplatte mit den seichten Rissen ist unscheinbar aber nicht geschenkt, zudem auch psychisch fordernd. Trotzdem oder erst recht, diesen Onsight liess ich mir nicht nehmen, so dass dieser Ticino-Trip auch sportlich ein richtiger Erfolg wurde.

No Name Nr. 50 (6c, **): An sich schöne Kletterei, unten einer Piazkante entlang, dann durch eine seichte Verschneidung, aber oben bedient man sich dann einiger Schuppen, die wirklich sehr hohl tönen und nicht solide verwachsen sind. Auch die Standhaken stecken nicht einwandfrei - Vorsicht, besser den Roststand links benützen, der steckt wenigstens in solidem Fels.

In Groppa alla Müla (7a, ****): Diese Route hatte ich vor etwa 8 Jahren bereits einmal Punkten können, zum Tagesabschluss stellte sie aber ein interessantes Projekt dar. Nun war ich in Fahrt, tatsächlich gelang der Alzheimer-Onsight. Die Kletterei ist genial, erst tricky und aufreibend im Piaz einer runden Kante entlang, oben geht's dann henklig-toll über die Dachzone hinweg.

Das war es dann bereits wieder mit den tollen Tagen im Tessin - einmal mehr hatte sich die Reise voll ausbezahlt, die Gneiskletterei unter dem stahlblauen Winterhimmel bei milden Temperaturen ist einfach ein Hochgenuss. Klar, früher hatten wir bei solchen Trips jeweils noch etwas mehr Routen in einen Klettertag einfüllen können, heute mit den Kindern zählen auch andere Dinge. So zum Beispiel ein weiterer Besuch auf der Eisbahn, bevor es auf den praktisch leeren Strassen hochzufrieden zurück nach Hause ging.

Käffeli kochen und fotografieren, nur zwei von vielen Beschäftigungen unserer Kinder im Klettergarten...
Und zum Schluss noch die super Eisbahn auf der Piazza Grande!

Mittwoch, 17. Dezember 2014

Extrem SUD

Wer einem Kletterer ein tolles Weihnachtsgeschenk machen möchte, oder wer noch auf der Suche nach Inspiration für die kommenden Feiertage ist, dem kann ich den neusten Führer aus dem Hause Filidor wärmstens empfehlen. Dreizehn Jahre nach der Erstausgabe ist der konsequent dreisprachig (Deutsch/Italienisch/Englisch) gehaltene Nachfolger erschienen, wie gewohnt ein Werk der Extraklasse. Der Führer ist sauber und vom Autor Sandro von Känel persönlich recherchiert, besticht durch klare Topos und viele präzise Detailinformationen. Die grafische Gestaltung ist sehr ansprechend und mit den vielen tollen Kletterfotos handelt es sich schon beinahe um ein kleines Kunstwerk.


Beschrieben sind die Perlen am südlichen Simplon und in den Ossola-Tälern, alle wesentlichen Hardmover-Gebiete im Tessin sowie die besten Klettergärten in der Gegend von Lecco. Schliesslich fehlt zuletzt auch ein Abstecher ins Val di Mello nicht. Bezüglich der Auswahl der Gebiete gibt es also kaum etwas zu kritisieren! Vielleicht wäre es noch einen Gedanken wert gewesen, einen kurzen Abriss und Beschrieb der wirklich weltbekannten Boulder-Gebiete Cresciano und Chironico zu geben - ja ich weiss, es handelt sich um einen Kletter- und nicht einen Boulderführer, doch als Auswahlführer für von weit hergereiste wäre das vielleicht doch dienlich. Mir hätten auch ein paar Infos über die Granit-MSL-Touren rund um Chiavenna (z.B. den Precipizio di Strem) durchaus noch getaugt. Aber klar, über die Auswahl der Gebiete kann man immer diskutieren, der Autor muss einfach irgendwo einen Strich ziehen. Und dass ich am liebsten im ganzen südlichen Alpenraum auf die präzisen Filidor-Topos zählen würden, darf man als grosses Qualitätsmerkmal für deren Führer zählen.


Wenn ich noch eine Schwäche an diesem Führer erwähnen darf, so liegt diese meines Erachtens bei den Angaben zu den cleanen oder zumindest über weite Strecken abzusichernden MSL-Routen. Diese sind ziemlich durchgängig mit der Absicherungs-Bewertung x ("nur sehr versierten Kletterern zu empfehlen, expo") angegeben. Dies betrifft aber nur die vorhandene, fixe Absicherung und die kann, darf, ja soll bei gut selber abzusichernden Touren auch spärlich bis inexistent sein. Zur Absicherbarkeit mit mobilen Mitteln sagt der Führer dann aber wenig aus, es gibt nur den Zusatz A ("diese Route lässt sich mit Keilen, Friends und Schlingen nachsichern. Erfahrung im Umgang mit mobilen Sicherungsmitteln ist erforderlich"). Der Punkt ist halt, bei selber abzusichernden Touren gibt es von perfekten Splitter Cracks wo ohne weiteres klettergartenmässig abgesichert werden kann bis zur ultimativen psychischen Herausforderung mit extraweiten Abständen die ganze Bandbreite, und der Führer lässt einen da weitgehend im Dunkeln.

Fazit

Auch wenn ich noch ein paar Verbesserungsvorschläge gefunden habe, dieser Führer ist höchst empfehlenswert und auf jeden Fall sehr gut investiertes Geld - etwas besseres gibt es über dieses Gebiet mit Garantie nicht. Ich freue mich schon, einige der neu beschriebenen Gebiete bald auszuprobieren. Einige Beispiel-Seiten kann man übrigens gratis abrufen.

Sonntag, 14. Dezember 2014

Thai-ai-ai...

Nach meinem Ausflug in die Matterhorn-Nordwand war ich nochmals etwas auf den Geschmack des Projektierens im Klettergarten gekommen. Der warme und trockene November 2014 lud schliesslich dazu ein, man konnte sich ja beinahe uneingeschränkt draussen austoben. Meine Wahl war auf die Thai City (8a) an der Wand im Wald gefallen. Nach etwa 6-7 Sessions und rund 20 Versuchen gelang es mir nun, sie zu punkten... und sie damit wahrscheinlich auch gleich zur Kandidatin für eine Abwertung zu machen. Wenn's der Dettling punktet, dann kann es nicht 8a sein, so scheint mir die Devise zu lauten. Nicht allen meinen bisherigen Routen im achten Franzosengrad war jedenfalls nach meiner Begehung ein langes Weiterleben in ihrem Dasein gegönnt - daran wird es wohl auch liegen, dass die sich jeweils wie verrückt gegen meine Begehung wehren ;-)


Nachdem ich am Weekend zuvor mit der recht strengen Medel-Skitour in den Beinen noch knapp am letzten schweren Zug gescheitert war, öffnete sich nun das Fenster für den Durchstieg. In gewohnter Manier ging's hinauf zur Abschlusscrux, deren Griffe ich langsam auch gescheit festzuhalten gelernt hatte. Und auf einmal hatte ich dann den Sloper nach dem letzten schweren Zug in der Hand. Damit wäre es eigentlich geschafft gewesen, so dachte ich zumindest im Vornhinein. Beim Auschecken oder Fertigklettern nach einem Sturz hatte ich von dort den letzten Zwischenhaken immer souverän eingehängt. Doch nun hing ich da und merkte sogleich, neinnein Marcel, so viel Kraft um hier zu klippen hast du nimmermehr. Das Hauptproblem dabei war, dass dieser Umstand in meinem mentalen Plan ganz und gar nicht vorgesehen war.

