An den Hoch Fulen wollten wir nun schon seit einigen Jahren einmal gehen. Aber wie das so ist, trotz positiver Berichte von Kollegen und einem attraktiven Layout gemäss Kletterführer ist das Gebiet einfach noch nicht so auf dem Radar der Kletterer wie andere Felsen. So verschoben wir unserem Besuch auch immer wieder auf einen anderen Tag. Doch schliesslich kam dieser: es war warm, andernorts waren am Vortag heftige Gewitter niedergegangen und auch für den Tourentag war viel Instabilität und nachmittägliche Schauer angesagt. Da wollten wir es also einmal probieren mit diesem Hoch Fulen. Soviel vorweg, wir waren begeistert! Da wartet hoch über dem Urnerland eine echte Perle, mit steiler Kletterei an griffig-wasserzerfressenem Fels!
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Bescheidene Bildqualität im morgendlichen Gegenlicht, für einen Eindruck von Wand und Verlauf der 'Annika' am Hoch Fulen taugt das Bild trotzdem. |
Zum Zeitpunkt unserer Tour war die Seilbahn aufs Haldi wegen Revision gerade nicht in Betrieb, so dass wir auf den Bus-Ersatzbetrieb ausweichen mussten. Das ist inzwischen Geschichte und spielt sowieso keine grosse Rolle, weil die Reisezeit sich nicht wesentlich ändert und sowohl mit der Bahn wie auch mit dem Bus das Bike mitgenommen werden kann. Dies ist auf jeden Fall empfehlenswert: schon im Aufstieg spart man dabei ein wenig Zeit und Effort, die Abfahrt geht dann im Nu und macht sogar einen Heidenspass! Wir entschieden uns für den Kurs um 6.30 Uhr und konnten somit um 6.50 Uhr auf dem Haldi (ca. 1100m) lostrampeln. In gemässigter Steigung auf guter Strasse geht's erst bis zum Ober Oberfeld (P.1446). Danach kann man mit kräftigen Beinen und guter Bike-Technik auf schon deutlich rauerer Strasse noch bis zum Ausgang des Waldes (ca. 1500m) hinauftrampeln, danach schoben wir unsere Räder noch weitere 70hm hinauf. Der raue, geröllige Karrweg ginge noch weiter bis zur Stafelalp (1780m), doch es erschien uns wenig ökonomisch, die Räder noch weiter hinaufzustossen. Mit einem E-Bike könnte man möglicherweise (mir fehlt die Erfahrung) bis zur Stafelalp fahren.
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Die Wand vom Hoch Fulen ist im Profil schon richtig schnittig und die anhaltende Steilheit lässt sich bestens erahnen! Das Bild stammt natürlich von unserem Abstieg, am Vormittag beim Zustieg war's also schon noch nicht so bewölkt und regnerisch! |
Also ging's weiter zu Fuss, nach zügigem Marsch trafen wir gerade nach gut 1:30 Stunden am Wandfuss ein. Damit konnten wir die Vorgabe nach Extrem Ost (2:15h Fussaustieg, 40 Minuten Zeitersparnis mit dem Bike) gerade so einhalten. Wobei gesagt sei, dass wenn wir uns so anstrengen, wir normalerweise deutlich schneller als die Angaben in den Kletterführern sind. Wie dem auch sei, das einfach zur Information. Ergänzt sei an dieser Stelle noch, dass die Gegend schön ist, der Aufstieg angenehm und sich die ganze Sache ob der sehr guten Kletterei am Hoch Fulen schlicht und einfach lohnt. Für uns stellte sich im Angesicht der eindrücklichen Wand die Frage, welche Route wir anpacken wollten. Auf dem Papier und im Gelände sehen alle attraktiv aus. Unsere Wahl fiel dann schliesslich auf die nominell einfachste, d.h. die Annika ganz links. Wobei 'einfach' hier auch nicht ganz zutreffend ist, denn schliesslich warten 10 Seillängen bis 7a (Extrem Ost) bzw. 7a+ (Erstbegeher im SAC-Führer Urner Alpen Ost) mit sehr anhaltenden Schwierigkeiten, welche den Grad 6c in keiner Seillänge unterschreiten. Die anderen Routen weisen dafür jeweils mindestens eine Länge im Bereich 7b/+ auf, wären dafür nicht ganz so anhaltend. Item, der Einstieg im linken Wandteil, unter den Überhängen beim grossen Brennesselfeld ist angeschrieben, so konnte es um irgendsoetwas in der Gegend von 8.45 Uhr losgehen.
