Nach unserer tollen und gelungenen MSL-Tour am Galibier folgten Tage mit weniger stabilem Wetter, die wir zum Sportklettern in den talnahen, schattigen Gebieten nutzten. Wenn hingegen keine abendlichen Platzregen angekündigt waren, so zog es uns aufgrund der Hitze in die alpinen Klettergärten von La Saume und Ceüse, wo sich im Sommer bekanntlich gerne die internationale Elite tummelt. Unser traditioneller Besuch in Ceüse liefert denn auch die Vorgeschichte zur hier beschriebenen MSL-Route: nachdem wir selber schon bis spät geklettert waren, liessen wir es uns natürlich nicht nehmen, die Spitzenkletterer bei ihren Versuchen im letzten Abendlicht zu bestaunen. Mit dem Abstieg, dem üblichen Besuch bei Mr. Pizza Le Crux und dem Heimweg war es schon nach Mitternacht, bis wir ins Zelt schlüpften. Die Konsequenz war ein gemütlicher Start am Folgetag.
La Saume
Eher kleines, aber landschaftlich sehr schönes, ideales Sommergebiet in den Queyras-Bergen. Dank EU-Geldern (welch sinnvolle Nutzung ;-)) ist die lange Schotterpiste zum Ausgangspunkt derzeit in einem problemlos mit normalen PWs befahrbaren Zustand, selbst grosse Camper schafften es in Vielzahl dahin und kreierten da oben ein wahres Woodstock. Auch die Zugangsbeschreibung im Briançon Climbs passt nicht mehr, es wurde ein neuer und kürzerer Weg etabliert. Genaue Angaben erübrigen sich aber, vom Ende der befahrbaren Piste ist der sehr gut ausgetretene Weg problemlos zu identifizieren und im Zweifel läuft man einfach den zahlreichen Climbern hinterher.
Der Felsriegel von La Saume bietet ganztags schattige Kletterei auf rund 2200m, ideal im Sommer! |
Für moderat schwierig kletternde (Bereich 6b-7b) wäre auch der im Briançon Climbs beschriebene Sektor 1A eine zumindest auf dem Papier lohnende Adresse. Vor Ort angetroffene Bekannte rieten uns aber, auf jeden Fall im höheren Sektor 2 zu klettern, dort fänden sich grossartige Perlen. Dieser Empfehlung kann ich absolut beipflichten, noch viel gravierender ist aber, dass wir den theoretisch direkt am Zugangsweg liegenden Sektor 1 gar nicht identifizieren konnten - und ich bin im Rückweg sogar an den beiden vielversprechendsten Stellen zum Wandfuss hinaufgestiegen. Es wissen also die Götter, wo sich diese Wand wirklich befindet.
Das Gebiet, dieses Mal von der anderen Seite gesehen. Am linken Bildrand der Nebensektor mit der coolen Route Gazpatcho (7a+) in der platten Wand, rechts der ästhetische gelb-schwarze Hauptsektor. |
Der Hauptsektor bietet eine erstaunlich grosse Vielfalt. So ab Niveau 6c/7a findet man (für einen Tag) ausreichend Beschäftigung, wobei man die Wahl zwischen athletischen und plattigen Routen hat. Das Prunkstück ist sicher die Hauptwand mit ihren überhängenden, ausdauernden und langen Wandklettereien im Bereich 7c-8c. Die (wenigen) einfacheren Routen (im Bereich 6c+ bis 7b+) verlaufen oft etwas diagonal an logischen Linien entlang der Felsschichtung. Die waren aber ebenfalls sehr cool zu klettern, das hat richtig Spass gemacht! Im Nebensektor links findet man neben zwei, drei sehr technischen Lochklettereien (u.a. die coole Gazpatcho 7a+) v.a. brutale, 45 Grad überhängende Athletiktests.
Ceüse
Unser jährlicher Besuch in Ceüse war natürlich auch fix in der Ferienplanung eingebaut. Im 2020 und im 2021 gingen wir jeweils am 5.8. rauf, im aktuellen Jahr 2022 waren wir am 6.8. einen Tag zu spät unterwegs - natürlich schauten wir in erster Linie auf's Wetter und die Bedingungen, nicht auf's Datum. Eine Hitzewelle war angesagt und da man erst ab Mitte Nachmittag Schatten vorfindet, gab es feriengerecht nichts zu pressieren. Um 12.30 Uhr machten wir uns auf den Weg vom Col des Guérins, der zum Glück zu einem grossen Teil im Wald verläuft. Ohne zu hetzen und mit einigen Pausen konnten wir schliesslich um 14.00 Uhr am Fels angreifen. Da schien grosso Modo noch die Sonne an die Wand, doch mit einer geeignet ausgewählten Route ging es grad prima - der Sektor Un pont sur l'infini war das Ziel unserer Wahl.
