Ja die Lilith, diese mit 5 Sternen hoch dekorierte Route am Schweizereck, hatte ich natürlich schon lange auf dem Radar. Aber wie so oft hat es sich auch hier gelohnt, auf den richtigen Moment zu warten, bis der Wunsch in Erfüllung ging. Stimmen muss nämlich nicht nur die Form für diese anhaltend schwierige, steile Kletterei, sondern es gilt auch, die äusseren Bedingungen perfekt zu erwischen. In der WSW-Wand kommt die Sonne nämlich erst nach dem Mittag zu Vorschein, zudem pfeift hier nahe am Übergang des Schweizertors oft ein lästiger Wind. An manchen Tagen hat man die Wahl, entweder zuerst an der Kälte zu schlottern oder dann in der Sonne geröstet zu werden. Beides zusammen zu vermeiden ist gar nicht so einfach, doch an einem windstillen, traumhaften Septembertag ist uns dies fast perfekt gelungen. Von den zahlreichen Routen (1,2,3,4,5,6) die ich am Schweizereck bisher klettern konnte, fand ich die Lilith die beste - das will etwas heissen!
Die Wand am Schweizereck mit dem Verlauf der Lilith (9 SL, 7c+) |
Nach schon vielen Besuchen in den vergangenen Jahren, zuletzt kurz davor für die Beendigung des Lanciamira-Projekts (Blog folgt) gibt's über den Weg nicht mehr viel Neues zu erzählen. Ausser, dass der Alpweg von Schuders zum Grüscher Älpli neu mit einer Taxe von 10 CHF/Tag belegt ist, welche am Ortseingang von Schuders per Twint- oder Parkingpay-App bezahlt werden muss. Hoffen wir, dass der Obulus dazu genutzt wird, um mittels Unterhalt die Piste immer vernünftig befahrbar zu halten. Der Parkplatz unterhalb der Kletterhütte war an diesem Tag verwaist, somit gab es keine Sorgen, das Automobil zu platzieren. Um ca. 9.40 Uhr liefen wir guter Dinge los. Auf dem üblichen Weg ging's unter die Kirchlispitzen und über den Klettersteig in ca. 45 Minuten zum Einstieg. Dieser befindet sich ca. 5m links vom Punkt, wo der kleine Pfad vom Klettersteig wieder auf den Wanderweg trifft. Angeschrieben sind die Routen nicht (mehr), es starten an dieser Stelle gleich drei Touren unmittelbar nebeneinander (Intifada, Lilith, Blue Veins). Die Lilith in der Mitte weist am Einstieg einen Mammut-Longlife-BH als Erkennungsmerkmal auf. Um ca. 10.45 Uhr stiegen wir schliesslich ein, noch tief im Schatten des Berges. Die Sonne bestreicht den Einstieg erst ab ca. 12.00 Uhr, die mittleren Seillängen der Route sogar erst eine halbe bis eine ganze Stunde später.
Ein Vorgeschmack auf das was folgt soll nicht fehlen! |
L1, 40m, 6c: Tja, über die allesamt nicht leichtverdaulichen Auftaktseillängen der Schweizereck-Routen hatte ich ja schon hin und wieder lamentiert... Auch wenn's im Topo der Lilith mit einer 6c nach einem im Vergleich zum Restprogramm gemächlichen Länge aussieht, so stimmt das nicht ganz mit unserer Realität überein. Schlabbrig-glatt und knapp strukturiert kommt auch hier der Fels daher, noch ohne das Mojo in der Tasche und bei kühlen Temperaturen steigt man hier nicht wirklich entspannt. Auch wenn diese Länge in jeder Hinsicht zugänglicher ist wie jene der Intifada gleich nebenan: zum hoch steckenden zweiten Haken klettert man de fakto ein Stück freesolo auf bereits beunruhigender Höhe; ein dafür nahe am dritten steckender vierter Haken lässt eine erste Crux vermuten und bietet diese stehtechnisch, inkl. einem heiklen Klipp und einem Grasbüschel-Mantle als Exit. Die plattige Querung danach ist herausfordernd und schwierig zugleich, der abschliessende Runout über eine Grasrampe zwar relativ einfach, aber stürzen sollte man da besser nicht.