L1, 35m, 6c: Los geht's henklig-steil aber einfach, auch später dem Riss entlang stecken die Bolts eng und es geht ohne grosse Schwierigkeiten in die Höhe. Dann quert man nach rechts hinaus, wo die Moves schon sorgfältiger geplant werden müssen. Zuletzt geht's an und neben der Verschneidung diagonal zum Stand hinauf. Super Kletterei in wasserzerfressenem Fels, mit der Crux ganz am Ende. Hier stecken die Bolts etwas weiter auseinander und der Vorsteiger muss im Kopf parat sein!
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Super Kletterei bereits in L1 (6c), an deren Ende muss man bereits parat sein und an Tropflöchern riegeln! |
L2, 25m, 6c: Die steile Wand oberhalb vom Standplatz klettert sich verblüffend einfach, weil das Gestein ultrarau und unverschämt griffig ist. Da denkt man sich schon beim Klettern, dass man da gerne einige der hier überzähligen Griffe mitnehmen würde, um sie anderswo als Joker einzusetzen. So kommt's dann schon am Ende der Seillänge, wo beim Ausstieg ins flachere Gelände plötzlich ein Mantle an weit auseinander liegenden Slopern gefragt ist.
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Tolle Henkelei in unverschämt griffigem Fels in L2 (6c). Die Crux mit dem Sloper-Ausstieg im Vordergrund zu erahnen. |
L3, 45m, 6c (bzw. 6b+ im SAC-Führer): Die etwas blockige Zone zu Beginn geht gut, man klettert rechts in der griffigen Wand. Um die Ecke dann warten 2x kniffligere Stellen an Schuppen. Das Gestein ist dort glatter und es gibt nicht so viele Tritte. Bei der zweiten Crux ist auch etwas Entschlossenheit gefragt, da man doch vom Haken wegsteigen muss. Zuletzt dann einfacher in weniger gutem, aber weitgehend ausgeräumtem Fels zum Stand. Hinweis: nach der Crux stecken 2 Dübel, das eine Plättli wurde hier jedoch absichtlich demontiert, der echte Stand kommt erst nach 45m bevor es wieder steil und schwierig wird.
L4, 30m, 6c (bzw. 6b+ im SAC-Führer): Zu Beginn sehr schöne Wandkletterei in wasserzerfressenem Gestein. Bald einmal ist an Tropflöchern etwas Entschlossenheit und ein weiter Move gefragt, dann lässt es wieder etwas nach. Man quert nach rechts, überquert einen Riss und klettert an Henkeln hinauf zum nächsten Stand.
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Ebenfalls sehr lässige Kletterei in prima Gestein wartet in L4 (6c) - kommt auf dem Foto nicht so zur Geltung. |
L5, 20m, 6c+: Kurzer Boulder gleich nach dem Stand, dann übers Band hinweg und hinein in den henkligen Überhang. Mit ein paar athletischen Zügen geht's da zügig vorwärts. Erst zum Schluss wird die Sache unübersichtlich und die Griffe kleiner - wohl dem, der nicht so gepumpt ist, dass er hier noch Zeit hat, um sich entsprechend Übersicht zu verschaffen! Der Stand liegt unterhalb der Kante, oben auf dem Turm gibt's einen Abseilstand, zu welchem man vor dem Abseiler wechseln muss. Dann geht's rückseitig ca. 15m runter zu Stand am Turmfuss, am Rande des eindrücklichen, über 1m breiten und sehr tiefen Spalts. Es sei an dieser Stelle erwähnt, dass man L5 auch gut auslassen kann. Man kann vom Stand nach L4 direkt übers Band zu jenem vor L6 gelangen - nicht, dass ich das anraten würde oder es Sinn macht.
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Puh, friss mich nicht auf! Das ist der kurze Abseiler vom Turm nach L5 (6c+) zum breiten und tiefen Spalt vor der Hauptwand. |
L6, 45m, 6c+: Diese Länge beginnt mit dem Überfall am Spalt - diesen aufzulösen ist dann nicht ganz einfach, vor allem im Angesicht des tiefen Schlundes darunter. Dann vorerst einfach aber weit zum zweiten Bohrhaken, von welchem es horizontal und gutgriffig weit nach rechts geht. Dann hinauf, entlang einer schwach ausgeprägten Verschneidung/Schuppe. Athletische, griffige und anhaltende Kletterei, gegen oben hin mit zunehmenden Schwierigkeiten und Hakenabständen, sehr schön! Etwas Beachtung ist hier dem Seilzug zu schenken, den Haken am Ende des Quergangs sollte man sehr grosszügig verlängen (jenen darunter und oberhalb auch!) oder nochmals zurücksteigen und ihn sogar wieder aushängen.