Mullerenalp, a magic place! Sicht zum Glärnisch mit dem Vrenelisgärtli 2904m, sowie Wiggis und Rautispitz.
Nach einer ganz kurzen Phase der Beklemmung schnaufte ich dann 3x tief durch. Loszulassen war definitiv keine Option, Klinken ging absolut nicht und somit blieb das Weitersteigen als einzige Möglichkeit. Die abschliessenden Moves sind zwar nicht mehr allzu schwer, aber entkräftet vom Durchstieg und 1-2m über dem letzten Haken stehend bekommt alles eine neue Dimension. Aber es gelang mir, meine Nerven im Zaum zu halten und souverän zum Umlenker durchzusteigen. Mein Herbstprojekt war damit abgeschlossen, grosse Freude und Genugtuung machten sich breit. Doch wie nahe Freud und Leid beim Klettern zusammen liegen können, erlebten wir bald darauf. Nach einem Besuch im Hallenbad des SGU Näfels wurden wir prompt noch Zeugen, wie ein Kletterer vom Top beinahe ungebremst zu Boden stürzte. Zum Glück ging die Sache relativ glimpflich aus, nötig wär's aber dennoch nicht gewesen.


Meinerseits gab es dann am Tag darauf noch einen süssen Dessert. Prophylaktisch hatte ich für eine weitere Galerie-Session abgemacht. Doch nach dem Durchstieg war die Wahl des Kletterziels frei, und da zog es uns eher über den Nebel. Vom Wetter erwartete ich nicht allzu viel, die dicke Jacke, Kappe, Handschuhe und die langen Unterhosen wanderten ins Gepäck. Aber weit gefehlt, die Sonne lachte weitgehend vom Himmel und bescherte uns einen magischen Klettertag auf der Mullerenalp. Dass ich mir dort noch kurzerhand die Begehung der Val Lunga (7c) krallen konnte, das war dann quasi das Marzipanrüebli auf der Torte. Mein Dank geht an alle die dabei waren und mich unterstützt haben, ganz besonders natürlich an den Neni! 

Facts

Hier gibt's mehr zur Wand im Wald, und das ist der Link (scrollen!) zu den Infos über die Mullerenalp.

Mittwoch, 10. Dezember 2014

Zur Sicherheit von Bohrhaken in maritimem Umfeld

In meinem Beitrag zu den Geschehnissen in San Vito hatte ich ja schon über die Gefahr der Hakenkorrosion in Meeresnähe geschrieben. Darauf hin ergab sich ein sehr interessanter Austausch mit Josef Werderits. Er befasste sich beruflich mehr als dreissig Jahre lang mit Fragestellungen zu Festigkeit und Sicherheit, unter anderem von Verankerungen und bei der Werkstoffwahl. Diese Mails habe ich dann zu diesem Beitrag verarbeitet. Auch wenn einiges daraus etwas technisch daherkommen mag und Hintergrundwissen erfordert, so ist es sicherlich für alle Kletterer dennoch sehr lesenswert.

Am wichtigsten jedoch dies: rostfreier Stahl korrodiert anders, als dies bei gewöhnlichem (verzinktem) Stahl der Fall ist. Es tritt nämlich in aller Regel keine üppige Rostschicht auf, sondern die sich ausbildende Schutzschicht auf dem rostfreien Material wird nur punktuell angegriffen und die Korrosion schreitet dann von dort aus fort. Man spricht in diesem Zusammenhang (wissenschaftlich ungenau) auch von "Lochfrass" oder "Spaltfrass". Somit ist die Sache äusserst heimtückisch und für Nicht-Experten nur schwerlich zu beurteilen. Was die Route Collina dei Conigli am Monte Monaco betrifft, so hat mir ein Schweizer Bergführer mitgeteilt, dass er die Route wenige Tage vor dem Hakenbruch noch geklettert habe, und diese rein optisch noch in einem vernünftig guten Zustand schienen.

Rostfreier A2-Bohrhaken von Raumer, der auf Capo Caccia / Sardinien beim Reinsitzen gebrochen ist.
Hakenbrüche aufgrund von Korriosion durch die salzhaltige Meeresluft sind ja zum Glück nicht ein alltägliches Szenario, aber doch auch nicht ganz so selten wie man vielleicht denken könnte - selbst am Mittelmeer, und nicht nur in den Tropen. Auf Planetmountain ist z.B. der korrosionsbedingte Bruch eines rostfreien Klebehakens in der Grotte von Bidiriscottai bei Cala Gonone/Sardinien dokumentiert. Weiter hat mir ein anderer Kollege (ebenfalls ein Schweizer Bergführer) von einem glimpflich ausgegangenen, durch Korrosion verursachten Bruch eines Inox-Dübels in der Route Daytona am Capo Caccia, ebenfalls in Sardinien berichtet. Dies passierte ohne Sturz, einzig durchs ins Seil sitzen am zweiten Bohrhaken der Route. Dank aufmerksamer und gekonnter Sicherung sowie einem Einzelkarabiner im ersten Haken konnte der resultierende Sturz kurz vor dem Boden aufgefangen werden... 

Nun aber zu den Angaben von Josef, editiert und vervollständigt vom Autor:

(1) Als wesentlichste Aspekte sehe ich den verwendeten Werkstoff und die „Formgebung“ (Typ, konstruktiver Aufbau) – die Themen „Felsausbruch“ und „Setzen der Haken“ sind nicht spezifisch für meeresnahe Gebiete; ich werde hier darauf auch nicht eingehen.

(2) Zum Werkstoff: Speziell möchte ich die Werkstoffproblematik am Beispiel der als Haken am häufigsten verwendeten „Spreizanker“ (manchmal auch „Spreizdübel“ oder ganz korrekt „kraftkontrolliert spreizende Dübel“) erläutern – bei diesem System ist das Thema Werkstoff auch am brisantesten.

Spreizanker-System von Petzl aus hochwertigem Material (A316L), jedoch bedenklich kurzem Anker.
(3) Spreizanker aus rostfreiem Standardwerkstoff A2 werden in Thailand in Meeresnähe nach kurzer Zeit unter Sturzbelastung brechen (man braucht dabei keine „Experten“ vor Ort zur Erforschung der Ursachen). Solche A2-Bolts (Werkstoff ist meist 1.4301, teils 1.4306 oder 1.4307) stecken zu zig-tausenfach rund ums Mittelmeer. Während Jahren bis Jahrzehnten hat man mangels besserem Wissen und mangels Verfügbarkeit anderer Materialien damit eingerichtet oder gar saniert. Am Mittelmeer ist das Klima zwar nicht ganz so aggressiv wie in Thailand, aber... 

A2-Inoxdübel im Sektor Odyssey auf Kalymnos. Solche Haken stecken auf der Insel zu Tausenden, noch scheinen sie zu halten...
(4) Der gleiche Haken aus A4-Stahl (1.4401/A316 bzw. 1.4404/A316L) wird länger halten, je nach lokalen Gegebenheiten sehe ich aber durchaus noch Bruchrisiko. Entscheidend dafür sind vor allem Feuchte, Chloridgehalt (Meerwasser), Einwirkungsdauer und Temperatur(!). Anmerkung des Verfassers: Genau, und wir Kletterer führen quasi ein Feldexperiment durch, wo ausprobiert wird, wie viel es braucht und wie lange es dauert, bis die Haken brechen. Rund ums Mittelmeer ist aber noch kein Versagen von A4-Haken bekannt!?!

