Eigentlich waren wir ja gerade erst aus den langen Sommerferien heimgekehrt. Doch zwischen den Ferien und dem Arbeitsalltag stand noch ein Wochenende mit bestem Bergwetter und die Möglichkeit, mit einem motivierten Partner endlich einmal am Zervreilahorn zu klettern - für mich persönlich das letzte der bedeutenden MSL-Gebiete in der Ostschweiz und Graubünden, welches ich zuvor noch nicht besucht hatte. So ging's mit grossem Tatendrang hinauf Richtung Einstieg. Zurück kehrte ich mit einer Fülle von Erlebnissen, einer grossen Begeisterung für den Valser Gneis und einer Begehung der beiden Toprouten Nanouk und Braveheart. Es sollte nicht mein letzter Besuch am Horn gewesen sein...
Unterwegs ins gelobte Land! Die fantastische SE-Wand des Zervreilahorns lockt zum Klettern. Die Nanouk führt ziemlich direkt hinauf zum aus dieser Perspektive höchsten Punkt des Berges. |
Über beinahe unendlich viele Kurven erreichten wir schliesslich den Parkplatz bei der Kapelle (P.1984) oberhalb von Zervreila. In weiser Voraussicht hatten wir die Bikes mitgenommen, der Zustieg ans Horn erleichtert sich so doch erheblich. Auf dem Hinweg lassen sich die knapp 3km über die Schotterstrasse bis zum Beginn des Wanderwegs dank Vernichtung von 130 Höhenmetern nämlich in wenigen Minuten zurücklegen, während man zu Fuss doch eine gute halbe Stunde unterwegs wäre. Nachher geht's zu Fuss auf dem Wanderweg Richtung Furggelti in die Höhe bis zu dieser Stelle auf ca. 2240m (Steinhaufen, Eisenstange mit weiss-rot-weisser Markierung), wo man diesen nach rechts verlässt. Nun folgt man auf einer Pfadspur dem markanten, diagonal verlaufenden Felsband entlang bis zum flachen Boden (Biwakplatz) auf ca. 2400m unter dem Zervreilahorn. Bis hierher hatten wir mit schwerem Gepäck gerade eine gute Stunde gebraucht. Wir deponierten unser Material, genossen erst einmal einen Zmittag und gingen dann inklusive zuletzt etwas Gekraxel und der Querung auf dem SE-Wandband in ca. 15 Minuten hinauf zum Einstieg der Nanouk. Dieser befindet sich bei einem deutlich ausgetretenen Geröllplatz. Es hat auch einen Stand mit 2 BH, die Aufschrift "Nanouk" war hingegen kaum mehr lesbar. Um 12.30 Uhr kletterten wir schliesslich los.
Der Weg ans Zervreilahorn ist nicht eben kurz, dafür befindet man sich "richtig" in den Bergen, abseits der Zivilisation. |
L1, 6a+: Die Route folgt zuerst der markanten Kante, welche mit den gut sichtbaren BH abgesichert ist. Eignet sich ideal als erster Test und Angewöhnung an den Zervreila-Gneis, ich fand's für den Grad doch eine ziemlich fordernde Kletterei. Schliesslich quert man nach rechts (jedoch nicht bis in die grasige Verschneidung), wo ein kurzer, schöner Riss erklommen werden muss (Cams). Zuletzt dann eine ebenso kurze Querung nach rechts zu Stand.
Blick auf den zwar nur kurzen, aber umso schöneren, selber abzusichernden Splitter Crack am Ende von L1 (6a+). |
L2, 7a+: Der Dauerpiaz! Es geht aber noch einigermassen moderat los und bald stellt sich auch die Frage, ob man der unten doch ziemlich grasigen Verschneidung konsequent folgen soll oder auch die linke Kante (hier verläuft die antike Fahnenroute) verwendet. Schliesslich muss man dann unvermeidlich in die Verschneidung und passiert ein kleines Dach. Und dann wird aus dem Riss eine nur noch dünne Kante und über die Strecke von 2 BH muss man diese piazend voll zudübeln und auf sehr glattem Fels anlaufen, puh! Das Finish zum Stand hinauf dann weiter anhaltend im Piaz, aber wieder einen Tick einfacher. Glücklicherweise ist die Absicherung mit BH hier tipptopp ausgefallen.