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Da kann man nur sagen 'wow!'. Fantastische Wandkletterei in der langen und komplexen L6 (6c+). |
L7, 30m, 7a: Wow, was für eine Seillänge! Insgesamt etwa 3-4m überhängend geht's an vorwiegend guten bis sehr guten Henkeln in die Höhe. Die Crux folgt im steilsten Abschnitt und wird mit ein paar entschlossenen, weiten Zügen erledigt. Danach heisst's im steilen Gelände dranbleiben und schauen, dass man ungerupft in die weniger steile Wandpartie entkommt.
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Eine richtige Power-Kletterei wartet in L7 (7a). Sie ist deutlich henkliger, wie es auf diesem Foto den Anschein macht! |
L8, 30m, 7a (bzw. 7a+ im SAC-Führer): Hinauf zum ersten Haken, dann folgt ein horizontaler Quergang nach rechts, noch ohne besondere Schwierigkeiten. Achtung, der vom Stand gut sichtbare Dübel ohne Lasche gerade hinauf ist ein Verhauer. Am Ende der Rechtsquerung folgt dann der totale Kontrast zu den vorangehenden Längen. Es wartet eine sehr technische, rätikonartige Plattenkletterei mit Stehproblemen und seichten Wasserrillen. Dank der guten Absicherung kann man hier voll angreifen und da mir bisher die ganze Route onsight gelungen ist, stimmt's auch mit dem Kopf. So bin ich mit ein paar Moves, gefühlt aber durchaus an der Abrutschgrenze, rasch über die schwierigste Passage hinweg. Mir persönlich kam diese Passage deutlich schwieriger wie L7 vor. Dort ging's locker im Cruising-Mode, hier war ich am Limit. Aus dieser Sicht scheint mir die höhere Bewertung aus dem SAC-Führer durchaus realistisch. Zuletzt dann einfacher zum Stand mit Wandbuch.
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Sonne gibt's in der 'Annika' erst ab Mitte Nachmittag (ca. 14.30 Uhr), es ist ein Ziel für warme Tage! |
L9, 30m, 6c+ (bzw. 6c im SAC-Führer): Eine steilplattige Seillänge, welche auf den ersten Blick nicht so schwierig aussieht. Unterwegs bewahrheitet sich dieses Präjudiz nicht so ganz. Ob's wirklich schwierig ist oder nicht bleibe einmal dahingestellt - jedenfalls gibt einem die Seillänge ständig das Gefühl, dass man sich ungeschickt anstellt. Liegt wohl daran, dass hier zwar durchaus Strukturen vorhanden sind, diese jedoch Richtungen aufweisen, welche für die Richtung der Fortbewegung leider nicht passend sind.
L10, 35m, 6c: Im Prinzip hat man nach der vorangehenden Seillänge die obere Begrenzungskante der Wand erreicht. L10 führt dann an dieser Kante noch über eine weitere Sequenz zum Routenende. Wer noch über unbändige Kraftreserven verfügt, könnte an dieser Stelle übrigens auch problemlos in die letzten beiden, steilen Seillängen (7a, 7a+) von 'Raffael' wechseln. Wir entscheiden uns aber, auf der 'Annika' zu bleiben. Vorerst geht's einfach in etwas losem Gestein aufwärts. Dann kommen athletische Moves an guten Griffen. Achtung, hier ist nicht mehr alles fest was brüchig aussieht! Insgesamt aber doch nochmals ein spassige Sache, vielleicht auch ein bisschen einfacher als 6c?!?
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Das Top ist erreicht! Auf den letzten Metern an der Nordkante kommt man in alpines Gelände. |
Um 15.15 Uhr und damit doch nach geschlagenen 6:30 Stunden Kletterei sind wir am Top, meinereiner ohne das Seil belasten zu müssen. Immer wieder ein tolles Gefühl, durch eine solche Wand zu steigen und dann zu konstatieren, dass man eigentlich auch Free Solo hätte gehen können ;-) Zufrieden stelle ich auch fest, dass mir die Bewertungen der 'Annika' und in der '
Adam & Evi' am Eiger im Gegenvergleich ziemlich stimmig vorkommen. Für weiteres Philosophieren bleibt aber gar nicht so viel Zeit. Während der Vormittag über lange Zeit überraschend wolkenfrei und sonnig war, hatte sich der Himmel beim Klettern der letzten beiden Seillängen doch sehr rasch überzogen und gezeigt, dass solche Wetterlagen eben trotz allem heimtückisch sind. Allzu lange schien ein Gewitter nicht mehr auf sich zu warten, also warfen wir praktisch unverzüglich die Seile aus. Die Abseilerei vollzieht sich erst über die Route, dann über die benachbarte 'Raffael' und im unteren Teil über routenunabhängige Abseilstände. Dank Effizienz im Handling und der steilen Wand brauchen wir nur gute 20 Minuten, bis die 6 Manöver erledigt sind und wir am Wandfuss stehen. Und dies gerade rechtzeitig, denn es beginnt gerade zu tröpfeln. Es ging nicht mehr lange, bis sich der Regen stark intensivierte. Doch zu diesem Zeitpunkt sassen wir bereits am Trockenen unter dem grossen Überhang im Einstiegsbereich und genossen unseren Vesper.
