Tja, die Landesgrenzen sind durch die Pandemie für Klettertrips eher schwierig oder mit Testerei und Quarantäne zumindest aufwändig zu überwindende Hindernisse geworden. Somit war es für unseren Oster- und Frühlingstrip gesetzt, dass wir an Schweizer Felsen klettern würden - was ja auch kein Problem darstellt, da es mehr als genug 'Material' gibt und man dank den verschiedenen Klimazonen auch fast jederzeit ein trockenes Plätzchen findet. Schliesslich ging es 2x ins Tessin, wettertechnisch begünstigt und ein grosser Fan dieser Gneisfelsen bin ich sowieso. Beide Male quartierten wir uns im Maggiatal in einem Rustico ein.
Für den Ostertrip entschieden wir uns 9 Tage im Voraus, nachdem die Langzeit-Prognosen für den Süden eine bessere Perspektive gaben. Gar nicht einmal so einfach war es, zu diesem Zeitpunkt noch eine Unterkunft zu finden - naja in den teuren Hotels vielleicht schon, weniger aber für eine günstige und gut gelegene Ferienwohnung. Tja, die Effekte der Pandemie eben. Vor dem Aufbruch änderten sich die Wetterprognosen dann aber drastisch, ja es schien gar zwischendurch, dass zuhause bleiben vielleicht die bessere Lösung für das vertikale Programm wäre. Doch das war ein Sturm im Wasserglas, Ostern war schliesslich geprägt von warmem, trockenem und schönem Wetter. Umso besser, aber zum Klettern war eher Schattenjagd angesagt.
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Giumaglio im Maggiatal, hübsches Dörfchen mit alten Steinbauten und Felsen gleich nebenan. |
Für die Frühlingsferien entschieden wir uns dann schon gleich nach Ostern, um Zugriff auf das begehrte Rustico zu haben. So weit im Voraus machen wir wetterabhängige Felsfreaks das sonst nie - und prompt verhiess die Prognose schliesslich eine komplett verregnete Woche. Naja, es kam schlussendlich deutlich besser: erst 5 trockene Tage bei zwar trübem Himmel, dafür uneingeschränkter Sektorenauswahl. An den folgenden 2 Regentage verlegten wir die Aktivität in die überhängenden Gebiete, erst auf der Heimreise ergaben wir uns mit einer Indoor-Bouldersession. Einen chronologischen Abriss über diese Trips mag ich hier nicht geben, nachfolgend ein paar Worte zu besuchten Gebieten und gekletterten Routen.
Giumaglio - Falesia del Picchone & Fiume
Hier waren wir daheim, per Zufall als Nachbarn von Erschliesser-Legende Egon Bernasconi. Das erklärt, warum es rund um das Dorf hier und da ein paar verstreute, anspruchsvolle Routen und Boulder gibt. Auf Streifzügen gab es also einiges zu entdecken, schliesslich fokussierte ich mich auf die Bullah Bro (8a), keine 2 Minuten von unserer Unterkunft entfernt - schon ein Privileg, die harten Moves so nahe zu haben. Dafür aber gar nicht einfach für das Session Planning! Gut half mir Home bzw. Distance Office dabei, manchmal nur die entsprechend kurzen Zeitfenster für einen Go an dieser Route zur Verfügung zu haben - wobei mir schliesslich erst im zweiten Trip bei kühlen Bedingungen der Durchstieg gelang.
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Akteur mit Pokal ;-) nach dem Durchstieg der Bullah Bro (8a). |
Nicht von Egon eingerichtet wurde der einfache Plattensektor, die Falesia del Picchone. Hier gibt es knapp 25 geneigte Routen im Plaisirbereich (4c-6a+). Der Zustieg aus dem Dorf ist in 10-15 Minuten erledigt, auch hier konnten wir also noch rasch auf einen Plausch vorbei, wobei jeweils vor allem die Kinder kletterten und vorstiegen. Der ganze Sektor ist super mit Inoxmaterial abgesichert, wobei fast jede Route nebst einfacherem Terrain eine Einzelstelle bereithält, welche für Kleingewachsene oft nicht einfach ist, öfters auch in Sachen Haken klippen. Und auch ein wenig gleichförmig-austauschbar dünkten mich die Routen, doch vielleicht liegt diese Wahrnehmung auch einfach an mir, der hier mehr oder weniger überall ohne gross zu überlegen hochspazieren kann.
