Im sehr beliebten Klettergarten von Cevio, mit seinen regensicheren Ausdauertouren hatten wir uns in der Vergangenheit schon öfters einen heftigen Pump gegönnt. Die höhere Wand unmittelbar rechts davon hatten wir hingegen noch nie besucht, obwohl sie steil und herausfordernd lockt. Naja, das ist eben nicht mehr familientaugliches Sportklettern, doch ein richtiges MSL-Abenteuer in den Bergen auch wieder nicht, zudem sind die Routen mit 4-7 Seillängen eher kurz. Im März 2021 kam aber der Tag, an welchem ein motivierter Partner für dieses Vorhaben zur Verfügung stand, zudem kamen aufgrund von Wind, Kälte und Restschnee viele alpinere Ziele im Tessin nicht in Frage.
Schon ein paar Minuten vor 8.00 Uhr starteten wir mit dem kurzen Zustieg. Ein heftiger Sturm hatte auch hier seit meinem letzten Besuch diverse Bäume umgeworfen, gewisse Erinnerungen an unser Bushwhack-Abenteuer nach der Quarzo keimten auf... aber keine Sorge, in Cevio ist es kein Problem. Der Klettergarten war wenig erstaunlicherweise noch verwaist. Man steigt der Wand entlang hinauf bis etwa zur Mitte des oberen Teils, wo ein schwach ausgeprägter Trampelpfad horizontal ins Gehölz führt (ca. bei der Eric & Sohn, es hilft dort nochmals ein an Bäumen fixiertes Seil weiter über die Platte hinauf). Schon bald steht man unter der eindrücklichen Parete, die einem aus dieser Perspektive beinahe auf den Kopf zu fallen scheint! Zuerst muss man jedoch den Einstieg lokalisieren, der sich quasi auf dem 'Vorbau des Vorbaus' befindet. Achtung, man muss moosige Platten erklimmen, bei Nässe sicher sehr heikel! Da die Sonne noch nicht zum Vorschein gekommen war, das passiert um diese Jahreszeit erst um 9.15-9.30 Uhr, montierten wir alle verfügbaren Kleiderschichten und präparierten uns für die Kletterei. Die ersten drei einfachen Seillängen würden wir auch so gut machen können. Etwas nach 8.30 Uhr starteten wir mit der Kletterei.
L1, 25m, 6a+: Über den Vorbau gibt's 2 Linien, unsere war die rechte, welche durch eine Verschneidung mit Stufen hinaufführt. De visu sieht es fast nach Turnschuhgelände aus, aber der Eindruck täuscht. Es ist steiler wie man meint, da muss man sich schon festhalten. Auch die üppig scheinende BH-Absicherung relativiert sich, spätestens wenn man sich im Runout über die einfache, aber etwas vegetative, ungesicherte Platte zum Stand befindet.
Sportkletterer auf Abwegen... die moosige Platte am Ende von L1 (6a+) ist nicht das Gelbe vom Ei und wenn auch einfach, (zu) spärlich gesichert. |
L2 & L3, 40m, 5c+: Hier erklimmt man zuerst einige treppenartige Aufschwünge in einer Verschneidung, wenig schwierig aber der erste Bolt steckt erst auf ca. 15m Höhe (man könnte wohl legen wenn man möchte und Cams dabei hätte...). Bevor man den BH dann auch wirklich klippen kann, muss man schon fast zur Hälfte in die Crux hinein moven. Gut, in dem Grad muss man das einfach bieten können, dennoch ist es etwas unangenehm. Wieder besser geht auf den Pfeilerkopf voran, wo sich gemäss Topo der Stand befindet. Da ist aber nur 1 BH und man kann sowieso problemlos etwas absteigend auf dem Band 10-15m nach rechts zum eigentlichen Stand (nach L3) weitergehen. Hinweis: vom Pfeilerkopf (Stand nach L2) zieht auch eine (noch nicht fertig gebohrte?!?) in den Topos nicht verzeichnete Linie direkt hoch.