L3, 7a: Ziemlich gutmütig geht's auf den ersten Metern der Kante direkt ob dem Stand entlang (BH). Dann heisst's rechts abbiegen und hinein in die steile, eindrückliche Verschneidung. Kommt noch hinzu, dass diese zuerst selber abgesichert werden muss, was jedoch sehr gut möglich ist. Schliesslich legen Steilheit und Schwierigkeiten noch einen Tick zu, dafür stecken auch wieder BH in angenehmen Abständen. Während der Riss erst noch schön kantig und griffig ist, wird er später unangenehm rund, zudem fühlte sich auch das Gestein etwas glitschig an. Insgesamt nach meinem Empfinden doch ein gutes Stück einfacher wie L2, auch zugänglicher für Anti-Piazisten. Um zum Stand zu kommen, muss man die Verschneidung nicht bis ganz nach oben klettern, sondern vorher rechts abbiegen.
L4, 6a+: Kurze Seillänge, welche die Schwierigkeiten und den schönen Fels etwas sucht. Vom Stand links hinauf über die Stufe und dann weiter links halten, bis man auf dem Grasband den Kettenstand links findet. Hier am besten Stand machen und die nächsten 2 Seillängen verbinden.
L5, 6a: Komische Linienführung, die beiden BH stecken (zu) weit rechts, am besten sehr grosszügig verlängern. Schwierigkeiten von 6a findet man auch nur, wenn man sie wirklich sucht. Auf dem Band vor dem wieder steilen Wandabschnitt befindet sich nach Topo ein Stand, es steckt jedoch nur 1 BH. Wenn man ausreichend verlängert hat, kann man problemlos gleich weiter.
L6, 6c: Sehr schöne Kletterei dem steilen Riss entlang. Da sich links und rechts zahlreiche Griffe befinden, kann man hier auf beschwerliche Techniken à la Piaz oder Jamming bestens verzichten und beschwingt in die Höhe turnen. Fürs Zervreilahorn definitiv eine leichtverdauliche 6c.
Prima Riss- und Wandkletterei in nun wieder kompaktem und grasfreiem Fels in L6 (6c). |
L7, 6c/+: Man befindet sich nun auf der eindrücklichen, grossen Abschlussplatte. Der Auftakt geht aber ganz ordentlich über die Bühne, findet man hier doch griffige Strukturen, wo man auch selber noch Sicherungen legen kann. Die Crux folgt mittig in der Form einer plattigen Linksquerung, nachher geht's mit einer kleinen Überraschung zum Schluss wieder besser voran (fast schade, steckt da nochmals ein Bolt).
L8, 7a+: Knallerplatte hoch siebzehn, doch bei genauerem Hinschauen sind eigentlich immer Strukturen für Hände und Füsse da, es ist kein Schleicher. Schon aus dem Stand raus gleich fordernd, folgt schon bald die Crux, wo man Druck auf die minimalen Tritte bringen muss und dann entlang von einem spannenden Rail nach rechts quert. Diese Stelle fühlt sich im Vorstieg voll zwingend an, da man auch etwas seitlich versetzt vom Bolt moven muss. Möglicherweise kann man sich aber mit Trittschlinge und auf den Bolt stehen doch durchmogeln - wir müssen glücklicherweise nicht auf diese Mittel zurückgreifen :-) Wenn man die Rissspur rechts einmal erreicht hat, ist die Sache gegessen. Während diese Seillänge absolut nicht geschenkt ist und ich den Grad keinesfalls anzweifeln will, so dünkte sie mich doch deutlich einfacher wie z.B. die 7a+ der Braveheart. Zieht man dann noch die läppisch mit 6b+ bewerteten Cruxlängen der Eau Rance oder der Venus in Chamonix in Betracht, so scheint's mir wenig Konsistenz mit den Einstufungen zu geben.