A4-Anker mit A2-Plättli unmittelbar nebenan im Odyssey auf Kalymnos, die beiden Borhaken sind genau gleich alt.
(5) Seit relativ kurzer Zeit sind Spreizanker aus hochkorrosionsbeständigem Stahl (HCR, High Corrosion Resistant) als Standardprodukte erhältlich. Diese können aus Duplex-Stählen (siehe EN 10088) oder aus Superausteniten (z.B. 1.4539 - Rolex macht seine Oyster-Modelle daraus - oder 1.4547) hergestellt sein. Von Fischer und Hilti gibt es solche Anker, gemäss den in den technischen Zulassungen angegebenen Bemessungslasten handelt es sich wahrscheinlich um Superaustenite. Abgesehen von sehr wenigen (zumeist theoretischen) Fällen sollten diese Anker aus im tropisch-maritimen Umfeld dauerhaft Sturzbelastungen standhalten. Eine brauchbare Grösse der für uns relevanten Beständigkeit ist der PREN-Wert (Pitting Resistance Equivalent), der in Normen oder in den Herstellerangaben zu finden ist.

(6) HCR-Anker sind das eine, dazu sind jedoch auch HCR-Laschen notwendig! Alle Bestandteile an einem Bohrhaken müssen aus ein und demselben Werkstoff gefertigt sein, sonst stellt einem die galvanische Korrosion ein Bein - wiewohl, in freier Wildbahn findet sich die metallurgisch ungünstige Kombination von verzinkten Ankern und rostfreien Laschen ziemlich oft, wobei sich hier im Laufe der Zeit das weniger edle Material (d.h. der nicht sichtbare Anker) geschwächt wird. Nun, Laschen sind etwas aus dem Kletterbedarf, und es gibt aktuell meines Wissens noch keine HCR-Laschen zu kaufen. Duplex und Superaustenite sind jedoch als Bleche erhältlich, die Herstellung geeigneter Laschen ist damit (mit entsprechendem Wissen/Können) kein Problem.

Die galvanische Zelle, für einmal andersrum als gewohnt, aus einer Route am Gonzen. Verwendet wurde ein rostfreier Anker (vermutlich A4) und ein verzinktes Plättli. Man sieht gut, wie dieses durch galvanische Korrision geschwächt wird. Meistens ist diese ungünstige Kombination gerade andersrum montiert, d.h. ein verzinkter Dübel mit rostfreier Lasche.
Galvanische Korrision in der üblichen Variante: rostfreie A2-Lasche, kombiniert mit einem verzinkten Dübel in der Route Berghi an der Parete Nascosta im Simplongebiet. Die Mutter zeigt hier den Rost, richtig schlimm sieht der Dübel jedoch garantiert unter der Lasche und im Bohrloch aus, nur sieht man dies von aussen nicht...
(7) Zur Formgebung der Haken: Kritisch unter korrosiven Umgebungsbedingungen (Meeresnähe, durchaus auch Nähe zu bestimmten Industrieanlagen) sind Kerben, Kontaktstellen und Spalte. „Spreizdübel“ (siehe oben) weisen genau all diese Elemente auf – Korrosionsversagen ist damit natürlich besonders kritisch. (In Kommentaren wird fallweise nur von „Spannungsrisskorrosion“ gesprochen. Tatsächlich ist das Thema wesentlich komplexer – Spannungsrisskorrosion ließe sich in unserem Fall mit geringem Aufwand vermeiden, das Bruchrisiko würde dadurch allerdings nur geringfügig verringert!).

(8) Haken ohne die oben genannten „kritischen Formelemente“ sind wesentlich weniger anfällig bezüglich Korrosionsversagen, das Werkstoffthema damit auch weit weniger kritisch (als nur ein Beispiel die Haken in vor kurzem sanierte Routen im rechten Sektor der „Cala Luna“ – sehr saubere unkritische Formgebung, über den Werkstoff weiß ich leider nicht Bescheid). Unkritische Formgebung bedeutet also Klebehaken. Gelungene Lösungen sind aus meiner Sicht die geschmiedeten Anker von Petzl (BATINOX 14mm, COLLINOX 10mm). Nach meinem Wissen aus A4 bzw. A316L. Ob diese im tropisch-maritimen Umfels bei hoher Salz- und Temperaturbelastung "dauerhaft sicher" (Grössenordnung 50 Jahre) sind, kann ich nicht beurteilen. Die Klebehaken (ebenfalls aus A4) einiger anderer Hersteller halte ich aufgrund der Formgebung für den Einsatz in maritimer Umgebung für grundsätzlich nicht geeignet.

Klebehaken Petzl Collinox 10mm. Quelle: petzl.com


(9) Bei den Vorteilen von Klebehaken in Bezug auf die Korrosion des Stahls muss aber natürlich auch der Kleber in Betracht gezogen werden. Auch dieser muss "dauerhaft sicher" sein, was in aggressivem Klima längst auch nicht bei jedem Produkt gegeben ist. Zumindest will kein Hersteller eine Lebensdauer oder gar Garantie für den Einsatz am Fels im maritim-tropischen Umfeld abgeben. Somit beackert die Klettergemeinschaft hier ein weiteres Experimentalfeld.

Wer sich bis hier durchgekämpft hat, hat nun vielleicht mehr Fragen als zuvor. Immerhin sei an dieser Stelle versichert, dass Josef nichtsdestotrotz (mehr oder minder) seit über vierzig Jahren den Haken im Fels vertraut. Genau so würde ich das selber ebenfalls unterschreiben, auch wenn mir die wesentlichen Inhalte der obigen Zeilen nun schon ein paar Jahre bewusst sind. Es schadet sicher nicht, eine gesunde Vorsicht walten zu lassen. Kritisch ist beim Sportklettern oft der Bereich zwischen dem zweiten und dem vierten/fünften Haken, wo das Versagen einer einzigen Sicherung oftmals zu einem Bodensturz führen würde. Beim Umlenker ist darauf zu achten, dass zumindest zwei zuverlässig (!!!) verbundene Fixpunkte vorhanden sind, zum Topropen hängt man besser noch die obersten 1-2 Zwischenhaken ebenfalls ein. Achtung auch beim Abbauen durch Ablassen von stark überhängenden Routen (z.B. in der Grande Grotta auf Kalymnos) - irgendwann verhindert meist auch nur noch 1 Haken einen potentiell fatalen Pendler in den Boden, zudem wird die Sicherung dort auch noch ungünstig axial belastet. Im Zweifelsfall lässt man besser die letzten 2 Exen drin und holt diese kletternd raus.

Links

UIAA: Extreme Caution Advised for Anchors in Tropical Marine Areas (Web oder PDF)
Forumsbeitrag von Alan Jarvis, Delegierter der Sicherheitskommission der UIAA 
Dokument von Hilti zu Korrosion und Materialien (PDF)
DHV-Bohrhakenbroschüre (PDF, unbedingt lesen!)
Artikel über Capo Caccia auf Planetmountain

Freitag, 5. Dezember 2014

Unfall in Ponte Brolla Ost

Nicht schon wieder... mein Blog soll kein Ort werden, wo ständig über Kletterunfälle berichtet wird. Im Ostsektor von Ponte Brolla hat sich aber einer ereignet, aus welchem auch wieder das eine oder andere lernen können. Mitte Oktober stürzte ein Deutschweizer Kletterer aus rund 10m Höhe auf den Boden und verletzte sich schwer. Was ist passiert?