L2, 35m, 7a+: Links geht's weiter (die goldenen Bolts rechts gehören zur Route Blue Veins). Man überlistet die ersten 2 Haken, nimmt die sauberen Tropflochleisten zum nächsten, klettert griffig und eng gesichert ein kleines Dach und gelangt so zur Cruxzone. Athletisch-crimpy geht's zur Sache, ein wenig passen die Tritte nicht zu den Griffen (oder umgekehrt) und nachdem ich eine entscheidende Leiste erfolgreich ausblende klappt's leider nicht im Onsight. Im nächsten Anlauf passt's dann, nun muss noch der Rest zum Stand sitzen. Der wartet noch mit einer sloprigen Stelle auf, welche einiges an Entschlossenheit verlangt, gemessen an den restlichen Abständen dieser Länge könnte man sagen "da fehlt ein Bolt". Zuletzt dann gut abgesichert und gemässigt schwierig zum Stand, wo mich beim Nachsichern die ersten Sonnenstrahlen treffen.
L3, 30m, 6c+: Eine richtige Genusslänge, nach unserem Gusto der zugänglichste Abschnitt der Route, den wir mühelos durchsteigen konnten! Die griffige Tropflochkletterei ist hervorragend, absolut vergleichbar mit dem, was man in den Längen 2, 4, 5, 8 auch trifft, einfach ohne eine richtig giftige Stelle wie in jenen Sequenzen. Auch hier ist die Absicherung ein wenig inhomogen - erst sehr eng, da wo es am schwierigsten ist aber doch wieder etwas weiter. Passt aber, das muss man in dieser Route einfach bieten. Danke Jack für den im Zuge einer Sanierung etwas nach oben verschobenen Stand, der hier einen bequemen Aufenthalt ermöglicht!
L4, 30m, 7a+: Rechtsherum zu einer ersten, schwierig zu lesenden Sequenz in etwas schräg geschichtetem Fels, der kurzfristig nicht ganz der Top-Qualitätsklasse zuzuordnen ist. Nachher verläuft die Route im Bereich einer schwach ausgeprägten Kante - ob links, zentral oder rechts möge jeder Aspirant für sich entscheiden, die Haken jedenfalls wären ziemlich weit links aussen. Die Crux folgt schliesslich im letzten Drittel mit einer Sequenz, wo man mutig auf abschüssigem Gelände antreten muss und nachher an Tropflöchern durchzuziehen hat. Der Bolt steckt da nicht sonderlich konsumentenfreundlich (etwas abseits, schwierig zu klippen, die härtesten Moves sind Kopfsache). Doch inzwischen war mein Flow da, ich konnte die unangenehme Situation ausblenden und den Fokus aufs Weitersteigen legen. Mit ein paar richtig coolen Tropflochmoves erreichte ich den etwas nach oben in die bequeme Nische verlegten Stand im Onsight, mein erster Vorstiegsblock war damit abgeschlossen.
Zwischendurch muss man schon ein wenig 'auspacken', hier in L4 (7a+), zudem auch die Felsstruktur klar erkennbar! |
L5, 30m, 7a+: Auf dieser Länge beschreibt die Route ein grosses 'S' und bietet hervorragende, ziemlich homogene Kletterei an Tropflöchern. Während sich auch hier eine Cruxsequenz identifizieren lässt, so empfanden wir dies als die 7a+ Länge mit den anhaltendsten Schwierigkeiten. Inzwischen gut aufgewärmt ging mir dieser Abschnitt ziemlich leicht von der Hand - wobei man im Nachstieg halt immer noch ein wenig frecher und kraftsparender klettern kann, selbst bei so guter Absicherung wie hier.
Nicht nur die Ästhetik passt, auch die Kletterei ist genial gut in L5 (7a+)! |
L6, 20m, 7b: Hier hat die Kletterei einen anderen Charakter wie davor, so viel ist bereits vom Standplatz aus klar. Denn die initiale Balance-Traverse über die blau-grau versinterte Wand bietet eher wenig Struktur. Während für die Füsse ein paar vernünftige, aber (zu) weit auseinander liegende Tritte erkennbar sind, fehlen umso mehr die Möglichkeiten für die Hände, die es hier trotz leicht liegendem Charakter zwingend braucht. Am Abschmier-Limit ging's mir schliesslich grad auf, aber ob ich es bei einem nächstem Mal wiederholen könnte, ist unsicher... Nach dieser Stelle kann man sich kurz etwas sammeln, danach musste ich mich dann aber nochmals zünftig anstrengen, in einem seichten Winkel sehr kleine Griffe bedienen und mich geschickt reinstemmen, bevor der bequeme Stand erreicht wird.
