Nochmals top Wetter und sichere Lawinenverhältnisse, damit nach der Tour ins Lachenstock-Couli am Vortag erneut die Gelegenheit für aussergewöhnliches Skifahren. Aus organisatorischen Gründen und weil die Schneedecke am Alpennordhang am solidesten aufgebaut ist, will ich nicht in die Ferne schweifen und entscheide mich für "z'Chlüntl". An sich rasch zugänglich, beim Touren kommt man aber doch zügig in einsam-abgelegenes Gebiet und Abenteuer ist garantiert. Sei es auf alpinen Klettertouren wie dem Ruchenpfeiler, Nordwand-Action am Bös Fulen, (sehr) alpinem Sportklettern wie im Köbis Wäg oder eben Skitouren wie der hier beschriebenen.
Die Schneekarte vom SLF war bezüglich einem Start von ganz unten eher pessimistisch und sowieso, wer nicht das Automobil-Fahrverbot missachten will, muss zuerst 20 Minuten der flachen Strasse entlang tschalpen. Somit war der Fall klar, das Schneetaxi kommt mit. Es zeigte sich als vortreffliche Entscheidung: zwar gab es ab dem offiziellen Ausgangspunkt gefrorenes H2O als Unterlage, aber das Bike machte die Sache doch einfacher. Zuerst flach über die zu einer Blankeisbahn gefrorene Strasse zu den letzten Häusern. Und dann liessen sich dank der dünnen und harten Schneedecke auch noch die ersten 200hm den Chlüstaldenstutz hinauf auf zwei Rädern meistern. Mir ging es dabei noch nicht einmal in erster Linie um den eingesparten Effort, aber die steile und enge Strasse ist für die Abfahrt unattraktiv, zudem hätte man wegen Schneemangel 2-3x abschnallen müssen und einige weitere Abschnitte wegen knapp eingeschneiten Steinen runtertreten müssen.
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Effizienter Tourenstart bis zum Chlüstalden. |
Um ca. 12.30 Uhr startete ich mit den Fellen und lief zügig über die bestens eingeschneite Strasse ins Tal hinein zur Chäseren. Der Vorteil von diesem späten Aufbruch war ganz klar, dass ich im nach Süden ausgerichteten Tal die Sonne geniessen konnte, während man morgens alles im Schatten geht. Ich hatte schon mit dem Gedanken gespielt, ab der Chäseren nicht über Wärben zu gehen, sondern die in der Linkskurve nach den Häusern startende Abkürzung durch den Wald zu wählen. Eine bereits vorhandene Spur liess mich dann nicht zögern, es zu tun. Man spart sich da wirklich etwas an Weg, sofern die raue Waldschneise genügend eingeschneit ist, dünkt mich diese Variante vorteilhaft. An der Jägerhütte vorbei ging's zu den Alpgebäuden von Zeinenstafel, wo sich manifestierte, dass in den Kessel der Zeinenmatt hinauf ebenfalls schon gespurt war. Vor- und Nachteil zugleich, da keine offizielle Route in diese wilde Gegend hinaufführt, hatte ich eher mit noch jungfräulichen Verhältnissen gerechnet (wie am Vortag).
Als Detailziele im Kessel der Zeinenmatt hatte ich verschiedene Optionen parat. Als ich mir dann aber gewahr wurde, dass der Hinter Gassenstock bereits gemacht wurde, da war der Fall für mich klar. Der an sich unbedeutende Gipfel im Nordgrat des Bös Fulen kann nur über ein System von Rampen erreicht werden, welche durch eine von Laien durchaus als "senkrechte Felswand" zu bezeichnende Struktur führen. Über 600hm beträgt die Steilheit zwischen 35-40 Grad mit zwei Schlüsselstellen, welche die 45 Grad erreichen oder sogar überschreiten. Diese Parameter machen es deutlich, das ist eine Tour für ausgewählte Momente und ein solcher war mir zum Glück gegeben. Inzwischen habe ich auch herausgefunden, wer da drei Tage vor mir unterwegs war. Die Spur war mir schliesslich nur wenig hilfreich, da grösstenteils wieder zugeweht und meist nur noch knapp erkennbar. Immerhin, um die letzten Zweifel zu vertreiben, es an diesem Tag dort hinauf wagen zu wollen, war sie ein Schlüsselelement.
Jedenfalls, über 150 schon zunehmend steiler werdende Höhenmeter pirscht man sich an die Felswand heran, bevor es über eine enge Rampe nach rechts geht. Viele Spitzkehren waren in diesem Couloir nötig, im steilsten Abschnitt ob der harten Unterlage mit rutschigem Presspulver drauf sogar eine Portage. Es ist da eben nicht nur so steil, dass es eine lange Schlitterpartie würde, sondern es hat auch noch eingelagerte Felsen über die man purzeln würde und sogar ein Absturz über die begrenzende Felswand scheint nicht komplett ausgeschlossen. Kurzum, Fehler sind da keine erlaubt, weder in Aufstieg noch Abfahrt. Auf 2100m legt sich das Gelände wieder etwas zurück und wird breiter, man wird über 100hm an den steilsten Abschnitt herangeführt: 45-50 Grad, etwas felsdurchsetzt, auch da war nochmals ein Bootpack nötig. Nach gut 50hm kann man wieder durchschnaufen, man erreicht ein wieder flacheres, als Schneeruus bezeichnetes Feld.
