Nach dem Abenteuer im Tuborg am Vortag hatte es Kathrin schon etwas gefuxt, dass sie bei unseren Erfahrungen im fünften Eisgrad nicht mitreden konnte. Also musste ein adäquates Projekt her, dieses sollte sich auch zeitlich im Rahmen halten, da wir am frühen Nachmittag wieder retour sein mussten, um Jara zurück in die Schweiz zu verabschieden. Die richtige Wahl war Sentinel Ice, der Wächter des Valnontey. Er bietet bei kurzem Zustieg drei spannende, steile Seillängen und ist zudem nicht jedes Jahr gewachsen. Aufgrund von Tourenberichten im Internet war ich mir aber gewiss, dass aktuell gute Bedingungen herrschen.
Von uns gekletterter Routenverlauf mit Position der BH-Stände. |
So machten wir uns auf, über eine gute Spur und tragenden, windgepressten Schnee erreichten wir den Einstieg in weniger als 30 Minuten. Aufgeschirrt waren wir bereits, und sogleich konnte es losgehen. Die erste Seillänge bietet schon wirklich spannende Kletterei mit einem kurzen Stück, das an die Senkrechte heranreicht. Wer mehr daraus machen will, kann im linken Teil fakultativ schon eine 10m-Säule klettern. Der Stand befindet sich dann rechterhand an den Felsen.
Zoom auf die erste Länge, die im Mittelteil steiler/schwerer ist wie man meinen könnte. |
Die zweite Länge bietet gemütliche Kletterei (75-80 Grad) und führt unter die Abschlusssäule hoch. Standmöglichkeiten gibt es an der Lärche rechts, oder in der Nische hinter der Säule. Zum Sichern und Weiterklettern ist meines Erachtens der Baum viel vorteilhafter. Und dann eben das Prunkstück der Route: was von weitem wie eine solide Säule aussah, war in Tat und Wahrheit eine Mischung zwischen Vorhang und Zapfen. Dieses Ding reichte zwar gerade so bis zum Boden runter, allerdings war es unten komplett gerissen und somit eben doch ein freihängender Vorhang. Die ersten paar Meter waren zudem auch nicht gerade eben dick (weniger wie 50cm), wie ein Blick von der Seite zeigte.
Das ist das zweite Teilstück im Sentinel Ice, die einfachste der drei Seillängen. |
Hätte ich dieses Stück Eis in jungfräulichem Zustand angetroffen, so hätte ich wohl kehrt gemacht. Notabene, für die ganz Starken gäbe es übrigens noch die massiv überhängende Drytooling-Version an Normalhaken aus der Nische raus, die sieht echt schwer aus! Item, nachdem schon etliche Seilschaften diesen Vorhang beklettert hatten und er der Belastung problemlos standgehalten hatte, so würde es für uns wohl auch reichen. Vor allem auch, weil eigentlich gar keine (heftigen) Pickelschläge mehr nötig waren: die Löcher waren schon gut ausgeschlagen, und man konnte im steilen Teil eigentlich fast durchgehend hooken. Dies war sicher eine sehr grosse Erleichterung, denn ansonsten wäre es in diesem alten, harten, glatten und etwas glasigem Eis ein hartes Stück Arbeit gewesen, die 15 sehr steilen Meter zu überwinden.
Fast wie wenn der Zapfen die Zunge rausstrecken würde... er ist mit dem Boden nicht (!) verbunden. |
Auf diese Weise gelang uns beiden aber das Enchainement dieses Teilstücks, bzw. natürlich auch der ganzen Route. Lustig dabei ist immer wieder meine Hook-Paranoia, und die anschliessende rasche Gewöhnung daran, ein Phänomen das mir vom Cliffen beim Bohren bestens bekannt ist. Setzt man den Hook, so überwiegt in der ersten Sekunden das Feeling "uh, oh, wird das wohl halten, oh Mist gleich fliegt mir der ganze Scheiss um die Ohren und ich trete den Weg in die Tiefe an". Mangels Alternativen belastet man aber dann doch, und nachdem man mal eine Zeit lang daran gehangen ist, so fühlt man sich rasch wohler und wohler.
So sieht es von der Seite aus, eine delikate Sache! |
Philosophieren hin oder her, wir hatten das Top vom Sentinel bereits erreicht, es wird durch einen BH-Stand an den rechten Begrenzungsfelsen markiert, etwa 15m oberhalb vom Ausstieg der Säule. Mit unseren 50m-Seilen waren dann 3 Abseilfahrten notwendig, mit 2x60m spart man sich eines der Manöver. Dennoch, rasch hatte uns der Boden wieder und innert Minuten waren wir retour in Valnontey. Es blieb sogar noch Zeit für das kleine Eltern-Wellness-Programm, d.h. rasch in Ruhe eine Cappuccino zu trinken. Dann ab nach Hause, beim Kinderhüten war Schichtwechsel angesagt und sogleich wurde man natürlich in Beschlag genommen. Von den gemütlichen Lunchs, Saunagängen und einem nachmittäglichen Nickerchen kann ich definitiv höchstens Träumen, wieder raus in die Kälte und ab auf die Piste heisst es da jeweils für mich!
Die steile Passage sauber durchgezogen und das Top erreicht, bravo Kathrin! |
Sentinel Ice I WI5+ 110m
Material: 6-8 scharfe (!) Eisschrauben, 2x50m oder 2x60m geht beides gut.
Schöne Kaskade mit drei interessanten Seillängen, die am Taleingang des Valnontey wacht. Hat man nur wenig Zeit zur Verfügung, so findet man hier eine spannende Kletterei und je nach persönlichen Niveau und den Verhältnissen auch eine Herausforderung.
Zustieg: von Valnontey auf dem gespurten Wanderweg etwa 400m ins Tal hinein und bei einem im Winter verwaisten Bar-Gebäude links hinauf zum gut sichtbaren Fall, der Abzweiger ist auch ausgeschildert. Liegt eine Spur, was bei guten Verhältnissen die Regel ist, dauert der Zustieg keine 30 Minuten.
Route: L1 (35m) bietet nach gemässigtem Auftakt einige steile Meter in der Gegend von 85 Grad, je nach Gusto auch noch mehr. L2 (35m) ermöglicht nochmals entspannte Kletterei mit einer Neigung von 75-80 Grad. In L3 (40m) geht es erst am freihängenden Zapfen 15m im kompromisslosen 90-Grad-Gelände dahin, bevor die Neigung ausklingt und man zuletzt über ein Schneecouloir den letzten Stand erreicht.
Gefahren: im Gegensatz zu vielen anderen Fällen in Cogne empfiehlt es sich hier definitiv nicht, hinter einer anderen Seilschaft einzusteigen. Sämtliche losgelösten Eisbrocken fallen exakt über die Route hinunter und treffen auch den Einstieg. Bei viel (Neu)Schnee drohen auch Lawinen und/oder heftige Spindrifts.
Abstieg: Abseilen über die Route an 3 bestens eingerichteten Kettenständen.
Aussicht aufs Valnontey und dem PP bei den letzten Häusern, hinten Punta Arpisson (3035m) und Pointe Garin (3451m). |