Die heikle, sehr technische Querung am Anfang von L6 (7b). |
L7, 20m, 7b+: Was für eine absolut geniale Seillänge, vielleicht die allerbeste einer erstklassigen Route! Gerade der Start könnte aber gerne nass sein, bei unserer Begehung hörte der Wasserstreifen jedoch 10m oberhalb auf und schickte nur vereinzelt einmal ein paar Tropfen herunter. Geklettert wird entlang von einer (mehr oder weniger) henkligen Fuge, die sich diagonal nach rechts oben zieht. Das Trittangebot ist nicht immer üppig, d.h. es ist so richtig athletisch und man wird je nach vorhandenen Körnern und Fitnessstand durchaus schon gut gegrillt. Die Klimax dann dort, wo man vom Ende der Fuge gerade hinauf muss - die Griffe sind "gut", es hat kleine, positive Leisten. Doch man muss hier schon echt aufs Gaspedal drücken! Leider, leider habe ich hier im Notstrom-Modus und leicht benebelt von all den Botenstoffen an der Blut-Hirn-Schranke die entscheidende, kleine Trittmöglichkeit nicht wahrgenommen, welche wohl den Unterschied zwischen Durchstieg und einem Absitzer ins Seil gemacht hätte. Diese Länge wurde ursprünglich als 7c gehandelt, aber 7b+ passt wohl tatsächlich besser.
Erst henklig, dann den Turbo zünden - L7 (7b+) ist eine absolut geniale Länge! |
L8, 30m, 7a+: Zurück ans Ruder für meinen zweiten Vorstiegsblock hiess es hier - also erst mal den Pump von der Länge davor vergessen machen! Auch hier geht's auf einem etwas verschlungenen Pfad durch die attraktive und weiterhin steile Wand, welche sich aber gegenüber L7 doch massiv zurückgelegt hat. So löst sich auch alles, erst rechts, dann links und wieder rechts, vorerst einmal ziemlich gut auf. Das Problem ist mehr, dass die Haken etwas kreuz und quer seilzugträchtig stecken. Das wird in der Crux zum Faktor, denn auch da steckt der Haken alles andere als optimal und bietet das Potenzial für zwar nicht sehr weite, aber unangenehme Stürze bei der bouldrigen Stelle, wo es wieder einmal schwierig ist, den nötigen Druck von mässigen Griffen auf fast inexistente Tritte zu bringen. Das Finish bietet dann nochmals eine Linksecke mit echt coolem Rettungsgriff, toll!
L9, 30m, 7c+: Nun wartet noch das Schlussbouquet, wohl dem, der seinen Extrastrom noch bis dahin konservieren konnte. Wobei, so viel sei an dieser Stelle verraten: sollte dies nicht der Fall sein, so wird es mit dem schieren Hochkommen vermutlich doch noch klappen. Die Länge ist freundlich gebohrt und wenig obligatorisch. Unter dem Strich sind es nur ca. 3m, welche hier richtig Bauchweh machen, nämlich die Passage gleich unter bzw. ins Dach oberhalb vom Stand. Im nahezu strukturlosen, senkrechten Gelände heisst es sich zu positionieren, um den offensichtlichen Henkel zu schnappen. Doch wie macht man einen langen Move nach oben-hinten-aussen, wenn man schon die Ausgangsposition an der Abschmiergrenze kaum halten kann und alles nach unten zieht?!? Mir hat sich das nicht erschlossen und während ich sonst den ganzen Rest klettern konnte, fand ich da keine Lösung - allzu lange gesucht habe ich dann aber eben auch nicht. Oberhalb vom Dach geht's erst technisch fordernd weiter, der Fels hat hier wieder die typische Schweizereck-Tendenz, glatt und abschüssig zu werden - passt aber schon. Bald einmal trifft man dann auf den grossen Quergang der Intifada, wo man noch die klettertechnische Crux jener Länge klettert (laut dem Topo von Thomas Behm, ich habe nicht viel davon bemerkt), einen längeren Hakenabstand in einfachem Gelände überwindet (Cam im Grössenbereich 0.3-0.5 evtl. nützlich) und mit einem Ausstiegsmantle das Routenende erreicht.