Gemäss den Angaben auf aquile.net stieg der Kletterer in eine Route ein, welche er nicht komplettieren konnte. Stimmen die Angaben auf dem Foto, so dürfte es sich um die Artiglio del Diavolo (6c) handeln. Der Rückzug erfolgte, indem ein dünnes Maillon von nur 4mm oder 5mm Dicke in einen einzigen BH installiert wurde. Beim Ablassen am Doppelseil öffnete sich nun die nur von Hand angezogene Schraube, wohl durch die Reibung der Seile oder durch die Vibration. Leider war die Festigkeit dieses dünnen Billig-Maillons (es handelte sich um ein nicht genormtes Baumarkt-Maillon) nicht genügend gross, so dass es aufgebogen wurde und der Sturz auf den Boden folgte.

Mit dem Doppelseil wurde an einem dünnen/kleinen Maillon abgelassen. Durch Reibung des Seils oder durch Vibrationen, unterstützt durch die Schwerkraft, öffnete sich der Verschluss. Dabei muss man sagen, dass auch etwas Pech mit dabei war. Von 4 möglichen Konfigurationen mit Anordnung des Verschlusses und Laufrichtung des Seils ist wohl nur eine einzige brandgefährlich. Foto: M. Bognuda / aquile.net
Links das Unfall-Maillon, rechts ein baugleiches, noch unbenutztes Teil. Die Festigkeit ist nur 4mm oder maximal 5mm, zudem war es kein genormtes Qualitätsstück. Gemäss Experimenten von Tessiner Kletterern verbiegt sich ein 4mm-Maillon im offenen Zustand bereits, wenn man ein Gewicht von ca. 100kg anhängt. Foto: Kantonspolizei TI, Sgt M. Castellani / aquile.net
Schauplatz des Unfalls: 1) ist die Stelle, an welcher das Maillon platziert wurde, hierbei handelt es sich mit grösster Wahrscheinlichkeit um einen Bolt der Artiglio del Diavolo (6c). An der Stelle 2) gab die Verankerung nach, 3) markiert die Sturzstrecke von 5-10m und 4) den Punkt des Aufpralls. Foto: Kantonspolizei TI, Sgt M. Castellani / aquile.net
Fazit:

  • Ein Rückzug soll wenn schon durch Hinterlassen eines Karabiners und nicht eines Maillons erfolgen. Dazu hatte ich schon bei meinem Text zur Festigkeit von Maillons aufgerufen. Es ist nämlich total nervig, wenn Bohrhaken schon durch Maillons belegt sind. In vielen Fällen braucht es nur wenig, und man kann die Dinger nur noch mit Werkzeug oder gar Eisensäge entfernen. Die Mehrkosten eines günstigen Schnappers gegenüber einem genormten Maillon mit ausreichender Festigkeit (8mm) sind minimal (ca. 1-2 CHF).
  • Dünne Baumarkt-Maillons sind einfach totaler Schrott, wenn schon dann verlasse man sich auf genormte Ware mit ausreichender Dicke/Festigkeit. Diese nimmt massiv ab, wenn der Verschluss offen ist. Dass man die Schraube nur mit Werkzeug zuverlässig anziehen kann ist ein weiterer Grund, dass man besser einen Karabiner anstelle von Maillons für Rückzuge verwendet!
  • Dieser Tipp ist eigentlich gar nicht nötig, weil man ja nicht auf Maillons zurückgreifen soll. Wäre dieses aber so platziert worden, dass sich der Verschluss gegen oben und nicht gegen unten öffnen muss, so wäre hier sehr wahrscheinlich nix passiert. Vibration und Seilreibung dürften fürs Öffnen des Verschlusses nur ausreichen, wenn die Schwerkraft unterstützen kann.
  • Beim Rückzug von einer zweifelhaften Verankerung wird besser abgeseilt als abgelassen. Die auf die Verankerung wirkende Kraft ist beim Ablassen theoretisch doppelt so gross wie beim Abseilen. Die dynamisch auftretenden Kraftspitzen dürften den Faktor 2 sogar eher noch übertreffen, weil es beim Ablassen entsprechend schwierig ist, eine gleichmässige Belastung zu erreichen.

Dienstag, 2. Dezember 2014

Wer ist verantwortlich?

Auf dem Internet wird auf meinen letzten Post hin die Frage aufgeworfen: "Warum? Warum nur habt ihr nichts gemacht, wenn euch die Gefahr bekannt war?". Ich habe Verständnis für die Frage und kann den Schmerz von Familie, Angehörigen und Beteiligten verstehen, wie auch den Wunsch, das Rad der Zeit zurückdrehen zu können, den Unfall ungeschehen zu machen, ja vielleicht sogar einen Verantwortlichen dafür zu finden. Hier der Versuch einer Antwort.

An deren Basis steht die Tatsache, dass beim Klettern letztendlich jeder für seine eigene Sicherheit verantwortlich ist und seine eigenen Entscheidungen treffen muss. Mein Kollege hat diesen Umlenker für sich als unsicher beurteilt und ihn nicht benutzt, ich habe an mehreren anderen Orten wie z.B. in Tartareu schon gleiches getan, und dies dann sogar auf meinem Blog so beschrieben. Ebenso habe ich schon an zahlreichen Stellen aufs Weiterklettern oder Einsteigen in Routen verzichtet, weil sie mir (!!!) mit zu altem Material eingerichtet erschienen oder aus sonstigen Gründen zu gefährlich waren. Aber deswegen diese Touren gleich zu sperren, umzubohren oder auszunageln, das ist einfach komplett unrealistisch. Zumal meine Meinung, mein Empfinden, mein Können und mein Wissen ja nicht sakrosankt sind, wer hat schon den Röntgenblick wie viel ein Haken tatsächlich hält?

Weiterklettern? Heimgehen? Sanieren? Ignorieren?
Wenn ich mein Empfinden zum Massstab nehmen würde, so gäbe es sogar ganze Sektoren, wo man die Haken entfernen müsste. Ein Beispiel ist der wohlbekannte Sektor Emisfero im Val Pennavaire (Oltrefinale). Nach meinem Geschmack ist der Fels dort grossflächig hohl, sprich zu wenig solide um darin zuverlässige Bohrhaken zu setzen. Meine (!!!) Konsequenz ist es, dass ich an dieser Wand nicht klettere, Punkt. So ist es beim Klettern und so soll es meines Erachtens auch bleiben. Es gibt keine Regeln, Schilder und Normen und niemand der die Verantwortung für unser Tun und Lassen übernimmt, ausser wir selber. Es geht gar nicht anders, denn da draussen haben Wind, Wetter, Regen, Schnee und Eis ihren Einfluss, der Zahn der Zeit nagt an allem. Und wo wäre dann die Grenze, wenn wir Verantwortung für die anderen übernehmen müssen? Darf ich, ja muss ich vor dem hoch steckenden ersten Haken in einer Tour im Frankenjura einen zusätzlichen setzen, wenn ich die Gefahr erkannt habe, dass da jemand auf die Blöcke am Einstieg stürzen und sich schwer verletzen könnte? Gebe ich in L3 vom Batman an den Wendenstöcken einen zusätzlichen BH, weil ich gesehen habe, dass dort das Seil bei einem Sturz über eine scharfe Kante läuft und womöglich durchtrennt wird? Soll ich den Runout in der Crux der Blauen Lagune (Wendenstöcke) entschärfen, weil sich da schon viele den Fuss gebrochen haben und der nächste der noch etwas unglücklicher stürzt sich vielleicht ein Schädel-Hirn-Trauma zuzieht? 