Viktor kurz nach dem (Topo-) Stand nach L2, der real inexistent ist. Man kann die 15-Querung auf dem Band aber problemlos gleich anhängen, es ist auch kein 3er sondern Gehgelände. |
L4, 45m, 7c+: Da sich L3 quasi 'in Luft aufgelöst hatte' war nun, anders als geplant, Viktor mit dem Vorstieg dran. Die Viniciolòlavia setzt sich erst ganz rechts auf dem Band fort, was wegen dem Seilverlauf eher ungünstig ist :-/ Die ersten beiden BH klippt man noch kommod, aber der dritte ist nicht ganz einfach einzuhängen. Achtung, ein Sturz könnte da auf dem Band enden! Die Stelle danach dann knifflig mit einem üblen Sloper, ca. 7a/+, bevor es in gängigem Terrain zur Crux geht. Über ein paar Meter hat die Natur in dieser überhängenden Sektion keine positiven Strukturen erschaffen, man muss gekonnt technisch und kräftig zugleich an Slopern und vertrackten Seitkanten operieren. Wenn es nur an 3, 4 Stellen gut 'anhängen' würde, so wäre auch diese Stelle nicht mehr wie 7a/+. Tut es aber nicht, als Alternative geht's mit 3x oder 4x p.a. an den eng steckenden BH mühelos. Im Nachstieg (was hier definitiv eher mühsam als von Vorteil ist) kann ich nach einigem Pröbeln eine Lösung entschlüsseln und die Stelle vom No Hand Rest darunter klettern. Wir verzichten aber schliesslich darauf, nochmals für einen Rotpunkt-Go abzuseilen. Irgendwie fühlt es sich nach 'schon erledigt' an, die Länge ist lang/aufwändig und die Crux 'low percentage', somit ist zweifelhaft, ob es dann gleich ginge (<- heieieiei, diese Ausreden... aber so entscheidet man halt als Hobbykletterer). Nach der Crux quert man bei schon reichlich Seilzug noch gute 20m diagonal hinauf bei schöner 6bc-Kletterei. Hinweis: von diesem Stand ist die letzte Rückzugsmöglichkeit, nachher muss man bis zum Top durchsteigen (querender Routenverlauf im überhängenden Gelände).
Am Ende der Cruxsection in L4 (7c+). |
L5, 30m, 6c: Was für eine super, supercoole Länge! Dieser ansteigende, extrem luftige und fotogene Quergang unter einem Dach weckt wirklich Assoziationen an die grossen Wände im Yosemite. Schon bald einmal fordert eine erste Stelle, wo es noch mehr hinauf als hinüber geht - obwohl diese Passage sicher nie von Regentropfen erreicht wird, kann hier die Feuchtigkeit rausdrücken, so dass es schwierig werden könnte (war zum Glück nicht der Fall). Danach quert man über längere Zeit auf Gegendruck an der Kante der Verwerfung. Wobei die Moves abwechslungsreich sind, man sogar hin und wieder jammen kann, sehr schön! Die Absicherung mit BH ist gut bzw. genügend, aber eher zwingend. Wer nicht ganz Herr der Lage ist, könnte sich hier gut mit Cams behelfen. Der Stand nach dieser Länge ist wirklich super exponiert, herrlich!
Unterwegs im herrlichen Quergang von L5 (6c), da kommt Yosemite-Feeling auf! |
L6, 20m, 6c+: Wow, erneut eine perfekte Seillänge. Nachdem man zum Auftakt an einigen grossen Quarzbollen klettert, folgt nach einem Quergang ein athletisch-gutgriffiger Riegel. Prima geboltet, zum Freiklettern ist etwas Entschlossenheit nötig. Auch die Schlusspassage ist nochmals hervorragend, dank einem wundersamen, für die Wand/Region atypischen Loch geht es ohne allzu hohe Schwierigkeiten auf. Wirklich ein wenig schade, dass es in der 7c+ nicht auch ein solches Feature an der richtigen Stelle hat.