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Für uns hat das Timing perfekt gepasst: trocken geklettert, trocken abgeseilt und trocken abgestiegen. Den Gewitterschauer haben wir mit einem Vesper am Trockenen unter dem grossen Überhang am Wandfuss überbrückt. Auch wenn man heute mit den genauen Vorhersagen ziemlich präzise planen kann, so gehört schlussendlich aber natürlich auch etwas Glück dazu, damit alles aufgeht. |
Der Radar-Animation sei Dank liess sich voraussagen, dass wir das Gewitter wohl problemlos würden aussitzen können. Tatsächlich war es 30 Minuten später wieder trocken, so dass wir uns auf die Socken machten. Mit im Gepäck hatten wir da übrigens je einen vergammelten, heftig nach Bockmist stinkenden Strick, der wohl zum Bohren als Fixseil gedient hatte und dann am Wandfuss 'entsorgt' worden war. Wir gehen davon aus, mit der Beseitigung von diesem Material der Sache einen Dienst getan zu haben - ansonsten sorry, die Seile wurden bereits entsorgt, aber etwas anderes hätte man damit eh nicht mehr tun können. In zügigem Abstieg ging's zu unserem Bike-Depot. Wir fuhren zurück zum Ober Obfeld, von wo wir es uns nicht nehmen liessen, auf dem ausgeschilderten Bike-Trail zurück nach Schattdorf zu fahren. Wie erwartet machte es richtig Laune, talwärts zu heizen und die Bremsscheiben zum Glühen zu bringen. Zu bald waren wir retour am Ausgangspunkt, Zeit um das Fazit zu ziehen. Dieses fiel äusserst positiv aus - welche eine geniale Route, kaum zu glauben, dass hier fast niemand klettern geht! In den 10 Jahren ihres Bestehens erlebte die 'Annika' gerade einmal 20 Begehungen, in den letzten Jahren sogar mit abnehmender Frequenz, weil die 'üblichen Verdächtigen' (Locals, Bekannte der Erstbegeher) alle bald nach der Eröffnung vor Ort waren. Schon kaum zu glauben, anderswo in den Alpen (Dolomiten, Chamonix) stehen sich die Leute in im Vergleich dazu schon beinahe mediokren Routen auf den Füssen herum und in einer solchen Route ist man allein.
Facts
Hoch Fulen - Annika 7a+ (6c obl.) - 10 SL, 320m - Fullin/Wicki 2007 - ****;xxxx
Material: 2x50m-Seile, 12 Express, Cams/Keile nicht nötig
Sehr schöne, spektakuläre und anhaltende Kletterei in wasserzerfressenem Fels. Über weite Strecken ist dieser sehr solide und unverschämt griffig. Vereinzelt warten auch ein paar technischere Passagen und ein paar Abschnitte mit etwas weniger hochwertigem Gestein gibt's auch. Zu erwähnen auch, dass aufgrund der seltenen Begehungen hier und da gerne noch das eine oder andere Tropflochspitzli bricht. Aber das gehört in solchen Routen einfach dazu, ich vergebe jedenfalls nur zu gerne die vier Schönheitssterne! Die Absicherung mit verzinkten Fixé-Bolts ist weitgehend tiptop ausgefallen. Nach meiner Meinung ist Niveau 'gut+' bzw. xxxx treffender als die xxx aus dem Extrem Ost. Hier und da könnte man wohl tatsächlich noch einen Cam (kleine Grössen von 0.3-0.75) unterbringen, wenn man denn wollte. Als notwendig habe ich das jedoch nirgends empfunden. Als Hinweis noch: obwohl die Route über eine routenunabhängige Abseilpiste verfügt, kann man von jedem Punkt in der Route problemlos umdrehen und abseilen. Das wird aus dem Topo nicht ganz klar, vor Ort ist aber absolut logisch wie, was und wo. Und wie bereits erwähnt, das Bike für den Zustieg (und vor allem den Rückweg) lohnt sich absolut. Topo und Infos zu den weiteren Routen am Berg gibt's im Extrem Ost von Filidor oder im SAC-Führer Urner Alpen Ost, die man z.B. bei
Bächli Bergsport kaufen kann.