Quelle magie! Der perfekte Fels und die einmalige Lage machen dieses Klettergebiet einzigartig. |
Das Spektakel findet aber natürlich nicht in dieser vertikalen Lochwand rechts am Felsband, sondern anderswo statt - in erster Linie am gewaltigen Bauch vom Biographie-Sektor, bei welchem man sowohl auf dem Hin- wie auch auf dem Rückweg vorbeikommt. Und natürlich liessen wir uns das Schauspiel nicht entgehen und beobachteten die Topcracks bei ihren Versuchen in der Abenddämmerung. Es ist schon Wahnsinn, was diese Leute an Power-to-Weight-Ratio, Resistance und Bewegungspräzision mitbringen. Alleine nur die ersten paar Griffe in dieser 30-40m hohen und 40 Grad überhängenden Wand zu befühlen zeigt ziemlich klar auf, wie weit deren Können von dem eines Joe Normalo weg ist...
Für einmal auf dem Plateau de Ceüse, um noch besser die Rundumsicht zu geniessen! |
Da könnte man sich und seine Kletterei als klein und unwichtig fühlen, was natürlich global gesehen sowieso stimmt. Dennoch, es ist nicht die Emotion, mit welcher ich diesen grandiosen Tag beschlossen habe. Mir glückten der Reihe nach vier lange Routen in den Graden 6b+, 6c+, 7a und 7b+ onsight. Gerade in der letzteren musste ich mindestens genau so sehr wie ein 9b-Athlet kämpfen. Näher am Abgang hätte ich an mehreren Stellen nicht sein können, mirakulös konnte ich mich jeweils retten - immer ein geniales Gefühl. Die Emotion, 2m über dem Haken einen dynamischen Move ans Loch der letzten Hoffnung zu pfeffern und dann gerade knapp hängen zu bleiben, lässt einen einfach als Held fühlen, egal wie unspektakulär es von aussen betrachtet sein mag. Und genau ums persönliche Erlebnis geht's ja schliesslich in erster Linie beim Klettern. Auf jeden Fall, es hat wieder einmal 'mehr als gfägt' in Ceüse, ich freue mich schon bald wieder zurück zu sein!
Strong Ladies - die eine direkt aus dem Go in der 9b+ :-)) |
Ponteil - Le surplomb jaune (6a+)
Wie bereits erwähnt, unsere Rückkehr aus Ceüse war erst nach Mitternacht, so gab es am nächsten Tag einen langsamen Start und nach dem erlebnisreichen Tag war bei manchem Familienmitglied das Reissen für einen nächsten Ausflug beschränkt - vor allem, weil wir ja am Folgetag nochmals nach Ceüse "mussten", um noch mit einigen weiteren der Topcracks Fotos zu schiessen und Unterschriften einzuholen. Wir einigten uns schliesslich darauf, dass die Kinder am Nachmittag in den Aquapark dürfen und die Erwachsenen eine kurze und zeitsparende Recovery-MSL angehen.
Blick ins Val Durance vom Einstieg, in der linken unteren Ecke der Sportklettersektor Le Pouit. |
Als Ziel wurde die Wand von Ponteil auserkoren. Das ist grundsätzlich ein sehr sonniges Gebiet an der (süd)östlich ausgerichteten Talflanke, ideal für die kältere Jahreszeit. Der rechte Wandteil liegt allerdings ab den frühen Nachmittagsstunden im Schatten und ermöglichst dann dank Talwind und der Lage auf 1500m durchaus auch im Hochsommer ein genussvolles Klettern in angenehmen Bedingungen. Um 13.30 Uhr liefen wir vom Parkplatz bei der Brücke in Le Pont (P.1447) los. Man geht über den Bach zurück, gleich bei der Mauer bzw. beim Infoschild beginnt der gut ausgetretene Pfad, der in 10 Minuten zur Wand führt. Die Routenwahl liessen wir bis zuletzt offen, am Wandfuss setzte sich dann die feminine Devise durch, dass Recovery das Klettern der einfachst- und nicht der schwierigst-möglichen Route im Sektor bedeutet :-)). Somit stiegen wir um 13.45 Uhr und somit 15-30 Minuten vor der definitiven Einkehr des Schattens am Wandfuss in die Surplomb jaune ein. Der Einstieg ist mit einer abblätternden "43" unscheinbar beschriftet, mit Topo und etwas analytischen Fähigkeiten aber durchaus zu identifizieren.
L1, 30m, 5c+: Steil, griffig und abgespeckt nach links hinaus, etwas um die Dächer herum und darüber hinweg. Pas si facile que ça - wer eine 6a nicht solide drauf hat, tut sich hier möglicherweise durchaus schwer. Die Felsqualität ist zudem nicht überragend, da hier schon viele vorbei sind, passt es aber schon. Erst das Finish an einer Schuppe dann einfacher.