Cevio - Geisha Wall, Goldensciauar & Hauptwand
Nebst den vielen Felsen besteht die Attraktion in Cevio aus dem Pumptrack, wirklich eine sehr gelungene Sache, wo wir auch viele Stunden verbrachten! Somit stiess ein Ausflug zum Klettern ins Tal hinein immer auf Wohlwollen. 3x waren wir an der Geisha Wall, die wir bereits auf früheren Trips (1,2) lieb gewonnen hatten. Im Frühling 2021 waren fast alle Routen trocken - gut so, denn an Ostern war es hier ganz schön voll, ein untrüglicher Beleg für die Qualität des Gebiets. Aber im Bereich 6a-8b wird einem hier fast jeder Wunsch erfüllt, wobei es sowohl vertikale bis leicht überhängende, typische Tessiner Wandklettereien gibt wie auch stärker überhängende, athletische Bolzertouren - bei bester Felsqualität notabene. Einzig die lange drückende Nässe kann den Spass vergällen und einen grossen Teil der Routen unpraktikabel machen, am besten also nur nach Trockenperioden aufkreuzen. Ins Täschchen gingen mir dieses Mal neben ein paar einfacheren Touren Toro Loco (7b+), Culo di Piombo (7b), Mr. Seitan (7b+), L'oca Bucata (7b), Master Tacos (7c), Detox (7a) und Cantina Ümida (7a).
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Geisha Walls - an diesem Tag ganz für uns (war aber nicht immer so...). |
Ebenfalls in den letzten Jahren wurde der Sektor Goldensciauar erschlossen. Er liegt nur 2-3 Minuten ob der Kirche in Cevio in problemloser Gehdistanz vom Pumptrack, ideal für eine After-Work-Kombisession - sofern man auf gute Bedingungen trifft. Im Frühling und nach Regenperioden fliesst nämlich ein Wasserfall über die Wand, welcher zumindest bei Wind manch eine Route benetzt. Bei ruhigen Verhältnissen kann man hingegen einige Routen auch klettern, wenn der Wasserfall "in Betrieb" ist. Auf einem Kurztrip machten wir Insert Coin (6c) und Sottosopra (7a), welche auf dem exponierten, über Fixseile zu erreichenden Balkon liegen und coole Henkelkletterei bieten. Auch in der Si era Black Coit (7a+) gibt's manch grossen, sloprigen Topf zu halten und durch die weit überhängende Wand zu moven, super!
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Das ist das Foto vom Goldensciauar - ja ehrlich, die Felsen sind am oberen Bildrand tatsächlich zu sehen :-) Aber na gut, ich gebe es zu, am Fels haben wir keine Fotos gemacht und eines vom Pumptrack darf in diesem Beitrag auch nicht fehlen. |
Einen regnerischen Tag zum Ende der Frühlingsferien verbrachten wir dann noch an der regensicheren Hauptwand - wobei ja, die Regentropfen benetzen die Wand nicht, von innen drückt es auch nicht, aber der neblige Moder und die am Fels kondensierende Feuchtigkeit sorgten dennoch für extrem glibbrige Verhältnisse. Ja, man hätte sagen können "katastrophal" und sich wieder in die heimische Stube verziehen können. Aber so bin ich nicht gestrickt, ich nahm die Challenge an und versuchte nach (heftigem) Aufwärmen in L1 von Crescendo (6c) und Ederinik (7a+) den Punkt in Il Buco (7c) zu holen. Eine total fiese Route für solche Bedingungen, an seichten Löchern und schlechten Leisten movt man über 5 Haken hart, um dann an übel-rutschigen Slopern den finalen Rausschmeisser zu klettern, der einen in die zweite Hälfte mit pumpiger Ausdauerkletterei befördert. Fast, fast wäre es gelungen, doch leider zippten die Finger doch unvermittelt vom extrem seifigen Griff - klassisches Dryfire, die Kraft wäre da gewesen... stellt sich nun die Frage, ob das eine verschenkte Onsight-Opportunity war/ist... wobei ich vermute eher nein.
