Die Schafbergwand thront mit ihrer markanten, dreiecksförmigen Kalkplatte über Wildhaus im oberen Toggenburg. Sie bietet hervorragenden, rauhen Fels mit hervorragenden Reibungseigenschaften und vom Wasser modellierter Struktur. In voralpiner, lieblicher und wenig ernsthafter Umgebung lässt es sich hier schon früh und bis spät in die Saison formidabel klettern. An dieser Stelle wird meine neuste Erstbegehung mit dem Namen XL präsentiert. Nein, besonders gross muss man nicht sein, damit man hier zum Erfolg kommt, und überaus lang ist die Route auch nicht. Ein gewisses Können auf Steilplatten ist aber trotz der guten Absicherung mit rostfreien Bohrhaken sicher dennoch nützlich, um ungerupft das Top zu erreichen.
Marcel am Bolten von L4 (6c) im Plattenmeer im östlichen Wandteil an der Schafbergwand. |
Wer keine Lust hat, einen langen Beitrag zu lesen, dem will ich hier den Text von Markus präsentieren. Er bringt mit wenigen Zeilen auf den Punkt, wofür ich ganze Seiten brauche. Also: "Marcel Dettling hat an der Schafbergwand kürzlich eine neue Route fertiggestellt. Sie beginnt mit der Einstiegsvariante vom Ungläubigen Michael und verläuft anschliessend erst rechts und am Schluss links vom Schrittmacher mit Herz. Die Tour ist wirklich von unten bis oben super schön und empfehlenswert. Schwierigkeiten 6b+/6b+/6c+/6c/6a+/6b. Die Bewertung ist alpsteinmässig etwas hart, die Haken sind optimal platziert, aber man muss auch etwas wegklettern. Mindestens 6b sollte man auch zwischen den Haken sauber steigen können. Die Schwierigkeiten sind immer recht anhaltend und zwei der Längen sind sogar 45 bzw. 50m lang. Man kann sich also schon eine Weile beschäftigen."
Nachdem ich die umliegenden Touren an der östlichen Südwand alle geklettert hatte, beginnt die Geschichte dieser Route im Mai 2012. Wie immer, als ich die Linie einmal erkannt und für gut befunden hatte, gab es kein Halten mehr. Mit meinem Vater Sepp stieg ich schwer bepackt zum Wandfuss auf. Dass sich vom tiefsten Punkt der Wand kein eigener Einstieg mehr finden liess, war war bereits im Vornhinein klar. Die bereits existierende Einstiegsvariante zum Ungläubigen Michael würde aber später dennoch einen sehr lohnenden Auftakt zur neuen Linie darstellen. Am ersten Bohrtag liessen wir diese jedoch rechts liegen, und stiegen über felsdurchsetzte Bänder direkt zum ersten Stand hoch. Während dies gut möglich und mit einigen Friends und SU-Schlingen auch vernünftig abzusichern ist, macht dies für Wiederholer freilich kaum Sinn. Die angedachte, kühne Linie übers ausladende Dach von L2 liess sich gut klettern, und mit einem 70m-Seil ausgerüstet gelang es mir schliesslich, auch die knackige Steilplatte von L3 einzubohren.
Die Schafbergwand, der Klassiker und das beste Klettergebiet an der Südabdachung des Alpsteinmassivs. |
Mit der Fertigstellung meines Zuestoll-Projekts Solitaire, anderen Verpflichtungen und weiteren tollen Bergunternehmungen kam es im 2013 zu keiner Fortsetzung. Erst im Juni 2014 konnte ich auf die Unterstützung von Hans zählen. Kletternd stiegen wir dieses Mal am Wandfuss ein und stellten fest, dass bis zum dritten Stand doch schon einige fordernde Kletterstellen anzutreffen waren. Voller Schwung und Motivation machte ich mich an die Bohrarbeit in L4. Eine geniale, anhaltende 50m-Steilplattenlänge entstand dabei. Alle Haken wurden dabei aus der Kletterstellung gesetzt, im Nachhinein staunte ich selber etwas über meine Leistung! Mit der einfacheren, aber sehr genussreichen L5 gelang an jenem Tag noch eine weitere Sequenz. Auch wenn der Ausstieg schon zu erahnen war, so zwang uns das schwindende Tageslicht doch zum Abbruch der Übung.