Um 17.50 Uhr und somit nach rund 7:00 Stunden Kletterei hatten wir diesen erreicht. Sicher keine Speedbegehung - nein, wir hatten es sehr genossen und waren ja gekommen, um möglichst jeden Meter der Route sauber zu klettern. Dieses Ziel hatten wir zwar wegen der bockharten, technischen Passage in L9 nicht ganz vollständig erreicht, es tat dem Vergnügen und der Zufriedenheit aber keinen grossen Abbruch. Das war nun eine echt geniale, fordernde und homogen schöne, anhaltende Kletterei gewesen. Noch dazu waren die äusseren Bedingungen perfekt gewesen. Beim Start im Schatten war es zwar frisch, aber nicht unangenehm kalt gewesen, später an der Sonne dann einfach perfekt angenehm warm. Traumtag, Traumkletterei, was will man mehr?!?
Nachdem wir für ein paar Minuten auf dem bequemen Grasband gechillt hatten, warfen wir die Seile aus. Das Abseilen vollzieht sich sehr speditiv, selbst mit 2x50m reicht's gerade knapp in 4 Manövern (9 -> 7 -> 4 -> 2 -> Boden), auch wenn man jeweils unter Nutzung der Dehnung bis ganz ans Ende abfahren muss. Alternativ entweder längere Seile mitbringen oder mehr Manöver durchführen, es sind ja alle Standplätze zum Abseilen eingerichtet. Es sei auch erwähnt, dass man in der steilen Wand teils reichlich pendeln muss, um die nächste Kette zu erreichen. Wir packten unsere Siebensachen und liefen bei wunderschönem Alpenglühen zurück zum Parkplatz - an diesem Traumtag waren wir die einzige Seilschaft im ganzen Bereich des Grüscher Älpli gewesen, was die Erfahrung umso spezieller machte.
Alpenglühen an der Drusenfluh, wunderschön! |
Facts
Rätikon/Schweizereck - Lilith 7c+ (7a obl.) - 9 SL, 250m - Tischhauser/Wieser 1996 - *****;xxxx
Material: 2x50m-Seile (2x60m komfortabel zum Abseilen), 12 Express, Cams/Keile nicht nötig
Grandiose MSL-Sportkletterei in meist bestem Tropflochfels, welche die proklamierten 5* absolut verdient, trotz dem Wermutstropfen, dass sie nicht die ganze Wand bezwingt, sondern mittendrin aufhört. Mit Ausnahme der noch nicht so attraktiven, plattigen ersten Seillänge verläuft die Route durchgehend im senkrechten bis leicht überhängenden Steilgelände und bietet technisch anspruchsvolle Wandkletterei. Die Schwierigkeiten sind sehr anhaltend im 6c+/7a-Bereich, gewürzt mit ein paar meist eher kurzen, schwierigeren Einzelstellen (mehrmals 7a+, 7b, 7b+) und einem kleinen "Schönheitsfehler" in der letzten Seillänge, eine 3m lange, nahezu grifflose, ultratechnische Passage im Bereich 7c+. Die Absicherung ist meist sportklettermässig sehr gut (xxxx), wobei dies für die erste Länge nicht zutrifft (xx-xxx) und man auch sonst hin und wieder etwas erratisch auf einen längeren Abstand mit xxx-Charakter trifft. Auch die Angabe von 7a obligatorisch trifft wohl zu, wobei dies nicht harakirimässig 3m über dem letzten Haken im unsicheren Stehgelände zu bieten ist, sondern eher so in der Art von 1m diagonal versetzt vom Haken weg an Tropflochcrimps, sprich vergleichsweise (psychisch) angenehm. Mit Cams/Keilen kann und muss man wenig anfangen, einzig in der Schlusslänge gibt's einen 8-10m langen Abstand, den man gut verkürzen könnte, aber das ist höchstens 6a-Kletterei. Topos findet man z.B. im Extrem Ost (Filidor), Rätikon Süd (Panico) oder Kletterführer Graubünden (SAC), alternativ hier auch das originale PDF. Zuletzt: zum Zeitpunkt unserer Begehung waren die Standplätze sowie die letzte Seillänge saniert (1:1-Ersatz der Haken, durch Jack mit Material von Eastbolt, vielen Dank!), der Rest folgt dann möglicherweise noch!?!