Bei der Begehung der Blauen Lagune, dort leider kein unübliches Szenario.
Gemäss der geltenden Kletterethik werden all diese Fragen mit einem klaren Nein beantwortet. Der Preis, den wir dafür zahlen sind Unfälle von möglicherweise fatalem Ausgang, welche bei anderer Absicherung oder einer Sanierung zu verhindern gewesen wären. Andererseits, 100% Sicherheit kann und wird es beim Klettern nie geben – wer sicher und unfallfrei unterwegs sein will, braucht Umsicht, Wissen, Können, Demut und auch das Glück, nicht zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein. Doch selbst für vorsichtig agierende Könner verbleibt stets ein Restrisiko, umso bitterer ist die Stunde, wenn es zuschlägt. Zuletzt, was mich selber betrifft: ja, ich saniere hin und wieder Routen und ersetze Haken. Ja, ich versuche meine Neuerschliessungen nach bestem Wissen und Gewissen mit hochwertigem Material gut und sicher auszurüsten und ja, ich teile meine Wahrnehmung von Gefahren durch meinen Blog mit euch Kletterern. Wer aufmerksam mitliest, wird viele aus meiner Sicht nützliche und potenziell sogar lebensrettende Tipps lesen – was daraus gemacht wird, bleibt aber jedem einzelnen selber überlassen.

Bitte denkt an Stefan und seine Familie, der Spendenaufruf befindet sich hier!

Freitag, 28. November 2014

Bolt & Anchor Failures at San Vito / Sicily

Es ist erst 1.5 Jahre her, seit wir in San Vito auf Sizilien tolle Kletterferien verbracht hatten. Der Zustand von einigen Bohrhaken hatte mir damals schon etwas Anlass zum Stirnrunzeln gegeben. Doch in den letzten Wochen ereigneten sich zwei schockierende Zwischenfälle, deren Kenntnis mir für alle Sizilien-Reisenden unerlässlich scheint. Aber auch wenn man keine Reise auf die Insel gebucht hat, so schadet es doch nicht, dieses Posting zu lesen. Bohrhaken-Korrosion ist bei allen in Meeresnähe gelegenen Gebieten, also auch auf Kalymnos, Sardinien und Konsorten ein Major Issue, und Vorsicht ist immer angebracht.

Am 16. November 2014 kletterte Stefan Rass aus Österreich die 8a mit dem Namen Pocahontas Loveline im Pipeline-Sektor am Salinella-Felsband. Beim Ablassen brach der Block aus, an welchem die Umlenkung befestigt war. Das Seil bremste seinen Sturz zwar noch, trotzdem zog er sich schwerste Verletzungen zu. Weitere Details dazu sowie einen Spendenaufruf für seine junge Familie findet man auf Planetmountain (auf Englisch). Ein solcher Felsausbruch am Stand ist natürlich der absolute Horror, und Sportklettern ist nun einfach beinahe unmöglich, wenn man den Umlenkungen nicht vertraut. Umso mehr stehen alle Erschliesser in der Verantwortung, diese nur in grundsoliden Fels zu versenken. Gerade am Salinella-Felsband ist das aber gar nicht immer so einfach, da der Fels am Ende der Route oft blockig wird und von der Vegetation durchsetzt ist. Nachtrag: bei der Recherche nach dem Namen der Unfallroute griff ich zu meinem Topo des Gebiets. Als ich die Seite mit dem Pipeline-Sektor aufblättere, schaudert es mich plötzlich gewaltig. "Achtung, Umlenker in hohlem Fels" hatte ich mir bei dieser 8a notiert - ein Kollege hatte dies beim Klettern bemerkt, denjenigen der Nebenroute benützt und mich gewarnt. Da ich die Route nie probiert hatte, war mir dieser Umstand beim ersten Lesen der Unfallmeldung und beim Schreiben des Postings gar nicht mehr bewusst.

Der ausgebrochene Block mit dem Stand. Photo by Elio Bonfanti, planetmountain.com
Glimpflicher ging ein anderer Zwischenfall im Oktober 2014 aus - ebenfalls in San Vito, und zwar am Monte Monaco in der Route La Collina dei Conigli (6b+). Dort brach nicht ein Felsblock aus, aber ein Bohrhaken an einem Stand ging kaputt, während ein Kletterer am Abseilen war. Eine alte Schlinge, welchen diesen mit dem zweiten Haken verband, verhinderte mirakulös die Katastrophe und rettete auch zwei weitere Kletterer, welche an demselben Stand gesichert waren. Dieser Unfall ist auf (für jedermann einsehbar, lesbar sofern man dem Italienischen und Französischen mächtig ist) auf Facebook dokumentiert. Es befindet sich dort auch ein Statement des bekannten Erschliesser Michel Piola. Sein Fazit: das Klima auf Sizilien sei ähnlich zu jenem in Thailand oder auf Madagaskar, wo es bereits bestens bekannt ist, dass selbst rostfreie Bohrhaken im tropisch-feuchten Meeresklima nicht lange der Korrosion (sogenanntes Stress Corrosion Cracking, SCC) widerstehen. Er wirft den Gedanken auf, alle Felsen um San Vito zu sperren (oder zumindest zu meiden), bis alle Routen mit zuverlässigem Material saniert seien. Logischerweise wird dieser Prozess dauern, teuer und sehr arbeitsaufwendig sein. Ebenso klar ist sein Statement, dass das Einrichten mit allen Materialien die schlechtere Stahlqualität als A316L aufweisen, fahrlässig oder gar kriminell sei. Leider aber wird in vielen Gebieten nicht nur mit minderem Material erschlossen, sondern sogar noch damit saniert. Je nach Klima und Exposition beträgt die Lebensdauer von solchem Material wenige Monate bis wenige Jahre...

Pling, aber die Schlinge hat zum Glück gehalten. BH-Bruch am Monte Monaco in Sizilien. Foto: M. Piola / facebook.com
Nachtrag II: Ich wurde nun bereits einige Male gefragt, ob man denn eine Kletterreise nach Sizilien noch empfehlen könne und wie man die erwähnten Gefahren minimieren könne. Zum ersten Punkt meine ich ja - mit dem Wissen, dass Bohrhaken keine 100%-Sicherheit bieten, weder auf Sizilien noch sonstwo. Die Sache mit dem Umlenker stufe ich als tragischen Einzelfall ein, das bedeutet nicht, dass die Kletterei am Salinella-Felsband per se gefährlich ist. In schlechtem Fels platzierte Umlenker sind zum Glück selten, derjenige in der Pocahontas Loveline ist aber bestimmt auch nicht der einzige. Ich erinnere mich an Routen in der Schweiz, in Italien, in Spanien und in Kalymnos, wo ich dem Fels in dem der Umlenker steckte nicht vertraut habe, und darum die Route (oft mühsam) irgendwie anders abgebaut habe. Die Gefahr ist heimtückisch und nicht einfach zu erkennen. Ein relativ simpler Test ist es, rasch mit einem Karabiner auf den Fels neben dem Haken zu klopfen. Das identifiziert zwar nicht jede Gefahrensituation, falls es aber auf diese Weise schon hohl tönt, dann ist höchste Vorsicht angezeigt. Der Test ist an neuralgischen Punkten (Umlenker und entscheidende Zwischenhaken) durchaus zu empfehlen... sicher aber auch exotisch. Mich hat die Erfahrung von ein paar Tausend eigenhändig und sorgfältig versenkten Bolts aber eben gelehrt, dass der Fels längst nicht überall gut genug für ein BH-Placement ist.