Sodann hat man die Wahl, ob man als Gipfelziel links den gut und etwas schneller erreichbaren P.2506 im Rüchigrat anpeilen möchte oder dem Hinter Gassenstock den Vorzug gibt. Echte Alpinisten mit grosszügigem Zeitbudget hatten vom ersten Skiziel übrigens die Möglichkeit mit einer 1km langen Gratkletterei den exklusiven Bösbächistock (2659m) zu erreichen. Ich hingegen blieb bei meinem Objective vom Hinter Gassenstock. Von der Schneeruus muss ein erneut gegen 40 Grad steiler Hang zur NE-Wand des Bös Fulen hin bewältigt werden, bevor es auf 2470m über eine Rampe nach rechts hinaus geht.
Man erreicht so einen flachen Gratabschnitt (ca. 2545m), welcher höher als der kotierte Gipfel des Hinter Gassenstock liegt und einen durchaus logischen Endpunkt für den Skitourengänger darstellt. Kurz nach meiner Ankunft begrüsste mich ein Adler, der im leichten NW-Wind soarend unmittelbar vor meiner Nase vorbeizog. Bei seiner zweiten Passage, wo er dann schon etwas höher war, hatte ich das Handy dann griffbereit. Auf der ganzen Strecke hatte ich keine Menschenseele angetroffen. Obwohl es im Prinzip nur eine Halbtagestour ist, fühlt man sich in der Zeinenmatt doch ziemlich isoliert und weitab der Zivilisation (es gibt ausser am Gipfel auch keinen Handyempfang!). Und dann kommt der König der Lüfte vorbei um Hallo zu sagen - was für ein grandioses Erlebnis!
Für den Alpinisten scheint es vom flachen Gratabschnitt nicht unmöglich, den Gipfel des Bös Fulen via die Kubli-Route erreichen zu können. Das wäre aber ein grössere Unternehmung. Der kotierte Gipfel P.2541 vom Hinter Gassenstock liegt deutlich näher, ist aber auch nicht trivial: es wartet nochmals ein kurzer Abstieg, und dann ein sehr steiler Schlusshang, natürlich auch noch kammnah. Käme dort etwas ins Rutschen, dann wäre dies wohl das Expressticket ins Tal (Absturz über die darunter liegende Felswand). Alternativ kann man mit einigen kurzen Abweichungen rechtsherum dem linken Grat entlang steigen, welcher aus brüchig-losen Felsen besteht und ebenfalls sehr exponiert ist. Choose wisely, kann man da nur sagen - es ist eine Unternehmung für Leute, welche sich in solchem Gelände sicher zu bewegen wissen.
Jedenfalls, einige Minuten vor 16.00 Uhr hatte ich meinen Aufstieg vollendet. Auch wenn die Uhr schon vorgerückt war, so war mir ein rascher Rückweg gewiss und ich konnte die Atmosphäre an diesem Ort noch für eine gute Weile aufsaugen und geniessen. Dann aber hiess es zurück zum Skidepot, mit Wechsel von den Steigeisen zurück auf die Bretter. Bald war alles Material festgezurrt und die Ski konnten talwärts gerichtet werden.
Die Abfahrt war dann gut, es ging alles mit den Ski an den Füssen (auch die Steilstufen) und der Schnee war prima fahrbar. "Bester Presspulver", so sagt man das im Jargon - sprich kompakte Unterlage mit weicher Auflage, etwas vom Wind bearbeitet und leicht wechselhaft. Aber natürlich, die 50cm Fluffy Powder hatte ich auch nicht erwartet, bzw. bei solchen Verhältnissen möchte man sich auch lieber nicht in diesem Steilgelände bewegen. Wohlverstanden, es ist keine Extremabfahrt, in den steilsten Stellen gilt es aber doch, konzentriert Schwung an Schwung zu setzen. Schliesslich war ich zurück in der Zeinenmatt, die Hänge zur Chäseren waren genussreich (kompakte Unterlage mit aufbauend umgewandelter Auflage) und unverfahrenes Gelände war vorhanden. Danach ging's im Schuss hinunter zum Bike, bequem mit einem coolen Downhill den steilen Stutz hinunter und vorsichtig über die Eisbahn retour zum Parkplatz (17.00 Uhr). Ein kurzer Ausflug in die Wildnis, ein grandioses Abenteuer - wie cool, dass so etwas möglich ist!