Auf der grossen Knallerplatte in L8 (7a+), welche für diese Art der Kletterei relativ gutmütig eingestuft ist. |
L9, 6c+: Gleich unterhalb von uns ist inzwischen eine Rettung der Rega im Gang. Das sorgt wie immer für ein etwas beklemmendes Gefühl, stört die Konzentration und der Lärm lenkt ab, vor allem weil wir ja auch nicht wissen, was los ist. Wie wir später vernehmen, kam es offenbar in der 'Lord of Camalot' zu einem grösseren Sturz, weil mehrere mobile Sicherungen versagt hatten. Wir schaffen es dann aber doch, den Fokus wieder auf das Geschehen vor unserer Nase zu richten. Das ist auch zwingend nötig, warten doch gleich aus dem Stand raus knifflige Moves mit Abtropfpotenzial. An einer diagonal verlaufenden Plattenkante muss man sich bouldrig in die Höhe arbeiten, der Fels daneben ist reichlich glatt und schlipfrig. Schliesslich rückt die rechte Kante in Griffnähe und im Cruising-Mode ist bald das Top erreicht.
Klettern während unten der Heli fliegt - immer wieder ein beklemmendes Gefühl (L9, 6c+). |
Mit dem Routenende erreicht man einen breiten Grat, auf welchem man sich frei bewegen kann. Die Uhr war auf 17.30 Uhr vorgerückt, d.h. dass uns die Route doch 5:00h beschäftigt hatte. Da wir ja nicht nach Hause mussten, hatten wir noch ausreichend Zeit und für eine Erkundungstour. Erst trugen wir uns ins Wandbuch ein und verfolgten danach den Gratverlauf (gut seilfrei und barfuss möglich), bis der Zervreilahorn Mittelgipfel erreicht war und es definitiv nicht mehr ohne Abseilmanöver weiter gegangen wäre. Wir kehrten schliesslich zurück und fädelten unsere Seile in den Abseilstand der Fahnenroute. Wir lobten noch die steile und strukturlose Platte, welche eine rasche Rückkehr zum Ausgangspunkt und unseren Schuhen versprach. Doch es kam, wie es kommen musste: tatsächlich verhängte sich das freie Seil beim Abziehen an einem zu wenig tief gebohrten Antikbolt der Fahnenroute, Kruzifix! Wir waren die letzten am Berg, somit bleibt nur eine Option, wieder hinaufklettern. Mit einem Pendelquergang lässt sich immerhin der 6a-Abschlussriss der Medea erreichen, was einen Second Go in der 7a+ erspart. Die 6c+ muss dann aber unvermeidlich ein zweites Mal absolviert werden. Nun fädelten wir die Seile lieber in den Schlussstand der 'Nanouk', ab hier ging's nun eventfrei in die Tiefe. Mit etwas Abklettern zu Stand 4 und zum Einstieg schafft man es mit 2x50m-Seilen gerade mit 4 Manövern (Achtung!!!). Mit 2x60m würde es jeweils komplett reichen, sonst kann man auch kürzere Abseillängen machen (es sind alle ca. 20m Kettenstände vorhanden). Da wir am nächsten Tag ja wiederkommen würden, deponierten wir unsere Ausrüstung und stiegen zu unserem Nachtlager ab.
Gipfelsteinmann auf dem Zervreilahorn Nordrücken. Unten der See, die zum Ausgangspunkt führende Strasse gut sichtbar. |
Zervreilahorn - Nanouk 7a+ (6c obl.) - 9 SL, 250m - Hutzli/Illien 2001 - ****;xxxx
Material: 2x50m-Seile, 12 Express, Camalots 0.2-3
Tolle Gneiskletterei mit einigen sehr schönen Seillängen, die mich im Gesamtkonzept jedoch deutlich weniger begeistert hat wie die benachbarte Braveheart. Sicherlich ist auch die Nanouk selbst für von weiter hergereiste ein absolut lohnendes Ziel, für die 5* Höchstbewertung reicht es m.E. jedoch deutlich nicht. Zuerst ist der taffe Piaz in L2 (7a+) etwas gesucht wenige Meter neben einfacherem Gelände, dann warten in Wandmitte zwei Längen mit durchzogenem Terrain und die steilplattigen drei Abschluss-Sequenzen sind dann wirklich lässig, bieten aber auch keine hammermässigen Splitter Cracks, wie man sie sich in Urgesteins-Routen so gerne wünscht. Die Absicherung mit BH ist prima ausgefallen und das mobile Absichern nimmt in dieser Route keinen wesentlichen Platz ein. Sprich, sämtliche schwierigen Kletterstellen >6b sind komplett eingebohrt, nur bei einigen einfacheren Abschnitten müssen Cams platziert werden, was an diesen Stellen dann auch völlig problemlos möglich ist.