Der zweite Punkt mit den Haken und dem Klima, das schon etwas systematischeres. Allerdings betrifft das wie erwähnt nicht nur Sizilien, sondern im Prinzip alle Klettergebiete in Meeresnähe. Auch auf Sardinien und in Kalymnos gab es schon Bolt Failures, und es werden nicht die letzten gewesen sein. Vorsicht ist vor allem dort angezeigt, wo die BH nur aus A2-Stahl gefertigt sind, was leider generell sehr verbreitet der Fall ist. Die Qualität ist übrigens in der Regel auf der Schraubenmutter eingeprägt. In der Gegend um San Vito sind mir qualitativ schlechte Haken vor allem an der Crown of Aragorn, an der Never Sleeping Wall und am Monte Monaco aufgefallen. Am Salinella-Felsband waren hingegen die meisten Routen mit A4-Haken eingerichtet.

Nachtrag III: mein Folgeposting befindet sich hier.

Sonntag, 23. November 2014

Skitour Piz Medel (3210m)

Im Tessin hatte es anfangs November bei einer Südstaulage wie aus Kübeln geschüttet, so dass sogar der Lago Maggiore überlief. In den Bergen am Alpenhauptkamm waren diese Niederschläge als Schnee gefallen. So liegt denn von Zermatt bis zum Piz Bernina oberhalb von 2000m schon eine mächtige Schneedecke, worauf es sich hervorragend Skitouren lässt. Wenn man die Einträge auf den Bergportalen liest, so könnte man zwar den Eindruck erhalten, dass nur gerade in Realp genügend Schnee liegt. Auf den dortigen Rummel hatten wir eher weniger Lust und wählten ein Ziel am Lukmanier. Unsere Rechnung ging voll und ganz auf: wir genossen eine geniale Skitour bei traumhaften Bedingungen, und alleine unterwegs waren wir darüber hinaus auch noch.

Skitouring at its very best! Aufstieg über den Glatscher da Plattas zum Piz Medel (3210m).
Spurarbeit im Aufstieg bei Davos la Buora.
Unsere Tour startete um 8.40 Uhr in Curaglia (1332m), gleich oberhalb vom Dorfkern kann man gratis parkieren. Eine Betonplatten-Strasse führt von dort ins Val Plattas hinein. Sie war geräumt, so dass wir bis zu P.1520 zu Fuss aufstiegen. Eine Fahrbewilligung hätte sich im Dorfladen organisieren lassen, im Angesicht der steilen und morgens teilweise vereisten Strasse waren wir aber froh über unsere Entscheidung, es bleiben zu lassen. Auf dem Trassee des Sommerwegs profitierten wir dann ab P.1520 von der Spur, welche der Hüttenwart der Medelser Hütte am Vortag angelegt hatte. Bei der grossen Ebene der Alp Sura (1965m), wo auf 1km Distanz ohne Höhengewinn gelaufen wird, bogen wir dann ab und zogen unsere eigene Linie. Um zum Piz Medel zu gelangen, schien es uns günstiger über die nur als Abfahrtsvariante bezeichnete Route via Davos la Buora und den westlichen Plattas-Gletscher aufzusteigen. Der offizielle Aufstieg in der Nähe der Hütte vorbei und den östlichen Gletscherteil dünkte uns umwegig, weniger harmonisch und er ist vormittags auch weniger sonnig.

Das grosse Plateau des Medelser Gletschers. Landschaftlich sehr schön!
Bei uns werden keine Gels reingedrückt, da gibt's einen rechten Znüni mit belegten Broten, Nussgipfel und Konsorten!
Die Stimmung auf dem mehrere Quadratkilometer grossen Plateau des Medelsergletscher war dann einfach fantastisch. Die Sonne schien vom tiefblauen Himmel, ausser uns war keine Menschenseele zugegen und wir konnten die ersten Spuren in den gut gesetzten Pulverschnee legen. Damit hatten wir uns ein ziemliches Programm auferlegt: 1300hm Spurarbeit und sowieso, so viele Höhenmeter wie auf dieser Tour hatte ich das letzte Mal im Februar 2014 am Stotzig Muttenhorn zurückgelegt. So wurde nicht gehetzt, sondern eine vernünftige, gleichmässige Pace angeschlagen und die eine oder andere Pause eingelegt. Die Bedingungen luden ja dazu ein, und schliesslich wollten wir auch die vielversprechende Abfahrt noch geniessen können. Schliesslich waren wir nach knapp 5 Stunden Aufstieg beim Skidepot, von wo der Gipfel über einen kurzen, luftigen aber einfachen Grat erreicht wird. Unsere Entscheidung, keinen alpinen Gerätschaften wie Steigeisen und Pickel mitzuführen war richtig, ausser bei sehr ungünstigen Bedingungen wird man diese hier nicht benötigen.

Der luftige, aber einfache Gipfelgrat zum Piz Medel (3210m). Panorama totale von dort oben!
Schliesslich folgte noch die Kür mit der Abfahrt. Auf den obersten 100hm war der Schnee noch etwas windgepresst, aber ab 3100m bis hinunter auf die Ebene der Alp Sura folgten 1200hm bester Skigenuss in idealem Gelände mit fluffigem Pulver. Der Rest von dort ins Dorf hinunter gehört dann eher zum Pflichtprogramm und bietet nicht mehr ganz so lohnendes Abfahrtsgelände. Um 15.30 Uhr schloss sich für mich der Kreis, das war jetzt echt eine geniale Unternehmung gewesen, die bestimmt auch am Ende der Saison noch zu den besten 10 Touren des Jahres gehören wird!

Impressionen von der Abfahrt... 

...das Gelände ist ideal, genauso wie der fluffige, gut gesetzte Pulverschnee!
Facts

Piz Medel (3210m) von Curaglia (1332m) am Lukmanierpass
Schwierigkeit ZS, 1880hm Aufstieg, 5-6 Stunden Aufstiegszeit
Link zur Karte mit unserer Route: klick!

Montag, 17. November 2014

Ciavazes - Grosse Micheluzzi (VI/A0 oder ca. 6a+)

Die Micheluzzi am Ciavazes: unbestritten ein absoluter Dolomiten-Klassiker aus dem Jahr 1935, in welchem sich auch heute noch die Seilschaften stauen. Dies ist nicht weiter erstaunlich, denn die Kletterei über Platten, löchrige Steilzonen, entlang von Rissen und Verschneidungen sowie dem einzigartigen 90m-Quergang ist auch aus heutigen Sportkletter-Gesichtspunkten absolut lohnend. Ein weiterer Trumpf ist die Lage nur wenige Minuten neben der Strasse zum Sellapass. Dies war für uns ganz entscheidend war, denn einerseits waren wie üblich auf den Nachmittag Schauer angesagt, andererseits musste auch erst evaluiert werden, ob denn aufgrund der Regenfälle am Vortag Fels- oder Wasserfallklettern angesagt war.