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Die Hauptwand von Cevio bei 100% Luftfeuchtigkeit. |
Avegno - Underzero, Zufolo & Zio Fiasco
In Avegno kann man nicht nur Plattenklettern, nein in den letzten Jahren entstand hier ein veritables Hardmover-Paradies am Fuss der hohen Wand von Torbeccio. Der Sektor Zio Fiasco war schon seit einigen Jahren publiziert, es kamen aber auch hier nochmals etliche Neutouren hinzu. Hier hatten wir uns schon früher vergnügt, ja einmal gar in den Häusern unterhalb residiert (Steinbauten mit eher rudimentärem Komfort, eher teuer, keine Autozufahrt, dafür geniale Lage). Nebst den schon früher genossenen Perlen kamen die beiden langen Schwesterrouten Ueli Speck (7b+) und Malbuner (7b) neu auf die Ticklist - beide mit kräftig-fieser Abschlusscrux auf luftigen 32-35m Höhe. Auf den Eintrag weiter warten muss hingegen die namensgebende Zio Fiasco (7c). Hier hatte ich schon früher einmal probiert, bis die Beta wieder sass, waren Kraft und noch viel mehr die Haut definitiv alle.
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In Bildmitte der Sektor Zio Fiasco, die Sonne bescheint die Wand bis ca. 14.00 Uhr. |
Von den weiter links gelegenen Sektoren hatte man als Insider in den letzten Jahren munkeln gehört, die Tessiner behielten aber diese Perle wohlweislich für sich, zumindest was eine Topo-Publikation angeht. Wie immer, wenn Geheimhaltung herrscht, kann es kein Schrottgebiet sein und so waren wir auch sehr gespannt auf unseren ersten Kletterbesuch an diesem Stück Fels. Die gut 50 Touren bieten einen Mix von kräftiger, deutlich überhängender Wandkletterei an Untergriffen und sonstigen, höchst faszinierenden Felsformationen, zu 'normaler' überhängender Wandkletterei bis hin zu positiv geneigten, technischen Testpieces. Il Masso del Granchio (7c), Pistöia (7b+), Epitaph (7b+), Schizoid (7a), Back to Black (7a+), Nimbus (7a+), Poseidon (7a) und Dancer (6b) bieten eben ziemlich genau diesen erwähnten Mix an Stilen und boten höchst exquisites Vergnügen - und noch manch eine attraktive Linie wartet für den nächsten Besuch.
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Im Sektor Underzero - da gibt's mit diesem Foto keine Zweifel - geht's zur Sache. |
Ponte Brolla Ost
Ja, hier haben wir schon manch einen Klettertag verbracht, aber es gibt immer noch zu tun und so bald wird sich das auch nicht ändern, ja einige Knacknüsse werden vielleicht auch für immer ungepunktet bleiben. Auf der Anreise beim ersten Trip widmeten wir uns vor allem einigen erst kürzlich erschlossenen Routen, z.B. der zähen Bonzay (6c), der Lek Attak (7b) mit ihrem bitteren Abschlussboulder, der kurzen Bamelo (6c) und der genialen Déja vu on the rise (6b+), welche ihre vier Sterne im neuen SAC-Führer wirklich verdient hat. Ein grosser Erfolg war der Onsight in der Outback (7c), nachdem die Route bereits perfekt mit verlängerten Exen präpariert war. Ohne diesen Luxus sind die ätzend sitzenden Bolts mühsam zu klippen, so dass man entweder substanzielle Kraftreserven mitbringen muss oder sie dann zu übersteigen hat, was bei Nichtbeherrschen jedoch ziemlich unangenehme Stürze zur Folge haben könnte.