Nachstieg in L1 (5c+), am Ende geht's einer prima griffigen Schuppe entlang. |
L2, 20m, 5c+: Erneut eine Querung nach links hinaus, am Ende dieser an der Nase gibt's eine für den Grad doch ziemlich knifflige Stelle, dünkte es mich! Das Finale dann wunderbar über eine Platte mit extrem wasserzerfressener Tropfloch-Struktur.
L3, 25m, 5c+: Mit der Verwendung von langen Exen liess sich diese Länge gleich an die vorangehende Anhängen - macht aber sicher nur Sinn, wenn man gut über dem verlangten Niveau steht. In dieser Seillänge geht's gleich fordernd und ziemlich athletisch los, der glatte Fels ist schon reichlich poliert, eher 6a. Zum Schluss dann einfach aber in etwas brüchigem Gelände zum Stand bei einem Baumstrunk - wie lange der wohl schon hier ist?!? Möglicherweise dank dem trockenen Klima schon Jahrhunderte!
Kathrin folgt in L3 (5c+), der Ausstieg ins flachere Gelände "da capire...". |
L4, 25m, 5c: Die schönste Seillänge der ganzen Route führt durch eine steile Verschneidung. Der Fels ist hier von prima Qualität, top-strukturiert und erlaubt genussvolles Steigen. Aber auch hier würde ich sagen, für eine 5c ist das ziemlich oho, 6a kann man sicher durchaus geben!
L5, 25m, 5c: Es geht auf dem Band kurz nach rechts und dann über die steile, ziemlich griffige Stufe hinauf. Der Mantle ins flachere Gelände ist doch einigermassen knifflig, auch diese Stelle würden wir eher mit einer 6a/+ bewerten?!? Das Ende dann einfacher an einer etwas botanischen Verschneidung. Hinweis: viele verkoffern sich laut den Berichten auf C2C zu Beginn dieser Seillänge nach rechts in die Ricollet, was einen alternativen, etwas einfacheren Ausstieg vermittelt.
Ideales Schuhdepot an Stand 5 (#scarpaspa #noplacetoofar - ah nein, Schuhe sind ja selber gekauft ;-)) |
L6, 15m, 6a+: Vom bequemen Stand mit prima Schuh-Schublade wartet noch das Abschlussbouquet. Die meisten Topos zeigen hier nicht die tatsächliche Situation, gibt es nämlich 2 mögliche Linien. Die linke scheint irgendwie logischer und ist das Original, erfordert jedoch A0 (ist schon auch frei kletterbar, dies jedoch im Bereich 7b, sicher nicht als 6a). Die rechte Variante unter dem Dach hindurch ist hingegen deutlich kommoder und im Bereich 6a+/6b frei passierbar - dies jedoch einigermassen zwingend (insbesondere für den Nachsteiger!). Das Dach einmal bewältigt, kommt noch kurz etwas griffiges Gelände, gefolgt von ein paar Büschen und dann schon der finale Stand.
Zwei Abseiler in steilem Gelände ermöglichen eine rasche Rückkehr an den Wandfuss. |
Um 15.30 Uhr und damit nach 1:45h Kletterei waren wir am Top der genussreichen Kletterei. Wegspuren führen hinauf auf die flachere, waldige Zone der Crête du Bouchet. Man könnte sich nun nach links (westlich) und aufwärts halten, um den Gipfel und einen mit Seilen versicherten Fussabstieg zu wählen. Ziemlich sicher schneller und bequemer ist es von diesem Sektor jedoch, auf Wegspuren ca. 20hm nach rechts (östlich) zu einer Abseilstelle bei einer grossen Föhre abzusteigen. Von dort erreicht man mit zwei steilen Manövern den Boden und ist mit wenigen Schritten zurück am Einstieg. Alternativ liesse es sich auch über Nid d'Aigle abseilen, der oberste Stand schien mir aber in exponiertem Gelände (Fixseil) weniger bequem erreichbar. Bald rollten wir talwärts, es war nur ein kurzer Weg zurück zu unserem Basecamp.
Facts
Le Ponteil - Le surplomb jaune 6a+ (6a obl.) - 6 SL, 140m - M. & J.J. Rolland 1973 - **;xxxx
Material: 2x50m-Seile, 12 Express
Eher kurze, aber doch komplette MSL-Route mit klassischer Linienführung durch eine steile Wand. Die Felsqualität ist insgesamt recht gut, einzelne Stellen mit fantastischen Tropflöchern wechseln sich ab mit teils etwas blockigen Verschneidungen/Dächern, etwas glattem/belagigem Gestein und teils deutlichen Gebrauchsspuren - lässig zu klettern ist es aber immer noch. Die Route wurde saniert und ist üppig mit zeitgemässen, verzinkten BH ausgestattet. Überall wo es schwierig ist, ist die Absicherung mindestens klettergartenmässig und auch an den einfacheren Stellen nie weit. Topos findet man z.B. im Oisans Nouveau, Oisans Sauvage, Briançon Climbs, Plaisir Sud und (mit der grössten Präzision) im Topoguide Band III. Nützlich auch die Beschreibung auf C2C.