Wieder einmal am Piz Ciavazes zu Gange - eindrückliche Wände mit prima Kletterei unmittelbar neben der Strasse.
In der Tat, so rosig sah die Situation am Ciavazes nicht aus. Diverse Wasserstreifen zierten die Wände und bei näherer Betrachtung schien es ausgeschlossen, dass eine der modernen Routen (z.B. die Roberta 83, die ich gerne angegangen wäre) wirklich sinnvoll machbar wäre. Da aber wetterbedingt sowieso nur ein relativ enges Zeitfenster zur Verfügung war und wir uns an den Vortagen schwierigeren Sportklettereien hingegeben hatten, entschieden wir uns ohne Groll für die Micheluzzi. Auch diese war zwar nicht einwandfrei trocken, doch traute ich mir dank der geringeren Schwierigkeiten zu, auch die eine oder andere Nässezone bewältigen zu können. Versüsst wurde das Ganze schliesslich durch die Tatsache, dass wir in dieser begeherten Tour ohne Konkurrenz agieren konnten, und die Seilschaften in den alpinen Sportkletterrouten nebenan tatsächlich wegen Nässe in ihren Routen alle früher oder später den Rückzug anzutreten hatten. Um 8.30 Uhr waren wir bereit, und stiegen ein, noch bevor die erst um etwa 9.00 Uhr den Wandfuss erreichende Sonne uns wärmte. 

Durch die heftigen Gewitter am Abend zuvor war's noch nicht ganz trocken. Trotzdem kamen wir gut durch...
L1, 30m, V-: Der Einstieg ist dank dem gut ausgetretenen Geröllplatz problemlos zu identifizieren. Stecken tun dann allerdings wirklich nur die 2 NH, welche im Topo eingetragen sind. Dies überraschte mich etwas, irgendwie hatte ich mehr erwartet. Allerdings ist die Kletterei hier auch weitgehend einfach, teilweise auch etwas grasig, aber kein Problem.

L2, 30m, V+: Hier wartete nun schon das erste nasse Teilstück, natürlich genau dort, wo im Topo die Crux eingetragen ist. Einen der drei dort steckenden Haken kann ich trotzdem klinken und den löchrigen Wulst etwas links der Ideallinie (in geschätzt ca. 6a-Kletterei) bezwingen. Danach noch eine schön zu kletternde Verschneidung, und rechts raus zum Stand.

Kathrin kurz vor der nassen Crux in L2 (V+), die aber links vom Wasserstreifen umgangen werden konnte.
L3, 30m, V: Weitgehend einfache Länge mit einer weniger steilen Plattenzone und einem 15m-Quergang zu Beginn. Die Hauptschwierigkeit besteht aus dem steilen, selber abzusichernden Abschlussboulder aus der Verschneidung hinaus und aufs Pfeilerlein rauf.

L4, 40m, VI/A0: Gleich nach dem Stand wartet nach meinem Erachten die klettertechnische Crux der Route. Diese wird sogar durch einen Klebehaken abgesichert, jedoch ist der im Topo verzeichnete NH davor nicht mehr vorhanden. Somit wird das Einhängen des (zu hoch steckenden) Klebebolts zur Crux, evtl. könnte man mit kleinen Keilen oder Mikrofriends A0 bis A1 durchkommen. Natürlich kann man hier auch gut freiklettern, allerdings ist der Fels bereits ziemlich poliert und einfache Moves sind es nun auch nicht gerade. Man muss ziemlich plattig antreten und mit einigen schlechten Seitgriffen den nötigen Druck auf die Füsse bringen. Mit einem banalen 5c+ kann man die alte Bewertung nach meiner Meinung nicht ersetzen, ich denke 6a+ muss man hier auf jeden Fall veranschlagen. Der Rest der Seillänge folgt zuerst einer Art Rampe und führt dann durch eine Verschneidung. Er ist deutlich einfacher, will aber selber abgesichert werden.

Der Autor unterwegs in L3 (V). Das Gelände übrigens ziemlich kompakt, das Gras stört kaum.
L5 & L6, 40m, V+: Der erste Teil des Quergangs bis zum BH-Stand bei Abzweig der Buhl-Variante ist banal auf einem etwas grasigen Band. Danach am besten die nächste Länge gleich anhängen: es geht ziemlich kühn in die steile Plattenwand hinaus, zuerst etwas runter, danach an diversen Löchern wieder diagonal hoch. Ein paar NH stecken, somit ist die Situation für Vor- und Nachsteiger gut erträglich.

L7, 20m, V+: Kurze Seillänge, welche erst der Lochreihe entlang weiter nach rechts führt, für den angegebenen Grad im Vergleich zu anderen Stellen eher einfach, wie ich fand. Danach kommt dann schon bald das erste Abkletterstück. Dieses ist jedoch wirklich gut griffig und banal (ca. III/IV). Auch die Nachsteigerin traute sich hier problemlos, den NH zu Beginn des Abkletterstücks auszuhängen.

Tolle und ausgesetzte Kletterei in der ersten Hälfte des grossen Quergangs. Kathrin folgt am Ende von L6 (V+).
L8 & L9, 45m, VI: Die eigentlich L8 führt horizontal oder gar leicht absteigend nach rechts. Achtung, diagonal ansteigend hat es Verhauer-Material! Es wartet eine mit V+ angegebene Stelle, die jedoch kein nennenswertes Problem darstellt. Den schlechten Stand mit 3 NH und Seilverhau nach L8 wird man auslassen wollen, und hängt L9 gleich an. Hier geht der Quergang weiter, und es warten zwei Abkletterstellen, welche mit VI angegeben sind. Diese sind nun nicht mehr ganz so banal, jedoch deutlich einfacher wie die Stelle in L4, d.h. halt einfach etwas normal für 5c+. Die erste Abkletterstelle ist nur kurz, hängt man hier eine 120er-Schlinge doppelt genommen in den NH, kann der/die NachsteigerIn nach dem Abklettern von einem guten Tritt aushängen. Das zweite Abwärtsstück ist dann etwas länger und auch etwas unübersichtlicher, hier hilft jedoch eine fix installierte Reepschnur (bzw. man könnte auch schreiben Strickleiter) der Nachsteiger-Psyche falls nötig auf die Sprünge. Zudem steckt unterhalb ein solider BH (im Topo nicht verzeichnet), so dass auch die Absicherung gut ist. Dann nochmals 7m nach rechts zu BH-Stand.

Ideales Gelände, um die Beziehung zum Nachsteiger und dessen Psyche etwas gründlicher zu erforschen. Fast 50m Quergang in L8/L9 (VI).
L10, 30m, V: Hmm, der tropfende Wasserfall ist nicht mehr weit weg von uns, und gemäss Topo führt die Route weiter nach rechts. Hatten wir die Zeichnung ursprünglich noch so interpretiert, dass die Route neben dem Wasserstreifen durchführt, so müssen wir hier unsere Meinung leicht revidieren. So schlimm geht es dann zum Glück doch nicht aus: der Quergang an einer Untergriff-Schuppe ist noch trocken, und die löchrige Wandstufe danach geht gut im Trockenen links der Ideallinie (die tatsächlich mitten durch den Wasserfall verläuft). Dann allerdings eher schwerer wie V, eher so 5c+ würde ich sagen. Danach muss man die Verschneidung hoch, durch welche der Bach entspringt. Da sie tief ist, wird man zum Glück kaum nass, und da sie nur III ist, geht sie auch problemlos. Der Stand dann auf dem Pfeilerkopf an zwei nicht allzu mächtigen SU, welche sich direkt im Wasserfall befinden. Zum Glück kann man sich selber etwas unterhalb auf dem Pfeilerkopf positionieren und bleibt trocken.