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Das ist sie, die markante überhängende Kante der Schattenjagd (8a) |
Den zweiten Besuch gab's am letzten Outdoor-Klettertag beim zweiten Trip. Zu diesem Zeitpunkt hatte es schon fast 48h geregnet, aber einige Touren waren auch da noch trocken und kletterbar. Ganz so glibberig wie am Tag zuvor in Cevio waren die Verhältnisse generell nicht, aber von Topbedingungen waren wir so natürlich trotzdem weit weg. Für (wieder einmal) eine Begehung der Occidente (7a+) reichte es, die benachbarte No Riss, no Fun (7b+) ging auch knapp, obwohl in der Cruxsektion an einem entscheidenden Untergriff die Feuchtigkeit kondensiert hatte. Die restlichen Kräfte wurden dann in der Schattenjagd (8a) verpulvert. Tja, diese bekannteste und begehrteste 8a der Schweiz sollte ich eigentlich schon auch einmal ernsthaft im Projektmodus angehen. Nur alle 2-3 Jahre einmal 1-2 Go's zu geben reicht mir bei dieser ausdauerkräftigen Tour nicht für den Durchstieg, auch wenn das mit entsprechend Strom natürlich zu machen ist. Und sicherlich geht's bei grippig-kühlen Nordföhn-Bedingungen deutlich besser wie an diesem Tag mit durchfeuchteter Magnesia-Pappe auf den Griffen :-)
A-Lègri
Diesen Artikel schliesse ich mit dem erst kürzlich erschlossenen Gebiet bei Lodrino, das wir auf der Anreise zum zweiten Trip besucht hatten. Hier waren wir jeweils auf der Anreise zur Parete Val d'Iragna vorbeigekommen und hatten schon einen Blick auf die Felsen geworfen - nun wollten wir das erste Mal Hand anlegen. Es ist zu erwähnen, dass dies nur nach trockenen Perioden Sinn macht, sonst trifft man hier bestimmt länger auf drückende Feuchtigkeit. Dies verursacht auch, dass es in gewissen Routen noch brösmelet - wobei dieser Umstand jetzt mit der Publikation im Führer und zunehmender Frequentierung sicher besser. Den Auftakt machte ich mit der Clean-Route Medicina Tradizionale (6b). Diese ist recht ernsthaft, an den schwierigsten Stellen kann man nicht so gut legen und muss zwingend das Selbstvertrauen für einen Runout in wieder einfacheres Gelände mitbringen. Mit einem Satz Keilen und Cams 0.2-3 war ich auch eher knapp bestückt... das Originaltopo empfiehlt denn auch einen Doppelsatz an Cams dieser Grössen. Gleich nebenan kann man in Bordalen (7a) beruhigter Steigen, vor allem auch weil die Schwierigkeit nur in einer kurzen, leistigen Stelle besteht. Super gefallen hat mir S-3 Stout (7b), die erst mit recht kniffliger Risskletterei aufwartet und dann eine athletische Sektion mit total genialer Sequenz offeriert. Versucht habe ich auch die Inox Apologies (7c), die mit lässigen Bewegungsproblemen entlang einer Verschneidung startet, oben erst rissig wird und dann mit einem gewaltigen Dynamo aufwartet. Leider war der Riss noch feucht, was es nicht einfacher machte, den nötigen Schub für diesen Jump zu holen... wirklich ein Move wie in der Boulderhalle - nächstes Mal dann!
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Blick auf den cleanen Riss der Medicina Tradizionale (6b), der nicht überall perfekt zu sichern ist. |
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In der Bordalen (7a) können die Klemmgeräte am Einstieg bleiben - und sie finden da alle Platz :-) |
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Team Herkulis hat sich selbständig betätigt, hier in der Siate AlLegri (6b+). |