Die Absicht war dann, an einem letzten Tag sowohl die RP-Begehung wie auch das Einbohren der letzten Seillänge zu erledigen. Ende September 2014 war es in Begleitung von Kathrin schliesslich soweit. Am scharfen Ende kämpfte ich mich über alle schweren Plattenstellen in L1-L3 hinweg, wobei mir diverse Tricks und Kniffs der richtigen Methodik bereits aus dem Gedächtnis entschwunden waren. Die anhaltende L4 hatte ich zuvor ja sogar nur mit der Bohrmaschine von Haken zu Haken geklettert und noch nie am Stück bewältigt. Meine Erleichterung war gross, als ich sie im ersten Angriff rotpunkt durchsteigen konnte. Bald darauf standen wir am Ende von L5, und die im Haulbag nachgezogene Bohrausrüstung sollte zum Einsatz kommen. Das letzte Teilstück entpuppte sich als erneut herausragend, mit kontinuierlicher Kletterei an seichten Wasserrillen. Mein Ehrgeiz dabei war es, die bisher sturzfreie Begehung ohne das Belasten der Sicherungskette weiterzuführen. Tatsächlich gelang es mir, alle 10 BH dieser 45m-Länge plus die beiden Standhaken aus der Kletterstellung und ohne Ausruhen zu bohren. Die nonstop in die engen Finken eingesperrten Füsse und die stark beanspruchte Wadenmuskulatur dankten diesem Effort zwar überhaupt nicht, umso glücklicher war ich aber über die perfekte Begehung und das Fertigstellen der Route.
Am Einbohren von L5 (6a+), Waden und Füsse werden wieder einmal einer harten Prüfung unterzogen. |
L1, 35m, 6b+: Steilplatte, welche noch einigermassen moderat beginnt, ab der Mitte dann aber fordernd wird. Wie erwähnt, habe ich diese Seillänge nicht selber ausgerichtet, sondern quasi ausgeliehen. So ist denn auch die Absicherung hier vielleicht einen Tick fordernder, aber immer noch gut. Mit Keilen oder kleinen Friends kann auch noch etwas nachgebessert werden. Der Crux sagt man nach, dass sie eine gewisse Grössenabhängigkeit aufweist. Mit je weniger Streckung man die rettende Leiste erreicht, desto einfacher geht's wahrscheinlich. O-Ton von Markus: "the short may find this 6c or harder". Die neuralgische Stelle ist aber direkt am BH und geht auch A0.
L2, 35m, 6b+: Nun folgt eben das doch ziemlich imposante 1.5m-Dach. Dank einem Untergriff im Ansatz und einigen Henkeln oberhalb ist man mit entsprechender Entschlossenheit und Technik aber doch bald einmal drüber. Trotz tadelloser Absicherung ist beim Überqueren des Dachs auf saubere Seilführung zwischen den Beinen zu achten. Der Vorsteigersturz, den ich hier beobachten musste, resultierte in einer löchrigen, vom Seil verbrannten Hose und einer entsprechenden Brandwunde am Bein.
Hans am Dach von L2 (6b+), hier passt die Seilführung perfekt. Sich drin einwickeln kann hier ungesund sein! |
L3, 35m, 6c+: Vom gemeinsamen Stand mit dem Ungläubigen Michael wählt man die linke Linie. Ein erstes Dächlein will bereits etwas tricky überwunden werden, die danach folgenden Plattenmoves erfordern dann erstens die Intuition für die einfachste Passage, zweitens gefühlvolles Antreten und drittes die nötige Zuversicht, dass es hält. Nach ca. 10 Metern fordernder Kletterei wird's dann ein bisschen leichter, im anhaltenden 6b-Gelände geht's zum bequemen Stand auf dem nächsten Querband.
Kathrin folgt in der ersten Knallerplatten-Sequenz von L3 (6c+). Hier befindet sich die Crux der Route. |
L4, 50m, 6c: Die nächste Wand sieht kompakt und unnahbar aus. Bei der Erstbegehung war's die grosse Reise ins Ungewisse, doch auch jetzt muss man sich noch die richtige Passage an den Haken vorbei und auch dazwischen suchen. Erst geht's mit einigen Abweichungen gerade hinauf, bevor es beim vierten BH zu einem kurzen Kontakt mit der Route Schrittmacher mit Herz kommt. Diese führt dort gerade hinauf, XL quert nach rechts - vor Ort ist's offensichtlich. In anhaltender Steilplattenkletterei gewinnt man Meter um Meter, erst zum Schluss und kurz vor "Seil aus" wird es dann ein bisschen einfacher.