Um sich die Dusche zu ersparen, kletterten wir in L10 (V) etwas schwerer links der Ideallinie.
L11, 50m, V: Zuerst geht's links über eine löchrige Wandzone hoch, danach zeigt das Topo die Ideallinie in einer Rechtsschleife an. Ich habe aber keine Lust, in den Wasserfall hineinzuklettern, direkt die Verschneidung hoch geht's aber auch gut. Dies wird sicher oft so gemacht, es empfiehlt sich auch, um den Seilzug zu minimieren. Allerdings ist es etwas schwerer wie V (eher so 5bc). Der Rest der Seillänge führt dann in naturgegebener Linie einer Verwerfung entlang auf den Pfeiler hoch, die Absicherung dabei teils etwas spärlich. Man überklettert dann den alten Stand auf dem Pfeilerkopf, quert nach links und ächzt die Schuppe hoch, zum gut sichtbaren BH-Stand (Achtung Seilzug, mit 50m-Seilen reicht's gerade knapp).

L12, 30m, V-: Recht kühne Wandkletterei, vor allem für den tief angegebenen Grad ist's steil und auch gar nicht so einfach. Stecken tut hier nicht viel, so dass auch die Orientierung etwas Spürsinn braucht. Für mich stellt sich dann vor allem die Frage, ob man L13 gleich anhängen kann. Am Ende von L12 befinden sich nämlich keine BH, und der NH-Stand ist eher mässig. Wenn es dann doch nicht reicht, ist's allerdings auch blöd, so möble ich den Stand mit reichlich Fummelei auf...

Für den Grad recht kühne Kletterei in mehrheitlich kompaktem und steilem Gelände: L12 (V-)
L13, 27m, IV+: Etwas nach rechts haltend, dann nochmals kühn über eine löchrige Wandstufe hoch. Der Rest der Länge durch die liegende Verschneidung ist dann einfach, und bald erreicht man den BH-Stand, der sich auf dem Band befindet. Obwohl ich es natürlich nicht ausgemessen habe, so vermute ich doch, dass es selbst mit 50-Seilen knapp reicht, um L12 & L13 zu verbinden (mit 60m-Seilen reicht es garantiert). Das ist durchaus zu empfehlen, weil man so den mässigen NH-Stand nach L12 vermeidet.

Um 13.45 Uhr erreichen wir das Top am Gamsband. Wobei, eigentlich würde die Route auch noch durch den oberen Wandteil hochführen. Dieser Teil ist jedoch (trotz oder wegen geringen Schwierigkeiten) ungebräuchlich. Der Fels soll teils sehr brüchig und lehmig sein, es warten Passagen mit losen Blöcken, so dass auch für die sonst in der Zone operierenden Seilschaften eine massive Gefährdung gegeben wäre. So gibt es denn auch keinen einigermassen aktuellen Kletterführer, wo der obere Teil drin verzeichnet ist. Darüber hinaus wäre im oberen Teil dann auch definitiv Wasserfallklettern angesagt, da müsste man echt nur nach einer Trockenperiode antreten wollen. Tja, fraglos werden wir hier auf dem Gamsband die Kletterei beenden und absteigen, den Pausepunkt notieren wir uns auch so ;-)

Free Solo Ausstiegsboulder aufs Gamsband, über welches sich unser Abstieg vollzieht.
Für die Begehung hatten wir doch 5:15 Stunden gebraucht, durch den Quergang ist die Route einfach deutlich länger wie die anderen Ciavazes-Routen, es sind doch 380m und 13 Seillängen. Das Wetter sieht aber zum Glück noch einwandfrei aus, somit ist keine Eile angesagt. Wir schnüren die Schuhe und machen uns auf den Weg. Zuerst muss noch eine kleine Stufe erbouldert werden (gut seilfrei möglich), danach quert man auf dem ausgeprägten Pfad ausgesetzt Richtung Westen. Da wir hier im Vorjahr schon nach der Priz abgestiegen waren, sind uns Weg und Steg noch bekannt. Nach knapp 60 Minuten treffen wir wieder beim Parkplatz ein. Für einmal verläuft die Rückfahrt nach Gröden ohne Regentropfen, das sollte es in diesen Ferien nicht oft geben. Als wir zurück im Domizil sind, öffnet der Himmel dann aber doch seine Schleusen - Zeit zum Rückblick!

Der hier einsehbare Abstieg übers Gamsband ist weitgehend einfach und folgt einem bisweilen ziemlich exponierten Pfad.
Die Erstbegehung der Route erfolgte im Jahr 1935 durch Luigi Micheluzzi. Jetzt muss man sich einmal vorstellen, dass er wie üblich in dieser Zeit mit dem Hanfseil um den Bauch kletterte und ihm gerade mal 6 Haken zur Verfügung standen. Heute, mit um Welten besserem Material und einem Können das (bei mir) bis in den neunten Grad hinaufreicht, habe ich in dieser Route total wohl gegen 100 Sicherungspunkte (NH, BH, SU, Keile/Friends) eingehängt. Die Leistung und Kühnheit der Pioniere kann darum nicht hoch genug eingeschätzt werden, diese Typen waren echt krass drauf damals! Neben den rein quantitativen Argumenten muss man nämlich auch noch berücksichtigen, dass die Linie vergleichsweise wenig durch natürliche Strukturen vorgegeben ist, und doch über weite Strecken Wandkletterei auf Platten und durch löchrige Zonen vorherrscht. Auch der Quergang ist als sehr kühn zu werten - klar kann man hier den einfachsten Weg vermuten, offensichtlich dass man durchkommt ist es aber überhaupt nicht!

Facts

Piz Ciavazes - Grosse Micheluzzi VI/A0 (ca. 5c+ obl.) - 13 SL, 382m - Micheluzzi/Castiglioni 1935 - ***;xxx
Material: 2x50m-Seile, 12 Express, Camalots 0.3-3, Keile 4-9

Ein Dolomiten-Klassiker par Excellence, der auch heute noch sehr beliebt ist. Kein Wunder, denn die Kletterei auf Platten, durch löchrige Wandzonen und entlang von Rissen und Verschneidungen ist auch aus heutigen Aspekten durchaus sehr lohnend. Zu erwähnen ist insbesondere der 90m-Horizontalquergang, welcher der Route die nötige Würze gibt. Die Felsqualität ist durchgehend gut, an wenigen Stellen leicht grasig und teils ist das Gestein schon etwas abgegriffen (mich hat das nicht weiter gestört). Während die Standplätze (wenn man die Route wie von mir beschrieben klettert) alle eingebohrt sind, stecken unterwegs (fast) nur NH. Diese, zusammen mit den regelmässigen mobilen Möglichkeiten, führen aber insgesamt zu einem Standard, den man durchaus als gute Absicherung bezeichnen kann.

Topo

Auf dem Netz und in der Literatur finden sich unzählige Topos zur Tour, welche von mehr oder weniger guter Qualität sind. Weil auf der Route selber nicht allzu viel Material steckt, und es vor allem weil es neben der Route auch welches hat und man zudem mehrere andere Führen kreuzt ist die Mitnahme eines qualitativ guten Topos sicher sinnvoll. Keine Enttäuschungen erleben wird man mit demjenigen von Mauro Bernardi aus dem Führer Klettern in Gröden und Umgebung: Band 1. Es ist auch auf dem Netz bei sentres.com verfügbar. Von dort habe ich Routenverlauf und Topo kopiert, sie sind unten dargestellt. 

Routenverlauf der Grossen Micheluzzi (Nr. 75) und der Schubert-Führe (Weg der Freundschaft, Nr. 76). Quelle: sentres.com
Bernardi-Topo der Micheluzzi (Nr. 75) und Schubert (Nr. 76). Quelle: sentres.com