Sehr schöne, athletische und luftige Kletterei in L6 (6c+). |
L7, 25m, 6b+: Rein optisch fühlt man das Ende der Wand bereits als nahe und ohne einen Blick ins Topo starte ich in diese Länge, welche ich im Hinterkopf als 5c/6a abgespeichert habe. Aber das ist sie dann doch definitiv nicht! Es wartet nochmals athletische Kletterei, mit bisweilen ziemlich komplizierter Abfolge - will heissen, man muss sich den Weg durchaus suchen, eine echt lässige Sache! Erst zuletzt lassen die Schwierigkeiten nach und man steigt auf eine Art Plateau aus. Als ich schon Stand am dortigen Baum beziehen will, entdecke ich auch noch den gebolteten Stand.
Hier führt L7 (6b+) steil und griffig in die Höhe. Wer zoomt, sieht die Bolts. |
Um ca. 12.30 Uhr und damit nach rund 3:30 Stunden Kletterei sind wir am Top, inzwischen scheint die Sonne und es ist auch einigermassen warm. Für den Weg in die Tiefe haben wir auf das Abseilen gesetzt, der mögliche Fussabstieg sei steil, heikel und unwegsam. Allerdings kann man vom letzten Stand der Viniciolòlavia unmöglich abseilen, über die Route schon gar nicht. Doch auch (wie in den Topos verzeichnet) über die 'Vamos a la Playa' geht das nicht. Wirklich die einzige Option ist es, zum Ausstieg der 'Barcollo ma non mollo' zu wechseln, dieser Stand befindet sich etwa 15m weiter drüben und ist immerhin einfach aufzufinden. Da sind es dann 35m, zuletzt in überhängendem Gelände pendelnd, dann gestreckte 50m freihängend auf den Vorbau und nochmals 30m über diesen auf Terra Firma. So machten wir das, Zeit um nach Hause zu gehen war es dann aber noch nicht... über die weiteren Erlebnisse berichte ich aber in einem nächsten Beitrag.
Extrem luftige Abseilerei über die stark überhängende 'Barcollo ma non mollo'. |
Facts
Parete di Cevio - E Viniciolòlavia 7c+ (6c obl.) - 7 SL, 185m - Notari/Pagani 2002 - ***;xxx-xxxxx
Material: 2x50m-Seile, 16 Express, evtl. Camalots 0.3-2
Eindrückliche, eher kurze MSL-Tour mit natürlicher Linienführung durch eine sehr steile Wand. Man lasse sich durch die hohe Maximalschwierigkeit nicht abschrecken, nimmt man 3-4 BH zu Hilfe, so ist das Programm auch mit einem Onsight-Niveau von 6c/+ gut zu bewältigen und absolut lohnend. Pluspunkte gibt's für die luftige, spektakuläre und aussergewöhnliche Linie, die letzten 3.5 Seillängen bieten auch echt tolle, immer griffige Kletterei. Die 3 Zustiegslängen sind hingegen eher durchschnittlich und die harte Crux ein wenig ein 'Schönheitsfehler', aber die Natur richtet halt nicht immer alles nach des Menschen Vorstellungen ein. Die Absicherung mit BH ist insgesamt adäquat, im einfachen Zustiegsgelände stecken sie eher knapp, im 6bc-Terrain sportklettermässig (xxxx) und an den Schlüsselstellen sogar noch dichter (xxxxx). Mit Cams kann man sicher hier und da ergänzen, manchmal wäre das womöglich sogar sinnvoll und nützlich. Wir hatten keine mit dabei und kamen gut durch, d.h. es geht auch ohne. Zu beachten ist, dass ein Rückzug nur bis zum Stand nach L4 möglich ist, danach macht der querende Verlauf im überhängenden Steilgelände dies unmöglich. Ein Topo findet man im SAC-Führer Ticino e Moesano oder im Extrem Sud.