Einen Bottom Shot von L4 (6c) gibt's ganz oben, hier ist Kathrin auf den letzten Metern unterwegs. |
L5, 35m, 6a+: Gemütlichere, aber nicht langweilige oder banale Kletterei in sehr schönem, kletterfreundlichem Fels mit Wasserrillen und Henkellöchern. Immer diagonal links aufwärts geht's hier, den Schwierigkeiten entsprechend konnten hier die BH-Abstände etwas grösser ausfallen. Auf dem letzten, bequemen Absatz vor der abschliessenden, kompakten Wand endet diese Sequenz.
Hervorragender Fels und gemütlichere Kletterei warten in L5 (6a+). |
L6, 45m, 6b: Entlang von seichten Wasserrillen und gespickt mit der einen oder anderen guten Griffleiste führt diese Länge in gerader Linie fast 50m in die Höhe. Die Schwierigkeiten sind ziemlich kontinuierlich und geschafft hat man es erst, wenn die Standhaken eingehängt sind. Etwas abrupt auf einem schmalen Absatz unter dem Legföhrengürtel endet die Route, das ist jetzt auch fast der einzige Makel, den man ihr anheften kann.
Das Schlussbouquet der Route mit L6 (6b) an seichten Wasserrillen ist nochmals echt genial. |
Den Abstieg vollzieht man abseilend. Die Stände sind alle mit Irniger-Platten bestens ausgerüstet, es geht in ziemlich gerade Linie hinunter und Hindernisse hat's auf den steilen Platten auch keine. Somit gelangt man zügig wieder zum Einstieg hinunter. Den Stand nach L1 muss man nicht zwingend benutzen, falls man sich beim Abseilen vom zweiten Stand etwas nach Westen gegen den höher gelegenen Grund beim Einstieg der Langstrasse hält, erreicht man mit 50m-Seilen direkt den festen Boden und steigt in wenigen Schritten zum Einstieg ab. Von dort steigt man am besten rasch übers Grasbord ab, um dann die exponierte Zustiegsrampe mit einem weiteren Abseiler über die rechten Südwandplatten zu vermeiden. Wer will und sich's zutraut, kann natürlich auch abklettern. So, viel mehr muss ich vermutlich nicht mehr sagen, alle wichtigen Details befinden sich auch im Topo. Nachdem der erste Oktoberschnee nun bereits wieder abgeschmolzen ist, herrschen im angesagten Martinisommer über das Allerheiligenwochenende sicher beste Bedingungen für die Tour. Trophäenjäger aufgepasst: die Route hat durch Freunde, Bekannte und Gönner bereits ein paar Wiederholungen erfahren. Hingegen steht die erste, komplette Onsightbegehung noch aus. Viel Erfolg und Freude!
Impressionen beim Blick aus der Schafbergwand in die Tiefe. |
Schafbergwand - XL 6c+ (6b obl.) - 6 SL, 240m - M. Dettling et al. 2012/2014
Material: 12 Express, 2x50m-Seile, evtl. Klemmkeile oder Camalots 0.3-0.5
Sehr schöne Kletterei über Steilplatten, Wasserrillen und einige Dächlein. Der Fels ist hervorragend, silbergrau und mit bester Reibung, einige der üblichen Grasbüschel und Bänder stören den Genuss kaum. Die Route ist mit rostfreien BH und Ständen bestens abgesichert (xxxx). Ein paar Plattenmoves sind trotzdem obligatorisch zu klettern. An einigen wenigen, einfacheren Stellen können Klemmkeile oder kleine Cams zum Einsatz kommen, was jedoch nicht zwingend vonnöten ist. Ein guter Vergleich in Bezug auf Schönheit, Kletterei, Absicherung und Schwierigkeit ist die von Werner und mir dieses Jahr sanierte Garten Eden etwas weiter rechts.
Topo
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